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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Bau- und Planungsrecht
Entscheiddatum:29.03.2016
Fallnummer:7H 16 8
LGVE:
Gesetzesartikel:§ 63 Abs. 3 PBG; § 128 Abs. 1 VRG.
Leitsatz:Die Abweisung eines Sistierungsgesuchs im Rahmen einer Ortsplanungsrevision begründet keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, wenn zur Begründung des Gesuchs vorgebracht worden war, übergeordnete Grundlagen – hier der kantonale Richtplan und ein Schutzkonzept – lägen nicht vor bzw. die Ortsplanungsrevision sei ungenügend mit diesen Grundlagen koordiniert. Diese Rüge kann auch noch gegen den Endentscheid erhoben werden(E. 2.4.2.).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Die Gemeinde Vitznau legte vom 25. August bis 23. September 2013 die Revision ihrer Ortsplanung erstmalig öffentlich auf. Dagegen erhob unter anderen A Einsprache und beantragte in verfahrensrechtlicher Hinsicht, das Verfahren sei bis zur Genehmigung der Anpassung des kantonalen Richtplans und bis zum Abschluss des Integralen Schutzkonzepts (ISK) Vitznau Bäche zu sistieren. In der Folge kam es zu mehreren Überarbeitungen der Vorlage und drei Vorprüfungsberichte wurden eingeholt. Mit Entscheid vom 16. Juni 2015 wies der Gemeinderat Vitznau das Sistierungsgesuch des Beschwerdeführers ab.

Dagegen erhob A am 29. Juni 2015 Verwaltungsbeschwerde beim Regierungsrat. Mit Entscheid vom 15. Dezember 2015 (Protokoll-Nr. 1468) trat der Regierungsrat auf die Verwaltungsbeschwerde von A nicht ein.

Gegen diesen Entscheid des Regierungsrats vom 15. Dezember 2015 erhob A am 6. Januar 2016 Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Aus den Erwägungen:

2.3.

2.3.1.

Zwischenentscheide sind in der Regel nicht selbständig anfechtbar (Umkehrschluss aus § 128 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [VRG; SRL Nr. 40] ; LGVE 2013 IV Nr. 4 E. 5a, 2006 II Nr. 38 E. 1, auch zum Folgenden; Müller, Aspekte der Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 2006, S. 283). Die Nichtanfechtbarkeit prozessleitender Verfügungen bzw. die eingeschränkte Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden gründet in der Prozessökonomie: Das Gericht soll sich in der Regel nur einmal mit einem Prozess befassen müssen, und zwar erst dann, wenn feststeht, dass die Beschwerde führende Partei einen endgültigen Nachteil erlitten hat (vgl. BGE 106 Ia 235 E. 3d; Haefliger, Die Anfechtung von Zwischenverfügungen in der Verwaltungsrechtspflege des Bundesgerichts, in: Mélanges für Robert Patry, Lausanne, 1988, S. 341; Wirthlin, Luzerner Verwaltungsrechtspflege, Bern 2011, N 16.4). Dabei gilt es auch zu beachten, dass eine Verlängerung oder Verschleppung des Verfahrens durch den Erlass von Zwischenentscheiden (und deren nachfolgende Anfechtung) zu vermeiden ist; namentlich mit der Voraussetzung, "wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können", kann dem prozessökonomischen Anliegen Rechnung getragen werden (vgl. BGE 104 Ib 133 E. 2, 133 V 481 E. 4.1.3). Ist ein Zwischenentscheid nicht sogleich bzw. selbständig anfechtbar, heisst das nicht, dass es dagegen keinen Rechtsschutz gibt. Wenn der Endentscheid für den Betroffenen ungünstig ausfällt, kann dieser im Anschluss daran gleichzeitig auch vorangegangene Zwischenentscheide anfechten. Die Anfechtbarkeit wird daher nicht ausgeschlossen, sondern nur für bestimmte Fälle zeitlich hinausgeschoben (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern V 10 216 vom 15.11.2010 E. 2b/bb). Der in § 128 Abs. 2 VRG verankerte Vorbehalt des nicht wieder gutzumachenden Nachteils für die Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden gilt auch für alle in § 128 Abs. 3 VRG genannten Zwischenverfügungen und damit dem Grundsatz nach ebenso hinsichtlich der Anfechtbarkeit einer Sistierungsverfügung (LGVE 2013 IV Nr. 4 E. 5a/bb, 1999 II Nr. 22 E. 1c; Wirthlin, a.a.O., N 16.4; Haefliger, a.a.O., S. 346, mit Hinweis auf BGE 104 V 176 betreffend analoge Vorschrift von Art. 45 bzw. 46 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR 172.021]). Die Beweislast für die Begründung eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils trägt die beschwerdeführende Person (Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, N 909 mit Hinweisen, auch zum Folgenden). Es ist nicht erforderlich, dass die Zwischenverfügung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirkt, sondern nur, dass sie einen solchen bewirken kann.

2.3.2.

Zur vorliegend umstrittenen Frage, unter welchen Umständen ein Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken und deshalb selbständig angefochten werden kann, besteht eine reiche bundesgerichtliche Praxis. Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (vgl. BGE 137 III 380 E. 1.2.1 und 136 II 165 E. 1.2.1, je mit Hinweisen). Unter einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil wird ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Aufhebung oder Abänderung eines Zwischenentscheids verstanden. Der nicht wieder gutzumachende Nachteil muss nicht rechtlicher Natur sein. Es genügt ein bloss wirtschaftliches Interesse, sofern es dem Beschwerdeführer bei der Anfechtung eines Zwischenentscheids nicht lediglich darum geht, eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens zu verhindern (BGE 135 II 30 E. 1.3.4, 127 II 132 E. 2). Auch hohe Kosten verlangter Abklärungen oder nachteilige Publizität können die sofortige Anfechtung rechtfertigen (BGE 120 Ib 97 E. 1c). Bei der Gewichtung des Rechtschutzinteresses können auch prozessökonomische Überlegungen eine wichtige Rolle spielen. Zumal die Rechtsmittelinstanzen in der Regel nur einmal mit einer Streitsache befasst werden sollen, ist bei Ansprüchen formeller Natur, deren Missachtung zur Aufhebung des Endentscheids führen muss, der nicht wieder gutzumachende Nachteil grundsätzlich zu bejahen. Dies gilt bei formellen Einwänden von einem gewissen Gewicht (z.B. Verletzung der Ausstandspflicht, Nichtzulassung einer hinreichend betroffenen Person zu einem Verfahren [Merkli/Aeschlimann/Herzog, a.a.O., Art. 61 VRPG N 5]). Auch die Sistierung eines Verfahrens kann für eine am raschen Verfahrensausgang interessierte Partei einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken. Ein sofortiges Anfechtungsinteresse haben jedoch nur Personen, die von der Sache her an der raschen Verfahrenserledigung interessiert sind (vgl. BVR 1993 S. 470 ff.). Dabei kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Es sind die jeweils auf dem Spiel stehenden Interessen und die Verfahrensumstände zu würdigen (vgl. zum Ganzen: LGVE 2013 VI Nr. 7 E. 2.2; Waldmann/Bickel, in: Praxiskomm. zum VwVG [Hrsg. Waldmann/Weissenberger], Zürich/Basel/Genf 2009, Art. 30 VwVG N 53).

Im Licht dieser Ausführungen ist nachstehend zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht das Vorliegen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils verneint hat.

2.4.

2.4.1.

Vorab ist klarzustellen, dass – entgegen der Ausführungen des Beschwerdeführers – hier keine Konstellation gegeben ist, in welcher ausnahmsweise vom Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils abzusehen wäre. Die von ihm genannten Beispiele aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung betreffen Fälle, in welchen es – im Unterschied zum vorliegenden Fall – um angeordnete Verfahrenssistierungen oder Rückweisungen an die Vorinstanz geht. Die entsprechenden Beschwerden richteten sich denn auch der Sache nach gegen die Verzögerung der Hauptsache. Hier ist das Gegenteil der Fall: Indem die beantragte Sistierung abgelehnt wurde, soll das bereits lange dauernde Verfahren der Ortsplanung fortgesetzt und nicht weiter verzögert werden. Die zu beurteilende Interessenlage ist mithin eine andere. Soll die vom Gemeinderat Vitznau angeordnete Fortsetzung des Verfahrens aufgehoben werden, hat der Gesuchsteller zu belegen, dass ihm ohne Aussetzen des Verfahrens ein nicht wiedergutzumachender Nachteil droht.

2.4.2.

Die Verweigerung der Verfahrenssistierung durch den Gemeinderat bewirkt, dass dieser – wie dargelegt – das Verfahren der Ortsplanungsrevision fortsetzt und in einem nächsten Schritt die angekündigte zweite öffentliche Auflage durchführt. In der Folge wird die Gemeindeversammlung von Vitznau über die (nach der öffentlichen Auflage gegebenenfalls angepasste) Revisionsvorlage des Gemeinderats Beschluss fassen, der mit Verwaltungsbeschwerde an den Regierungsrat weitergezogen werden kann. Selbst wenn bis zu diesem Zeitpunkt das Integrale Schutzkonzept (ISK) und der bundesrätliche Genehmigungsentscheid bezüglich des kantonalen Richtplans noch nicht vorliegen, entsteht dem Beschwerdeführer daraus kein nicht wiedergutzumachender Nachteil im vorstehend beschriebenen Sinn. Denn er kann den Einwand des Nichtvorliegens – nach seiner Auffassung notwendiger – übergeordneter Grundlagen (Richtplan und IKS) bzw. der ungenügenden Koordination der Ortsplanungsrevision mit diesen Grundlagen ohne Weiteres auch noch gegen den Endentscheid (Beschluss der Gemeindeversammlung Vitznau betreffend die Ortsplanung und Behandlung der Einsprache des Beschwerdeführers) erheben, ohne dass in der Zwischenzeit unumkehrbare Umstände zu seinen Ungunsten eintreten würden. Bei Gutheissung einer entsprechenden Verwaltungsbeschwerde müsste die von ihm verlangte und allenfalls unterlassene Koordination noch vor Inkrafttreten der Ortsplanungsrevision nachgeholt werden, soweit er diesbezüglich ein schutzwürdiges Interesse nachweisen kann. Diesfalls tritt der vom Beschwerdeführer befürchtete Fall der erschwerten Abänderung einer neu in Kraft getretenen Nutzungsplanung gar nicht ein. Wie die Vorinstanz zu Recht geltend macht, stellt das Risiko allfällig vergeblich gewordener bisheriger Planungsschritte allenfalls einen Nachteil der Gemeinde, nicht aber einen persönlichen Nachteil des Beschwerdeführers dar.

Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer – wie er behauptet – ohne Kenntnis der übergeordneten Grundlagen ein Rechtsmittel gegen den Endentscheid ergreifen muss, stellt ebenfalls keinen ausreichenden Nachteil dar, zumal auch diese Beanstandung gegen den Endentscheid vorgebracht werden kann. Seinen entsprechenden Einwand hat er in seiner Einsprache bereits deponiert – darüber wird vorab der kommunale Planungsträger zu befinden haben. Die damit verbundenen Aufwendungen sind daher schon getätigt, weshalb nicht gesagt werden kann, ihm würden derart hohe Kosten entstehen, dass die sofortige Anfechtung der verweigerten Verfahrenssistierung gerechtfertigt wäre.

Ohne über diese (materielle) Frage bereits an dieser Stelle abschliessend zu urteilen, darf dennoch darauf hingewiesen werden, dass nach dem bisherigen Stand der Aktenlage ohnehin nicht von einem generellen Nichtvorliegen der übergeordneten Grundlagen gesprochen werden kann. Der revidierte kantonale Richtplan wurde am 14. September 2015 vom Kantonsrat genehmigt; die massgeblichen Richtplantexte, -karten sowie weiteren Unterlagen sind unter https://rawi.lu.ch/themen/kant_richtplanung/Kantonale_Richtplanung_2015 einsehbar. Seine behördenverbindliche Wirkung entfaltete der revidierte Richtplan bereits mit Genehmigung durch den Kantonsrat (vgl. § 7 Abs. 2 und § 11 Abs. 1 Satz 2 PBG). Auch wenn zusätzlich noch die Genehmigung durch den Bundesrat erforderlich ist und selbst wenn dieser Verfahrensschritt zu Anpassungen führen sollte, liegt eine übergeordnete Planungsgrundlage vor, die von der Gemeinde in ihrer Ortsplanung zu berücksichtigen ist. Auch diesbezüglich gilt, dass etwaige Widersprüche der Ortsplanung zur vom Bundesrat dereinst genehmigten Fassung des Richtplans gegebenenfalls nachträglich zu bereinigen sein werden.

Ferner ist auch in Bezug auf das ISK mit der Gefahrenkarte 2012 von einer grundsätzlich bestehenden Grundlage auszugehen, welcher im laufenden Ortsplanungsverfahren Rechnung zu tragen ist. Die Vorinstanz verweist ausdrücklich darauf, dass sie nach Bestätigung durch das instruierende BUWD deren Berücksichtigung in der hängigen Ortsplanungsrevision als genügend erachte. Soweit der Beschwerdeführer eine davon abweichende Auffassung vertritt, ist ihm zuzumuten, diesen Einwand entsprechend substantiiert gegen den Beschluss über die Ortsplanung bzw. seine hängige Einsprache vorzubringen. Darüber ist im Rahmen des für Ortsplanungen vorgesehenen Rechtsmittelwegs (§ 61 PBG) zu befinden. Eine vorgängige Beantwortung dieser Frage im Rahmen eines separaten Verfahrens ist weder sachlich geboten noch schränkt es die Verfahrensrechte des Beschwerdeführers in unzulässiger Weise ein.

Gerade dieser detailliert geregelte Rechtsmittelweg im Hauptverfahren (Ortsplanung) spricht ebenfalls dafür, hier einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zu verneinen. Denn – wie dargelegt (vgl. E. 2.3.2) – können bei der Gewichtung des Rechtschutzinteresses gegen eine Zwischenverfügung wie dem Gemeinderatsentscheid vom 16. Juni 2015 auch prozessökonomische Überlegungen eine wichtige Rolle spielen. Wenn der Gesetzgeber die Beschlussfassung über eine Ortsplanungsrevision dem Planungsträger überbindet, so hat dieser auch darüber zu entscheiden, ob nach der Auffassung der Mehrheit der Gemeindeversammlung die Entscheidungsgrundlagen vollständig sind oder nicht. Vorab für einzelne (Vor-)Fragen ein separates Verfahren zu eröffnen, würde zu Verfahrensverzögerungen führen, die den öffentlichen Interessen an einer beförderlichen Umsetzung des Ortsplanungsprozesses entgegenstehen können. Dies gilt es insbesondere dann zu verhindern, wenn es dem Betroffenen offen steht und zumutbar ist, diese Fragen mit der Hauptsache klären zu lassen.

Daher gilt es schliesslich auch zu berücksichtigen, dass eine Ortsplanungsrevision regelmässig einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. Der Planung ist immanent, dass sie nicht stehen bleibt sondern fortschreitet. Das bedeutet, dass auch planerische Grundlagen, die Einfluss auf eine Ortsplanungsrevision haben können, stetigen Aktualisierungen oder Veränderungen unterworfen sind. So ist nicht zu verhindern, dass die eine Grundlage gerade überarbeitet wird, währenddessen eine andere erst einige Jahre später überprüft werden soll. Der dynamische Prozess einer Nutzungsplanung bringt es daher mit sich, dass der Bearbeitungsstatus der jeweiligen Grundlagen unterschiedlich ist. Dieser Tatsache kann aber nicht dadurch begegnet werden, dass die Ortsplanungsrevision stets auszusetzen ist, bis eine noch nicht fertiggestellte Planungsarbeit abgeschlossen ist. Dies würde dem Sinn und Zweck einer Ortsplanungsrevision entgegenstehen. Diesem dynamischen Prozess hat der Planungsträger Rechnung zu tragen, und zwar im Rahmen der umfassenden, materiellen Interessenabwägung. Sollte er dabei zum Schluss kommen, dass diese ohne eine bestimmte planerische Grundlage unvollständig bliebe, hat er (und nicht der Gemeinderat) entsprechend Beschluss zu fassen. Über diese Frage ist hier aber noch nicht zu befinden, da sie nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids bildete.

2.5.

[…]

3.

Zusammenfassend steht fest, dass die Vorinstanz wegen fehlender Prozessvoraussetzung infolge Fehlens eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils zu Recht nicht auf die Verwaltungsbeschwerde eingetreten ist. Die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher abzuweisen. Dies gilt auch für die vorinstanzliche Kostenverlegung, gegen welche der Beschwerdeführer weder in grundsätzlicher noch in masslicher Hinsicht opponiert.