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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Regierungsrat
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Volksrechte
Entscheiddatum:19.01.2016
Fallnummer:RRE Nr. 48
LGVE:2016 VI Nr. 1
Gesetzesartikel:Art. 34 Abs. 2 BV; § 85 StRG, § 166 StRG; § 37 VRG
Leitsatz:(1) Aus dem Anspruch auf unverfälschte Äusserung des politischen Willens ergibt sich das Recht der Stimmberechtigten auf rechtmässige Durchführung von Abstimmungen sowie die ordnungsgemässe und sorgfältige Auszählung und Ermittlung der Stimmen.

(2) Die Stimmfreiheit ist verletzt, wenn bei der Ermittlung eines Abstimmungsergebnisses gültige Stimmen nicht berücksichtigt und umgekehrt, wenn ungültige Stimmzettel berücksichtigt worden sind.

(3) Die Stimmberechtigung darf bei einer bedingten Abstimmung nicht vom Stimmverhalten in der Hauptfrage abhängig gemacht werden.

(4) Wenn konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Auszählung vorliegen, ergibt sich ein Anspruch auf Nachzählung beziehungsweise auf Überprüfung der Ergebnisse. Ist eine Nachzählung faktisch nicht mehr durchführbar, etwa weil die Stimmzettel zwischenzeitlich vernichtet worden sind, muss die Abstimmung wiederholt werden. Der Eingriff, den eine Wiederholung einer Wahl oder Abstimmung bedeutet, wiegt jedoch sehr schwer. Die Kassation ist daher die Ultima Ratio.

(5) Eine Abstimmung darf in einem Beschwerdeverfahren nicht allein mit der Begründung aufgehoben werden, dass die Vorinstanz und die Beschwerdeführenden ihr Einverständnis zur Aufhebung gegeben haben.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Am 15. November 2015 fand in der Gemeinde X eine Urnenabstimmung über eine Parkierungsanlage mit einer Hauptfrage und einer Zusatzfrage statt. Bei der Hauptfrage ging es um die Grundvariante einer Parkierungsanlage und bei der Zusatzfrage um eine Option mit zusätzlichen Parkplätzen. Der Stimmzettel enthielt am Ende den folgenden Hinweis: "Wenn Sie die Hauptfrage mit "NEIN" oder nicht beantworten, gilt dies als Ablehnung des Projektes bzw. als leere Stimme, d.h. eine allfällige Antwort auf die Zusatzfrage wird bei der Auswertung nicht berücksichtigt."

Gemäss dem Abstimmungsverbal der Gemeinde stimmten die Stimmberechtigten der Hauptfrage mit 1'277 Ja- gegen 979 Nein-Stimmen zu. Die in der Zusatzfrage zur Abstimmung gebrachte Option nahmen die Stimmberechtigten gemäss dem Abstimmungsverbal der Gemeinde mit 763 Ja- gegen 478 Nein-Stimmen an.

Drei Stimmberechtigte der Gemeinde reichten nach der Publikation der Abstimmungsresultate beim Regierungsrat des Kantons Luzern eine Stimmrechtsbeschwerde ein. Zwei davon verlangten die Aufhebung der Abstimmung über die Haupt- und die Zusatzfrage, der dritte Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der Abstimmung über die Zusatzfrage. Die Beschwerdeführer machten geltend, dass der verfassungsmässige Anspruch auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe im vorliegenden Fall verletzt worden sei. Die Erläuterungen zur Zusatzfrage auf dem Stimmzettel und auch in den Abstimmungserläuterungen seien derart kompliziert gewesen, dass sie von einem durchschnittlichen Stimmbürger nur schwer nachvollziehbar gewesen seien. Der Beschwerdegrund sei erst nach der Auszählung beziehungsweise nach der Veröffentlichung der Abstimmungsresultate auf der Internetseite der Gemeinde entdeckt worden. Erst in diesem Zeitpunkt sei klar geworden, dass eine erhebliche Zahl von Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern, nämlich diejenigen, welche die Hauptfrage mit Nein beantwortet hätten, bei der Zusatzfrage von der Abstimmung ausgeschlossen worden seien.

Der Regierungsrat hiess die Beschwerden teilweise gut, soweit er darauf eintrat. Gestützt auf eine Nachzählung stellte er fest, dass die Zusatzfrage mit 783 Ja-Stimmen gegen 1'382 Nein-Stimmen abgelehnt worden war, und wies die Vorinstanz an, dieses Abstimmungsergebnis zu veröffentlichen.

Aus den Erwägungen:

4.3 Was die Ermittlung der Abstimmung über die Hauptfrage betrifft, so liegen keine Anhaltspunkte vor, dass Stimmberechtigte nicht zur Abstimmung zugelassen worden wären oder andere konkrete Mängel bei der Auszählung bestanden. Die Beschwerdeführer machen denn auch keine solchen geltend. Soweit sie daher beantragen, die gesamte Abstimmung, somit auch die Abstimmung über die Hauptfrage, sei aufzuheben, ist auf die Beschwerden mangels Erfüllung der Begründungsanforderungen nicht einzutreten (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245 f.).

4.4 Zu beachten ist jedoch, dass die drei Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Ab-stimmung über die Zusatzfrage geltend machen, dieses Ergebnis sei nicht richtig ermittelt worden. Die Beschwerdeführer führen zur Begründung aus, es habe sich erst bei der Aus-zählung der Stimmen beziehungsweise bei der Publikation der Resultate gezeigt, dass die bei der Hauptfrage Nein-Stimmenden aus der weiteren Mitsprache zur Zusatzfrage ausgeschlossen worden seien. Zwar enthielt bereits der Abstimmungszettel im Anschluss an die Abstimmungsfragen einen Hinweis, welche Auswirkungen eine Ja- beziehungsweise eine Nein-Stimme bei der Hauptfrage auf die Zusatzfrage haben soll. Der Hinweis auf dem Stimmzettel liess aber aufgrund seiner Formulierung für die Stimmberechtigten Interpretationsspielraum offen. Die Beschwerdeführer machen in diesem Zusammenhang geltend, man habe die Formulierung im Hinweis, "d.h. eine allfällige Antwort auf die Zusatzfrage wird bei der Auswertung nicht berücksichtigt", so verstehen dürfen, dass dies ausschliesslich Abstimmende betreffe, die eine leere Stimme abgegeben hätten und diese daher von der Abstimmung über die Zusatzfrage ausgeschlossen seien. Wie die Nachzählung des Amtes für Gemeinden ergeben hat, hat die grosse Mehrheit der Nein-Stimmenden bei der Hauptfrage ebenfalls die Zusatzfrage beantwortet, obwohl dies gemäss der Vorinstanz mit ihrem Hin-weis ausgeschlossen sein sollte. Es ist daher davon auszugehen, dass die Auswirkung, dass die Stimmabgabe der Nein-Stimmenden zur Hauptfrage bei der Zusatzfrage nicht berücksichtigt wurde, in der Tat erst nach der Auszählung beziehungsweise erst mit der Veröffentlichung der Abstimmungsresultate vollständig erkennbar wurde. Wie einleitend in E. 4 festgehalten, kann nach der Abstimmung (nur noch) gerügt werden, die Abstimmung sei nicht korrekt durchgeführt worden, oder, wie vorliegend von den Beschwerdeführern geltend gemacht, das Ergebnis sei unrichtig ermittelt worden. Wird die Abstimmung, wie im vorliegenden Fall, wegen unrichtiger Ermittlung des Ergebnisses angefochten, so beginnt die Beschwerdefrist mit der amtlichen Bekanntmachung des Ergebnisses (Christoph Hiller, Die Stimmrechtsbeschwerde, Zürich 1990, S. 321). Soweit die Ermittlung der Abstimmungsergebnisse zur Zusatzfrage angefochten wird, ist daher mit der Einreichung der Beschwerden die 10-tägige Beschwerdefrist eingehalten. Auf die Beschwerden ist insoweit einzutreten.

5. Materiell ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Abstimmungsfragen der Gemeindeabstimmung vom 15. November 2015 korrekt formuliert worden sind (vgl. nachfolgend E. 6 f.). Zudem ist in einem weiteren Schritt zu untersuchen, ob die Stimmen ordnungsgemäss und sorgfältig ausgezählt worden sind und damit die Ermittlung der Abstimmungsergebnisse richtig erfolgt ist (E. 8).

6. Die in Art. 34 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101) als Grundrecht verankerte Abstimmungsfreiheit gibt den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung (BGE 135 I 292 E. 2 S. 293 f. mit zahlreichen Hinweisen). Die Abstimmungsfreiheit beinhaltet zum einen den Anspruch auf eine klare und korrekte Formulierung der Abstimmungsfragen. Aus dem Anspruch auf unverfälschte Äusserung des politischen Willens ergibt sich aber auch das Recht der Stimmbürger auf rechtmässige Durchführung von Abstimmungen sowie die ordnungsgemässe und sorgfältige Auszählung und Ermittlung der Stimmen (Urteil des Bundesgerichts 1C_58/2015 vom 1.10.2015 E. 3.2; BGE 131 I 442 E. 3.1 S. 447 mit weiteren Hinweisen; Jörg Paul Müller/Markus Schefer, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl., Bern 2008, S. 613; Pierre Tschannen, Stimmrecht und politische Verständigung, Basel 1995, Nr. 217; ders., Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl., Bern 2011, S. 691).

7. Zunächst ist daher zu prüfen, ob es den Stimmberechtigten mit den Abstimmungsfragen möglich war, ihren freien Willen zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck zu bringen. Bei der Formulierung der Abstimmungsfragen sind folgende Grundsätze zu beachten: Die Ab-stimmungsfrage muss klar und korrekt abgefasst sein. Die Formulierung der Abstimmungs-fragen soll die Ermittlung des unverfälschten, echten Volkswillens ermöglichen. Das Abstimmungsverfahren selbst hat in jedem Fall eine genügend differenzierte Stimmabgabe zu er-möglichen (BGE 131 I 126 E. 5.1 S. 132 mit weiteren Hinweisen; Tschannen, Stimmrecht und Politische Verständigung, Nr. 214).

In der Gemeindeabstimmung vom 15. November 2015 wurden den Stimmberechtigten zwei voneinander getrennte Fragen unterbreitet. In der Hauptfrage konnten die Stimmberechtigten zur Grundvariante einer Parkierungsanlage Stellung beziehen. In der Abstimmung über die Zusatzfrage wurde ihnen die Option von zusätzlichen Einstellplätzen als Erweiterung zum einmaligen, nicht rückzahlbaren Betrag von maximal 1'900'000 Franken unterbreitet. In der Botschaft des Gemeinderates an die Stimmberechtigten ist festgehalten, dass die Zufahrt zur Parkierungsanlage sowohl bei der Grundvariante als auch bei der Option mit zusätzlichen Parkplätzen über die Parkierungsanlage erfolgt. Die Parkplätze der Erweiterungen werden durch unterirdische Verbindungen sichergestellt. Daraus ergibt sich, dass die Option von zusätzlichen Einstellplätzen davon abhängig ist, dass der Grundvariante in der Hauptfrage zugestimmt wird. Bei der Zusatzfrage handelt es sich somit um eine bedingte Abstimmungsvorlage im Sinn von § 85 des Stimmrechtsgesetzes vom 25. Oktober 1988 (StRG; SRL Nr. 10). Diese enthält die Bedingung, dass sie auch im Fall der Annahme nur in Kraft tritt, wenn eine andere mit ihr zusammenhängende Vorlage angenommen wird oder eine andere Bedingung sich erfüllt.

Das Stimmrechtsgesetz enthält in den §§ 84 ff. Regelungen, wie eine Vorlage an der Urne zur Abstimmung zu bringen ist. Die zwei Vorlagen haben einen inneren Zusammenhang, weil die Option von zusätzlichen Parkplätzen nur realisiert werden kann, wenn die Grundvariante der Parkierungsanlage von den Stimmberechtigten angenommen wird. Da es sich bei der Abstimmung über die Zusatzfrage um eine bedingte Abstimmungsvorlage handelt, war es richtig, die Stimmberechtigten über das Gesamtprojekt und über die Option mit zusätzlichen Parkplätzen getrennt abstimmen zu lassen. Die Abstimmungsfragen waren genügend klar formuliert, und das Abstimmungsverfahren selbst hat eine genügend differenzierte Stimmabgabe ermöglicht. Es trifft nicht zu, dass entsprechend des Einwands der Beschwerdeführer korrekterweise eine Doppelabstimmung mit Stichfrage hätte durchgeführt werden müssen. Gemäss § 86 Abs. 2 StRG können den Stimmberechtigten zwei Vorlagen, die einander ausschliessen, wahlweise in einer Doppelabstimmung mit Stichfrage zur Abstimmung unterbreitet werden. Vorliegend schliessen sich jedoch die beiden Vorlagen gegenseitig nicht aus. Die Annahme der Zusatzfrage steht vielmehr - wie bereits erwähnt - unter der Bedingung der Annahme der Hauptfrage (vgl. Ausführungen zur bedingten Abstimmungsvorlage in LGVE 2007 III Nr. 1).

8. Weiter ist zu prüfen, ob die Stimmen ordnungsgemäss und sorgfältig ausgezählt worden sind. Es darf kein Abstimmungsergebnis anerkannt werden, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig zum Ausdruck bringt. Die Stimmfreiheit ist verletzt, wenn bei der Ermittlung eines Abstimmungsergebnisses gültige Stimmen nicht berücksichtigt und umgekehrt, wenn ungültige Stimmzettel berücksichtigt worden sind (Hiller, a.a.O., S. 125).

8.1 Gemäss dem Verbal der Gemeindeabstimmung vom 15. November 2015 sind zur Hauptfrage 2'292 Stimmzettel eingelegt worden, wovon 2'256 gültig waren. Bei der Abstimmung über die Zusatzfrage dagegen wurden gemäss dem Verbal insgesamt nur 1'277 Stimmzettel (763 Ja-, 478 Nein-Stimmen und 36 leere Stimmen) gezählt, das heisst 1'015 Stimmzettel weniger als bei der Hauptfrage. Daraus ergeben sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Stimmen derjenigen Stimmberechtigten, welche die Hauptfrage mit Nein beantwortet hatten, bei der Abstimmung über die Zusatzfrage ausgeschlossen und nicht berücksichtigt worden sind, wie die Beschwerdeführer geltend machen. Die Vorinstanz führt selbst an, dass die Ermittlung der Resultate der Abstimmung über die Zusatzfrage entsprechend den Erläuterungen in der Botschaft erfolgt sei. Aufgrund dieser Umstände ist davon auszugehen, dass die Stimmberechtigten, welche bei der Hauptfrage mit Nein gestimmt hatten, bei der Abstimmung über die Zusatzfrage nicht zugelassen worden sind.

8.2 Das Vorgehen, die Stimmzettel mit einem Nein bei der Hauptfrage bei der Abstimmung über die Zusatzfrage nicht mehr zu berücksichtigen, entspricht zwar dem Vorgehen für die Ermittlung der Ergebnisse, wie die Vorinstanz dieses mit dem Hinweis auf dem Stimmzettel und in der Botschaft zum Ausdruck bringen wollte. Allerdings wurden damit die Stimmberechtigten, die bei der Hauptfrage Nein gestimmt hatten, von der Stimmabgabe bei der Zusatzfrage ausgeschlossen.

Für die Abstimmungen in den Gemeinden ist das kantonale Stimmrechtsgesetz massgebend. Wie bereits in E. 7 ausgeführt, handelt es sich bei der hier zu beurteilenden Abstimmung über die Zusatzfrage um eine bedingte Abstimmungsvorlage im Sinn von § 85 StRG. Es bestehen keine gesetzlichen Grundlagen im Stimmrechtsgesetz für ein Vorgehen, welches die Stimmberechtigung bei der bedingten Abstimmung vom Stimmverhalten in der Hauptfrage abhängig macht. Durch den Ausschluss der bei der Hauptfrage Nein-Stimmenden von der Teilnahme an der Abstimmung bei der Zusatzfrage wurden daher die kantonalen Bestimmungen zum Stimmrecht verletzt. Die Stimmberechtigung bei der Abstimmung über die Zusatzfrage wurde dadurch in unzulässiger Weise eingeschränkt, was die Stimmfreiheit und den Anspruch auf unverfälschte Äusserung des politischen Willens im Sinn von Art. 34 Abs. 2 BV verletzt.

9. Nachdem die Verletzung der Stimmfreiheit beim Ergebnis der Abstimmung über die Zusatzfrage festgestellt worden ist, ist zu entscheiden, welche Folgen daran zu knüpfen sind. Gemäss § 165 Abs. 2 StRG wird die Abstimmung durch den Beschwerdeentscheid ganz oder teilweise aufgehoben, wenn Unregelmässigkeiten festgestellt sind, die Möglichkeit, dass sie das Wahlergebnis entscheidend verändert haben, sich nicht ausschliessen lässt und eine Berichtigung durch den Beschwerdeentscheid nicht möglich ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass unrichtig festgestellte Wahl- und Abstimmungsergebnisse, soweit möglich, im Beschwerdeentscheid berichtigt werden. Wenn konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Auszählung vorliegen, ergibt sich ein Anspruch auf Nachzählung beziehungsweise auf Überprüfung der Ergebnisse. Ist eine Nachzählung faktisch nicht mehr durchführbar, etwa weil die Stimmzettel zwischenzeitlich vernichtet wurden, muss die Abstimmung wiederholt werden. Die Abstimmung wird daher nur aufgehoben, falls eine Berichtigung durch den Beschwerdeentscheid nicht möglich ist (vgl. dazu BGE 138 I 171 E. 5.4 S. 185, BGE 101 Ia 245; ZBl 2015 S. 137). Der Eingriff, den eine Annulierung einer Wahl oder Abstimmung bedeutet, wiegt sehr schwer. Die Kassation ist daher die ultima ratio. Die Wiederholung einer Abstimmung erfordert einen grösseren Aufwand und bedeutet eine Strapazierung des Stimmbürgers. Eine solche neue Abstimmung wird zwangsläufig unter anderen Voraussetzungen ablaufen, als sie bei der ersten Abstimmung bestanden hatten und die Folge des Zeitablaufs sind und die verschiedenen Faktoren wie insbesondere die Zusammensetzung des Stimmvolks und die politischen Rahmenbedingungen umfassen. Je länger mit der Neuansetzung zugewartet wird, desto mehr ändern sich tendenziell die Rahmenbedingungen. Einerseits erscheint dies nicht unproblematisch; andererseits ist es ebenfalls im Rahmen einer neuen Vorlage möglich, und es kommt auch vor, dass das Volk über die gleiche Materie wiederholt und unter Umständen mit unterschiedlichem Ausgang abstimmt (BGE 138 I 171 E. 5.5 S. 185). Ein entsprechender Entscheid, eine Abstimmung zu wiederholen, kann sogar, auch wenn rechtsstaatlich motiviert und eigentlich zum Schutz der demokratischen Institutionen gedacht, das Vertrauen des Bürgers in die Demokratie schwächen (Hiller, a.a.O., S. 413).

9.1 Die Vorinstanz und die Beschwerdeführer beantragen in diesem Zusammenhang, die Abstimmung über die Zusatzfrage sei zu wiederholen. (…)

In Stimmrechtssachen handeln die Behörden von Amtes wegen, soweit nicht ein Rechtssatz den Antrag einer Partei voraussetzt (§ 166 Abs. 1 StRG in Verbindung mit § 37 Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [VRG; SRL Nr. 40]). In einem von der Offizialmaxime beherrschten Verfahren hat die Behörde das Recht und die Pflicht, das Verfahren einzuleiten, dessen Gegenstand zu bestimmen und es durch Verfügung oder Urteil zu beenden. Sie entscheidet unabhängig von Parteibegehren nach Massgabe der rechtlichen Grundlage, ob und in welchem Umfang eine Verfügung zu erlassen ist (Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl., Zürich 2013, Nr. 138). Anders ausgedrückt hat die Rechtspflege von Amtes wegen zu geschehen und steht nicht unter der Herrschaft der Parteien (Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 3 zu Art. 16).

Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies, dass die in E. 9 eingangs genannten gesetzlichen Grundlagen und die Rechtsprechung anzuwenden sind, unabhängig davon, dass die Vorinstanz und die Beschwerdeführer ihr Einverständnis zur Aufhebung der Abstimmung über die Zusatzfrage gegeben haben. Dies ergibt sich auch daraus, dass es bei den Beschwerden um die Wahrnehmung der politischen Rechte geht. Da von einer Aufhebung einer Abstimmung alle Stimmberechtigten in der Gemeinde betroffen wären, liegt es nicht in der Dispositionsbefugnis der Vorinstanz und der Beschwerdeführer, über die Aufhebung der Abstimmung über die Zusatzfrage zu entscheiden.

9.2 Aufgrund der gesetzlichen Grundlagen und der Rechtsprechung ist daher zunächst zu prüfen, ob eine Berichtigung des Ergebnisses der Abstimmung über die Zusatzfrage möglich ist. Wie in E. 7 festgehalten, waren die Abstimmungsfragen für die Stimmberechtigten grundsätzlich geeignet, den unverfälschten Willen kundzutun. Die Stimmzettel der Gemeindeabstimmung vom 15. November 2015 wurden am 7. Dezember 2015 bei der Vorinstanz ediert. Sämtliche Stimmzettel wurden am 10. Dezember 2015 in 50er-Beigen und unterteilt in Ja- und Nein-Stimmen dem Amt für Gemeinden übergeben. Daher war eine Nachzählung durchführbar.

9.3 Im Rahmen des Beweisverfahrens wurde durch das Amt für Gemeinden am 14. Dezember 2015 eine Nachzählung der zur Zusatzfrage abgegebenen Stimmzettel durchgeführt und das Ergebnis protokollarisch festgehalten. Die Ermittlung der von der Vorinstanz nicht berücksichtigten Stimmzettel zur Zusatzfrage ergab folgendes Resultat: Ja-Stimmen: 20, Nein-Stimmen: 903, Leer-Stimmen: 65. Addiert mit den Stimmen, die von der Gemeinde bereits ermittelt und vom Amt für Gemeinden überprüft worden waren (763 Ja- gegen 479 Nein-Stimmen), ergibt dies folgendes Schlussergebnis bei der Zusatzfrage: 783 Ja-Stimmen gegenüber von 1'382 Nein-Stimmen. Entgegen der Ermittlung der Vorinstanz ist somit die Vorlage der Zusatzfrage nicht angenommen, sondern abgelehnt worden.

(…)

10. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass von den 988 Nein-Stimmenden bei der Haupt-frage 923 Stimmberechtigte auch die Zusatzfrage beantwortet haben (903 mit Nein und 20 mit Ja). Trotz des Hinweises in der Botschaft und auf dem Stimmzettel liessen die Nein-Stimmenden der Hauptfrage die Zusatzfrage nur 65mal leer, d.h. unbeantwortet. Auch wenn diese 65 Stimmberechtigten eine Ja- oder eine Nein-Stimme abgegeben hätten, so hätte dies am Ausgang, ob die Vorlage angenommen oder abgelehnt worden ist, nichts geändert. Bei diesem sehr klaren Ergebnis ist es gerechtfertigt, mit dem Beschwerdeentscheid das Ergebnis der Abstimmung über die Zusatzfrage zu berichtigen und damit die Verletzung der Stimmfreiheit zu beheben. Auf eine Aufhebung und Wiederholung der Abstimmung vom 15. November 2015 und damit auf eine einschneidendere Massnahme ist daher zu verzichten. Die Rügen der Beschwerdeführer zum Ergebnis der Abstimmung über die Zusatzfrage sind bei dieser Ausgangslage begründet. Die Stimmrechtsbeschwerden sind dement-sprechend teilweise, soweit sie das Ergebnis der Abstimmung über die Zusatzfrage betreffen, gutzuheissen. Es wird festgestellt, dass die Zusatzfrage mit 783 Ja- gegenüber 1'382 Nein-Stimmen abgelehnt worden ist. Die Vorinstanz wird angewiesen, nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Entscheides dieses Ergebnis der Abstimmung über die Zusatzfrage im Sinn von § 82 Abs. 1 StRG zu veröffentlichen.