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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Strafprozessrecht
Entscheiddatum:19.07.2017
Fallnummer:2N 17 42
LGVE:2017 I Nr. 21
Gesetzesartikel:Art. 122 StPO, Art. 124 Abs. 2 StPO, Art. 126 Abs. 2 lit. a StPO, Art. 352 Abs. 1 StPO, Art. 353 Abs. 2 StPO, Art. 354 StPO.
Leitsatz:Die Zivilklage der Privatklägerschaft muss der beschuldigten Person im Strafbefehlsverfahren nicht (zur Anerkennung oder Ablehnung) unterbreitet werden.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Das Bundesgericht hat die dagegen eingereichte Beschwerde in Strafsachen am 7. Februar 2018 abgewiesen, soweit darauf einzutreten war (6B_981/2017).
Entscheid:

A erhob in seiner Stellung als Privatkläger Einsprache gegen den Strafbefehl, mit welchem B (Beschuldigte) der einfachen Körperverletzung zum Nachteil des Privatklägers schuldig gesprochen wurde. Die Einsprache richtete sich unter anderem gegen die Dispositiv Ziff. 4 des Strafbefehls, wonach die Zivilforderung des Privatklägers auf den Zivilweg verwiesen werde. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies ihn zur Durchführung des Hauptverfahrens an das Bezirksgericht. Das Bezirksgericht wies die Einsprache ab und trat auf die Zivilforderung des Privatklägers nicht ein. Dagegen erhob der Privatkläger Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

3.
3.1.
Der Privatkläger macht geltend, die Vorinstanz hätte auf seine Genugtuungsforderung eintreten und diese der Beschuldigten zur Anerkennung oder zur Verweigerung unterbreiten müssen. Indem die Vorinstanz auf seine Zivilforderung nicht eingetreten sei, seien Art. 353 Abs. 2 sowie Art. 354 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) verletzt worden. Die erstgenannte Bestimmung zwinge die Staatsanwaltschaft, der beschuldigten Person die Zivilforderung des Geschädigten zur Anerkennung oder zur Nichtanerkennung zu unterbreiten. In richtiger Anwendung der Grundsätze der Strafprozessordnung hätte die Vorinstanz dies selbst tun oder die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft zurückweisen müssen, damit Letztere der Beschuldigten die Genugtuungsforderung zur Anerkennung bzw. Verweigerung unterbreite. Die Vorinstanz verweigere in willkürlicher Art und Weise seine Zivilforderung schon im Strafverfahren zu erledigen.

3.2.
Soweit die beschuldigte Person im Strafverfahren Zivilforderungen der Privatklägerschaft anerkannt hat, wird dies gemäss Art. 353 Abs. 2 Satz 1 StPO im Strafbefehl vorgemerkt. Die Erwähnung der Anerkennung der Zivilklage im Dispositiv des Strafbefehls führt dazu, dass dieser als definitiver Rechtsöffnungstitel nach Art. 80 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG; SR 281.1) gilt (Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21.12.2005, in: BBl 2006 1290 f.). Nicht anerkannte Zivilforderungen der Privatklägerschaft werden demgegenüber im Strafbefehl zwingend auf den Zivilweg verwiesen (Art. 353 Abs. 2 Satz 2 und Art. 126 Abs. 2 lit. a StPO).

Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung fliesst aus Art. 353 Abs. 2 StPO keine Pflicht der Staatsanwaltschaft, vor dem Erlass des Strafbefehls die Privatklägerschaft zur Geltendmachung von Zivilansprüchen nach Art. 122 ff. StPO einzuladen oder beim Vorliegen von solchen die beschuldigte Person zu einer Erklärung über die Anerkennung aufzufordern (BGer-Urteil 4D_62/2013 vom 16.12.2013 E. 2.2; vgl. auch Schmid, Praxiskomm. Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2013, Art. 353 StPO N 13).

3.3.
Der Privatkläger hat somit, sofern ein Strafbefehl erfolgt, keinen Anspruch darauf, dass seine Zivilforderungen im Straf- bzw. im Einspracheverfahren beurteilt bzw. der beschuldigten Person zur Anerkennung oder Ablehnung unterbreitet werden.

Mit dem Institut der Vormerkung anerkannter Zivilforderungen im Strafbefehl im Sinne von Art. 353 Abs. 2 StPO wollte der Gesetzgeber verhindern, dass der Privatkläger aufwendige zivilrechtliche Verfahrensschritte (Schlichtungsgesuch, Zivilprozess, provisorische Rechtsöffnung etc.) auf sich nehmen muss, obwohl seine Zivilforderung im Strafverfahren von der beschuldigten Person bzw. von der Schuldnerin eigentlich schon anerkannt wurde. Aus diesem Institut kann der Privatkläger jedoch nicht für sich ableiten, dass die Strafbehörden und -gerichte in jedem Fall dazu gehalten sind, von Amtes wegen zu ermitteln, ob die adhäsionsweise geltend gemachte Zivilforderung von der beschuldigten Person anerkannt wird (oder nicht). Ein solcher Anspruch wäre mit Art. 352 Abs. 1 StPO unvereinbar, wonach ein Strafbefehl im Falle von liquiden Tatsachenverhältnissen auch ohne Befragung der beschuldigten Person ausgefällt werden kann und würde auch generell dem Grundgedanken des Strafbefehlsverfahrens widersprechen, womit eine beschleunigte Verfahrenserledigung gewährleistet werden soll (Botschaft, a.a.O., in: BBl 2006 1289; Bundesamt für Justiz, Begleitbericht zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung vom Juni 2001, Bern, S. 245). Dass die beschuldigte Person im Vorverfahren von der Staatsanwaltschaft nicht zwingend zur Zivilklage der Privatklägerschaft befragt werden muss und dass die Staatsanwaltschaft auch ohne eine solche Befragung einen Strafbefehl erlassen kann, ergibt sich implizit auch aus Art. 124 Abs. 2 StPO, wonach der beschuldigten Person spätestens im erstinstanzlichen Hauptverfahren Gelegenheit gegeben wird, sich zur Zivilklage zu äussern. Der Umstand, dass im Strafbefehlsverfahren die Zivilforderung des Privatklägers nicht materiell beurteilt wird, war mitunter einer der Hauptgründe, wieso der Gesetzgeber die ursprünglich ausdrücklich vorgesehene Einsprachelegitimation der Privatklägerschaft aus dem Gesetzesentwurf strich (BGE 141 IV 231 E. 2.3; Daphinoff, Das Strafbefehlsverfahren in der Schweizerischen Strafprozessordnung, Diss. Bern 2012, S. 582 f. m.w.H.). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber der Privatklägerschaft gerade nicht die Möglichkeit einräumen wollte, die Beurteilung der Zivilforderung im Strafverfahren erzwingen zu können. Es besteht daher auch keine Pflicht der Strafbehörden, vor dem oder im Strafbefehlsverfahren die beschuldigte Person mit der Zivilklage der Privatklägerschaft zu konfrontieren.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Privatklägerschaft beim Erlass eines Strafbefehls – von ausdrücklich anerkannten Zivilforderungen abgesehen – die Vorzüge des strafprozessual vorgesehenen Adhäsionsverfahrens nicht (mehr) für sich in Anspruch nehmen kann. Es obliegt in diesem Falle, wie es bei zivilrechtlichen Forderungen grundsätzlich der Fall ist, (wieder) der Privatklägerschaft, bei der Schuldnerin eine Schuldanerkennung einzuholen oder bei deren Uneinbringlichkeit den ordentlichen Zivilweg zu beschreiten. Die in der Lehre gegen diesen Umstand vorgebrachte Kritik (siehe Galeazzi, Der Zivilkläger im Strafbefehls- und im abgekürzten Verfahren, Diss. Zürich 2016, S. 105 ff.; Riklin, Komm. Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, Art. 353 StPO N 6; Thommen, Kurzer Prozess – fairer Prozess?, Strafbefehls- und abgekürzte Verfahren zwischen Effizienz und Gerechtigkeit, Habil. Luzern, Bern 2013, S. 91 ff.) richtet sich gegen die Rechtslage an sich bzw. an den Gesetzgeber und nicht gegen deren Umsetzung durch die Praxis, weshalb sich eine Auseinandersetzung damit erübrigt.

Die Beschwerde erweist sich daher in dieser Hinsicht als unbegründet. Die Vorinstanz ist zu Recht nicht auf die Zivilklage des Privatklägers eingetreten. Auf die Rüge des Privatklägers gegen die Eventualbegründung der Vorinstanz braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden.