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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:26.07.2016
Fallnummer:3C 16 3
LGVE:2016 II Nr. 8
Gesetzesartikel:Art. 57 ZPO, Art. 102 ZPO; Art. 16 Abs. 1 IPRG.
Leitsatz:Das Gericht kann gegen den Willen der Parteien und unabhängig von der Leistung eines Beweiskostenvorschusses ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, da es das Recht von Amtes wegen anzuwenden hat.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Die Parteien, beide deutsche Staatsangehörige, heirateten 1999. Ihrer Ehe entsprossen zwei Kinder (geb. 2002 und 2004). Am 12. August 2013 machte der Gesuchsgegner vor dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg den Scheidungsprozess anhängig. Am 31. März 2014 gelangte die Gesuchstellerin mit einem Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens an das Bezirksgericht Kriens. Am 16. Juni 2014 orientierte das Bezirksgericht die Parteien darüber, dass es zur Frage der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts ein Gutachten beim Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung (ISDC) einzuholen gedenke. Der Gesuchsgegner opponierte gegen die Anordnung einer Expertise unter Verweis darauf, dass das Gericht das Recht von Amtes wegen anzuwenden und keine Partei ein Gutachten beantragt habe. Mit Verfügung vom 24. November 2014 beauftragte das Bezirksgericht das ISDC mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens. Am 4. September 2015 gab es ein Ergänzungsgutachten in Auftrag. Mit Zwischenentscheid vom 22. Januar 2016 befand das Bezirksgericht, auf das Massnahmengesuch vom 31. März 2014 sei einzutreten; die Gerichtskosten von Fr. 12'000.-- (inkl. Kosten für das Gutachten von Fr. 5'540.-- und das Ergänzungsgutachten von Fr. 5'864.40) würden mit dem Endentscheid verlegt. Gegen diesen Entscheid erhob der Gesuchsgegner am 8. Februar 2016 Beschwerde beim Kantonsgericht.

Aus den Erwägungen:

6.3.

Nach konstanter Praxis des Bundesgerichts stellt die Ermittlung ausländischen Rechts kein eigentliches Beweisverfahren dar, weil fremdes Recht, das im Inland angewandt werden soll, unabhängig vom Streitgegenstand des Verfahrens keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage repräsentiert, so dass die gewöhnlichen Beweisregeln nicht anwendbar sind (BGE 138 III 232 E. 4.2.4, 119 II 93 E. 2c/bb; Oberhammer, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [Hrsg. Oberhammer/Domej/Haas], 2. Aufl. 2014, Art. 57 ZPO N 7). Dementsprechend spricht auch der Gesetzestext von "Nachweis" und nicht von "Beweis" des ausländischen Rechts. Eine Parallele zum Beweisrecht besteht nur insofern, als sich Gericht und Parteien zur Ermittlung ausländischen Rechts auch der Mittel des Beweisverfahrens, insbesondere des Beweises durch Gutachten, bedienen können (BGE 138 III 232 E. 4.2.4; Hurni, Berner Komm., Bern 2012, Art. 57 ZPO N 10; Oberhammer, a.a.O., Art. 57 ZPO N 7). Bei dieser Ausgangslage geht die Rüge des Gesuchsgegners, die Vorinstanz hätte die Parteien vor Erteilung des Gutachtensauftrags zur Leistung eines Beweiskostenvorschusses einladen und im Fall der Nichtleistung auf die Einholung der Expertise verzichten oder den daraus resultierenden Aufwand zulasten der Staatskasse abschreiben müssen, fehl, gelangen doch gerade nicht die gewöhnlichen Beweisregeln zur Anwendung.

Selbst wenn man im Einklang mit dem Gesuchsgegner die allgemeinen Beweisregeln heranziehen wollte, hätte dies nicht zur Folge, dass die Kosten für das Rechtsgutachten der Staatskasse aufzuerlegen wären, da es von vornherein nicht dem Bezirksgericht anheimgestellt war, nach Belieben das von ihm favorisierte Recht anzuwenden, sondern es gehalten war, von Amtes wegen die nach internationalem Privatrecht einschlägigen Normen zu eruieren und korrekt auszulegen. Gemäss Art. 102 Abs. 1 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) hat zwar jede Partei die Auslagen des Gerichts vorzuschiessen, die durch von ihr beantragte Beweiserhebungen veranlasst werden. Vorbehalten bleiben indes Streitigkeiten, die der Untersuchungsmaxime unterliegen, wobei es diesbezüglich zu differenzieren gilt. In Verfahren, in denen das Gericht den Sachverhalt – wie namentlich in Kinderbelangen – von Amtes wegen zu erforschen hat (klassische Untersuchungsmaxime), unterbleibt die Beweiserhebung auch dann nicht, wenn die Parteien die Leistung eines Beweiskostenvorschusses verweigern (Art. 102 Abs. 3 ZPO). Wo das Gericht den Sachverhalt dagegen lediglich von Amtes wegen festzustellen hat (beschränkte Untersuchungsmaxime), kann es die Beweisabnahme von der Bezahlung des Vorschusses abhängig machen (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] vom 28.6.2006, in: BBl 2006 7295; Rüegg, Basler Komm., 2. Aufl. 2013, Art. 102 ZPO N 6; Sterchi, Basler Komm., 2. Aufl. 2013, Art. 102 ZPO N 8; Urwyler/Grütter, in: Schweizerische Zivilprozessordnung Komm. [Hrsg. Brunner/Gasser/Schwander], 2. Aufl. 2016, Art. 102 ZPO N 3). Die Botschaft und die herrschende Lehre erachten es mithin durchaus als zulässig, dass das Gericht auch unter Geltung der beschränkten Untersuchungsmaxime die Beweisabnahme nicht von einer Vorschussleistung abhängig macht (a.M. Suter/von Holzen, in: Komm. zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [Hrsg. Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger], 3. Aufl. 2016, Art. 102 ZPO N 26, wonach die Nichtleistung des Kostenvorschusses unter Geltung der beschränkten Untersuchungsmaxime zwingend die Nichterhebung des Beweises nach sich ziehen soll). Da das Gericht laut Art. 16 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291) das Recht von Amtes wegen festzustellen hat, hätte es der Vorinstanz, selbst wenn auf die Ermittlung ausländischen Rechts die allgemeinen Beweisregeln Anwendung fänden, sonach nicht zwingend oblegen, vorgängig bei den Parteien einen Vorschuss für die Gutachtenskosten einzuholen.