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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Bildungs- und Kulturdepartement
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Bildungsrecht
Entscheiddatum:11.08.2016
Fallnummer:BKD 2016 3
LGVE:2016 VI Nr. 3
Gesetzesartikel:§ 16 Abs. 4 Beurteilungsverordnung, § 22 Abs. 2 Beurteilungsverordnung
Leitsatz:Versetzung und Repetition: Die Versetzung in die nächsttiefere Stammklasse bildet in der Sekundarschule bei getrennt geführten Klassen die Regel.

Die Repetition eines Schuljahres kann in der Volksschule nur bewilligt werden, wenn sie wegen eines schwerwiegenden objektiven Grundes pädagogisch eindeutig angezeigt ist (Präzisierung zu LGVE 2007 III Nr. 8).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Das Kantonsgericht hat die gegen diesen Entscheid eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil 7H 16 203/7U 16 35 vom 5. Oktober 2016 abgewiesen.
Entscheid:

Z besuchte im Schuljahr 2015/2016 in der Gemeinde X die 1. Sekundarklasse im Anforderungsniveau B. Im Frühjahr 2016 ersuchte er - unterstützt durch seine Mutter - die Schulleitung darum, die 1. Sekundarklasse in diesem Anforderungsniveau repetieren zu können, anstatt das folgende Schuljahr im nächsttieferen Anforderungsniveau zu besuchen. In der Folge fanden mehrere Gespräche mit der Klassenlehrperson und der Schulleitung statt. Mit Verfügung vom 14. Juni 2016 entschied die Schulleitung, dass Z ab dem Schuljahr 2016/2017 die 2. Sekundarklasse im Anforderungsniveau C zu besuchen habe; das Gesuch um freiwillige Repetition wies sie ab. Z erhob Verwaltungsbeschwerde gegen diese Verfügung. Das Bildungs- und Kulturdepartement wies die Verwaltungsbeschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

3.1 Sind die schulischen Voraussetzungen erfüllt, werden die Lernenden auf Schuljahresbeginn grundsätzlich in die nächsthöhere Klasse versetzt (vgl. § 14 Abs. 1 Verordnung über die Beurteilung von Lernenden in der Volksschule vom 15.5.2007 [Beurteilungsverordnung, SRL Nr. 405a]). Vermögen Lernende dagegen den schulischen Anforderungen nicht zu genügen, werden sie in die nächsttiefere Stammklasse versetzt, ausser eine Repetition erscheint erfolgversprechend und wird für die Entwicklung des oder der betreffenden Lernenden als förderlich erachtet (§ 16 Abs. 4 Beurteilungsverordnung). Über einen Stammklassenwechsel entscheidet die Schulleitung auf Antrag der Klassenlehrperson und nach Anhörung der Erziehungsberechtigten (§ 16 Abs. 5 Beurteilungsverordnung).

3.2 Zur Frage, wann eine Repetition für die Entwicklung eines oder einer Lernenden als förderlich erachtet werden kann, hat die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der freiwilligen Repetition (vgl. § 22 Abs. 2 Beurteilungsverordnung) Kriterien erarbeitet. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Versetzung in die nächsthöhere Klasse die Regel darstellt und eine (freiwillige) Repetition die Ausnahme bildet. Für die ausnahmsweise Bewilligung einer Repetition braucht es demnach einmal einen objektiven Grund. Dieser ist gegeben, wenn die schulischen Leistungen des oder der betreffenden Lernenden offensichtlich nicht seinem oder ihrem eigentlichen Potenzial entsprechen und diese Diskrepanz nicht im willentlichen Verhalten des oder der Lernenden begründet ist beziehungsweise wenn sie auf einem schwerwiegenden objektiven Grund wie beispielsweise einer ausgewiesenen schwerwiegenden psychischen Belastungssituation, einer diagnostizierten Entwicklungsverzögerung oder einer schwerwiegenden Krankheit beruht. Zum andern müssen Anzeichen dafür bestehen, dass die Repetition das schulische Fortkommen des oder der Lernenden längerfristig günstig beeinflusst, mithin der Grund für die Differenz zwischen dem kognitiven Potenzial und den tatsächlichen schulischen Leistungen durch eine Repetition entfällt (vgl. zum Ganzen LGVE 2007 III Nr. 8 E. 2). Der in dieser Rechtsprechung betonte Ausnahmecharakter einer Repetition erhält zwischenzeitlich umso grössere Bedeutung, als das heutige Schulsystem noch mehr auf heterogene Klassen ausgerichtet ist. Durch die unterschiedlichen Anforderungsniveaus in der Sekundarschule, den individualisierten Unterricht und die bestehenden zusätzlichen Fördermassnahmen können Unterschiede in der körperlichen, kognitiven und persönlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in aller Regel ohne eine Wiederholung des Schuljahres aufgefangen werden (vgl. auch §§ 2 und 4 Verordnung über die Förderangebote der Volksschule vom 12.4.2011 [SRL Nr. 406]).

Da sich § 22 Abs. 2 Beurteilungsverordnung (freiwillige Repetition) und § 16 Abs. 4 Beurteilungsverordnung (Repetition bei Stammklassenwechsel) in Wortlaut und Absicht weitgehend decken, ist auch in Fällen von § 16 Abs. 4 Beurteilungsverordnung auf die obigen Kriterien abzustellen. Bei ungenügenden schulischen Leistungen bildet damit die Versetzung in die nächsttiefere Stammklasse die Regel. Eine Repetition ist dagegen nur ausnahmsweise zu bewilligen, wenn diese wegen eines schwerwiegenden objektiven Grundes pädagogisch eindeutig angezeigt ist.

3.3 Bei der Beurteilung eines Gesuches um Repetition beziehungsweise beim Entscheid über die Versetzung ins nächsttiefere Anforderungsniveau kommt der zuständigen Schulleitung aufgrund ihrer grösseren Sachnähe ein Ermessen zu, welches das Bildungs- und Kulturdepartement als Rechtsmittelbehörde in ständiger Praxis - und trotz grundsätzlich unbeschränkter Überprüfungsbefugnis (vgl. § 144 Abs. 1 Gesetz über die Verwaltungs-rechtspflege vom 3.7.1972 [VRG; SRL Nr. 40]) - respektiert (vgl. auch Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. Zürich 2016, Rz. 443).

4. Wie einleitend dargestellt, hat die Vorinstanz aufgrund der ungenügenden schulischen Leistungen des Beschwerdeführers dessen Versetzung in das nächsttiefere Anforderungsniveau verfügt. Die Möglichkeit einer Repetition hat sie dabei als nicht erfolgversprechend und für die Entwicklung des Beschwerdeführers als nicht förderlich erachtet. Diese Verfügung der Vorinstanz ist nachfolgend gestützt auf die vorgehend dargestellten rechtlichen Grundlagen und die Vorbringen der Parteien zu beurteilen.

4.1 Zu bestimmen ist erstens, ob beim Beschwerdeführer eine Diskrepanz zwischen seinen gezeigten schulischen Leistungen und seinem eigentlichen Potenzial besteht und, falls ja, worauf diese zurückzuführen ist.

4.1.1 Die Vorinstanz sieht den Grund für die ungenügenden Leistungen des Beschwerdeführers in seinen kognitiven Fähigkeiten, insbesondere in seiner zu langsamen Auffassungsgabe. Anders ausgedrückt besteht für die Vorinstanz keine Diskrepanz zwischen den gezeigten schulischen Leistungen des Beschwerdeführers und seinem Potenzial. Zur Begründung weist die Vorinstanz darauf hin, dass der Beschwerdeführer die Anforderungen für das Anforderungsniveau B bereits im Übertrittsverfahren nur knapp zu erfüllen vermochte. Bereits damals hätten sich die nun bestehenden Schwierigkeiten abgezeichnet. Hinzu komme, dass die Sprachfächer in der Sekundarschule an Bedeutung gewonnen hätten und gerade diese dem Beschwerdeführer Mühe bereiteten. Aufgrund seiner zu langsamen Auffassungsgabe könne beim Beschwerdeführer im Ergebnis wirkliches Lernen im Anforderungsniveau B nicht mehr stattfinden. Es zeige sich zusammenfassend, dass der Beschwerdeführer mit dem Anforderungsniveau B überfordert sei. Der Beschwerdeführer geht dagegen davon aus, dass eine befristete familiäre Problematik ursächlich für seine ungenügenden Leistungen sei. Durch eine Repetition vermöge er den Stoff gut aufzunehmen und das Tempo der Lehrperson mitzuhalten.

4.1.2 Die Einschätzung der Vorinstanz vermag zu überzeugen. Aus den Unterlagen zum Übertrittsverfahren ergibt sich, dass der Beschwerdeführer die Richtwerte für das Anforderungsniveau B lediglich im 1. Semester der 6. Primarklasse zu erfüllen vermochte, allerdings nur knapp. In der 5. Klasse erreichte er die entsprechenden Richtwerte nicht. In den für den Übertritt zusätzlich zu berücksichtigenden Fächern Englisch und Französisch erreichte der Beschwerdeführer für das Anforderungsniveau B ebenfalls nur sehr knappe beziehungsweise ungenügende Noten. Auch die weiteren Zuweisungskriterien stützen die Einschätzung der Vorinstanz bezüglich der kognitiven Fähigkeiten des Beschwerdeführers. So werden die Anforderungen an die Auffassungsgabe zwar als mehrheitlich erfüllt beurteilt, dagegen werden das Übertragen von Gelerntem auf neue Zusammenhänge, die Anwendung von Gelerntem nach längerer Zeit sowie das Umgehen mit abstrakten Begriffen als lediglich teilweise erfüllt erachtet. Mit dieser Einschätzung aus dem Übertrittsverfahren überein stimmt ebenfalls die Ansicht der aktuellen Klassenlehrperson, welche feststellte, der Beschwerdeführer brauche relativ lange, um Inhalte zu verstehen und er sei mit der Stofffülle und dem Tempo überfordert. Zudem vermerkte sie Schwierigkeiten beim selbständigen und sorgfältigen Arbeiten.

4.1.3 Die Vorbringen des Beschwerdeführers vermögen dieses insgesamt stimmige Bild nicht in Zweifel zu ziehen. Gegen die angeführten familiären Probleme als Ursache für die Leistungsschwierigkeiten spricht zum einen, dass die familiären Probleme offenbar erst seit diesem Schuljahr bestehen (vgl. Verfügung vom 14.6.2016), die Leistungen von Z jedoch bereits im Übertrittsverfahren nur sehr knapp für das Anforderungsniveau B genügten. Die Entwicklung der Schulnoten spricht deshalb gegen eine massgebliche psychische Belastung im neuen Schuljahr. Damit stimmt überein, dass sich in den Akten keinerlei Hinweise auf eine tatsächliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch die familiären Probleme finden. Zwar hat die Mutter des Beschwerdeführers die Klassenlehrperson offenbar bereits zu Beginn des Schuljahres auf familiäre Probleme hingewiesen, weitere Massnahmen wie eine therapeutische Begleitung oder eine schulpsychologische Beratung wurden aber offensichtlich weder von der Klassenlehrperson noch von den Eltern als notwendig erachtet. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer seine ungenügenden Leistungen zumindest teilweise auch selbst seinem eigenen Verhalten zuschreibt. So hält er in der Beschwerde fest, dass er erst mit der drohenden Umteilung in das Anforderungsniveau C von den Konsequenzen für die Berufswahl erfahren habe. Er habe nun gesehen, dass hinter jedem Erfolg viel Arbeit und Fleiss stecke, und wolle nun ein guter Schüler werden. Dies spricht dafür, dass seine ungenügenden Leistungen zumindest teilweise mit fehlender Motivation und damit mit willentlichem Verhalten zu erklären sind.

4.1.4 Insgesamt ist aufgrund der Akten nicht davon auszugehen, dass beim Beschwerdeführer eine Diskrepanz zwischen den gezeigten schulischen Leistungen und seinem eigentlichen Potenzial besteht. Vielmehr ist die Sichtweise der Vorinstanz einleuchtend und nachvollziehbar, wonach der Beschwerdeführer mit den schulischen Anforderungen des Anforderungsniveau B überfordert ist.

4.2 Da bereits das Kriterium des objektiven Grundes nicht erfüllt ist, kann die prognostische Beurteilung, ob die Repetition das schulische Fortkommen des Beschwerdeführers günstig beeinflusst, unterbleiben. Ergänzend ist diesbezüglich aber dennoch festzuhalten, dass eine Repetition für die längerfristige Entwicklung als förderlich erachtet werden muss; eine lediglich kurzfristige Entlastung vermag dieser Anforderung nicht zu genügen. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, bei einer Repetition in der 1. Sekundarklasse vermöge er bessere Leistungen zu erbringen und dem Lerntempo zu folgen, ist dies nicht auszuschliessen, kennt er doch den gesamten Schulstoff dieses Jahres bereits. Aufgrund der vorgehenden Ausführungen ist aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Überforderung in der 2. Sekundarklasse, wenn der Beschwerdeführer wieder mit neuem Unterrichtsstoff konfrontiert wird, erneut auftritt. Einer Repetition käme damit längerfristig keine Wirkung zu.