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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:29.11.2017
Fallnummer:1C 17 38
LGVE:2017 I Nr. 20
Gesetzesartikel:Art. 204 Abs. 1 ZPO.
Leitsatz:Für die einfache Gesellschaft reicht bezüglich Pflicht zum persönlichen Erscheinen an der Schlichtungsverhandlung in der Regel die Anwesenheit eines einzigen geschäftsführenden Gesellschafters aus.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Die "Einfache Gesellschaft Geschwister A", bestehend aus B, C und D, c/o und vertreten durch B, als Vermieterin sowie E und F als Mieter schlossen im Mai 2014 einen Mietvertrag. Im Juli 2017 gelangten E und F an die Schlichtungsbehörde Miete und Pacht und beantragten, B, C, und D seien zur Behebung von diversen Mängeln zu verpflichten und der Mietzins sei bis zur Behebung der Mängel um 30 % zu reduzieren. Die Schlichtungsbehörde lud die Gesuchsteller E und F sowie die Gesuchsgegner B, C und D zum persönlichen Erscheinen zur Schlichtungsverhandlung vom 28. September 2017 vor. An der Verhandlung waren E und F sowie B und D anwesend. In ihrem Urteilsvorschlag vom 28. September 2017 führte die Schlichtungsbehörde aus, nachdem die Beklagte säumig sei, werde verfahren, wie wenn keine Einigung zustande gekommen wäre. Mit Entscheid vom 28. September 2017 verpflichtete das präsidierende Mitglied der Schlichtungsbehörde C zur Bezahlung einer Ordnungsbusse von Fr. 300.--. Zur Begründung wurde ausgeführt, zur Schlichtungsverhandlung sei die Beklagte unentschuldigt nicht vollständig erschienen. Das Verhalten von C erfülle die Voraussetzungen für das Aussprechen einer Ordnungsbusse nach Art. 128 Abs. 3 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272). Das Kantonsgericht hiess die von C gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde gut.

Aus den Erwägungen:

4.2.
Bei der Vermieterschaft handelt es sich unbestrittenermassen um eine einfache Gesellschaft gemäss Art. 530 des Obligationenrechts (OR; SR 220), bestehend aus dem Beschwerdeführer und seinen beiden Brüdern. Da eine einfache Gesellschaft keine juristische Person ist und sie nicht rechts- und prozessfähig ist (vgl. Art. 66 f. ZPO), kann sie nicht Partei eines Prozesses sein. Soweit die Schlichtungsbehörde die einfache Gesellschaft in ihren Erwägungen als "die Beklagte" bezeichnet, ist dies unpräzis. Das Schlichtungsgesuch der Mieterschaft richtete sich denn auch richtigerweise gegen die drei Gesellschafter (vgl. Truniger, in: Gauch/Aepli/Stöckli [Hrsg.], Präjudizienbuch OR, 9. Aufl. 2016, Art. 530 OR N 5 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung).

4.3.
4.3.1.
Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen (Art. 204 Abs. 1 ZPO). Grund dafür ist, dass eine Schlichtungsverhandlung nach Einschätzung des Gesetzgebers nur bei persönlicher Anwesenheit der Parteien aussichtsreich ist (ausführlich dazu BGE 140 III 70 E. 4.3).

4.3.2.
Die Pflicht zum persönlichen Erscheinen gilt auch für juristische Personen. Diese sind an der Schlichtungsverhandlung genügend "vertreten", wenn die erscheinende Person nach den zivilrechtlichen Regeln rechtsgültig für sie handeln kann. Persönliches Erscheinen einer juristischen Person bedeutet insofern, dass eine Person zu erscheinen hat, die zur Abgabe prozessualer Erklärungen befugt ist. Dazu sind in erster Linie ihre Organe berufen (Art. 54 und 55 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs [ZGB; SR 210]; ausführlich dazu und zu weiteren Varianten der "Vertretung" von juristischen Personen an der Schlichtungsverhandlung und deren Voraussetzungen BGE 140 III 70 E. 4.3 f.).

4.3.3.
Die einfache Gesellschaft ist keine juristische Person, sondern eine Personengesellschaft. Bei nicht im Handelsregister eingetragenen Personengesellschaften (einfache Gesellschaft sowie Kollektiv- und Kommanditgesellschaft vor dem Eintrag) gelten bezüglich Pflicht zum persönlichen Erscheinen die Geschäftsführungsregeln gemäss OR. Dies bedeutet für die einfache Gesellschaft, dass in der Regel (zu den Ausnahmen vgl. E. 4.4 nachstehend) die Anwesenheit eines einzigen geschäftsführenden Gesellschafters an der Schlichtungsverhandlung ausreicht (Art. 535 und 543 f. OR; Wyss, in: Baker/McKenzie [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, Bern 2010, Art. 204 ZPO N 3; Alvarez/Peter, Berner Komm., Bern 2012, Art. 204 ZPO N 2; Schrank, Das Schlichtungsverfahren nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Basel 2015, S. 270 f. Rz 420).

4.4.
Vorliegend waren an der Schlichtungsverhandlung zwei von drei Mitgliedern der einfachen Gesellschaft anwesend. Dass einem oder gar beiden Gesellschaftern aufgrund eines Vertrags oder Beschlusses und damit im Sinne einer Ausnahme (vgl. Art. 535 Abs. 1 OR) keine Geschäftsführungsbefugnis zugekommen wäre, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich. Steht die Geschäftsführung entweder allen oder mehreren Gesellschaftern zu, so kann jeder von ihnen ohne Mitwirkung der übrigen handeln (Art. 535 Abs. 2 OR). Dass vorliegend ein Gesellschafter im Sinne einer Ausnahme von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht hätte (vgl. auch dazu Art. 535 Abs. 2 OR), ist ebenfalls weder geltend gemacht noch ersichtlich. Weiter kann einem Gesellschafter die Einwilligung zur Vornahme von Rechtshandlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb der gemeinschaftlichen Geschäfte hinausgehen (vgl. Art. 535 Abs. 3 OR), nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend erteilt werden (vgl. Fellmann/Müller, Berner Komm., Bern 2006, Art. 535 OR N 96). Schliesslich besteht eine gesetzliche Vermutung für die Ermächtigung des einzelnen geschäftsführenden Gesellschafters, die Gesellschaft oder sämtliche Gesellschafter gegenüber Dritten zu vertreten (Art. 543 Abs. 3 OR). Auf diese Vermutung kann sich einerseits der handelnde Geschäftsführer gegenüber seinen Mitgesellschaftern, anderseits aber auch der Dritte berufen.

4.5.
Vorliegend trat B von Beginn weg als Geschäftsführer der Gesellschaft auf und war bei allen Beteiligten als solcher anerkannt (vgl. z.B. seine Unterzeichnung des Mietvertrags vom y.5.2014 und der Mietvertragsänderung vom x.7.2016 im Namen der Gesellschaft). Von der Schlichtungsverhandlung hatten alle Gesellschafter Kenntnis. Wenn sie sich entschlossen, einen bzw. zwei geschäftsführende(n) bzw. geschäftsführungsbefugte(n) Gesellschafter an die Schlichtungsverhandlung zu delegieren, war dies nach dem Gesagten im Hinblick auf die Pflicht zum persönlichen Erscheinen gemäss Art. 204 Abs.1 ZPO zulässig und gleichzeitig ausreichend.

Aufgrund der erwähnten gesetzlichen Bestimmungen und Vermutungen des OR zur einfachen Gesellschaft setzt eine solche Delegation – entgegen der Auffassung der Schlichtungsbehörde – im Übrigen keine schriftliche Vollmachterteilung durch einen Gesellschafter voraus, der sich dergestalt "vertreten" lassen will. Einzelgeschäftsführungsbefugnis und Vertretungsvollmacht des erscheinenden Gesellschafters sind ebenso zu vermuten wie die Ermächtigung zur Abgabe prozessualer Erklärungen an den erscheinenden Gesellschafter durch denjenigen, der sich in Kenntnis der Vorladung bzw. der Verhandlung "vertreten" lässt. Ebenso wenig vorausgesetzt ist – entgegen der Auffassung der Schlichtungsbehörde – ein vorgängiges Dispensationsgesuch bzw. die Dispensation eines solchen Gesellschafters. Entscheidend und ausreichend ist, dass letztlich ein geschäftsführender Gesellschafter zur Schlichtungsverhandlung erscheint (vgl. oben E. 4.3.3 und 4.4).

4.6.
Nach dem Gesagten war bereits mit der Anwesenheit des geschäftsführenden Gesellschafters B an der Schlichtungsverhandlung das Erfordernis des persönlichen Erscheinens gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt.

Die Schlichtungsbehörde ist zu Unrecht von einem nicht ordnungsgemässen Erscheinen der beklagten Partei ausgegangen und hat zu Unrecht auf deren Säumnis geschlossen.

4.7.
Dass damit die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Ordnungsbusse ebenfalls zu Unrecht erfolgte, bedarf keiner weiteren Begründung. Dem Beschwerdeführer, dessen zusätzliche Anwesenheit neben seinen beiden geschäftsführungsbefugten Mitgesellschaftern zur Erfüllung der Erscheinungspflicht gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO gar nicht erforderlich war, ist im Zusammenhang mit seinem Fernbleiben weder eine Störung des Geschäftsgangs (Art. 128 Abs. 1 ZPO) noch bös- oder mutwillige Prozessführung (Art. 128 Abs. 3 ZPO) vorzuwerfen.

Die Frage, ob qualifizierende Umstände vorliegen, wie sie das Bundesgericht für die ausnahmsweise Zulässigkeit des Ahndens des Fernbleibens von der Schlichtungsverhandlung mit einer Ordnungsbusse voraussetzt (BGE 141 III 265 E. 5.4; BGer-Urteil 4A_500/2016 vom 9.12.2016 E. 3.1 und dazu Bem. Bastons Bulletti in: ZPO Online, Newsletter vom 1.2.2017), stellt sich damit von vornherein nicht.

Damit ist die Beschwerde gutzuheissen und der Entscheid der Schlichtungsbehörde betreffend Ordnungsbusse aufzuheben.