| Instanz: | Kantonsgericht |
|---|---|
| Abteilung: | 2. Abteilung |
| Rechtsgebiet: | Zivilprozessrecht |
| Entscheiddatum: | 08.07.2015 |
| Fallnummer: | 3C 15 4 |
| LGVE: | 2015 II Nr. 7 |
| Gesetzesartikel: | Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 155 Abs. 3 ZPO, Art. 185 Abs. 2 ZPO, Art. 187 Abs. 4 ZPO. |
| Leitsatz: | Das Gericht hat den Parteien vor Erteilung eines Gutachtensauftrags Gelegenheit zu geben, sich zur Fragestellung zu äussern sowie Änderungs- oder Ergänzungsanträge zu stellen, und ihnen nach Erstattung des Gutachtens die Möglichkeit einzuräumen, eine Erläuterung oder Ergänzungsfragen zu beantragen. Andernfalls verletzt es den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. |
| Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. |
| Entscheid: | Zwischen den Parteien ist in Deutschland der Scheidungsprozess hängig. Die Gesuchstellerin ersuchte das Bezirksgericht um Erlass vorsorglicher Massnahmen, welchem Begehren sich der Gesuchsgegner mangels Zuständigkeit des angerufenen Gerichts widersetzte. Mit Vorentscheid verfügte die Einzelrichterin am Bezirksgericht gestützt auf ein eingeholtes Rechtsgutachten, auf das Massnahmengesuch werde eingetreten. Dagegen erhob der Gesuchsgegner Beschwerde beim Kantonsgericht und rügte, ihm sei im vorinstanzlichen Verfahren das rechtliche Gehör nicht gewährt worden. Die Gesuchstellerin schloss in ihrer Stellungnahme auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht hiess die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
3.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV; SR 101) verlangt von jeder Behörde, dass sie die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und bei der Entscheidfindung berücksichtigt (BGE 136 I 229 E. 5.2, 124 I 241 E. 2, 124 I 49 E. 3a, je mit Hinweisen).
Konkret bezogen auf Beweisvorkehren bedeutet dies, dass die Parteien das Recht haben, an der Beweisabnahme teilzunehmen (Art. 155 Abs. 3 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272]) und im Besonderen bei Gutachtensaufträgen Gelegenheit erhalten, sich zur Fragestellung zu äussern und Änderungs- oder Ergänzungsanträge zu stellen (Art. 185 Abs. 2 ZPO). Nach Erstattung des Gutachtens hat das Gericht den Parteien zudem die Möglichkeit einzuräumen, eine Erläuterung des Gutachtens oder Ergänzungsfragen zu beantragen (Art. 187 Abs. 4 ZPO). Die Einhaltung dieses Vorgehens ist rechtsstaatlich geboten (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [EMRK; SR 0.101]) und fördert die Akzeptanz und das Vertrauen der Parteien in Bezug auf das Gutachten (Rüetschi, Berner Komm., Art. 183 ZPO N 19).
3.3. Aus der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde und den beiden Vernehmlassungen sowie aus den Akten ergibt sich bezüglich des vorinstanzlich eingeholten Gutachtens beim Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung folgende Chronologie: Die Gesuchstellerin reichte ihr Gesuch um vorsorgliche Massnahmen am 31. März 2014 ein, der Gesuchsgegner seine (zweite) Gesuchsantwort am 9. Mai 2014. Am 16. Mai 2014 fand die Instruktionsverhandlung statt, anlässlich welcher die Erstrichterin in Aussicht stellte, zur Frage der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts einen Teilentscheid ergehen zu lassen. Am 19. Mai 2014 informierte die Erstrichterin die Parteien telefonisch, dass sie ein Gutachten zur Frage der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts in Auftrag geben wolle. Der Gutachtensauftrag wurde, nachdem Vergleichsgespräche der Parteien gescheitert waren, am 24. November 2014 erteilt und den Parteien gleichentags zur Kenntnis gebracht. Der Gesuchsgegner protestierte mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 gegen die Auftragserteilung, kritisierte insbesondere, die Darstellung des Sachverhalts sei suggestiv, und rügte in diesem Kontext zugleich, die Fragestellung an das Institut sei den Parteien nicht vorgängig unterbreitet worden; indes unterblieb eine formelle Beschwerde an das Kantonsgericht gegen diese prozessleitende Verfügung. Das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung in Lausanne erstattete sein Gutachten am 6. Februar 2015, woraufhin die Einzelrichterin am Bezirksgericht den angefochtenen Vorentscheid fällte, ohne die Parteien über den Eingang des Gutachtens in Kenntnis zu setzen.
Dem Gesuchsgegner ist insofern beizupflichten, als die Parteien vom Gericht nicht aktiv aufgefordert wurden, zu den Gutachtensfragen und zur Darstellung des dem Gutachtensauftrag zugrunde liegenden Sachverhalts Stellung zu nehmen. Dies wäre zwar grundsätzlich wünschenswert gewesen und hätte späteren Einwendungen in diesem Zusammenhang die Grundlage entzogen. Im vorliegenden Fall gilt es indes zu beachten, dass die Vorinstanz den Parteien den Gutachtensauftrag zur Kenntnis gebracht und sie dergestalt, auch ohne eine Frist für eine allfällige Vernehmlassung anzusetzen, in die Lage versetzt hat, sich in Wahrung des rechtlichen Gehörs vernehmen zu lassen. Von dieser Möglichkeit hat der Gesuchsgegner mit seiner Eingabe vom 4. Dezember 2014 denn auch Gebrauch gemacht und unter anderem die Darstellung des Sachverhalts als suggestiv kritisiert. Wohl liesse sich fragen, ob er nicht verpflichtet gewesen wäre, dem Gericht konkrete Änderungs- oder Ergänzungsanträge im Hinblick auf die Fragestellung und die Richtigstellung des Sachverhalts zuhanden der begutachtenden Stelle zu unterbreiten. Ebenso wäre an sich zu prüfen, ob die Erstrichterin – in Anbetracht der dagegen erhobenen Kritik – den Gutachtensauftrag bezüglich der Sachverhaltsdarstellung und eventuell der Fragestellung in Wiedererwägung hätte ziehen sollen, da ein Verzicht darauf angesichts der Ausgangslage effektiv Bedenken weckt und geeignet war, das Vertrauen in die Begutachtung zu erschüttern. Diese Fragen können aber letztlich offen bleiben, weil aus anderen Gründen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt. Wie eingangs unter Verweis auf Art. 187 Abs. 4 ZPO festgehalten, hat das Gericht den Parteien nach Erstattung eines Gutachtens die Gelegenheit einzuräumen, eine Erläuterung desselben oder Ergänzungsfragen zu beantragen. Dieser Pflicht ist die Erstrichterin unbestritten nicht nachgekommen, hat sie doch nach Erhalt des Gutachtens, ohne es den Parteien zu eröffnen, geschweige denn ihnen die Möglichkeit zu geben, sich dazu zu äussern, den angefochtenen Vorentscheid erlassen. Damit verletzte sie den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör.
3.4. Zusammenfassend ergibt sich nach dem Gesagten, dass der angefochtene Vorentscheid den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie zum eingeholten Gutachten nach dessen Eingang beim Gericht und vor Erlass des darauf basierenden Entscheids nicht angehört wurden. Eine Heilung dieses Mangels ist angesichts der beschränkten Überprüfungsbefugnis des Kantonsgerichts im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht möglich. Auch würden die Parteien mit einer Neubeurteilung durch das Kantonsgericht einer Instanz verlustig gehen. Der angefochtene Entscheid ist demnach aufzuheben. Die Erstrichterin wird einen neuen Entscheid zur Frage der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts zu fällen und dabei zu überlegen haben, ob allenfalls die Fragestellung an das Institut nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zu präzisieren oder womöglich selbst neu zu entscheiden sei. Konkretere Vorgaben sind ihr vom Kantonsgericht nicht zu machen. |