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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Kostenbeschwerde
Entscheiddatum:15.02.2018
Fallnummer:7H 17 249
LGVE:2018 IV Nr. 8
Gesetzesartikel:§ 209 VRG, § 213 VRG, § 215 VRG, § 218 VRG.
Leitsatz:Gegenstand der Überprüfung von Kostenentscheiden im Vollstreckungsverfahren.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:

Am 20. April 2015 verfügte der Veterinärdienst des Kantons Luzern gegenüber A und B als Tierhalterinnen verschiedene tierschutzrechtliche Massnahmen. Eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde am 17. November 2015 abgewiesen. Nachdem die Tierhalterinnen mit Bezug auf die sofort vollstreckbaren Handlungen säumig geblieben waren, verfügte der Veterinärdienst am 11. November 2015 alle Hunde zu kennzeichnen und in der Hunde-Datenbank nachzuführen sowie die neuen Halter dem Veterinärdienst zu melden, andernfalls eine Ersatzvornahme vorgenommen werde. Nachdem die Halterinnen ihrer Pflicht nicht nachgekommen waren, wurde am 30. Dezember 2015 die Ersatzvornahme an drei Hunden durchgeführt. Am 2. März 2016 erging eine weitere Verfügung, mit der Nachfrist bis 25. März 2016 zur Erfüllung der restlichen verwaltungsrechtlichen Massnahmen gemäss der mittlerweile rechtskräftigen Verfügung vom 20. April 2015 gesetzt wurde, wiederum unter Androhung und Beschreibung der Ersatzvornahme. Auch dieses Mal befolgten A und B die Anordnungen nicht innert Frist, worauf am 20. April 2016 die Ersatzvornahme erfolgte.

Mit Kostenentscheid vom 5. Juli 2017 zu den Verfügungen vom 11. November 2015 und 2. März 2016 auferlegte der Veterinärdienst des Kantons Luzern A und B Kosten von Fr. 9'874.80, enthaltend Fr. 400.-- amtliche Kosten für die Verfügung selber und Fr. 9'474.80 für die Kostenfolgen verschiedener, anstelle der Tierhalter vorgenommener Handlungen. Gegen diesen Kostenentscheid erhoben A und B Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht.

Aus den Erwägungen:

1.

1.1.

Das Gebührengesetz (GebG; SRL Nr. 680) regelt die Erhebung von Gebühren und den Ersatz von Auslagen für Amtshandlungen oder für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen des Kantons und der Gemeinden, soweit es sich nicht um Verwaltungssachen handelt, die durch Entscheid gemäss Verwaltungsrechtspflegegesetz zu erledigen sind (§ 1 Abs. 1). Es stellt somit den Grunderlass für sämtliche Gebühren kantonalen und kommunalen Rechts dar. Gemäss § 2 GebG wird das Gesetz nur so weit angewendet, als nicht besondere eidgenössische, interkantonale oder kantonale Vorschriften bestehen. Das kantonale Tierschutzrecht regelt allein den frankenmässigen Rahmen der Gebühren für die Verwaltungstätigkeit des Veterinärdienstes (Entscheide und Dienstleistungen) (vgl. § 21 Abs. 3 der kantonalen Tierschutzverordnung vom 18.5.2010 [SRL Nr. 728] mit Verweis auf Gebührentarif und Kostenverordnung für die Staatsverwaltung vom 28.5.1982 [SRL Nr. 681] für besondere Dienstleistungen). Für amtliche Kosten im Zusammenhang mit der Vollstreckung gelangen, wie aus dem Verweis von § 215 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRG; SRL Nr. 40) zu folgern ist, die Bestimmungen des VRG zur Anwendung.

1.2.

Für die Vollstreckung der Entscheide sorgt, unter Vorbehalt abweichender Vorschriften und Anordnungen, die erstinstanzliche Verwaltungsbehörde (§ 209 VRG). Gemäss § 215 Abs. 1 VRG setzt die Behörde die vom Pflichtigen für die Vollstreckung zu vergütenden amtlichen Kosten fest. Gegen den Kostenentscheid kann der Pflichtige beim Kantonsgericht Beschwerde führen (Abs. 2).

Nach der Rechtsprechung zu § 215 Abs. 2 VRG (in der bis 30.6.2014 in Kraft stehenden Fassung), betrachtet der Gesetzgeber die eigentlichen Kosten einer Vollstreckung oder Ersatzvornahme nicht als amtliche Kosten. Das gehe daraus hervor, dass in Abs. 1 von amtlichen Kosten und in Abs. 3 von Vollstreckungskosten die Rede sei (LGVE 2002 II Nr. 45, E. 12c). Auch für die heute massgebliche Regelung von § 215 VRG, die anstelle des Regierungsstatthalters die "Behörde" als Vollstreckungsbehörde bezeichnet, kann an dieser Unterscheidung festgehalten werden. Es kann sowohl gegen die amtlichen Kosten für die Vollstreckung (Abs. 1) wie auch gegen die Vollstreckungskosten (Abs. 3) gestützt auf Abs. 2 Beschwerde beim Kantonsgericht geführt werden, da beide Kostenarten Bestandteil des Kostenentscheids darstellen. Vorliegend fechten die Beschwerdeführerinnen einen grossen Teil der Ersatzvornahmekosten in der Höhe von Fr. 9'474.80 an. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, kann auf die Beschwerde in Bezug auf die Kosten für die Vollstreckung eingetreten werden.

[…]

2.

2.1.

Gemäss § 206 Abs. 1 lit. a VRG werden Entscheide, die sich durch Einsprache oder ein Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung anfechten lassen, rechtskräftig und vollstreckbar, wenn die Einsprache- oder Rechtsmittelfrist unbenutzt abgelaufen ist. Entscheide, gegen die kein Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung zulässig ist, werden mit der Eröffnung rechtskräftig und vollstreckbar (§ 206 Abs. 2 VRG). Für die Vollstreckung der Entscheide sorgt, unter Vorbehalt abweichender Vorschriften und Anordnungen, die erstinstanzliche Verwaltungsbehörde (§ 209 Abs. 1 VRG).

2.2.

Im Vollstreckungsverfahren prüft die Behörde, ob der Entscheid richtig eröffnet wurde und vollstreckbar ist (§ 213 Abs. 1 VRG). Bevor die Behörde eine Ersatzvornahme oder unmittelbaren Zwang anordnet, droht sie dem Pflichtigen die Zwangsmassnahme an und setzt ihm eine angemessene Frist zur Erfüllung (§ 213 Abs. 2 VRG). Sind diese Voraussetzungen gegeben, vollstreckt sie die Entscheide, die zu einem bestimmten Verhalten (Handeln, Dulden, Unterlassen) und nicht zu Zahlungen und Sicherheitsleistungen verpflichten. Wenn die Umstände es erfordern oder wenn der Entscheid das Zwangsmittel selbst androht und die eingeräumte Erfüllungsfrist abgelaufen ist, kann eine Androhung unterbleiben (vgl. § 213 Abs. 3 VRG).

2.2.1.

Die Ersatzvornahme ist ein zweiteiliges Vollstreckungsmittel: Zuerst wird die Ersatzhandlung festgesetzt und durchgeführt und dann der Pflichtige mit den der Behörde entstandenen Kosten belastet. Mit der Durchführung der Ersatzvornahme durch die Behörde oder durch den von ihr beauftragten Dritten wird die ursprüngliche verwaltungsrechtliche Naturalleistungspflicht in eine öffentlich-rechtliche Geldleistungspflicht umgewandelt (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern V 04 42 vom 11.5.2005 E. 2a; Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, N 1468, Tschannen/Zimmerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2014, § 32 N 21; Ogg, Die verwaltungsrechtlichen Sanktionen und ihre Rechtsgrundlagen, Diss. Zürich 2002, S. 19).

2.2.2.

Die Kostenauflage hängt zwar inhaltlich von der Festsetzungs- bzw. Vollstreckungsverfügung ab. Sie wird aber in der Bundesgesetzgebung wie auch in mehreren kantonalen Gesetzen (vgl. § 215 Abs. 1 und 2 VRG) formal als unabhängiger, eigenständiger Verwaltungsakt betrachtet (Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern V 01 152 vom 14.11.2002 E. 2 m.H.; Ackermann Schwendener, Die klassische Ersatzvornahme als Vollstreckungsmittel des Verwaltungsrechts, Diss. Zürich 1999, S. 65). Gegenüber dem Betroffenen wird die Pflicht zur Kostentragung durch eine separat anfechtbare Verfügung über die Kostenauflage begründet, welche – allerdings ausschliesslich hinsichtlich des Kostenumfangs – anfechtbar ist (vgl. § 215 Abs. 1 und 2 VRG; Ogg, a.a.O., S. 19 f.). Gegen alle anderen Amtshandlungen im Vollstreckungsverfahren ist nur die Aufsichtsbeschwerde zulässig (§ 218 VRG; Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern V 04 42 vom 11.5.2005 E. 2a m.H.).

2.3.

Bei der Überprüfung des Kostenentscheids durch die Rechtsmittelinstanz ist Folgendes zu beachten: Prinzipiell dürfen Kosten nur auferlegt werden, wenn der zu einem Handeln, Unterlassen oder Dulden Verpflichtete vor der Durchführung der Ersatzvornahme ordnungsgemäss auf die drohende Anwendung dieses Zwangsmittels und die damit verbundenen Kosten aufmerksam gemacht worden ist. Das Kantonsgericht hat daher in einem ersten Schritt abzuklären, ob die Ersatzvornahme begründeterweise erfolgte und dabei insbesondere die gesetzlichen Verfahrensschritte beachtet wurden (Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern V 04 42 vom 11.5.2005 E. 2b; V 01 152 vom 14.11.2002 E. 2; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 16 zu Art. 117).

In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die mit der Vollstreckung entstandenen Kosten vollumfänglich auf die pflichtige Person überwälzt werden können. Dem Pflichtigen dürfen nämlich nicht alle, sondern nur die Ausgaben für eine zweckmässige Ausführung der Vollstreckung bzw. (bei der Ersatzvornahme) Ersatzhandlung im Rahmen der üblichen Preise auferlegt werden. Sowohl die Überwälzung von Kosten für nicht notwendige oder unzweckmässige Massnahmen als auch die Auferlegung von übermässigen bzw. nicht angemessenen Kosten verletzen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (vgl. Ackermann Schwendener, a.a.O., S. 94 f.).

Die Grenze zwischen der Überprüfungsbefugnis des Kantonsgerichts beim vorliegend zu beurteilenden Kostenentscheid und jener der Aufsichtsbehörde gemäss § 218 VRG ist nach dem Gesagten folgendermassen zu ziehen: Insoweit die Modalitäten der Vollstreckung als solcher in Frage steht, können diese (wenn überhaupt) nur mit aufsichtsrechtlicher Beschwerde angefochten werden. Sofern jedoch alternative Vorgehensweisen, die mit unterschiedlichen Kostenfolgen zum gleichen Ziel führen, im Raum stehen, können diese im Rechtsmittelverfahren betreffend den Kostenentscheid überprüft werden. Dabei ist zu beachten, dass nicht generell jeder kostengünstigeren Vorgehensweise der Vorrang zu geben ist. Vielmehr müssen die Kosten für die getroffenen Massnahmen im konkreten Fall mit dem verfassungsmässigen Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar sein (Art. 5 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101]).

3.

[…] Im Zeitpunkt der Ersatzvornahmen waren die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben: In beiden Fällen war die Verfügung eröffnet und vollstreckbar (vgl. § 213 Abs. 1 VRG); die Ersatzvornahmen erfolgten nach Androhung und Ablauf der zwei angesetzten Nachfristen […], ohne dass die Beschwerdeführerinnen ihren Pflichten nachgekommen waren. Unter diesem formellen Gesichtswinkel erweist sich die Kostenüberbindung als zulässig. […]

4.

Für die gerichtliche Prüfung sind […] folgende Schranken zu beachten: Gegenstand ist allein, ob die mit der Vollstreckung bzw. Ersatzvornahme entstandenen Kosten Ausgaben für eine zweckmässige Ausführung der Vollstreckung bzw. der Ersatzhandlung inkl. Leistungen Dritter im Rahmen üblicher Preise darstellen. Kosten von nicht notwendigen oder unzweckmässigen Massnahmen können ebenso wenig wie nicht angemessene Kosten überwälzt werden.

Hingegen wären Kosten von Leistungen Dritter bzw. von Ersatzhandlungen, bei denen die entsprechende Halterpflicht als Naturalleistungspflicht nicht vorgängig verfügungsweise (und rechtskräftig) festgelegt worden war, keine Vollstreckungs- oder Ersatzvornahmekosten. Sie könnten deshalb von vornherein nicht Gegenstand eines Kostenentscheids bilden.

Anfechtungsgegenstand des Kostenentscheids sind […] die Kostenfolgen und nicht die grundsätzliche Zulässigkeit oder Verhältnismässigkeit der Naturalleistungspflicht. Dazu steht die Beschwerde gegen den Kostenentscheid nicht zu Verfügung. Vielmehr stünden dagegen allein die Rechtsmittel gegen die Anordnung, welche die Beschwerdeführerinnen zu einem Handeln, Unterlassen oder Dulden verpflichtete (und bereits die Ersatzhandlungen für den Säumnisfall ankündigte) zur Verfügung. Im vorliegenden Kontext sind aber sämtliche Verfügungen vor dem Kostenentscheid, ob einmal angefochten oder nicht, in Rechtskraft erwachsen.

[…]

Gerichtlich zu prüfen bleibt vorliegend, ob die mit der Umwandlung der Naturalleistungspflicht, die mit Verfügung vom 20. April 2015 festgelegt worden war, entstandenen Vollstreckungs- oder Ersatzvornahmekosten der Verhältnismässigkeitsprüfung standhalten.

4.3.

[Die gerichtliche Überprüfung der einzelnen Kostenpositionen ergibt, dass die entstandenen Ersatzvornahmekosten der Verhältnismässigkeitsprüfung standhalten und somit den Beschwerdeführerinnen überbunden werden durften.]

5.

Aufgrund dieser Feststellungen und Erwägungen sind die mit dem angefochtenen Kostenentscheid verfügten Ersatzvornahmekosten, insoweit sie vorliegend zu prüfen waren, verhältnismässige Folge von ebenso verhältnismässigen Vorkehren des Veterinärdienstes im Vollstreckungsverfahren. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher, soweit darauf einzutreten ist, abzuweisen.