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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Aufsichtsbehörden und Kommissionen
Abteilung:Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte
Rechtsgebiet:Anwaltsrecht
Entscheiddatum:11.09.2013
Fallnummer:AR 13 22
LGVE:2013 V Nr. 1
Leitsatz:§ 12 Abs. 2 lit. d AAV (Verordnung betreffend die Aufsicht über die Anwältinnen und Anwälte). Die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte ist nicht befugt, einer Klientin Auskunft über die Berufshaftpflichtversicherung ihres Anwalts zu erteilen.
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Entscheid:Eine ehemalige Klientin von Rechtsanwalt X. ersuchte die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte um Bekanntgabe der Haftpflichtversicherung von Rechtsanwalt X. Die Aufsichtsbehörde trat auf das Gesuch nicht ein.

Aus den Erwägungen:

7.

7.1.

Die Gesuchstellerin stützt ihr Gesuch einerseits auf Art. 398 OR und führt anderseits aus, zwar bestehe kein direktes Forderungsrecht gegenüber der Haftpflichtversicherung des Gesuchsgegners. Dieser verstosse aber gegen Treu und Glauben, indem er die Bekanntgabe seiner Haftpflichtversicherung mehrfach zugesichert habe, ohne sich am Schluss daran zu halten. Zudem sei davon auszugehen, dass unter Miteinbezug der Berufshaftpflichtversicherung des Gesuchsgegners eine gütliche Einigung möglich wäre. Weiter erscheine fraglich, ob der Gesuchsgegner finanziell in der Lage sei, für den Schaden aufzukommen. Grundsätzlich habe er einen Anspruch gegenüber seiner Berufshaftpflichtversicherung auf Abgeltung des Schadenersatzanspruchs. Gleichzeitig träfen ihn aus dem Versicherungsvertrag Mitwirkungspflichten (Anzeigepflicht, Obliegenheiten, Schadenminderungspflichten). Wenn er seine diesbezüglichen Pflichten verletze, drohten seitens der Berufshaftpflichtversicherung aufgrund von Art. 38 bzw. 46 VVG Abzüge oder gar eine Verweigerung der Kostenübernahme. Ein solches Resultat widerspreche dem Grundsatz, wonach Kundinnen von Rechtsanwälten als Publikum geschützt werden müssten. Dieser Grundsatz sei ratio legis für die Pflicht zum Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung gemäss § 12 Abs. 2 lit. d der Verordnung betreffend die Aufsicht über die Anwältinnen und Anwälte (AAV, SRL Nr. 281). Um diesen Kundenschutz effektiv greifen zu lassen, müsse nach teleologischen Gesichtspunkten die Möglichkeit bestehen, die Berufshaftpflichtversicherung zu erfahren. Diese Überlegungen erheischten es, dass die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte der Gesuchstellerin die Berufshaftpflichtversicherung des Gesuchsgegners mitteile.

7.2.

Hauptaufgabe der Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte ist die Beaufsichtigung der Anwältinnen und Anwälte, die auf ihrem Gebiet Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten (Art. 14 des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [BGFA; SR 935.61]; § 8 des Gesetzes über das Anwaltspatent und die Parteivertretung [AnwG, SRL Nr. 280], nach dessen Abs. 2 sich die Aufsicht auch auf die nicht zur Parteivertretung zugelassenen Anwältinnen und Anwälte erstreckt). Sie ahndet Verletzungen der Berufsregeln nach Artikel 12 BGFA (§ 10 Abs. 1 AnwG) und erfüllt weitere Aufgaben, die ihr entweder das BGFA (§ 16 Abs. 2 AnwG) oder das kantonale Recht zuweisen. Zur ersten Kategorie gehört die Führung des Anwaltsregisters (Art. 5 Abs. 3 BGFA) sowie der öffentlichen Liste (Art. 28 Abs. 1 BGFA). Weitere Aufgaben gemäss kantonalem Recht sind u.a. der Entzug bzw. die Wiedererteilung des Anwaltspatents (§§ 5a und 5c AnwG) sowie die Befreiung vom Berufsgeheimnis (§ 16 Abs. 1 AnwG). Eine Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte zur Bekanntgabe der Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts ergibt sich weder aus dem BGFA noch aus dem Anwaltsgesetz. Die Haftpflichtversicherung befindet sich nicht unter den persönlichen Daten, welche gemäss Art. 5 Abs. 2 BGFA ins Anwaltsregister aufzunehmen sind oder worüber Dritte im Sinn von Art. 10 Abs. 2 BGFA ein Auskunftsrecht besitzen.

7.3.

Nach Art. 12 lit. f BGFA haben Anwältinnen und Anwälte, welche Parteien vor Gericht vertreten wollen, eine Berufshaftpflichtversicherung mit einer Mindestdeckungssumme von einer Million Franken abzuschliessen oder eine gleichwertige Sicherheit anzubieten. Entgegen der ursprünglichen Absicht des Bundesrats ist die Berufshaftpflichtversicherung keine Voraussetzung für den Registereintrag, sondern nur – aber immerhin – eine Berufspflicht (Fellmann, in: Komm. zum Anwaltsgesetz, [Hrsg. Fellmann/Zindel], 2. Aufl., Art. 12 BGFA N 129a). Dass der Anwalt die Versicherung dem Klienten bekannt geben muss, schreibt diese Berufsregel nicht vor. Zwar verlangt die Aufsichtsbehörde bei Neueintragungen von Anwältinnen und Anwälten den Nachweis der Berufshaftpflichtversicherung (§ 12 Abs. 2 lit. d AAV). Dies ist aber grundsätzlich nicht Voraussetzung für die Eintragung ins Anwaltsregister, sondern dient der Prüfung, ob die Berufsregel (im Moment) eingehalten ist. Gemäss Art. 12 lit. j BGFA hat der Anwalt der Aufsichtsbehörde jede Änderung der ihn betreffenden Daten im Register mitzuteilen. Daraus lässt sich auch die Pflicht ableiten, der Aufsichtsbehörde das Erlöschen des Versicherungsschutzes mitzuteilen (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 177). Weitergehende Pflichten, insbesondere jene, der Aufsichtsbehörde z.B. die Verlängerung des Versicherungsschutzes oder einen Wechsel des Versicherers mitzuteilen, lassen sich daraus jedoch nicht ableiten. Aus diesem Grunde verfügt die Aufsichtsbehörde nicht in jedem Fall über die aktuellen Angaben des Berufshaftpflichtversicherers. Selbst wenn sie aktuelle Kenntnisse der Versicherung hätte, stellt sich die Frage, ob sie berechtigt wäre, solche Daten an Dritte herauszugeben.

7.4.

Nach § 17 AnwG veröffentlicht die Aufsichtsbehörde im Kantonsblatt oder in elektronischen Medien Einträge und Löschungen im Anwaltsregister und in der öffentlichen Liste, dauernde oder befristete Berufsausübungsverbote, Entzüge, Verzichte und Wiedererteilung von Anwaltspatenten. Nach Art. 10 BGFA hat jede Person ein Auskunftsrecht, ob eine Anwältin oder ein Anwalt im Register eingetragen ist oder ob gegen sie oder ihn ein Berufsverbot besteht. Für die Bekanntgabe von weiteren Daten, insbesondere der Berufshaftpflichtversicherung, fehlt der Aufsichtsbehörde demnach die gesetzliche Grundlage (§ 10 Abs. 1 lit. a Datenschutzgesetz SRL Nr. 38).

7.5.

7.5.1.

Mit der Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung (Art. 12 lit. f BGFA) soll sichergestellt werden, dass im Schadensfall zu Gunsten des rechtsuchenden Publikums ein ausreichendes Haftungssubstrat vorhanden ist (BGE 138 II 459 f. E. 20, vgl. auch Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 129c). Mit dem Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung versichert sich aber auch der Anwalt selber gegen die Gefahr, einen durch seine anwaltliche Tätigkeit entstandenen Schaden seines Klienten selber ersetzen zu müssen (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 131). Die Versicherung ihrerseits verpflichtet sich, den Schaden zu bezahlen und unbegründete Ansprüche abzuwehren (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 132). Bei einer Vermögenshaftpflichtversicherung verlangen diese Versicherungen in der Regel, dass die Schadenersatzansprüche innerhalb der Vertragsdauer geltend gemacht werden oder dass der Schaden zumindest während der Vertragsdauer verursacht worden ist (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 133). Der geschädigte Klient kann nur den haftpflichtigen Anwalt selbst, nicht aber dessen Haftpflichtversicherung belangen. Er hat dieser gegenüber kein direktes Forderungsrecht (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 134) und es handelt sich auch nicht um einen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter (vgl. BGer-Urteil 4A_527/2008 vom 11.3.2009 E. 3.2).

7.5.2.

Allerdings räumt Art. 60 Abs. 1 VVG dem Geschädigten ein gesetzliches Pfandrecht am Ersatzanspruch gegen die Versicherung ein und ermächtigt die Versicherung, die Entschädigung direkt an den geschädigten Klienten zu bezahlen, sofern es sich um eine Versicherung handelt, welche die Folgen gesetzlicher Haftpflicht versichert (was für die gemäss Art. 12 lit. f BGFA vorgeschriebene Haftpflichtversicherung des Anwalts zutrifft) und eine Verpflichtung des Versicherers vorliegt, dem Versicherungsnehmer eine Leistung zu erbringen (Carron, Basler Komm. zum VVG, Basel 2001, Art. 60 VVG N 5 ff.).

Aus dieser Bestimmung hat die Rechtsprechung ein Recht des geschädigten Dritten abgeleitet, über den Inhalt der Police informiert zu werden (Carron, a.a.O., Art. 60 VVG N 19 mit Hinweis auf SVA V Nr. 294 S. 588; Walter Fellmann, Anwaltsrecht, Bern 2010, N 1547; Pascal Grolimund, Haftpflicht und direktes Forderungsrecht, in: Gesamtrevision des Versicherungsvertragsgesetzes: Erste Analyse der bundesrechtlichen Botschaft [Hrsg. Anton K. Schnyder], Zürich 2012, S. 121, ebenfalls mit Hinweis auf den in SVA V Nr. 294 S. 586 ff. publizierten Entscheid des Kantonsgerichts Tessin vom 9.10.1926). Gemäss jenem Entscheid wurde der nach damaligem Recht zum Abschluss einer Motorfahrzeughaftpflichtversicherung verpflichtete Eigentümer eines Autos (damals noch ohne direktes Forderungsrecht des Geschädigten) im Rahmen eines von einem Geschädigten gegen ihn laufenden Haftpflichtprozesses gestützt auf Art. 60 VVG verpflichtet, dem Geschädigten auf dessen Begehren die Versicherungspolice vorzulegen. Die Geltendmachung in einem Zivilverfahren (entweder im ordentlichen Prozess oder allenfalls im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung gemäss Art. 158 ZPO) entspricht dem Umstand, dass Streitigkeiten aus Versicherungsvertrag privatrechtlicher Natur und durch die Zivilgerichte zu entscheiden sind (Stoessel, Basler Komm. zum VVG, Basel 2001, Allgemeine Einleitung, N 16). Daraus folgt, dass die Gesuchstellerin ihren mit Art. 60 VVG begründeten Anspruch auf Bekanntgabe der Haftpflichtversicherung vor dem Zivilrichter geltend zu machen hat. Die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte ist dafür nicht zuständig.

7.5.3.

Daran ändert auch nichts, dass der Gesuchsgegner in seiner mündlichen Stellungnahme am 19. April 2013 der Aufsichtsbehörde zugesichert hat, seiner Berufshaftpflichtversicherung eine substanziierte und spezifizierte Forderung weiterzuleiten und der Aufsichtsbehörde eine Kopie der erfolgten Anmeldung zu übermitteln. Mangels Erhalt einer Kopie der Anmeldung ist davon auszugehen, dass dies nicht erfolgte. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens kann die Gesuchstellerin daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten, da das BGFA keine Verpflichtung des Anwalts zur Bekanntgabe der Berufshaftpflichtversicherung an die Klientschaft vorsieht. Das in diesem Zusammenhang vom Gesuchsgegner an den Tag gelegte Verhalten (Abgabe leerer Versprechungen, fehlende Bereitschaft zur Schadensregulierung) kann von der Aufsichtsbehörde lediglich im Sinne von Art. 12 lit. a BGFA disziplinarisch geahndet werden. Was allfällige Ansprüche aus der behaupteten Verletzung zivilrechtlicher Mandatspflichten betrifft, wären auch diese vom Zivilrichter zu beurteilen.