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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Gewässerschutz
Entscheiddatum:09.01.2017
Fallnummer:7H 15 253
LGVE:
Gesetzesartikel:Art. 38 Abs. 1 GSchG, Art. 38 Abs. 2 GSchG; Art. 3 Abs. 1 StAG, Art. 5 Abs. 3 StAG, Art. 5 Abs. 4 StAG; Art. 5 StAV.
Leitsatz:Als Hochwasserentlastungskanal im Sinn von Art. 38 Abs. 2 lit. a GSchG gilt bei Hochwasserrückhaltebecken das Auslass- bzw. Durchlassbauwerk allgemein, welches insgesamt der Hochwasserentlastung für das Fliessgewässer dient (E. 7).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Angefochten war ein Entscheid des Regierungsrats des Kantons Luzern, worin dieser ein Wasserbauprojekt für den Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens bewilligte und dabei unter anderem eine Ausnahmebewilligung für das Überdecken oder Eindolen eines Gewässers erteilte.

Aus den Erwägungen:


7.

7.1.

Ergänzend ist festzuhalten, dass die Ausnahmebewilligung für das Überdecken oder Eindolen des Z-Bachs nach Art. 38 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer (GSchG; SR 814.20) zu Recht erteilt wurde, dies aus nachstehenden Gründen.


7.2.

Gemäss Art. 38 Abs. 1 GSchG dürfen Fliessgewässer grundsätzlich nicht überdeckt oder eingedolt werden. Jedoch kann die Behörde gemäss Art. 38 Abs. 2 GSchG Ausnahmen bewilligen in bestimmten Fällen, nämlich für Hochwasserentlastungs- und Bewässerungskanäle (lit. a), Verkehrsübergänge (lit. b), Übergänge land- und forstwirtschaftlicher Güterwege (lit. c), kleine Entwässerungsgräben mit zeitweiser Wasserführung (lit. d) sowie den Ersatz bestehender Eindolungen und Überdeckungen, sofern eine offene Wasserführung nicht möglich ist oder für die landwirtschaftliche Nutzung erhebliche Nachteile mit sich bringt (lit. e). Eine Ausnahmebewilligung kann nur erteilt werden, wenn sich im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung die für eine offene Wasserführung sprechenden Gründe als weniger gewichtig erweisen als die Gründe für eine Eindolung (BGer-Urteil 1A.140/1995 vom 26.2.1996 E. 4a, in: ZBl 1997 S. 322).


7.3.

Vorliegend soll die bestehende, rund 27 m lange Eindolung des Z-Bachs im Bereich des Wasserbauprojekts durch eine nach Osten verlegte und um 23 m längere Eindolung, gemäss Vorinstanz ein Hochwasserentlastungskanal von 50 m Länge, ersetzt werden.

Der geplante Kanal stellt teilweise, im Umfang der Länge des bisherigen Kanals, den Ersatz einer bestehenden Eindolung dar, welche zudem offenbar auch als Übergang eines landwirtschaftlichen Güterwegs genutzt wird. Die Verlängerung der Eindolung um 23 m kann sich dann rechtfertigen, wenn es sich um einen Hochwasserentlastungskanal im Sinn von Art. 38 Abs. 1 lit. a GSchG handelt.


7.4.

Ob auch ein eingedoltes bzw. einzudolendes Gewässer, welches das ganze Jahr hindurch eine bestimmte Abflussmenge, unter anderem auch Hochwasser, aufnimmt und nicht nur in Hochwassersituationen benötigt wird, als Hochwasserentlastungskanal gilt, hat das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung bisher offen gelassen (vgl. BGer-Urteil 1A.140/1995 vom 26.2.1996 E. 4a, in: ZBl 1997 S. 322; vgl. auch Fritzsche, Komm. zum Gewässerschutzgesetz und zum Wasserbaugesetz, Zürich 2016, Art. 38 GSchG N 14, mit Hinweisen). Zwar hat die kantonale Rechtsprechung zumindest in einem publizierten Entscheid das Vorliegen eines Hochwasserkanals unter solchen Umständen verneint (vgl. Entscheid des Regierungsrats des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 26.5.1999 E. 3b, AR GVP 10/1998 Nr. 1332). Jedoch ist dieser Schluss nicht zwingend, zumal es im genannten Entscheid um die Bewilligung der Offenlegung – und nicht der Eindolung – eines Gewässers ging.


7.5.

Bei der Auslegung der Bestimmung von Art. 38 Abs. 2 GSchG und des Begriffs des Hochwasserentlastungskanals ist zunächst festzuhalten, dass der Wortlaut des Gesetzes nur bei kleinen Entwässerungsgräben eine bloss zeitweise Wasserführung verlangt (lit. d). Für die systematische und teleologische Auslegung ist auch das Bundesgesetz über die Stauanlagen (StAG; SR 721.101) heranzuziehen. Gemäss Definition von Art. 3 Abs. 1 StAG sind Stauanlagen Einrichtungen zum Aufstau oder zur Speicherung von Wasser oder Schlamm (Satz 1). Dabei gelten als Stauanlagen auch Bauwerke für den Rückhalt von Geschiebe, Eis und Schnee oder für den kurzfristigen Rückhalt von Wasser (Rückhaltebecken; Satz 2). Aus der Botschaft zum StAG geht hervor, dass derartige Rückhaltebecken zu den Stauanlagen zählen, auch wenn sie in der Regel nicht gefüllt sind (Botschaft zum Bundesgesetz über die Stauanlagen vom 9.6.2006, in: BBl 2006 6049).

Hochwasser müssen bei vollem Becken sicher abgeleitet werden können (Art. 5 Abs. 4 StAG). Die Ableitung erfolgt in der Regel durch spezielle Entlastungsorgane. Nur wenn der Stauraum allfällige Hochwasser in jedem Fall aufzunehmen vermag, kann auf eine spezielle Hochwasserentlastung verzichtet werden (Botschaft, in: BBl 2006 6051). Die Stauanlagen müssen zur Vornahme von Kontroll- und Unterhaltsarbeiten entleert und der Stausee muss bei drohender Gefahr abgesenkt werden können (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 StAG). Zu diesem Zweck müssen Stauanlagen mindestens über einen ausreichend dimensionierten Grundablass oder eine ausreichend dimensionierte Tiefschütze verfügen (Satz 2). Bei Rückhaltebecken kann auf den Einbau von Grundablässen und Tiefschützen verzichtet werden (Art. 5 Abs. 3 Satz 3 StAG i.V.m. Art. 5 der Stauanlagenverordnung [StAV; SR 721.101.1]; Botschaft, in: BBl 2006 6041).

7.6.

7.6.1.

Vorliegend ist ein Durchlassbauwerk vorgesehen, das ein 6 m langes Einlaufbauwerk, einen rund 50 m langen Grundablass, bestehend aus einem Kanal mit Stahlbetonfertigteilrohr-Segmenten von einem Durchmesser von 1'500 mm, sowie ein Auslaufbark mit rund 9 m langem Tosbecken umfasst.

7.6.2.

Bei einem Hochwasserrückhaltebecken fliesst im Normalfall der Bach oder Fluss ungehindert durch das Durchlassbauwerk des Rückhaltedamms. Übersteigt bei Hochwasser der Zufluss in das Rückhaltebecken die Durchlasskapazität, beginnt der Einstau im Becken. Der Abfluss des Gewässers wird, gezielt auf eine für das untenliegende Gebiet verträgliche Wassermenge, reduziert und die Hochwasserspitze kann gekappt werden. Bei abklingendem Hochwasser entleert sich das Becken wieder. Bei Vollstau (vollständig gefülltes Becken) entspricht der Abfluss dem Bemessungshochwasser für die Unterlieger. Übersteigt das Zuflussvolumen den Inhalt des Beckens, tritt die Hochwasserentlastung in Betrieb (Beschreibung gemäss Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau).

7.6.3.

Im vorliegenden Fall soll bei einem stärkeren Hochwasser als HQ100 (100-jährliches Hochwasserereignis) zur Entlastung zunächst die rechte Dammseite überströmt werden (ab HQ100 bis HQ300), darauf (ab HQ300) der gesamte Damm. Alternativ wäre es technisch möglich, ein separates Einlaufbauwerk einzig für Hochwasser ("Überfall") vorzusehen. In der Regel mündet ein solches bei einem Hochwasserrückhaltebecken mit Durchlassbauwerk in das allgemeine Auslassbauwerk des Grundablasses (vgl. zum Ganzen: Kämpf, Dem Hochwasser die Spitze nehmen, Umwelt Aargau Nr. 51 [Februar 2011] S. 11; Müller, Die Hochwasserrückhaltebecken der Schweiz, eine Übersicht unter besonderer Berücksichtigung der Auslassbauwerke, Mitteilungen der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Nr. 102, Zürich 1990, S. 52 ff.).


7.6.4.

Aufgrund des Zwecks von Hochwasserrückhaltebecken geht es nicht an, wenn als Hochwasserentlastungskanal im Sinn von Art. 38 Abs. 2 lit. a GSchG nur solche Hochwasserentlastungsbauwerke gälten, die mit einem Einlaufbauwerk einzig für Hochwasser ("Überfall") und einem separaten anschliessenden Kanal, d.h. einem vom Auslassbauwerk für den Abfluss bei Normalwasser (Grundablass) getrennten Hochwasserdurchlass, ausgestattet sind. Vielmehr sind darunter bei Hochwasserrückhaltebecken auch Hochwasserentlastungskanäle im weiteren Sinn zu verstehen, nämlich das Auslass- bzw. Durchlassbauwerk allgemein, welches gerade als erste Stufe der gesamten Hochwasserentlastung für das Fliessgewässer dient.

Für die Zulässigkeit eines Hochwasserdurchlassbauwerks kann nicht verlangt werden, dass für die Hochwasserentlastung (zweiter Stufe) separate Einlauf- und Durchlassbauwerke erstellt werden, dies namentlich aus Gründen der Verhältnismässigkeit. Wo ein einziges Durchlassbauwerk besteht, als Teil der ersten Stufe der Hochwasserentlastung des Fliessgewässers, ist dies aus technischen Gründen stets mit der Eindolung des Gewässers verbunden.

7.7.

Nach dem Gesagten stellt auch das Durchlassbauwerk des geplanten Hochwasserrückhaltebeckens einen Hochwasserentlastungskanal im Sinn von Art. 38 Abs. 2 lit. a GSchG dar. Dies rechtfertigt es im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung, für die Eindolung des Gewässers auf der betreffenden Länge eine Ausnahmebewilligung zu erteilen. Gründe, die für eine offene Wasserführung in diesem Bereich sprächen, sind nicht ersichtlich.