Instanz: | Kantonsgericht |
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Abteilung: | 1. Abteilung |
Rechtsgebiet: | Zivilrecht |
Entscheiddatum: | 25.01.2017 |
Fallnummer: | 1B 16 49 |
LGVE: | 2017 I Nr. 4 |
Gesetzesartikel: | Art. 26 BV; Art. 641 Abs. 2 ZGB, Art. 928 ZGB; Art. 260 ZPO; § 9 Abs. 1 StrG, § 13 f. StrG. |
Leitsatz: | 1. Die Einsprache nach Art. 260 Abs. 2 ZPO bedarf keiner Begründung (E. 4.3). 2. Inhalt und Voraussetzungen der Klage auf Durchsetzung des richterlichen Verbots (E. 3-6). 3. Dem Erlass eines gerichtlichen Verbots auf einer Strasse im Privateigentum kann der Umstand entgegenstehen, dass sie öffentlich erklärt wurde. Die Beurteilung dieser öffentlich-rechtlichen Frage erfolgt im Zivilverfahren vorfrageweise. Rechtliche Voraussetzungen für die Öffentlicherklärung einer im Privateigentum stehenden Strasse im Kanton Luzern (E. 7). |
Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. |
Entscheid: | Der Einzelrichter des Bezirksgerichts erliess mit Entscheid vom 30. Oktober 2013 auf Gesuch der Grundeigentümerin (nachfolgend Klägerin) ein Fahr- und Betretungsverbot auf Grundstück Nr. z. Dieses tangiert die Y-Strasse, welche über das besagte Grundstück verläuft. Gegen das Verbot erhob der Gemeinderat namens der Einwohnergemeinde Z Einsprache nach Art. 260 Abs. 1 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272). Auf die daraufhin von der Klägerin gegen den Gemeinderat erhobene Klage auf Anerkennung bzw. Durchsetzung des Verbots trat der Bezirksgerichtspräsident mit Urteil vom 12. August 2016 mangels Partei- und Prozessfähigkeit des eingeklagten Gemeinderates nicht ein. Zudem äusserte er sich der Vollständigkeit wegen und um einen weiteren Prozess zu vermeiden in einer Eventualerwägung zu den materiellen Fragen. Er verneinte die sachliche Zuständigkeit des Zivilgerichts für den Erlass des genannten Verbots im Wesentlichen mit der Begründung, dass es sich bei der Y-Strasse um eine öffentliche Strasse handle. Dagegen gelangte die Klägerin mit Berufung an das Kantonsgericht und verlangte mit ihrem Hauptbegehren die Nichtigerklärung der Einsprache der Beklagten und im Eventualpunkt die "Durchsetzung" des Verbots vom 30. Oktober 2013 gegenüber der Beklagten, handelnd für die Allgemeinheit. Aus den Erwägungen: 3.4. Die Klage des Verbotsberechtigten hat in der Regel ein Unterlassungsbegehren zum Inhalt und stützt sich auf Art. 928 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) bzw. Art. 641 Abs. 2 ZGB ab. Ein gutheissendes Urteil bindet das Strafgericht in Bezug auf die Verbindlichkeit des Verbots im Verhältnis zu dieser beklagten Partei (Göksu, in: Komm. zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [Hrsg. Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger], 3. Aufl. 2016, Art. 260 ZPO N 16; Schwander, in: Komm. Schweizerischen Zivilprozessordnung [Hrsg. Brunner/Gasser/Schwander], 2. Aufl. 2016, Art. 260 N 3 mit Hinweis auf die Botschaft). Gemäss Art. 641 Abs. 2 ZGB kann der Eigentümer u.a. jede ungerechtfertigte Einwirkung auf sein Eigentum abwehren. Dabei handelt es sich um eine actio negatoria, die überwiegend als Eigentumsfreiheitsklage, aber auch als negative Eigentumsklage, als Abwehrklage oder als negatorische Unterlassungsklage bezeichnet wird. Mit der Eigentumsfreiheitsklage kann der Eigentümer einer Sache die Beseitigung einer ungerechtfertigten Einwirkung auf das Eigentum beseitigen bzw. die Unterlassung drohender Eingriffe verlangen. Aktivlegitimiert ist der Eigentümer; passivlegitimiert der Störer. Typische Beispiele für ungerechtfertigte Einwirkungen sind das Betreten oder Überfliegen eines Grundstücks. Die Klage dient primär der Beseitigung bestehender Störungen bzw. drohender Beeinträchtigungen des Eigentums (Wiegand, Basler Komm., 4. Aufl. 2011, Art. 641 ZGB N 40 ff., 58 ff., 63 ff.). Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört, so kann der Besitzer gegen den Störer Klage erheben, auch wenn dieser ein Recht zu haben glaubt (Art. 928 ZGB). Passivlegitimiert sind diejenigen Personen, gegen welche die Klage gerichtet werden muss, um störende Einwirkungen in Zukunft auszuschalten. Der Klageantrag kann bezüglich der Beseitigung allgemein lauten; er braucht die einzelnen Beseitigungsmassregeln nicht anzugeben, denn der Gestörte kann sich häufig kein Bild über die tauglichen Massnahmen machen. Zu beweisen hat der Kläger nur seinen Besitz (Klage nach Art. 928 ZGB) resp. sein Eigentum (Art. 641 Abs. 2 ZGB) und die Störungen bzw. die drohenden Störungen. Dem Beklagten obliegt der Beweis der Einwilligung des Klägers zum Eingriff und der sonstigen, die verbotene Eigenmacht resp. das Eigentum ausschliessenden Umstände (Lindenmann, Berner Komm., Der Besitz, Art. 919-941 ZGB, Bern 2016, Art. 928 ZGB N 10, 12, 50 f.). 3.5. 4. 4.3. 4.4. 5. (…) 5.3. 6. 6.1. 6.2. Damit hat die Klägerin sowohl die Voraussetzungen der actio negatoria nach Art. 641 Abs. 2 ZGB wie auch die Voraussetzungen von Art. 928 ZGB nachgewiesen. Im Folgenden ist auf die von Amtes wegen erfolgten Feststellungen der Vorinstanz zur sachlichen Zuständigkeit und auf die Einwände der Beklagten einzugehen. 7. 7.1. 7.2. 7.3. Strassen und Wege können – wie vorliegend – auch im Eigentum von Privaten stehen. In einem solchen Fall kann das Gemeinwesen dem Privaten die Öffnung seines Grundeigentums nicht einfach aufzwingen; ein derartiges Vorgehen wäre mit der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) nicht zu vereinbaren, beseitigt doch die Widmung das Recht des Eigentümers, den Gemeingebrauch zu beschränken oder aufzuheben. Aus diesem Grund wird für die Widmung die Verfügungsmacht des (die Widmung) verfügenden Gemeinwesens an der zu widmenden Sache vorausgesetzt. Die Verfügungsmacht wird sich regelmässig daraus ergeben, dass das Gemeinwesen vom Eigentümer ein dingliches Recht erwirbt oder aber – genügende öffentliche Interessen vorausgesetzt – auf dem Weg der (entschädigungspflichtigen) Enteignung erfolgen kann. Schliesslich kann die Verfügungsmacht des Gemeinwesens auch darauf beruhen, dass der private Eigentümer den Gemeingebrauch durch Einverständnis zulässt; dieses kann auch formlos erteilt werden, wobei allerdings ein blosses Dulden der allgemeinen Benützung nicht genügt (Moser, a.a.O, S. 39 f.; vgl. BGer-Urteil 5A_348/2012 vom 15.8.2012 E. 4.3.2). 7.4. 7.5. 7.6. 7.6.1. 7.6.2. 7.6.3. 7.6.4. 7.7. 7.7.1. 7.7.2. 7.7.3. Die Vorinstanz hält fest, die Klägerin habe sich an die Vereinbarung vom 16. Juni 1995 zu halten. Wie bereits erwähnt, sind an eine schriftliche Zustimmung (welche der Erteilung des Enteignungsrechts gleichkommt) hohe Anforderungen zu stellen. Daher hat das Kantonsgericht die Vereinbarung vom 16. Juni 1995 nicht als schriftliche Zustimmung im Sinne von § 13 Abs. 2 StrG qualifiziert (vgl. E. 7.6.2). Somit kann in der Vereinbarung vom 16. Juni 1995 auch keine Zustimmung zur formlosen Widmung für den öffentlichen Gebrauch erblickt werden. Auch hält die Feststellung der Vorinstanz, die Vereinbarung vom 16. Juni 1995 sei nach Art. 261 OR von Gesetzes wegen auf die Klägerin übergegangen, einer näheren Prüfung nicht stand. Art. 261 OR bezieht sich einzig auf Mietverträge. Ein solcher liegt aber vorliegend nicht vor. Die Vorinstanz und die Beklagte vertreten die Ansicht, die Y-Strasse sei durch jahrelangen, widerspruchslosen Gebrauch konkludent formlos der Öffentlichkeit gewidmet worden. Diese Ansicht überzeugt schon deshalb nicht, weil die Widmung zum Gemeingebrauch definitionsgemäss nicht vom Grundeigentümer, sondern vom Gemeinwesen auszugehen hat (vgl. Moser, a.a.O., S. 41). Sodann hat die Klägerin dargelegt, dass sie spätestens ab 2005 immer wieder gegen Störungen, namentlich auch gegen solche durch Fussgänger interveniert hat. Zwar bezieht sich das Schreiben vom 9. Juni 2005 auf das Befahren der Y-Strasse durch Velo- und Töfffahrer, doch ging es bei den klägerischen Reklamationen gemäss den übrigen Schreiben von 2005, 2006 und 2008 implizit darum, dass unberechtigte Personen die Y-Strasse betraten. Die Klägerin hat zudem verneint, in der Zeit zuvor, untätig gewesen zu sein. Das hat die Beklagte nicht rechtsgenüglich bestritten. Von einem widerspruchslosen Dulden kann nicht die Rede sein. Anders als im Sachverhalt gemäss BGer-Urteil 5A_348/2012, wo die streitgegenständliche Strasse gemäss öffentlich-rechtlichen Vorgaben (Baubewilligungen) der Erschliessung bestimmter Gebiete diente, ist zudem vorliegend nicht ersichtlich, dass die Öffentlicherklärung der Y-Strasse für die Erschliessung umliegender und / oder gemeindeeigener Grundstücke zwingend nötig ist. Mit der Klägerin ist davon auszugehen, dass der erwähnte Entscheid für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt nicht einschlägig ist. Schliesslich ist daran zu erinnern, dass es nach der Vereinbarung vom 16. Juni 1995 nicht zum Grundbucheintrag eines öffentlichen Wegrechts kam. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Klägerin resp. deren Rechtsvorgänger mit einem solchen Eintrag nicht einverstanden erklärten, andernfalls dies längst erfolgt wäre. Die Annahme einer konkludenten Widmung steht damit im Widerspruch zum Willen der Klägerin resp. deren Rechtsvorgänger. 7.8. 7.9. "Öffentlich" im strassenverkehrsrechtlichen Sinn sind Strassen, welche nicht ausschliesslich privatem Gebrauch dienen (Art. 1 Abs. 2 VRV). Massgebend ist, dass die Verkehrsfläche einem unbestimmten Personenkreis zur Benützung offensteht (Waldmann/Kraemer, Basler Komm., Basel 2014, Art. 1 SVG N 19; Weissenberger, Komm. SVG, 2. Aufl. 2015, Art. 1 N 6). Öffentlich ist zum Beispiel eine im privaten Eigentum stehende Strassenparzelle, auf der ein vertraglich eingeräumtes öffentliches Fuss- und Fahrwegrecht lastet (BGer-Urteil 2A.194/2006 vom 3.11.2006 E. 2). Die streitgegenständliche Y-Strasse ist eine reine Privatstrasse, welche nicht zum Zweck des allgemeinen Gebrauchs erstellt (vgl. § 3 Abs. 1 StrG) bzw. nach dem Gesagten dazu mangels Widmung zum Gemeingebrauch auch nicht nachträglich bestimmt worden ist. Auch bestehen darauf kein öffentliches oder privates Fuss- und Fahrwegrecht oder andere privatrechtliche Einschränkungen (vgl. E. 8). Sie wird ausschliesslich privat genutzt und stellt auch keine öffentliche Verkehrsfläche dar, weshalb sie nicht dem Strassenverkehrsrecht des Bundes unterstellt ist (vgl. Moser, a.a.O., S. 57 und 64). Damit kommen SVG und SSV nicht zur Anwendung. Das Verfügungsrecht über die Strasse steht daher der Klägerin zu. 7.10. 8. 8.2 |