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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Steuererlass
Entscheiddatum:11.09.2013
Fallnummer:A 13 23
LGVE:
Gesetzesartikel:§ 200 Abs. 1 StG
Leitsatz:Im Steuererlassverfahren sind einzig die Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs massgeblich. Demnach sind überrissene Auslagen für die Wohnung ab dem nächsten Kündigungstermin angemessen auf ein ortsübliches Mass herabzusetzen.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

5.1.2.

Aus den vorinstanzlichen Akten sowie aus der von der Beschwerdegegnerin erstellten Auflistung der finanziellen Verhältnisse geht hervor, dass die Beschwerdeführerin Mieterin einer 4½-Zimmer-Wohnung in Z ist. Seit … 2011 befindet sich der Beschwerdeführer allerdings im Pflegeheim Y in Z; die Beschwerdeführerin lebt seither allein in der 4½-Zimmer-Wohnung. Dafür bezahlt sie seit … 2013 einen monatlich fälligen Zins von Fr. 1'600.--. Davor bestand ein anderer Mietvertrag für eine 4½-Zimmer-Wohnung an derselben Adresse zu einem Mietzins von Fr. 1'700.-- pro Monat. Die Beschwerdegegnerin rechnete den Beschwerdeführern aber lediglich einen Mietzins von Fr. 1'100.-- an und verwies dafür auf die Richtlinien für die Ergänzungsleistungen. Beim Grundbedarf stützte sie sich auf die Empfehlungen der "Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz" ab (zuletzt publiziert in LGVE 2009 I Nr. 42) und rechnete der Beschwerdeführerin Fr. 1'200.-- an, während der Grundbedarf beim Beschwerdeführer pauschal in den Heimkosten von Fr. … enthalten ist. Im Ergebnis errechnete die Beschwerdegegnerin Einkünfte von total Fr. 8'549.50 […], denen Auslagen von total Fr. 8'150.10 […] gegenüberstanden. Daraus resultierte ein gesamthafter Überschuss von Fr. 399.40, welcher die Beschwerdegegnerin zur Abweisung des Erlassgesuchs veranlasste.

5.2.

Die Beschwerdeführer sind sich nach eigenen Angaben der hohen Wohnkosten zwar bewusst, weisen aber darauf hin, dass sich die Suche nach einer anderen Wohnung zu einem Mietzins im Bereich der Ergänzungsleistungen (max. Fr. 1'100.--) sehr schwierig gestalte, zumal eine Wohnung in Z und Umgebung erwünscht ist. Selbst mit einem Mietzins im Bereich der Ergänzungsleistungen erachten sie zudem eine Ratenzahlung von Fr. 400.-- pro Monat als nicht möglich.

5.2.1.

Bei der Notbedarfsberechnung ist der effektive Mietzins für die Wohnung zu berücksichtigen, allerdings ohne Auslagen für Beleuchtung, Kochstrom und/oder Gas, weil diese im Grundbetrag inbegriffen sind (LGVE 2009 I Nr. 42 II.). Ein den wirtschaftlichen Verhältnissen und persönlichen Bedürfnissen des Schuldners nicht angemessener Mietzins ist nach Ablauf des nächsten Kündigungstermins auf ein ortsübliches Normalmass herabzusetzen (BGE 129 III 526 ff. m.H.; LGVE 2009 I Nr. 42 II.). In analoger Weise sehen auch die SKOS-Richtlinien vor, dass überhöhte Wohnkosten grundsätzlich so lange vollständig in die Bedarfsberechnung zu übernehmen sind, bis eine zumutbare günstigere Lösung zur Verfügung steht (Ziff. B.3 der SKOS-Richtlinien; vgl. auch das Luzerner Handbuch zur Sozialhilfe, 2. Aufl. 2010, Ziff. B.3.1 [im Folgenden zitiert als "Handbuch"]). Dabei ist die unterstützte Person zunächst mittels Weisung dazu anzuhalten, eine zumutbare günstigere Wohnung zu beziehen, wenn die effektiven Wohnkosten höher sind, als es angemessen wäre. Anderenfalls werden die Wohnkosten nach einer Übergangsfrist nur noch im angemessenen Betrag übernommen.

5.2.2.

Mit Blick auf die verschiedenen von der Beschwerdegegnerin angewendeten Richtlinien (gemäss SchKG, EL-Berechnung) und Weisungen (zum StG) ist vorab festzuhalten, dass im Steuererlassverfahren einzig die Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs massgeblich sind (LGVE 2010 II Nr. 26 E. 3; vgl. auch LGVE 2009 I Nr. 42, in Kraft seit 1.10.2009). Nach diesen Regeln sind überrissene Auslagen für die Wohnung ab dem nächsten Kündigungstermin angemessen auf ein ortsübliches Mass herabzusetzen (Vonder Mühll, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel 1998, N 23 zu Art. 93 SchKG; ebenso für die Berechnung eines Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege [UR]: BGE 129 III 526 E. 2). Einem Gesuchsteller um Erlass einer Steuerforderung ist es – wie einem Schuldner im Rahmen der Ermittlung des pfändbaren Einkommens oder einem UR-Gesuchsteller – zuzumuten, die zur Senkung unverhältnismässig hoher Wohnungskosten erforderlichen Vorkehrungen, wie etwa den Umzug in eine billigere Wohnung, zu treffen. Mit nur zwei Bewerbungen für eine günstigere Wohnung kann nicht angenommen werden, eine Partei habe sich ernsthaft, aber ohne Erfolg um eine billigere Wohnung bemüht (BGer-Urteil 5P.455/2004 vom 10.1.2005 E. 2.4.2). Auch wenn eine ordentliche Kündigung vertraglich nicht zulässig ist, kann die Partei durch andere Massnahmen die Wohnkosten reduzieren. In Frage kommen eine vorzeitige Rückgabe der Mietsache oder eine ganze oder teilweise Untervermietung der Wohnung (BGE 129 III 527 E. 2.1).

Demnach hätte die Beschwerdegegnerin eine Herabsetzung auf den ortsüblichen Mietzins nur unter Berücksichtigung der vertraglich vorgesehenen Kündigungsfrist vornehmen dürfen. Laut dem damals gültigen Mietvertrag konnte dieser auf den 31. März, 30. Juni und 30. September gekündigt werden. Anlass dazu gab im vorliegenden Fall erstmals der Wechsel des Beschwerdeführers ins Pflegeheim Y im August 2011. Die Beschwerdeführerin hätte anschliessend den damals geltenden Mietvertrag über die nunmehr zu grosse Wohnung auf den nächstmöglichen Termin, den 31. März 2012, kündigen können. Ein früherer Auszug war demgegenüber weder vertraglich möglich noch zwingend erforderlich. Bis zum erstmöglichen ordentlichen Kündigungstermin ist folglich der im Jahr 2011 vertraglich geschuldete Mietzins von Fr. 1'700.-- im Budget vollständig anzurechnen. Dies führte auf Seiten der Beschwerdeführer, anders als im Budget im Vernehmlassungsverfahren dargelegt, anstatt zu einem Überschuss zu einem Manko.

5.2.3.

Gemäss der dargestellten Rechtslage sind die Wohnkosten auf ein ortsübliches Mass herabzusetzen. Um dieses zu bestimmen, erscheint es gerechtfertigt, bereits bestehende Untersuchungen hierzu heranzuziehen. So empfehlen etwa die SKOS-Richtlinien, angesichts des regional unterschiedlichen Mietzinsniveaus, regional oder kommunal ausgerichtete Obergrenzen für die Wohnkosten verschieden grosser Haushalte festzulegen. Die Anwendung der Richtlinien hat allerdings differenziert und mit Rücksicht auf besondere Umstände (z.B. auf ausserordentliche Familien- oder Haushaltsstrukturen) zu erfolgen (vgl. Handbuch Ziff. B.3.1; vgl. zum Ganzen Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern A 12 48 vom 18.3.2013 E. 3c).

Während der Beschwerdeführerin der Umstand der für sie allein zu teuren Wohnung bis zum 31. März 2012 nicht entgegengehalten werden kann, hätte sie ab diesem Tag eine den finanziellen Verhältnissen angepasste neue Wohnung suchen müssen. Für den anrechenbaren Mietzins ist dabei auf die Richtwerte von Mietzinsen in der Gemeinde Z abzustellen, wobei auch jene von umliegenden Gemeinden Anhaltspunkte geben können. Laut mündlicher Auskunft der Sozialbehörde Z darf eine durchschnittliche 1.5-Zimmer-Wohnung Fr. 800.--, eine 2- oder 2.5-Zimmer-Wohnung für eine alleinstehende Person Fr. 1'050.-- bzw. für eine erwachsene Person mit Kindern Fr. 1'200.-- und eine 3- oder 3.5-Zimmer-Wohnung Fr. 1'350.-- kosten. Diese Richtwerte stammen allerdings aus dem Jahr 2005 und wurden seither nie an die tatsächlichen Verhältnisse angepasst. Aktuelle kommunale Mietzinsrichtlinien liegen hingegen aus der Nachbargemeinde X vor. Darin sind folgende Richtwerte vorgesehen:

Grösse Preis mit NK Mindestbelegung

Einerzimmer, möbliert Fr. 575.--

Studio, möbliert Fr. 750.-- 1 - 2 Personen

2.5-Zimmer-Wohnung Fr. 1'100.-- 2 Personen *

3.5-Zimmer-Wohnung Fr. 1'350.-- 3 - 4 Personen *

4.5-Zimmer-Wohnung Fr. 1'550.-- 5 - 6 Personen*

5.5-Zimmer-Wohnung Fr. 1'800.-- 7 Personen oder 2 Familien

* Diese Ansätze gelten für Haushalte mit kleinen Kindern.

5.2.4.

Im vorliegenden Fall ist in Bezug auf die Bestimmung der Wohnungsgrösse lediglich die Beschwerdeführerin von Bedeutung und folglich von einem 1-Personen-Haushalt auszugehen, da der Ehemann im Pflegeheim Z lebt; zudem machen die Beschwerdeführer nicht geltend, dass der Ehemann einzelne Tage in der Wohnung der Ehefrau verbringen würde. Mit Rücksicht auf das Alter der heute 64-jährigen Beschwerdeführerin und den Umstand, dass sie wohl den Hausrat von zwei Personen unterbringen muss, erscheint für sie eine Haushaltsgrösse von 2.5 Zimmern als angemessen. Demzufolge ist es nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin im Erlassverfahren einen geringeren Wohnungsaufwand verlangte und die anrechenbaren Wohnkosten auf Fr. 1'100.-- kürzte. Ein solcher Betrag entspricht sowohl der familiären Situation der Beschwerdeführer als auch den ortsüblichen Ansätzen. Dass die Verhältnisse in X mit jenen in Z nicht vergleichbar wären, ist nicht ersichtlich, weshalb auf diese aktuelleren Zahlen der Nachbargemeinde ausnahmsweise abgestellt werden darf. Diese Werte waren auch den Beschwerdeführern zur Kenntnis und freien Stellungnahme gebracht worden, ohne dass sie dagegen einen Einwand erhoben. Das Ergebnis stimmt zudem mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung überein, in welcher im Jahr 1998 von einem Richtwert für Wohnkosten eines Einpersonenhaushalts von Fr. 1'000.-- ausgegangen wurde. Das Bundesgericht akzeptierte aber auch eine durch das Berner Obergericht im Rahmen der Beurteilung eines UR-Gesuchs vorgenommene Kürzung des Mietzinses von Fr. 2'800.-- auf Fr. 800.-- (vgl. BGer-Urteil 5P.26/1998 vom 26.2.1998, in: "plädoyer 2/98" S. 68). Die Justizkommission des Obergerichts Luzern kürzte die Wohnkosten eines alleinstehenden UR-Gesuchstellers im Entscheid vom 4. Oktober 2006 von Fr. 1'300.-- auf Fr. 900.-- (Entscheid der Justizkommission des Obergerichts vom 04.10.2006, JK 06 22, E. 4.2). Demzufolge ist es auch der Beschwerdeführerin zuzumuten, den Wohnungsaufwand ihren Verhältnissen anzupassen. Wenn sie dies nicht tut, kann sie nicht mit Hinweis auf einen zu hohen Wohnkostenaufwand Steuererlass verlangen (vgl. auch Urteil des Steuergerichts Solothurn vom 29.4.1991, in: StE B 99.3 Nr. 4).