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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilrecht
Entscheiddatum:06.07.2017
Fallnummer:1B 15 4
LGVE:2017 I Nr. 15
Gesetzesartikel:Art. 8 ZGB; Art. 259 OR, Art. 260a OR, Art. 264 OR, Art. 267 OR, Art. 267a OR.
Leitsatz:Mietrecht: Pflicht zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Voraussetzungen und Beweislast für Schäden aus nicht ordnungsgemässer Rückgabe der Mietsache; Mängelrüge des Vermieters.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Die Parteien unterzeichneten einen "Mietvertrag mit Nebenverpflichtungen". Die Klägerin vermietete der Beklagten verschiedene Räume ihrer Liegenschaft. Es war beabsichtigt, das Gebäude zu renovieren, zu erweitern und umzubauen. Die Beklagte verpflichtete sich dabei, bestimmte Mieträume in eigener Regie und auf eigene Kosten einer Sanierung zu unterziehen. Am 30. September 2009 kündigte die Beklagte den Mietvertrag aus wichtigem Grund gemäss Art. 266g des Obligationenrechts (OR; SR 220) auf den 31. März 2010. Mit Schreiben vom 6. Januar 2010 kündigte die Beklagte das Mietverhältnis erneut aus wichtigem Grund. Die Klägerin hat die beiden Kündigungen angefochten. Die Klägerin verlangte von der Beklagten unter anderem die Bezahlung von Mietzinsen und der Sanierungskosten sowie Ersatz für ihr entstandene Kosten für Planänderungen und bauliche Massnahmen. Für die von der Beklagten nicht ausgeführte Sanierung bzw. die Instandstellung und die Wiederherstellung der von der Beklagten ausgeführten Umbauarbeiten fordert die Klägerin Fr. 890'000.--. Das Bezirksgericht wies die Klage vollumfänglich ab.

Aus den Erwägungen:

8.3.
Die Klägerin begründet ihre Ansprüche mit der vorzeitigen Rückgabe der Mietsache gemäss Art. 264 OR. Die im vorliegenden Fall analog vorzunehmende Anwendung dieser Bestimmung führte zu einer Mietzinszahlungspflicht der Beklagten trotz Nichtübernahme der Mietsache. Konsequenterweise sind auch die übrigen mietrechtlichen Bestimmungen zur vorzeitigen Rückgabe der Mietsache und deren Folgen und Auswirkungen auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden.

Der Mieter muss die Sache in dem Zustand zurückgeben, der sich aus dem vertragsgemässen Gebrauch ergibt (Art. 267 Abs. 1 OR). Wie dargelegt, begründet die vorzeitige Rückgabe der Mietsache durch den Mieter eine Rücknahmeobliegenheit des Vermieters. Der Vermieter ist nicht berechtigt, die ihm angebotene Rückgabe der Mietsache zu verweigern, auch nicht wegen Mängeln, die seiner Meinung nach der Mieter zu verantworten hat. Dies gilt auch dann, wenn der Mieter die Sache vorzeitig zurückgibt, denn dann besteht die Rücknahmeobliegenheit gestützt auf Art. 264 OR (Weber, Basler Komm., 6. Aufl. 2015, Art. 267 OR N 3a).

Die Beklagte hat spätestens mit der zweiten Kündigung vom 6. Januar 2010 unmissverständlich und verbindlich zum Ausdruck gebracht, dass sie das Mietobjekt nicht übernehmen werde. Ob bereits die Einstellung der Arbeiten der Sanierung bzw. die erste Kündigung vom 30. September 2009 oder die am 1. Dezember 2009 auf Verlangen der Klägerin erfolgte Rückgabe der Schlüssel als vorzeitige Rückgabe des Mietobjekts zu qualifizieren wäre, kann offenbleiben, wobei festzuhalten ist, dass die Klägerin bereits in dieser Phase im Hinblick auf eine anderweitige Nutzung bzw. Vermietung eine Projektänderung plante und mit deren Umsetzung begann.

Die Pflicht zur Wiederherstellung des vertragsgemässen Zustands nach Art. 260a Abs. 2 OR steht in einem direkten Zusammenhang mit den Pflichten des Mieters bei der Rückgabe der Mietsache gemäss Art. 267 Abs. 1 OR. Der Zeitpunkt der Rückgabe definiert zusätzlich, was unter dem Zustand zu verstehen ist, den der Mieter wiederherzustellen hat: Die Sache ist nicht neuwertig, sondern in der Gestalt zurückzugeben, die sie beim Mietantritt bzw. – wie vorliegend – vor der Erneuerung/Änderung besass, und in dem Zustand, der beim vertragsgemässen Gebrauch im Rückgabezeitpunkt zu erwarten gewesen wäre (Higi, Zürcher Komm., Die Miete, Zürich 1995, Art. 260a OR N 35; vgl. auch SVIT-Kommentar, Das Schweizerische Mietrecht, 3. Aufl. 2008, Art. 260-260a OR N 66 und N 71 ff.).

Als Schadenersatz hat der Mieter dem Vermieter die wirtschaftlichen Einbussen zu ersetzen, die dieser durch die Abweichung der zurückgegebenen Sache vom ordnungsgemässen Zustand i.S.v. Art. 267 Abs. 1 OR erlitten hat. In erster Linie sind die Kosten der Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands zu ersetzen, d.h. – neben den (Rückbau-) Kosten für das Entfernen der Mieterbauten – die Reparaturkosten, und zwar im vollen Umfang; ein aus reinen Reparaturarbeiten allenfalls resultierender "Mehrwert" ist zu vernachlässigen. Ist eine Reparatur nicht möglich, so sind an Stelle der Reparatur- bzw. Wiederherstellungskosten die Kosten eines Ersatzes der Sache oder des irreparablen Sachteils zu ersetzen. Bei solchen Ersatzanschaffungen bildet der Zustandswert der Sache die obere Grenze der Haftung. Er ist abhängig von Alter und normaler Lebensdauer; zur Berechnung ist praxisgemäss eine Orientierung an den auf Erfahrungswerten beruhenden paritätischen Lebensdauertabellen der Mieterverbände und der Verbände der Immobilienwirtschaft zulässig, wobei je nach Qualität der fraglichen Einrichtung und Zweckbestimmung der Mietsache Korrekturen nach oben oder unten vorzunehmen sind. Verursacht eine Reparatur so hohe Kosten, die in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten einer Neu- bzw. Ersatzanschaffung stehen oder diese sogar übersteigen, hat der Mieter die Kosten der Neu- bzw. Ersatzanschaffung (unter Berücksichtigung des Zustandswerts) zu ersetzen. Stets vollen Ersatz zu leisten hat der Mieter für die Behebung von kleineren Mängeln im Sinne von Art. 259 OR (Higi, a.a.O., Art. 267 OR N 101-112; Weber, a.a.O., Art. 267 OR N 4 f.; SVIT-Kommentar, a.a.O., Art. 267-267a OR N 12 und N 21 ff.).

Hat der Mieter mit Zustimmung des Vermieters Erneuerungen oder Änderungen an der Mietsache vorgenommen, so ist er mangels einer abweichenden schriftlichen Vereinbarung von der Verpflichtung zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands entbunden (Art. 260a Abs. 1 und 2 OR).

Die Beweislast für den Schaden, den der Vermieter aus der nicht ordnungsgemässen Rückgabe einer Mietsache erlitten hat, richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen (Art. 8 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs [ZGB; SR 210]). Damit ist der Vermieter für sämtliche Voraussetzungen der Mieterhaftung mit Ausnahme des Verschuldens des Mieters beweisbelastet. Nachzuweisen ist – neben dem Kausalzusammenhang – der Bestand und der konkrete, ziffernmässige Umfang des Schadens (Art. 97 i.V.m. Art. 42 Abs. 1 OR; Weber, a.a.O., Art. 267 OR N 5; SVIT-Kommentar, a.a.O., Art. 267-267a OR N 30).

Wenn die Mietsache ohnehin einer Erneuerung unterzogen wird, entsteht dem Vermieter für Mängel und Beschädigungen, welche im Rahmen der Erneuerung ohnehin behoben bzw. beseitigt werden, im Regelfall keine wirtschaftliche Einbusse und damit kein Schaden (Higi, a.a.O., Art. 267 OR N 119).

8.4.
Die Klägerin beruft sich auf einen Kostenvoranschlag.

Aus dem Ingress des Mietvertrags vom 7. November 2008 ist ersichtlich, dass die Klägerin ursprünglich beabsichtigte, einen Teil der Mieträumlichkeiten einer umfassenden Renovation aussen und innen zu unterziehen. Die Beklagte schlug vor, die Renovation innen auf das Notwendige zu beschränken und die Mieträume lediglich einer "Soft Sanierung" zu unterziehen. Die Parteien vereinbarten, die Beklagte werde diese "Soft Sanierung" in eigener Regie und auf eigene Kosten vornehmen. Die Beklagte begann nicht, wie im Vertrag vorgesehen, erst nach Vorliegen der rechtskräftigen Baubewilligung mit der "Soft Sanierung", sondern bereits im Herbst 2009, indem sie Rückbaumassnahmen und Abbrucharbeiten vornahm (gemäss Angaben der Klägerin u.a. Entfernen von elektrischen Leitungen, Bodenbelägen, abgehängten Decken und gewissen Wänden). Dies erfolgte mit Wissen und mit Einverständnis der Klägerin.

Daraus ergibt sich zum einen, dass die Änderungen der Beklagten an der Mietsache, soweit sie Rückbaumassnahmen und Abbrucharbeiten beinhalteten, mit Zustimmung der Klägerin erfolgten. Insoweit war die Beklagte deshalb von der Verpflichtung zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands (z.B. Wiedereinbau der demontierten alten Bodenbeläge, Wandbeläge in den Nasszellen, Elektroinstallationen und Sanitärapparate), entbunden. Daraus ergibt sich zum anderen, dass diese Rückbaumassnahmen und Abbrucharbeiten im Rahmen der von der Klägerin ursprünglich beabsichtigten umfassenden Renovation ohnehin vorzunehmen gewesen wären. Insoweit entstanden der Klägerin keine wirtschaftliche Einbusse und damit kein Schaden.

Gleiches gilt für den Ersatz der von der Beklagten demontierten alten Einrichtungen und Installationen. Der Kostenvoranschlag führt unter der Rubrik "Wiederherstellung" etwa komplett neu und nach den gültigen Installationsvorschriften zu erstellende Elektroinstallationen mit neuem Installationskonzept, neuer Steuerung und energieeffizienten Leuchtmitteln, eine komplett neu zu erstellende Wärmeverteilung/Erschliessung der Heizkörper/Wärmemessung und den Ersatz sämtlicher Innentüren zur Erfüllung der gültigen Vorschriften bezüglich Brand- und Schallschutz auf. Bei solchen Ersatzanschaffungen würde überdies der Zustandswert die obere Grenze der Haftung bilden. Gleiches gilt etwa für den ebenfalls unter der Rubrik "Wiederherstellung" aufgeführten Ersatz der von der Beklagten demontierten Sanitäranlagen, Boden- und Wandbeläge und Deckenverkleidungen sowie für neue Wand- und Deckenverputze und Anstriche. Zum Alter bzw. zum Zustandswert dieser Einrichtungen macht die Klägerin keine Angaben. Zu beachten ist diesbezüglich auch, dass gemäss Mietvertrag vom 7. November 2008 eine Sanierung u.a. der Heizungsanlage inkl. Leitungen und Heizkörper sowie der elektrischen Anlage mit Ausnahme der Leitungen und Anschlüsse ohnehin auf Kosten der Klägerin und nicht der Beklagten vorzunehmen gewesen wäre.

Von vornherein nicht als Schaden geltend gemacht werden können sodann die Kosten für einen "zusätzliche Mindestausbau", d.h. etwa für die Demontage der bestehenden Fenster und die Montage von neuen Fenstern aus Holz/Metall, für das Erstellen von Installationsschächten oder für den Ersatz bestehender Wandschränke und Regale. Zu beachten ist diesbezüglich auch, dass der damalige Zustand der Fenster im Mietvertrag vom 7. November 2008 als akzeptabel bezeichnet wurde und dass ein allfälliger Austausch oder eine Sanierung dieser Fenster ohnehin auf Kosten der Klägerin und nicht der Beklagten vorzunehmen gewesen wäre.

Was bleibt, wären allenfalls die Kosten etwa für das Wiederherstellen (Zumauern) der von der Beklagten erstellten diversen Wanddurchbrüche, Decken- und Wandschlitze, für die Ergänzung der Unterlagsböden im Bereich der abgebrochenen Wände oder für den Wiederaufbau der von der Beklagten teilweise abgebrochenen Wände und für das Entfernen der von der Beklagten im Bereich der bestehenden Türen eingebauten Stahlträger. Dies würde allerdings voraussetzen, dass diese Arbeiten weder mit Wissen und Willen der Klägerin vorgenommen worden noch im Rahmen der von der Klägerin ursprünglich vorgesehenen Gesamtrenovation ohnehin vorzunehmen gewesen wären. Beides ist nicht dargetan.

Vor diesem Hintergrund ist bereits der Bestand eines Schadens nicht nachgewiesen. Daran würde auch eine Expertise nichts ändern. Gleiches gilt auch für die Höhe eines allfälligen Schadens, zumal fehlende tatsächliche Behauptungen, hier etwa betreffend Alter und Zustandswert der Einrichtungen, ohnehin nicht durch Beweisanträge ersetzt werden können.

8.5.
Schliesslich ist festzuhalten, dass der Vermieter bei der Rückgabe der Mietsache den Zustand der Sache prüfen und Mängel, für die der Mieter einzustehen hat, diesem sofort melden muss. Versäumt dies der Vermieter, so verliert er seine Ansprüche, soweit es sich nicht um Mängel handelt, die bei übungsgemässer Untersuchung nicht erkennbar waren (Art. 267a Abs. 1 und 2 OR). Die vorzeitige Rückgabe des Mietobjekts löst beim Vermieter die gleichen Obliegenheiten aus wie die rechtzeitige Rückgabe (Spirig, Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl. 2016, S. 747). Auch diese Bestimmungen sind im vorliegenden Fall (Vornahme der Arbeiten durch die Beklagte und Rückgabe/Rücknahme der Mietsache vor dem eigentlichen Mietantritt) analog anzuwenden. Die Mängelrüge hat sofort zu erfolgen. Rügen, die innerhalb einer Woche nach der Rückgabe der Mietsache erfolgen, sind in der Regel noch rechtzeitig (SVIT-Kommentar, a.a.O., Art. 267-267a OR N 35 mit Hinweisen).

Die Klägerin hat weder behauptet noch belegt, dass sie die geltend gemachten Mängel innert nützlicher Frist nach der (vorzeitigen) Rückgabe/Rücknahme des Mietobjekts gerügt hat. Ob diese erst im Zusammenhang mit der Kündigung vom 6. Januar 2010 erfolgte, oder ob bereits die Einstellung der Arbeiten der "Soft Sanierung" bzw. die erste Kündigung vom 30. September 2009 oder die am 1. Dezember 2009 auf Verlangen der Klägerin erfolgte Rückgabe der Schlüssel als vorzeitige Rückgabe des Mietobjekts zu qualifizieren ist, wie dies die Klägerin geltend machte und macht, kann auch in diesem Zusammenhang offenbleiben, da zu keinem dieser Zeitpunkte eine sofortige Rüge behauptet oder dargetan ist.

Mangels rechtzeitiger Rüge wären damit – entgegen dem oben Gesagten (E. 8.4) allfällig bestehende – Ansprüche gegenüber der Beklagten verwirkt (Weber, a.a.O., Art. 267a OR N 5; Spirig, a.a.O., S. 747; SVIT-Kommentar, a.a.O., Art. 267-267a OR N 38; Higi, a.a.O., Art. 267a OR N 21). Auch unter diesem Aspekt erübrigen sich Beweiserhebungen zu Bestand und Höhe eines Schadens.