Instanz: | Kantonsgericht |
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Abteilung: | 4. Abteilung |
Rechtsgebiet: | Veterinärwesen |
Entscheiddatum: | 28.09.2017 |
Fallnummer: | 7H 17 61 |
LGVE: | 2017 IV Nr. 7 |
Gesetzesartikel: | Art. 4 TSchG, Art. 26 TSchG. |
Leitsatz: | Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung: Ein Abweichen von tatsächlichen Feststellungen in einem Strafurteil ist nur dann angezeigt, wenn sich aus den Akten oder den konkreten Umständen des Einzelfalls erhebliche Zweifel an deren Richtigkeit ergeben (E. 4.3). In der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber grundsätzlich frei (E. 4.4). |
Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig. |
Entscheid: | Der Veterinärdienst des Kantons Luzern kontrollierte am 9. Dezember 2016 die Kaninchenhaltung des A. Dabei wurden verschiedene Mängel festgestellt, welche namentlich die zu tiefe Raumtemperatur, die nicht fachgemäss ausgestatteten Nestkammern, das Fehlen von Nageobjekten und grob strukturiertem Futter sowie die unterbliebene Behandlung von kranken und nicht fachgerechte Tötung von sterbenden Tieren betrafen. Gegen die Verfügung des Veterinärdienstes, wonach alle Mängel zu beheben und Massnahmen per sofort bzw. innert angesetzter Frist zu erfüllen seien, erhob A Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Aus den Erwägungen:
4. 4.1. Der Beschwerdeführer bestreitet den Sachverhalt bzw. die Vorwürfe. So bringt er zusammengefasst vor, dass der Kaninchenstall im Zeitpunkt der Kontrolle in Renovation gewesen sei, sich mithin nicht im "Normalbetrieb", sondern im "Renovations-/Sanierungsbetrieb" befunden habe. Deshalb sei der Stall auch nicht entsprechend ausgerüstet gewesen und hätten beispielsweise die Nageobjekte teilweise gefehlt. Ferner sei bei der Kontrolle kein geeichtes Temperaturmessgerät zur Verfügung gestanden, so dass die Temperaturen nicht zuverlässig hätten gemessen werden können. Es stimme auch nicht, dass die Nestkammern nicht fest montiert gewesen seien; zudem seien Gemüsekisten als Nestkammern für die Kaninchen geeignet, ebenfalls die Hobelspäne als Nistmaterial. Ferner könne nebst Heu und Stroh auch anderes Futter verwendet werden. Der Vorwurf, dass der Beschwerdeführer kranke Kaninchen ihrem Schicksal überlasse, sei darüber hinaus haltlos.
4.2. Gestützt auf den (vorliegend umstrittenen) Sachverhalt wurde der Beschwerdeführer mittels Strafbefehl vom 2. März 2017 der Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz, begangen durch ungenügende Pflege von Kaninchen (keine tierärztliche Behandlung von kranken und sterbenden Kaninchen; Tierquälerei) sowie durch nicht vorschriftsgemässe Einrichtung von Kaninchengehegen (ungenügende Einstreu, kein Nistmaterial für Zibben, keine bzw. ungeeignete Nageobjekte), in Anwendung von Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 26 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 lit. a des Tierschutzgesetzes (TSchG; SR 455), Art. 3 Abs. 1, 2 und 3, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 1 und 2, Art. 11 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 und 2 lit. a, Art. 64 Abs. 1, Art. 65 Abs. 3 und 4 der Tierschutzverordnung (TSchV; SR 455.1) sowie Art. 34 der Verordnung des BLV über die Haltung von Nutztieren und Haustieren (SR 455.110.1) schuldig gesprochen. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft an, dass die Temperatur in der Industriehalle zum Zeitpunkt der Kontrolle teilweise weniger als 10°C betragen habe, der Beschwerdeführer es dennoch pflichtwidrig unterlassen habe, allen Kaninchen genügend Einstreu zur Verfügung zu stellen. Im Weiteren sei festgestellt worden, dass er den rund 200 Kaninchen pflichtwidrig kein grob strukturiertes Futter wie Heu oder Stroh sowie rund 133 Kaninchen kein geeignetes Objekt zum Benagen zur Verfügung gestellt habe. Die Gehege einiger Zibben seien zudem umfunktionierte, nicht fix angebrachte und mit Hobelspänen ausgelegte Plastikkisten gewesen, die als Nestkammern hätten dienen sollen. Solche Plastikkisten seien jedoch nicht als Nest geeignet, weil sie einerseits von der Zibbe herumgeschoben werden könnten, wodurch die Jungtiere erheblich gestört würden, und andererseits das Nistmaterial durch die Spalten im Kistenboden herausfallen könne, so dass die Jungtiere bald ein Nest ohne Nistmaterial hätten. Auch handle es sich bei Hobelspänen nicht um geeignetes Nistmaterial, da Zibben dieses nur schlecht ins Maul nehmen und ins Nest tragen könnten. Gemäss Angaben des Beschwerdeführers käme er seiner Verantwortung als Tierhalter, kranke oder sterbende Tiere unverzüglich ihrem Zustand entsprechend unterzubringen, zu pflegen und zu behandeln oder zu töten, teilweise nicht nach. So habe er es wiederholt unterlassen, kranke oder sterbende Kaninchen einem Tierarzt vorzustellen oder diese zu töten. Gemäss eigenen Angaben verendeten pro Jahr ca. 10 erwachsene Kaninchen auf seinem Betrieb.
4.3. 4.3.1. Ein Strafurteil vermag die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu binden. Allerdings gebietet der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, widersprüchliche Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden, weshalb die Verwaltungsbehörde beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters nur abweichen darf, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren oder wenn sie zusätzliche Beweise erhebt sowie wenn der Strafrichter bei der Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht sämtliche Rechtsfragen abgeklärt hatte (BGE 139 II 95 E. 3.2, 137 I 363 E. 2.3.2; BGer-Urteil 1C_402/2015 vom 10.2.2016 E. 2.3). Die Verwaltungsbehörde hat vor allem auf die Tatsachen im Strafurteil abzustellen, wenn dieses im ordentlichen Verfahren mit öffentlicher Verhandlung unter Anhörung von Parteien und Einvernahme von Zeugen erging, es sei denn, es bestünden klare Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Tatsachenfeststellung; in diesem Fall hat die Verwaltungsbehörde nötigenfalls selbstständige Beweiserhebungen durchzuführen (BGE 136 II 447 E. 3.1). Die Verwaltungsbehörde ist aber auch an einen Strafentscheid gebunden, der im Strafbefehlsverfahren erging, bei dem die Behörde auf einen Polizeibericht abstellt, der auf Wahrnehmungen der Polizeibeamten an Ort und Stelle beruht und sich auf Aussagen von Beteiligten stützt, die unmittelbar nach dem Vorfall eingeholt wurden. Dies gilt namentlich, wenn der Betroffene weiss oder davon ausgehen muss, dass neben dem Strafverfahren ein Administrativverfahren eröffnet wird. Entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben muss der Betroffene allfällige Verteidigungsrechte und Beweisanträge im Strafverfahren vorbringen und dort gegebenenfalls alle Rechtsmittel ausschöpfen (statt vieler für den Entzug von Führerausweisen: BGE 123 II 97 E. 3c/aa; Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 16 65 vom 2.11.2016 E. 5.2).
4.3.2. Vorliegend wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. Januar 2017 über die Anzeige an die Staatsanwaltschaft orientiert und die Vorinstanz eröffnete ihm mit Schreiben vom gleichen Tag, eine administrativrechtliche Verfügung erlassen zu wollen. Der Beschwerdeführer wusste demnach von den parallel eingeleiteten Straf- und Administrativverfahren. Dennoch setzte sich der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer bloss im administrativrechtlichen Verfahren konsequent zur Wehr und liess den Strafbefehl – und damit die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen der Staatsanwaltschaft – nachdem er Einsprache erhob und ausführlich einvernommen wurde nach Lage der Akten letztlich in Rechtskraft erwachsen.
4.3.3. Wenn der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren nun geltend macht, der Sachverhalt sei unrichtig festgestellt worden, so betreffen diese Vorbringen die Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht, welche jedoch im Strafverfahren bereits untersucht, im Einzelnen gehört und letztlich als Grundlage für Schuldspruch und Strafe in Rechtskraft erwuchsen. Er verkennt m.a.W. die grundsätzliche Massgeblichkeit dieser Feststellungen aus dem strafrechtlichen Verfahren. Entgegen seiner Auffassung ist es mit Treu und Glauben nicht vereinbar, die strafrechtliche Verurteilung zu akzeptieren und gegen deren tatsächlichen Grundlagen im anschliessenden Administrativverfahren Einwände zu erheben (vgl. BGer-Urteil 1C_503/2016 vom 12.1.2017 E. 3.1.2 a.z.F.). Wenn der Beschwerdeführer die Feststellungen des Veterinärdiensts vor Ort (insbesondere etwa betreffend die gemessene Temperatur bzw. die Haltung der Kaninchen) bestreitet, hätte er diese bedeutsame Sachverhaltsvariation bereits im Strafverfahren geltend machen können und müssen.
Ein Abweichen durch die Administrativbehörde vom Strafurteil erscheint namentlich nur dann angezeigt, wenn sich aus den Akten oder den konkreten Umständen des Einzelfalls erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen ergeben und deshalb Anlass dafür besteht, zusätzliche Beweise zu erheben bzw. Tatsachen festzustellen (BGer-Urteil 1C_503/2016 vom 12.1.2017 E. 3.1.2 m.H.). Vorliegend ist jedoch keine solche Konstellation gegeben, vielmehr ergibt sich aus den Akten, namentlich dem Polizeirapport vom 13. Januar 2017 und insbesondere der Fotodokumentation ein Gesamtbild, welches – vor dem Hintergrund der Feststellungen der Strafbehörden – die angefochtene Verfügung zutreffend erscheinen lässt. Auf diese Feststellungen kann im vorliegenden Verfahren nicht mehr zurückgekommen werden, auch wenn es sich bei den angetroffenen Zuständen angeblich bloss um eine vorübergehende Situation gehandelt habe. Dieser Umstand genügt für sich allein noch nicht, um von dem im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt Abstand zu nehmen.
4.3.4. Zusammenfassend liegen im vorliegenden Verfahren keine Tatsachen vor, welche dem Strafrichter nicht bekannt waren, vielmehr werden die angeordneten Massnahmen durch die Feststellungen desselben gerade gestützt. Aus denselben Gründen sind auch keine zusätzlichen Beweise zu erheben, erweist sich doch der rechtskräftig festgestellte Sachverhalt als schlüssig und ist die Verwaltungsbehörde und das Gericht im Überprüfungsverfahren folglich gezwungen, diesen vorbehaltlos auch ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde zu legen. Zudem entspricht es der grundsätzlichen Bindung an das Strafurteil, dass die Administrativbehörden, aber auch das Gericht im Anfechtungsverfahren, in der Regel keine eigenen Sachverhaltserhebungen vorzunehmen haben. Zu solchen sind sie nur verpflichtet, wenn klare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Sachverhaltsfeststellungen im Strafurteil unrichtig sind – was vorliegend gerade zu verneinen ist (E. 4.3.3 hiervor; vgl. BGE 119 Ib 158 E. 3c/aa), bräuchte es doch dafür eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung mit tauglichen Beweisen oder deren Offerten, während sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen auf Wiederholungen der Vorbringen und Bestreitungen im Strafverfahren beschränkte. Schliesslich sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Strafrichter nicht sämtliche Rechtsfragen abgeklärt hätte. Demzufolge liegen keine Umstände vor, welche ein Abweichen von den Feststellungen im Strafverfahren veranlassen bzw. gar notwendig machen würden. Die Verwaltungsbehörde ist an die im Strafverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden und es besteht kein Spielraum für weitergehende Abklärungen.
4.3.5. Damit steht – einhergehend mit dem rechtskräftigen Strafbefehl – in tatsächlicher Hinsicht fest, dass die Kaninchen ungenügend gepflegt wurden (keine tierärztliche Behandlung von kranken und sterbenden Kaninchen) und deren vorschriftsgemässe Einrichtung der Gehege nicht gewährleistet war (ungenügende Einstreu, kein Nistmaterial für Zibben, keine bzw. ungeeignete Nageobjekte). Auf die Erhebung weiterer Beweise, namentlich die beantragten Zeugeneinvernahmen, ist zu verzichten.
4.4. 4.4.1. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber frei, ausser wenn die rechtliche Qualifikation stark von der Würdigung von Tatsachen abhängt, die der Strafrichter besser kennt, etwa weil er den Beschuldigten persönlich einvernommen hat (BGE 136 II 447 E. 3.1, 124 II 103 E. 1c/aa und bb). Auch in diesem Zusammenhang hat die Behörde jedoch den eingangs genannten Grundsatz (Vermeiden widersprüchlicher Urteile) gebührend zu berücksichtigen (BGer-Urteil 1C_424/2012 vom 14.1.2013 E. 2.3).
4.4.2. Vorliegend wurde der Beschwerdeführer am 2. Mai 2017 staatsanwaltschaftlich einvernommen. Das Protokoll sowie die Beweismittel, auf welche sich die Staatsanwaltschaft stützte, liegen indes auch dem Kantonsgericht vor, weshalb es betreffend die Würdigung des Sachverhalts gleich gestellt ist wie der Strafrichter. Das Gericht ist somit in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich nicht an den Strafbefehl vom 2. März 2017 gebunden. Folglich ist zu prüfen, ob die einzelnen, verfügten Massnahmen einer rechtlichen Überprüfung standhalten. |