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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilrecht
Entscheiddatum:20.06.2016
Fallnummer:3B 16 19
LGVE:2016 II Nr. 4
Gesetzesartikel:Art. 278 Abs. 2 ZGB.
Leitsatz:Erhält ein Ehegatte für seine vorehelichen Kinder vom anderen leiblichen Elternteil keine oder nicht kostendeckende Unterhaltsbeiträge, muss er zur Deckung des Mankos seinen eigenen Überschussanteil verwenden. Die Beistandspflicht des Stiefeltern-Ehegatten kommt nur zum Tragen, wenn der Überschussanteil nicht ausreicht, um das Manko auf Seiten des Kindes zu decken.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Die Parteien heirateten 2008. Ihre Ehe blieb kinderlos; die Gesuchstellerin hat einen minderjährigen Sohn aus einer früheren Beziehung, A (geb. 2001). Im November 2015 gelangte die Gesuchstellerin mit einem Gesuch um Erlass von Eheschutzmassnahmen an das Bezirksgericht Z und beantragte, der Gesuchsgegner sei zu verpflichten, ihr monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 2'352.-- zu bezahlen. Mit Entscheid vom 1. April 2016 verpflichtete die Einzelrichterin am Bezirksgericht Z den Gesuchsgegner, der Gesuchstellerin persönlich monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'100.-- (für Januar bis März 2016), Fr. 1'300.-- (für April 2016) resp. Fr. 1'645.-- (ab Mai 2016) zu bezahlen. Gegen diesen Entscheid erhob der Gesuchsgegner Berufung beim Kantonsgericht.

Aus den Erwägungen:

4.1.3.1.
Gemäss Art. 278 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) hat jeder Ehegatte dem andern in der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber vorehelichen Kindern in angemessener Weise beizustehen. Diese Norm konkretisiert die eheliche Beistandspflicht des Stiefelternteils (Art. 159 Abs. 3 ZGB) und die gemeinsame Unterhaltspflicht in der Stieffamilie (Art. 163 ZGB), verschafft dem Stiefkind aber keinen direkten, klagbaren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Stiefelternteil (Breitschmid, Basler Komm., 5. Aufl. 2014, Art. 278 ZGB N 4 mit Hinweisen; Hegnauer, Berner Komm., Bd. II.2.2.1, 4. Aufl. 1997, Art. 278 ZGB N 14 und 20). Stimmt der Stiefelternteil der Aufnahme vorehelicher Kinder seines Ehepartners in die Hausgemeinschaft zu, hat er seinem Ehepartner nur in angemessener Weise beizustehen, denn in Bezug auf seine Leistungspflicht ist er dem leiblichen Elternteil nicht gleichgestellt. Seine Beistandspflicht ist subsidiär; die elterliche Unterhaltspflicht gegenüber den eigenen leiblichen Kindern geht vor (BGE 120 II 285 E. 2b). Der Beistand des Stiefelternteils besteht darin, dass er einen allfälligen Unterschied zwischen einem ungenügenden Unterhaltsbeitrag des leiblichen Elternteils und dem Bedarf des Kindes auszugleichen und das Risiko für die Einbringlichkeit der Unterhaltsbeiträge zu tragen hat (BGE 120 II 285 E. 2b) oder dass er mehr an den ehelichen Unterhalt leistet, damit der andere Ehegatte sein Einkommen vermehrt für seine Unterhaltspflichten einsetzen kann (BGE 115 III 103 E. 3b). Diese Beistandspflicht steht freilich unter dem Vorbehalt, dass der Stiefelternteil nach Deckung eigener Unterhaltsverpflichtungen überhaupt einen solchen Beitrag erbringen kann und dass die Aufgabenteilung in der (neuen) Ehe den leiblichen Elternteil daran hindert, seinen Verpflichtungen gegenüber dem vorehelichen Kind selbst vollständig nachzukommen (Breitschmid, a.a.O., Art. 278 ZGB N 6). Da die Leistungen des Stiefelternteils an seinen Ehegatten aber von der Lebensstellung der Stieffamilie abhängen, können sie dennoch höher sein als die Unterhaltsbeiträge, die der leibliche Elternteil aufgrund von Art. 285 Abs. 1 ZGB auszurichten hat (Breitschmid, a.a.O., Art. 278 ZGB N 6 mit Hinweisen; Hegnauer, a.a.O. Art. 278 ZGB N 28). Mit der beschränkten Beistandspflicht des Stiefelternteils verträgt es sich jedoch nicht, wenn dessen gesamtes Erwerbseinkommen für die Berechnung des auf seinen Ehegatten entfallenden Unterhaltsbeitrags herangezogen wird (BGE 120 II 285 E. 2b). Der Stiefelternteil ist nur zu finanziellen Leistungen zugunsten der Kinder seiner Partnerin oder seines Partners verpflichtet, wenn die Unterhaltsbeiträge des anderen leiblichen Elternteils zur Finanzierung des Bedarfs der Stiefkinder nicht ausreichen. Wird der gemeinsame Haushalt aufgelöst und erhält der leibliche Elternteil kostendeckende Unterhaltsbeiträge, stehen voreheliche Kinder ausserhalb der Bedarfsberechnung des betreffenden Ehegatten; diese muss um sämtliche Faktoren, die voreheliche Kinder betreffen (Grundbetrag, Wohnkostenanteil, Krankenversicherungsprämien, Anteil an der Steuerbelastung etc.), bereinigt werden. Erhält der leibliche Elternteil für voreheliche Kinder keine oder nicht kostendeckende Unterhaltsbeiträge, muss er zur Deckung des Mankos seinen eigenen Überschussanteil verwenden. Die Beistandspflicht des Ehegatten kommt nur dann zum Tragen, wenn der Überschussanteil nicht ausreicht, um das Manko des Kindes zu decken, und wenn die Ehe noch nicht geschieden ist (Bähler, Unterhaltsberechnungen – von der Methode zu den Franken, in: FamPra 2015 S. 297 ff.).

4.1.3.2.
Gemäss unbestrittener Sachverhaltsdarstellung bezieht die Gesuchstellerin von B, dem leiblichen Vater von A, Kinderalimente in Höhe von monatlich Fr. 436.--, die fraglos nicht annähernd ausreichen, um As Notbedarf zu finanzieren, beläuft sich doch bereits der ihm anrechenbare Grundbetrag auf Fr. 600.--. Folglich obliegt es der Gesuchstellerin, den gebührenden Bedarf ihres Sohnes aus eigenen Mitteln zu decken, worin der Gesuchsgegner sie im Rahmen seiner auch nach Auflösung des gemeinsamen Haushalts fortdauernden Beistandspflicht gegebenenfalls zu unterstützen hat, sofern er sich dazu in der Lage befindet.

Die Argumentation des Gesuchsgegners verdient nach dem Gesagten jedoch insofern Zustimmung, als die Gesuchstellerin den Mehrbedarf für A, soweit sie ihn nicht aus eigenen Mitteln zu decken vermag, vorab ihrem Anteil am gemeinsamen Überschuss der Parteien zu entnehmen hat. Demzufolge kann sie keinen Anspruch auf eine hälftige Teilung jenes Überschusses erheben, der den Parteien nach der Finanzierung ihres gebührenden Unterhalts und desjenigen von A noch verbleibt. Vielmehr wird zunächst ein fiktiver Unterhaltsanspruch (einschliesslich des hälftigen Anteils am gemeinsamen Überschuss) zu eruieren sein, wie er sich präsentierte, wenn beide Parteien künftig einen Einpersonenhaushalt führen würden. Den eigenen Unterhalt und die Kinderbelange wird die Gesuchstellerin dann zunächst aus ihrem Einkommen und diesem Betrag zu finanzieren haben. Nur soweit der fiktive Unterhaltsbeitrag nicht ausreichen sollte, um ihren und As gebührenden Bedarf (ohne Überschussanteil) vollständig zu decken, wird sie zusätzlich auf den Gesuchsgegner Rückgriff nehmen können. In diesem Umfang wird der angefochtene Entscheid zu korrigieren sein.

(…)

4.4.

(… [Tabelle mit Bedarfsberechnung])

Die Parteien allein würden während des ersten Semesters 2016 einen gemeinsamen Überschuss von rund Fr. 680.-- (~ Fr. 1'043.-- - Fr. 360.-- [Anmerkung der Redaktion: Überschuss des Gesuchsgegners abzüglich Unterdeckung der Gesuchstellerin]) erwirtschaften, an dem sie je zur Hälfte partizipierten. Die Gesuchstellerin hätte dementsprechend gegenüber dem Gesuchsgegner einen Unterhaltsanspruch von ungefähr Fr. 700.-- (= Fr. 360.-- + Fr. 340.--). Den Grundbedarf von A hat sie vorab mittels ihres Überschussanteils zu finanzieren und kann den Gesuchsgegner lediglich insoweit belangen, als dieser Betrag nicht ausreicht. In den Monaten Januar bis Juni 2016 schliesst ihr Budget zusammen mit A jedoch mit einem negativen Saldo von Fr. 1'022.--, den sie allein durch monatliche Unterhaltszahlungen von Fr. 700.-- nicht auszugleichen vermag. Der Gesuchsgegner ist deshalb im Rahmen seiner ehelichen Beistandspflicht zu verhalten, der Gesuchstellerin einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'000.-- pro Monat auszurichten.

(… [Tabelle mit Bedarfsberechnung])

Unter Ausklammerung des Bedarfs von A sowie der Kinderzulagen und -alimente würde das Budget der Gesuchstellerin ab Juli 2016 ein Manko von Fr. 483.--, jenes des Gesuchsgegners einen Überschuss von Fr. 2'043.-- verzeichnen, mit dem er vorab die Unterdeckung auf Seiten der Gesuchstellerin auszugleichen hätte. Der Restüberschuss von Fr. 1'560.-- wäre unter den Parteien hälftig zu teilen, sodass der Gesuchstellerin ein Unterhaltsanspruch von insgesamt Fr. 1'250.-- (~ Fr. 483.-- + Fr. 780.--) zustände. Ihren Anteil am gemeinsamen Überschuss wird sie in casu vorab für die Belange von A verwenden müssen; lediglich soweit dann noch eine Lücke verbliebe, könnte sie dafür unter dem Titel der ehelichen Beistandspflicht auf den Gesuchsgegner zurückgreifen. Wie die vorstehende Tabelle offenbart, resultiert im Budget der Gesuchstellerin zusammen mit A eine Unterdeckung von Fr. 1'095.--. Der Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'250.--, den der Gesuchsgegner ihr als Konsequenz der hälftigen Überschussteilung ohnehin zu entrichten hätte, überschreitet diesen Fehlbetrag noch um rund Fr. 150.--, weshalb sie keine zusätzlichen Leistungen mehr beanspruchen kann. Folglich ist der Gesuchsgegner zu verpflichten, der Gesuchstellerin ab Juli einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'250.-- pro Monat zu bezahlen.