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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Strafprozessrecht
Entscheiddatum:05.04.2016
Fallnummer:4M 15 104
LGVE:2016 II Nr. 5
Gesetzesartikel:Art. 147 Abs. 1 StPO, Art. 147 Abs. 4 StPO; Art. 19 Abs. 1 lit. d BetmG, Art. 19a Ziffer 1 BetmG.
Leitsatz:Unter der Voraussetzung, dass der unterbliebenen Konfrontation keine mangelnde Sorgfalt der Strafverfolgungsbehörden zugrunde liegt, sind belastende Aussagen trotz inhaltlich unterbliebener Konfrontation verwertbar, sofern der Beschuldigte zum streitigen Zeugnis hinreichend Stellung nehmen kann, die Aussagen sorgfältig geprüft werden und der Schuldspruch nicht alleine darauf abgestützt wird.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Aus den Erwägungen:

1. Beweis
(…) Wesentliche Beweismittel sind insbesondere die Aussagen von A und B bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft X, welche den Beschuldigten in den gegen sie geführten Verfahren wegen Betäubungsmittelhandels belasteten. Weiter liegen die Auswertung der Mobiltelefonverbindungen betreffend A sowie ein Ausdruck des SMS- und "WhatsApp"-Chatverlaufs zwischen A und B vor.

In beweisrechtlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass sich A und B in der Konfrontationseinvernahme mit dem Beschuldigten vom 1. Dezember 2014 auf ihr Aussageverweigerungsrecht beriefen bzw. im Fall von A auf die bisherigen Aussagen und die Mobiltelefonauswertung verwiesen. Nach Art. 147 Abs. 1 erster Satz der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) haben die Parteien das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Die Partei oder ihr Rechtsbeistand können die Wiederholung der Beweiserhebung verlangen, wenn der Rechtsbeistand oder die Partei ohne Rechtsbeistand aus zwingenden Gründen an der Teilnahme verhindert waren. Beweise, die in Verletzung dieser Bestimmung erhoben worden sind, dürfen nach Art. 147 Abs. 4 StPO nicht zulasten der Partei verwendet werden, die nicht anwesend war. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Damit die Verteidigungsrechte gewahrt sind, muss der Beschuldigte namentlich in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu prüfen und den Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe und infrage stellen zu können. Das kann entweder zum Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Belastungszeuge seine Aussage macht, oder auch in einem späteren Verfahrensstadium (BGE 131 I 476 E. 2.2, BGer-Urteil 6B_839/2013 vom 28.10.2014 E. 1.4.1 mit weiteren Verweisen; Schleiminger Mettler, Basler Komm., 2. Aufl. 2014, Art. 147 StPO N 30 ff.). In materieller Hinsicht wird in aller Regel verlangt, dass sich der Einvernommene nochmals zur Sache äussert (BGer-Urteile 6B_764/2015 vom 6.1.2016 E. 1.7.3, 6B_839/2013 vom 28.10.2014 E. 1.4.1). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesgerichts kann unter besonderen Umständen auf eine Konfrontation des Beschuldigten mit dem Belastungszeugen verzichtet werden. So, wenn die Konfrontation aus objektiven, von den Strafverfolgungsbehörden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich war (BGE 131 I 476 E. 2.2; Schleiminger Mettler, a.a.O., N 34). In solchen Fällen ist erforderlich, dass der Beschuldigte zum streitigen Zeugnis hinreichend Stellung nehmen kann, die Aussagen sorgfältig geprüft werden und der Schuldspruch nicht alleine darauf abgestützt wird (BGer-Urteil 6B_839/2013 vom 28.10.2014 E. 1.5.1; Schleiminger Mettler, a.a.O.). Vorliegend äusserten sich die Belastungspersonen A und B in der Konfrontationseinvernahme vom 1. Dezember 2014 nicht nochmals inhaltlich zur Sache, sondern beriefen sich im Wesentlichen auf ihr Aussageverweigerungsrecht als Auskunftspersonen. Indes konnte der Beschuldigte zum streitigen Zeugnis hinreichend Stellung nehmen (so in den Einvernahmen vom 23.1. und vom 21.11.2014, vor Bezirksgericht und vor Kantonsgericht) und wurden die Aussagen von A und B sowohl von der Vorinstanz als auch im vorliegenden Urteil sorgfältig geprüft. Dem Schuldspruch liegen zudem nicht ausschliesslich die Aussagen von A und B zugrunde, sondern es werden diese durch die SMS- und WhatsApp-Nachrichten sowie die Telefonverbindungen untermauert. Schliesslich liegt der Aussageverweigerung von A und B keine mangelnde Sorgfalt der Strafverfolgungsbehörden zugrunde, sondern beruht diese auf dem Umstand, dass A und B sich auf das Aussageverweigerungsrecht als Auskunftspersonen gemäss Art. 180 StPO beriefen. Folglich sind die belastenden Aussagen von A und B trotz inhaltlich unterbliebener Konfrontation verwertbar.