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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Strafprozessrecht
Entscheiddatum:27.05.2016
Fallnummer:2N 16 56
LGVE:2016 I Nr. 11
Gesetzesartikel:Art. 127 Abs. 1 StPO, Art. 127 Abs. 3 StPO, Art. 129 Abs. 1 StPO; Art. 12 lit. c BGFA.
Leitsatz:Hat ein Rechtsanwalt einen von zwei Mitbeschuldigten verteidigt, so ist in Bezug auf den anderen ein Interessenkonflikt im Sinne von Art. 12 lit. c BGFA jedenfalls so lange zu vermuten und zu bejahen, bis sich jegliche Interessenkollision ausschliessen lässt.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde in Strafsache am 4. Oktober 2016 abgewiesen, soweit es darauf eintrat [1B_263/2016].)
Entscheid:

Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten E eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts auf Betrug und Urkundenfälschung. Das gegen den Mitbeschuldigten A geführte Strafverfahren wurde rechtskräftig eingestellt. Als dessen Verteidiger amtete Rechtsanwalt M. Dieser teilte der Staatsanwaltschaft nach der Einstellung des Strafverfahrens gegen A mit, dass er die Interessen des Beschuldigten E vertrete. Im Nachgang dazu entschied die Staatsanwaltschaft, dass Rechtsanwalt M nicht als Rechtsbeistand und Verteidiger des Beschuldigten E zugelassen werde. Gegen diesen Entscheid erhob der Beschuldigte E, vertreten durch Rechtsanwalt M, Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

3.1.
Die beschuldigte Person kann im Strafverfahren zur Wahrung ihrer Interessen grundsätzlich einen Rechtsbeistand ihrer Wahl bestellen (Art. 127 Abs. 1 und Art. 129 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0], Art. 32 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101], Art. 6 Ziff. 3 lit. c der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [EMRK; SR 0.101] sowie Art. 14 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte [UNO-Pakt II; SR 0.103.2]). Das Recht auf freie Verteidigerwahl ist aber nicht unbeschränkt. So kann zwar ein Rechtsbeistand nach Art. 127 Abs. 3 StPO in den Schranken von Gesetz und Standesregeln im gleichen Verfahren die Interessen mehrerer Verfahrensbeteiligter wahren. In diesem Zusammenhang zu beachten ist aber insbesondere Art. 12 lit. c des Anwaltsgesetzes (BGFA; SR 935.61), wonach Anwältinnen und Anwälte jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und denjenigen Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen, zu meiden haben (vgl. auch Art. 12 lit. a und b BGFA). Diese Regeln bezwecken den Schutz der Interessen der Klientel sowie die Garantie eines korrekten Verfahrens; die Möglichkeiten eines Anwalts bei der Vertretung eines Mandanten dürfen nicht eingeschränkt sein. Diese Grundsätze sind im Strafprozess, wo es um die Verteidigung eines Beschuldigten geht, besonders bedeutsam; es lässt sich nämlich nicht von vornherein ausschliessen, dass im Verlauf des Verfahrens eine beschuldigte Person ihre Schuld einem anderen anzulasten oder zumindest zu Lasten eines anderen zu verringern versucht (vgl. BGE 141 IV 257 ff. = Pra 2/2016 Nr. 20). Die Vertretung widerstreitender Interessen ist sowohl bei gleichzeitig laufenden Mandaten wie auch bei zeitlich gestaffelten, also zwischen einem laufenden gegenüber einem früher abgeschlossenen Mandat, strikte verboten (Ruckstuhl, Basler Komm., 2. Aufl. 2014, Art. 127 StPO N 9; Fellmann, in: Komm. zum Anwaltsgesetz [Hrsg. Fellmann/Zindel], 2. Aufl. 2011, Art. 12 BGFA N 85).

3.2.
(…)

3.3.
(…)

3.3.1.
(…)

3.3.2.
(…)

3.3.3.
Vorliegend steht unbestritten fest, dass der Beschwerdeführer Mitbeschuldigter im selben Fallkomplex "B" ist, wie es der (ehemals) Mitbeschuldigte A war. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist bei dieser Ausgangslage die Möglichkeit einer Interessenkollision nicht nur "absolut hypothetisch". Aufgrund der eingangs aufgezeigten Literatur und Rechtsprechung zu Art. 12 lit. c BGFA ist bei Konstellationen wie der vorliegenden ein Interessenkonflikt jedenfalls so lange zu vermuten und zu bejahen, bis sich jegliche Interessenkollision ausschliessen lässt. Letzteres ist vorliegend im jetzigen Zeitpunkt nicht der Fall, wie die Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung zutreffend ausführte.

(Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde in Strafsache am 4. Oktober 2016 abgewiesen, soweit es darauf eintrat [1B_263/2016].)