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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:09.01.2018
Fallnummer:3B 17 54
LGVE:2018 II Nr. 1
Gesetzesartikel:Art. 68 Abs. 1 ZPO, Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO; Art. 289 Abs. 2 ZGB.
Leitsatz:Fehlt bei einer Vertretung im Prozess das persönliche Näheverhältnis, rechtfertigt es sich, solche Vertreter den Restriktionen für berufsmässige Vertreter zu unterwerfen. Art. 289 Abs. 2 ZGB stellt keine Rechtsgrundlage für die Legitimation des Gemeinwesens zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen ein Scheidungsurteil dar.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Das Bezirksgericht schied die Ehe der Berufungsklägerin und des Berufungsbeklagten und genehmigte deren Vereinbarung über die Scheidungsfolgen. Gegen dieses Urteil erhob die Direktion Soziales und Gesundheit der Gemeinde A für die Berufungsklägerin und im eignen Namen beim Kantonsgericht Berufung.

Aus den Erwägungen:
1.1.
Die Berufung wurde von der Direktion Soziales und Gesundheit der Gemeinde A einerseits für die Berufungsklägerin und andererseits im eignen Namen erhoben. Zur Einlegung eines Rechtsmittels legitimiert sind sämtliche am Verfahren beteiligten Haupt- und Nebenparteien (Sterchi, Berner Komm., Bern 2012, Vorbem. zu Art. 308 ZPO N 19; Reetz, in: Komm. zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [Hrsg. Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger], 3. Aufl. 2016, Vorbem. zu den Art. 308 - 318 ZPO N 35, Spühler, Basler Komm., 3. Aufl. 2017, Vor Art. 308 - 334 ZPO N 10). Die Berufungsklägerin ist als betroffene Partei zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen das sie betreffende Scheidungsurteil legitimiert. Die zusätzlich vorausgesetzte materielle Beschwer ist zu bejahen, da sie die abgeschlossene Vereinbarung offenbar wegen eines Willensmangels anficht (Sterchi, a.a.O., Vorbem. Zu Art. 308 N 34).
Gemäss Art. 68 Abs. 1 ZPO kann sich jede Partei im Prozess vertreten lassen. Die berufsmässige Vertretung ist gemäss Art. 68 Abs. 2 ZPO insbesondere auf Anwältinnen und Anwälte begrenzt. Die Einschränkung der Zulässigkeit der berufsmässigen Vertretung gemäss Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO auf Anwältinnen und Anwälte, die gemäss dem Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) zur Parteivertretung vor schweizerischen Gerichten berechtigt sind, dient der Sicherung der Qualität der Vertretung. Durch diese Beschränkung soll sichergestellt werden, dass die im Anwaltsgesetz vorgesehenen Qualitätssicherungsmassregeln in Verfahren, die der ZPO unterstehen, zum Zuge kommen, wenn der Vertreter "berufsmässig" auftritt. Bei diesen Massregeln handelt es sich um Verschiedenes: Zunächst werden Anforderungen an die Anwälte hinsichtlich ihrer Ausbildung (Art. 7 BGFA) und weiterer persönlicher Eigenschaften, wie ihrer finanziellen Situation oder dem Fehlen bestimmter strafrechtlicher Verurteilungen (Art. 8 BGFA), gestellt. Sodann legt das Anwaltsgesetz die von ihnen einzuhaltenden Berufsregeln (Art. 12 BGFA) fest, regelt das Berufsgeheimnis (Art. 13 BGFA) und schliesslich die Aufsicht, der die Anwälte unterstehen (Art. 14 ff. BGFA). Diese Regeln sind insbesondere im Interesse der vertretenen Parteien aufgestellt worden (vgl. Sterchi, a.a.O., Art. 68 ZPO N 3). Damit sie ihre Schutzwirkung entfalten können, ist bei der Zulassung von Vertretern, die diesen Ansprüchen nicht genügen, eine gewisse Zurückhaltung angezeigt, soweit die ZPO hierzu Spielraum bietet. Vor diesem Hintergrund kann es für die Auslegung des Begriffs der berufsmässigen Vertretung nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Vertreter seine Tätigkeit gegen Entgelt oder zu Erwerbszwecken ausübt. Ein Schutzbedürfnis des Publikums besteht bereits dann, wenn der Vertreter bereit ist, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen tätig zu werden. Darauf kann – wie vorliegend – dann geschlossen werden, wenn er bereit ist, die Vertretung ohne besondere Beziehungsnähe zum Vertretenen zu übernehmen. In solchen Fällen gründet das Vertrauen in den Vertreter nicht auf seiner Person oder seiner Nähe zum Vertretenen, sondern auf anderen Eigenschaften des Vertreters (z.B. seine behauptete Fachkompetenz, Mitgliedschaft in Interessenverbänden etc.) und damit auf ähnlichen Kriterien wie bei der Auswahl eines Berufsmanns bzw. einer Berufsfrau. Da das Element des persönlichen Näheverhältnisses nicht im Vordergrund steht, rechtfertigt es sich, solche Vertreter den Restriktionen für berufsmässige Vertreter zu unterwerfen (BGE 140 III 555 E. 2.3).
Vorliegend steht fest, dass die Berufungsklägerin zur Direktion Soziales und Gesundheit der Gemeinde A kein persönliches Näheverhältnis im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat. Dies ergibt sich allein schon deshalb, weil die Vollmacht an ein Amt ausgestellt worden ist. Ein solches Verhältnis wird denn auch nicht geltend gemacht. Daher kann auf die Berufung der Berufungsklägerin nicht eingetreten werden.
1.2.
Die Gemeinde A bzw. die Direktion Soziales und Gesellschaft ihrerseits erhebt gegen das Scheidungsurteil in eigenem Namen Berufung. Diesbezüglich ist festzustellen, dass Dritte nur ausnahmsweise in gesetzlich vorgesehenen Fällen ein Rechtsmittel ergreifen können (Sterchi, a.a.O., Vorbem. zu Art. 308 ZPO N 22). Entgegen der Auffassung des Sozialamtes A stellt Art. 289 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) keine solche Rechtsgrundlage dar. Nach dieser Bestimmung geht der Unterhaltsanspruch des Kindes auf das Gemeinwesen über, sofern dieses für den Unterhalt aufkommt (Art. 289 Abs. 2 ZGB). Dass das Gemeinwesen in diesen Fällen legitimiert sei, ein Rechtsmittel gegen das Scheidungsurteil zu ergreifen, lässt sich dieser Bestimmung nicht entnehmen (Breitschmid/Kamp, Basler Komm., 5. Aufl. 2014, Art. 289 ZGB N 10). Auf die Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden.
(…)
Bei diesem Verfahrensausgang kann letztlich offen blieben, ob die Direktion Soziales und Gesellschaft der Gemeinde A überhaupt befugt war, im Namen der Gemeinde A ein Rechtsmittel einzureichen. Aus der Verordnung über die gemeindeinternen Zuständigkeiten und die Unterschriftsberechtigung der Gemeinde A ergibt sich jedenfalls nichts dergleichen.