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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Staats- und Gemeindesteuern / direkte Bundessteuer
Entscheiddatum:20.12.2016
Fallnummer:7W 15 25
LGVE:2018 IV Nr. 4
Gesetzesartikel:Art. 58 DBG; Art. 151 DBG.
Leitsatz:Werden die Grundsätze ordnungsmässiger Bilanzierung nicht verletzt und fällt die Besteuerung nicht objektiv zu tief aus, fehlt es, auch wenn ein nachträglich zutage getretener Abschluss für dasselbe Geschäftsjahr eine "neue Tatsache" sein kann, an den objektiven Voraussetzungen für die Erhebung einer Nachsteuer. Die Steuerbehörden haben den dem Steuerpflichtigen zustehenden Ermessensspielraum zu respektieren und es besteht kein Anlass, eine Bilanzberichtigung vorzunehmen.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Das Bundesgericht wies die von der ESTV und der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde mit Urteil vom 14. Juli 2017 ab (BGer-Urteile 2C_84/2017, 2C_130/2017).





Entscheid:

Aus den Erwägungen:


2.

Mit der Steuererklärung für das erste Geschäftsjahr der Beschwerdeführerin vom 16.12.2002 - 31.12.2003 deklarierte diese einen steuerbaren Reingewinn von Fr. 47'400.--. Diese Deklaration stützte sie auf eine von der A AG erstellte Bilanz und Erfolgsrechnung, aus welcher ein Unternehmensgewinn von Fr. 47'493.45 und ein Eigenkapital von Fr. 347'493.45 hervorgeht. Einen Revisionsbericht für diesen Jahresabschluss reichte die Beschwerdeführerin nicht ein. Aus den in der Voruntersuchung gegen B und die Beschwerdeführerin durch die ASU/ESTV erhobenen Akten geht indessen ein weiterer Jahresabschluss für das erste Geschäftsjahr mit Bericht der Revisionsstelle, C GmbH, hervor. Gemäss der revidierten Erfolgsrechnung und Bilanz schliesst die Beschwerdeführerin das erste Geschäftsjahr mit einem Unternehmensgewinn von Fr. 49'509.10 und einem Eigenkapital von Fr. 349'509.10 ab. Sodann ist eine per Dezember 2004 unterzeichnete Vollständigkeitserklärung der Beschwerdeführerin an die C GmbH betreffend die von ihr revidierte Jahresrechnung 2003 aktenkundig.


Die Differenz von ca. Fr. 2'000.-- beim steuerbaren Reingewinn ergibt sich im Wesentlichen aus einer unterschiedlichen passiven Rechnungsabgrenzung. Mit dem der Steuererklärung beigelegten Jahresabschluss passivierte die A AG für den geschätzten Buchhaltungsaufwand des ersten Geschäftsjahrs Fr. 5'500.-- und – wiederum schätzungsweise – für deren Revision Fr. 4'000.-- (Konto 2300 Passive Rechnungsabgrenzung). Die C GmbH passivierte ebenfalls den geschätzten Aufwand für die Buchhaltung von Fr. 5'500.--, passivierte jedoch lediglich Fr. 2'000.-- für die Revision (Konto 6530 Buchführung und Beratung).


2.1.

2.1.1.

Bei den nachträglichen Korrekturen an der Jahresbilanz unterscheiden Lehre und Rechtsprechung die sog. Bilanzänderung und die Bilanzberichtigung. Unter Bilanzänderung wird das Ersetzen eines in einer genehmigten Jahresbilanz eingestellten handelsrechtskonformen Wertansatzes durch einen anderen handelsrechtskonformen Wertansatz verstanden. Ist die Bilanz einmal eingereicht, ist eine handelsrechtlich zulässige und nachträglich auch verbuchte Änderung wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens weitgehend ausgeschlossen (Locher, Komm. zum DBG, II. Teil, Therwil 2004, Art. 58 DBG N 23 m.H.). Eine solche Änderung nach rechtskräftiger Veranlagung setzte überdies das Vorliegen von Revisionsgründen voraus. Eine Bilanzberichtigung ist demgegenüber da zugelassen (und erforderlich), wo die Gesellschaft in Verstoss gegen zwingende Grundsätze ordnungsgemässer Buchführung einen unrichtigen Gewinn ausgewiesen hat, die Jahresrechnung also nicht ordnungsgemäss erstellt ist (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, Handkomm. zum DBG, 3. Aufl. 2016, Art. 58 DBG N 48 ff.; Locher, a.a.O., Art. 58 DBG N 18). Allerdings räumen die Grundsätze ordnungsmässiger Bilanzierung (vgl. Art. 957a Abs. 2 des Obligationenrechts [OR; SR 220]; Art. 662a Abs. 1 OR in der bis zum 1.1.2013 geltenden Fassung) dem Bilanzierenden bei vielen Bilanzpositionen einen erheblichen Ermessensspielraum ein (z.B. Abschreibungshöhe und -dauer, Wertverluste und -berichtigung). Der Bilanzierende nimmt die Entscheidung in diesen Fällen aufgrund einer subjektiven Einschätzung vor und ihre Richtigkeit lässt sich entsprechend nicht genau feststellen. Hat der Bilanzierende die infrage stehenden Tatsachen sorgfältig und gewissenhaft gewürdigt und sich anschliessend gestützt auf diese Würdigung für einen vertretbaren Bilanzansatz entschieden, so besteht für die Steuerbehörde kein Anlass zum Eingreifen. Sie muss vielmehr den dem Bilanzierenden zustehenden Ermessensspielraum respektieren (Locher, a.a.O., Art. 58 DBG N 37 f.) und darf erst dann eine Bilanzberichtigung vornehmen, wenn der Ermessensspielraum überschritten wurde, d.h. wenn der zu beurteilende Bilanzansatz nicht mehr vertretbar, sondern offenkundig falsch ist (Berger, Probleme der Bilanzberichtigung, in: ASA 70, S. 551).


Dennoch bleiben Korrekturen von eigentlichen Bilanzierungsfehlern im Nachsteuerverfahren zulässig, allerdings nur, wenn die zu korrigierenden Mängel gegen zwingende Vorschriften des Handelsrechts verstossen (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 151 DBG N 46). Ergibt sich z.B. bei einer Buchprüfung, bei der auch im Hinblick auf eine bereits veranlagte Periode Einblick in die Bücher genommen wird, dass eine der bereits rechtskräftigen Veranlagung zugrunde liegende Jahresrechnung die Grundsätze ordnungsmässiger Bilanzierung verletzte und die Besteuerung aufgrund dieses Fehlers objektiv zu tief ausgefallen ist, so ist eine nachträgliche Bilanzberichtigung vorzunehmen und die entsprechende Nachsteuer zu erheben (Berger, a.a.O., S. 556).


2.1.2.

Handels- und steuerrechtlich sind dem Grundsatz richtiger Periodenabgrenzung folgend Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahrs unabhängig vom Zeitpunkt der entsprechenden Zahlungen in der Jahresrechnung zu berücksichtigen. Gehen die Gegenleistungen zeitverschoben ein, ist eine korrekte Rechnungsabgrenzung vorzunehmen (Benz, Handelsrechtliche und steuerrechtliche Grundsätze ordnungsmässiger Bilanzierung, Zürich 2000, S. 127). Ein Anwendungsfall bildet die Rechnungsabgrenzung für einen noch nicht verbuchten Aufwand, welcher der laufenden Periode zu belasten ist. Solche Buchungen erfolgen immer erfolgswirksam. Wie für Aktiven ist auch bei den Verbindlichkeiten auf den Bilanzstichtag ihre Grösse festzustellen (Käfer, Berner Komm., Bd. VIII, zweite Lieferung, Art. 960 OR N 290).


2.2.

2.2.1.

Die der Steuererklärung beigelegte Jahresrechnung betreffend das erste Geschäftsjahr der Beschwerdeführerin passiviert für Buchhaltung und Revision 2003 einen Betrag von Fr. 9'500.--. Diese Schätzung erweist sich im Nachhinein als ziemlich zutreffende Annäherung, stellte doch die A AG für die Buchhaltung 2003 den Betrag von Fr. 6'456.-- in Rechnung und passivierte die C GmbH in der Rechnungsabgrenzung für das folgende Geschäftsjahr einen Betrag von Fr. 3'000.-- für die Revision 2003. Demgegenüber erweist sich die Schätzung C GmbH in ihrer Jahresrechnung für die gleichen Abgrenzungsposten als etwa Fr. 2'000.-- zu tief. Die subjektive Einschätzung der A AG bei der Bemessung der mutmasslichen Verbindlichkeit erweist sich damit als sorgfältige und gewissenhafte Würdigung und der anschliessend gestützt darauf gewählte Bilanzansatz als sehr wohl vertretbar. Entsprechend besteht für die Steuerbehörde kein Anlass zum Eingreifen. Von einem Überschreiten des Ermessensspielraums kann bei dieser Bewertung nicht gesprochen werden. Keinesfalls ist der Ansatz überhöht, geschweige denn offensichtlich falsch. Vielmehr haben die Steuerbehörden den der Beschwerdeführerin zustehenden Ermessensspielraum zu respektieren und es besteht kein Anlass, eine Bilanzberichtigung vorzunehmen. Wurden mithin die Grundsätze ordnungsmässiger Bilanzierung nicht verletzt und fiel die Besteuerung nicht objektiv zu tief aus, fehlt es, selbst wenn der nachträglich zutage getretene Abschluss für dasselbe Geschäftsjahr eine "neue Tatsache" sein kann, an den objektiven Voraussetzungen für die Erhebung einer Nachsteuer im Sinn von Art. 151 Abs. 1 DBG.


Die Nachsteuerveranlagung für die Steuerperiode 2003 (16.12.2002-31.12.2003) ist demnach aufzuheben.