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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:02.03.2017
Fallnummer:1C 17 3
LGVE:2017 I Nr. 7
Gesetzesartikel:Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 126 ZPO, Art. 138 ff. ZPO.
Leitsatz:Voraussetzung für den Beginn eines Fristenlaufs ist eine Mitteilung. Diese ist den Parteien oder ihren Vertretern in den Formen von Art. 138 ff. ZPO zuzustellen. Der Fristbeginn ist vom fristansetzenden Gericht zu belegen. Versandart A-Post+ (E. 3). Die Nicht-Gewährung der Möglichkeit zur vorgängigen Stellungnahme zu einem Sistierungsgesuch der Gegenseite verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 4).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Aus den Erwägungen:

3.
3.1.
Eine Sistierungsverfügung kann innert zehn Tagen seit Zustellung mit Beschwerde angefochten werden (Art. 126 Abs. 2 i.V.m. Art. 321 Abs. 2 ZPO). Ebenfalls mit Beschwerde anfechtbar sind Fälle von Rechtsverzögerung (Art. 319 lit. c ZPO), wobei eine Beschwerde wegen Rechtsverzögerung jederzeit eingereicht werden kann (Art. 324 Abs. 4 ZPO).

Der Kläger macht geltend, er habe die Verfügung vom 30. Dezember 2016 erst nach seiner Abwesenheit am 13. Januar 2017 erhalten und deshalb mit seiner Eingabe vom 16. Januar 2017 die Beschwerdefrist gewahrt. Die Beklagte bestreitet, dass die Verfügung dem Kläger tatsächlich erst am 13. Januar 2017 zugegangen und damit die Beschwerde fristgerecht erfolgt sei.

3.2.
Voraussetzung für den Beginn eines Fristenlaufs ist eine Mitteilung. Diese ist den Parteien oder ihren Vertretern in den Formen von Art. 138 ff. ZPO zuzustellen. Die Zustellung von Vorladungen, Verfügungen und Entscheiden hat durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zu erfolgen (Art. 138 Abs. 1 ZPO). Nur andere Sendungen kann das Gericht durch gewöhnliche Post zustellen (Art. 138 Abs. 4 ZPO). Nur bei eingeschriebenen Postsendungen, die nicht abgeholt wurden, gilt die Sendung, sofern mit einer Zustellung gerechnet werden musste, am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellversuch als zugestellt.

Der Fristbeginn ist vom fristansetzenden Gericht zu belegen. Dieser Nachweis wird erbracht durch Zustellung als eingeschriebene Postsendung oder gegen Empfangsschein. Erfolgt die fristauslösende Zustellung versehentlich uneingeschrieben, kann der Nachweis vom Gericht auf jede andere Weise erbracht werden. Gelingt dieser Nachweis nicht, ist im Zweifel auf die Darstellung des Empfängers abzustellen (Benn, Basler Komm., 2. Aufl. 2013, Art. 142 ZPO N 16).

3.3.
Vorliegend erfolgte der Versand der (Sistierungs-) Verfügung an den Kläger nicht per Einschreiben, sondern lediglich per A-Post+ und damit nicht gehörig. (…)

Bei der – vorliegend unter Missachtung von Art. 138 Abs. 1 ZPO gewählten – Versandart A-Post+ wird im Unterschied zu den herkömmlichen Versandarten A-Post und B-Post die Sendung mit einer individuellen Sendungsnummer versehen und die Ablage in das Postfach oder der Einwurf in den Briefkasten des Empfängers elektronisch erfasst. Auf diese Weise ist es möglich, mithilfe des elektronischen Suchsystems "Track & Trace" den Sendungsverlauf der A-Post+ Sendung bis zum Empfangsbereich des Empfängers nachzuverfolgen. Im Unterschied zu den eingeschriebenen Briefpostsendungen wird beim Versand mittels A-Post+ der Empfang allerdings nicht durch den Empfänger mit einer Empfangsbestätigung quittiert und dementsprechend wird der Empfänger bei Abwesenheit auch nicht durch Hinterlegung einer Abholungseinladung avisiert. Wird von einer Zustellung gegen Empfangsbestätigung abgesehen, wie dies mit der Versandart A-Post+ der Fall ist, ist daher nicht erstellt, dass der Empfänger bei der postalischen Zustellung tatsächlich vom Zugang der Mitteilung Kenntnis erhält.

Aus den vorinstanzlichen Akten ist ersichtlich, dass die per A-Post+ versandte Verfügung gemäss dem Sendungsverfolgungsbeleg der Post am 31. Dezember 2016 in den Empfangsbereich des Klägers gelangte. Dass die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Kläger vor dem 13. Januar 2017 erfolgt wäre, ist damit indes nicht erstellt.

3.4.
Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass der Kläger entsprechend seiner Darstellung tatsächlich erst am 13. Januar 2017 Kenntnis von der Verfügung erhielt und damit mit seiner Eingabe vom 16. Januar 2017 die Beschwerdefrist wahrte. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten, zumal mit ihr auch eine Rechtsverzögerung gerügt wird und gegen eine solche jederzeit Beschwerde geführt werden kann.

4.
4.1.
Das Gericht kann das Verfahren sistieren, wenn die Zweckmässigkeit dies verlangt. Das Verfahren kann namentlich sistiert werden, wenn der Entscheid vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängig ist (Art. 126 Abs. 1 ZPO). Eine Sistierung ist grundsätzlich jederzeit und in allen Verfahren möglich, auch im Schlichtungsverfahren, im summarischen Verfahren und im vereinfachten Verfahren (Gschwend/Bornatico, Basler Komm., 2. Aufl. 2013, Art. 126 ZPO N 3).

Ob eine Sistierung zweckmässig ist, hat das Gericht unter Abwägung der Interessen der Parteien und dem Gebot der beförderlichen Prozesserledigung nach Ermessen zu entscheiden. Es hat das Interesse an der Sistierung dem gegenteiligen Interesse an der Beschleunigung des Verfahrens gegenüberzustellen. Aus dem Beschleunigungsgebot ergibt sich, dass Sistierungen eher zurückhaltend verfügt werden sollen (LGVE 2012 I Nr. 38 E. 3.1).

4.2.
Sind beide Parteien damit einverstanden, spricht in der Regel nichts gegen eine Sistierung. Wird sie bloss von einer Partei verlangt, trifft dies die Rechtsstellung der Gegenpartei. Deshalb sieht Art. 126 Abs. 2 ZPO eigens ein Beschwerderecht vor. Soll die Sistierung auf Antrag bloss einer Partei verfügt werden, stellt sich die Frage, ob der anderen Partei vorgängig das rechtliche Gehör einzuräumen ist. Diese Frage wurde schon vor geraumer Zeit vom Kantonsgericht und kürzlich auch vom Bundesgericht bejaht. Der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessende Anspruch auf rechtliches Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht dar beim Erlass eines Entscheids, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Die Bedeutung, die der Gesetzgeber dem (positiven) Sistierungsentscheid zumisst, zeigt sich darin, dass ausdrücklich die Beschwerdemöglichkeit eingeräumt wird (Art. 126 Abs. 2 ZPO); von besonderer Tragweite ist der Entscheid, weil eine Sistierung im Konflikt mit dem Beschleunigungsgebot steht und damit das verfassungsmässige Verbot der Rechtsverzögerung tangieren kann; die Nicht-Gewährung der Möglichkeit zur vorgängigen Stellungnahme verletzt daher den Anspruch auf rechtliches Gehör (BGer-Urteil 4A_307/2016 vom 08.11.2016 E. 2-2.4 mit Hinweisen; LGVE 2012 I Nr. 38 E. 3.2).

Indem die Schlichtungsbehörde den Kläger vorgängig nicht über das Sistierungsgesuch der Beklagten orientiert hat und ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme bot, sondern ihm das Gesuch erst mit dem bereits gefällten (positiven) Sistierungsentscheid zustellte, verletzte sie sein rechtliches Gehör, wie dies der Kläger in seiner Beschwerde mit dem Vorbringen, das Gesuch sei ihm ebenfalls erst am 13. Januar 2017 zugestellt worden, zumindest sinngemäss und nach dem Gesagten zu Recht rügt.