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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:13.12.2017
Fallnummer:1C 17 36
LGVE:2017 I Nr. 22
Gesetzesartikel:Art. 128 ZPO.
Leitsatz:Das Ahnden des Fernbleibens von der Schlichtungsverhandlung mit einer Ordnungsbusse ist nur bei Vorliegen qualifizierender Umstände zulässig. Die Annahme von Bös- oder Mutwilligkeit im Zusammenhang mit dem Fernbleiben von einer Verhandlung setzt grundsätzlich vorsätzliches Fernbleiben und deshalb nicht bloss fingierte, sondern tatsächliche Kenntnis des Verhandlungstermins voraus.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Im Rahmen eines von A gegen B angehobenen Schlichtungsverfahrens wurden die Parteien von der Schlichtungsbehörde Miete und Pacht mit per Einschreiben versandten Vorladungen vom 30. August 2017 zur Schlichtungsverhandlung vom 19. September 2017 vorgeladen. Die Vorladung an B wurde der Schlichtungsbehörde von der Post mit dem Vermerk "nicht abgeholt" retourniert. Zur Schlichtungsverhandlung vom 19. September 2017 erschien B nicht. Mit Entscheid vom 19. September 2017 verpflichtete der Präsident der Schlichtungsbehörde B gestützt auf Art. 128 Abs. 3 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) zur Bezahlung einer Ordnungsbusse von Fr. 300.--. Das Kantonsgericht hiess die von B gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde gut.

Aus den Erwägungen:

5.
5.1.
Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Säumnis einer Partei an der Schlichtungsverhandlung (Art. 206 ZPO) disziplinarisch geahndet werden kann, wird in der Lehre kontrovers diskutiert (vgl. dazu die Übersicht der diversen Meinungen und Begründungen bei Schrank, Das Schlichtungsverfahren nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Basel 2015, S. 145 ff. Rz 245-249).

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist – angesichts der Bedeutung der persönlichen Anwesenheit der Parteien für die Durchführung einer wirksamen Schlichtung (vgl. dazu BGE 140 III 70 E. 4.3) – nicht von vorherein ausgeschlossen, dass die Schlichtungsbehörde eine Partei, die der Schlichtungsverhandlung ohne Grund fernbleibt und damit nicht nur prozessual säumig ist, sondern gleichzeitig ihre Pflicht zum persönlichen Erscheinen (Art. 204 Abs. 1 ZPO) verletzt, gemäss Art. 128 Abs. 1 oder 3 ZPO bestraft. Dies gilt namentlich für die beklagte Partei, die ansonsten durch ihr Nichterscheinen den gesetzgeberischen Willen, dass ein Einigungsversuch stattfinden soll, sanktionslos vereiteln könnte. Eine disziplinarische Ahndung mit Ordnungsbusse setzt aber immerhin voraus, dass das Nichterscheinen zur Schlichtungsverhandlung eine Störung des Geschäftsgangs gemäss Art. 128 Abs. 1 ZPO respektive eine bös- oder mutwillige Prozessführung nach Art. 128 Abs. 3 ZPO darstellt (BGE 141 III 265 E. 4.3 und 5.1).

Sodann darf gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Fernbleiben von der Schlichtungsverhandlung nur ausnahmsweise und nicht systematisch mit einer Ordnungsbusse geahndet werden; es müssen qualifizierende Umstände vorliegen (BGE 141 III 265 E. 5.4; BGer-Urteil 4A_500/2016 vom 9.12.2016 E. 2 f. und dazu Bem. Bastons Bulletti in: ZPO Online, Newsletter vom 1.2.2017).

5.2.
Die Säumnis einer oder sogar beider Partei(en) führt für sich allein genommen nicht zu einer Störung des Geschäftsgangs (Art. 128 Abs. 1 ZPO) im Sinne einer Verlängerung oder Komplizierung des Verfahrens. Der Umstand, dass ein unnötiger Aufwand (Vorbereitung der Schlichtungsverhandlung) verursacht wurde, kann als solcher noch nicht als Störung des Geschäftsgangs erachtet werden (ausführlich dazu BGer-Urteil 4A_500/2016 vom 9.12.2016 E. 3 und dazu Bem. Bastons Bulletti a.a.O.).

5.3.
Nach Art. 128 Abs. 3 ZPO kann eine Ordnungsbusse bei bös- oder mutwilliger Prozessführung verhängt werden. Mut- oder böswillige Prozessführung ist zurückhaltend anzunehmen. Sie ist zu bejahen, wenn eine Partei die Schlichtungsbehörde absichtlich in unlauterer oder schikanöser Weise in Anspruch nimmt. Erforderlich ist also neben dem unentschuldigten Fernbleiben als solchem zusätzlich ein – wie sich bereits aus dem Begriff bös- bzw. mutwillig ergibt – vorsätzliches, sachlich nicht leicht zu rechtfertigendes prozessuales Fehlverhalten einer Partei (vgl. Urteil Obergericht Zürich RU120066 vom 3.12.2012 E. 2.2, publ. in: ZR 2012 Nr. 91). Als mutwilliges Verhalten kann etwa gewertet werden, wenn eine Partei einen Verhandlungstermin verschieben lässt und dann gleichwohl unentschuldigt nicht erscheint (vgl. BGE 141 III 265 E. 5.1), wenn eine Partei trotz Einverständnis zu einem von zwei vorgeschlagenen Terminen erst mittels am Verhandlungstag eingehendem Schreiben erklärt, sie werde aus grundsätzlichen Überlegungen weder jetzt noch später an einer Schlichtungsverhandlung teilnehmen (vgl. Urteil Kantonsgericht St. Gallen BE.2014.27 vom 29.8.2014 E. 3c), oder wenn eine Partei, welcher die Vorladung auf ihren Wunsch sogar zweimal zugestellt wurde, trotz Kenntnis des Verhandlungstermins ohne sachliche Gründe der Verhandlung fernbleibt (vgl. Urteil Obergericht Zürich RU120066 vom 3.12.2012 E. 2.2, publ. in: ZR 2012 Nr. 91). Diesen Anwendungsfällen aus der Praxis ist gemeinsam, dass die betroffene Partei tatsächliche Kenntnis vom Verhandlungstermin hatte und der Verhandlung bewusst fernblieb, was diese Fälle grundlegend vom vorliegend zu beurteilenden Fall unterscheidet.

5.4.
Die Vorinstanz hält in ihrer Stellungnahme zu Recht fest, dass der Beschwerdeführer als beklagte Partei aufgrund der ihm unbestrittenermassen zugestellten Anzeige des Schlichtungsverfahrens vom 18. August 2017 und der darin enthaltenen Hinweise Kenntnis von den hängigen Verfahren hatte und mit Zustellungen der Schlichtungsbehörde rechnen musste. Richtig ist auch, dass der Beschwerdeführer zwar mit Eingabe vom 22. August 2017 zur Sache Stellung nahm, die Schlichtungsbehörde indes nicht auf die bevorstehende zweiwöchige Ferienabwesenheit hinwies. Richtig ist weiter, dass Vorladungen per Einschreiben zu versenden sind (Art. 138 Abs. 1 ZPO) und eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellversuch als zugestellt gilt, sofern die Person, wie vorliegend, mit einer Zustellung rechnen musste (sog. Zustellfiktion; Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO). Richtig ist weiter, dass in hängigen Verfahren von der betroffenen Person verlangt werden kann, dass sie ihre Post regelmässig kontrolliert und gegebenenfalls längere Abwesenheiten mitteilt oder während diesen einen zur Entgegennahme allfälliger gerichtlichen Sendungen ermächtigten Stellvertreter ernennt. Unterlässt sie dies, tritt bei Nichtabholung der Sendung die Zustellfiktion ein, wie dies vorliegend in Bezug auf die Vorladung vom 30. August 2017 der Fall war.

Richtig ist schliesslich auch, dass sich der Beschwerdeführer nach seiner Ferienrückkehr bzw. nach Kenntnisnahme der Abholungseinladung bei der Schlichtungsbehörde nach dem Stand der Dinge hätte erkundigen können. Dazu ist im Gegenzug festzuhalten, dass die ZPO es zwar nicht vorschreibt und dementsprechend seitens der Parteien auch kein Anspruch darauf besteht, dass die Behörden nach Retournierung eingeschriebener Sendungen eine Kopie derselben – bei Fristen mit Hinweis auf den infolge der Zustellfiktion ausgelösten Fristenlauf – nochmals per A-Post zustellen, dieses Vorgehen indes der gängigen Praxis der Luzerner Gerichte entspricht. Eine solche Praxis erscheint bzw. erschiene auch und gerade für Schlichtungsbehörden sinnvoll, ist bzw. wäre doch eine nochmalige Zustellung retournierter Vorladungen per A-Post (sofern in zeitlicher Hinsicht etc. noch möglich) ein durchaus taugliches Mittel, um einer Partei noch Kenntnis vom Verhandlungstermin zu geben, um Säumnis vorzubeugen und um eine Schlichtung zu ermöglichen.

5.5.
Das oben Gesagte ändert nichts am Umstand, dass dem Beschwerdeführer die Vorladung zwar aufgrund der Zustellfiktion als ordnungsgemäss zugestellt zu gelten hatte, dass sie ihm aber faktisch nicht zuging und er dementsprechend keine Kenntnis vom Verhandlungstermin hatte. Dies hatte er zwar letztlich selber zu vertreten und entsprechend die Säumnisfolgen zu tragen. Von einem mutwilligen Verhalten im oben beschriebenen Sinne, d.h. von einem absichtlichen bzw. vorsätzlichen Fehlverhalten oder gar von einer absichtlich unlauteren oder schikanösen Inanspruchnahme der Schlichtungsbehörde (vgl. oben E. 5.3), kann indes nicht die Rede sein. Die Annahme von Bös- oder Mutwilligkeit im Zusammenhang mit dem Fernbleiben von der Schlichtungsverhandlung setzt grundsätzlich vorsätzliches Fernbleiben und deshalb nicht bloss fingierte, sondern tatsächliche Kenntnis des Verhandlungstermins voraus.

Damit liegen hier keine qualifizierende Umstände vor, wie sie das Bundesgericht für die ausnahmsweise Zulässigkeit des Ahndens des Fernbleibens von der Schlichtungsverhandlung mit einer Ordnungsbusse voraussetzt (vgl. oben E. 5.1). Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids.