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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Strafprozessrecht
Entscheiddatum:29.12.2017
Fallnummer:2N 17 140
LGVE:2017 I Nr. 25
Gesetzesartikel:Art. 5 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO und Art. 109 Abs. 2 StPO, Art. 426 Abs. 2 StPO, Art. 427 Abs. 2 StPO; Art. 29 Abs. 1 BV.
Leitsatz:Hat der Privatkläger bei Antragsdelikten aktiv an einem gegen die beschuldigte Person eingestellten Untersuchungsverfahren teilgenommen, können ihm Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Wird in einem eingestellten Untersuchungsverfahren das Beschleunigungsgebot verletzt, ist es deshalb nicht bereits unhaltbar, dem Privatkläger Verfahrenskosten aufzuerlegen, sondern es ist bei der Beurteilung der Kostenfolgen primär auf den mutmasslichen Prozessausgang abzustellen.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Mit Verfügung vom 25. September 2017 stellte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen die Beschuldigte wegen Verleumdung (Art. 174 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs [StGB; SR 311.0]) unter anderem betreffend den Vorfall vom Mai 2013 gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. a und d der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) ein. Die Einstellung gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO erfolgte, weil die bei Ehrverletzungsdelikten geltende vierjährige Verjährungsfrist im Mai 2017 eingetreten war. Beim Tatbestand der Verleumdung handelt es sich um ein Antragsdelikt (Art. 174 Ziff. 1 StGB). Gemäss dieser Verfügung wurden die Gebühren und die Auslagen des Untersuchungsverfahrens dem Privatkläger auferlegt. Dieser wurde zudem verpflichtet, der Beschuldigten eine Anwaltskostenentschädigung für deren Anwalt zu bezahlen. Gegen die Kostenauflage führte der Privatkläger beim Kantonsgericht Beschwerde.
Aus den Erwägungen:
5.
5.1.
Sachverhaltsmässig ist erstellt, dass der Privatkläger am 2. Mai 2014 gegen die Beschuldigte Strafantrag wegen Verleumdung stellte und diesen Antrag anlässlich seiner Vorsprache bei der Staatsanwaltschaft vom 30. September 2014 präzisierte. Im Strafverfahren ging es in der Folge nicht mehr um Vorfälle von Anfang 2012 bis Dezember 2012, sondern um den am 30. September 2014 neu eingeklagten Vorfall vom Mai 2013. Bei der der vorliegend strittigen Kostenverlegung zugrundeliegenden Strafuntersuchung geht es um diesen Vorfall vom Mai 2013. Gemäss Darstellung des Privatklägers soll dessen Arbeitskollege A ihm im März/April 2014 erzählt haben, die Beschuldigte (und auch B) habe A im Mai 2013 erzählt, dass er (der Privatkläger) eine Frau vergewaltigt habe, obwohl dies nicht stimme; auch schliesse der Privatkläger manchmal seine Frau zu Hause ein. Der Privatkläger beauftragte am 13. Oktober 2014 einen Rechtsvertreter mit der Wahrung seiner Interessen unter anderem gegen die Beschuldigte; der Rechtsvertreter teilte dies am 15. Oktober 2014 der Staatsanwaltschaft mit. Im Folgenden nahm der anwaltlich vertretene Privatkläger am Verfahren teil und machte von seinen Rechten Gebrauch, indem er unter anderem zahlreiche Eingaben einreichte und an sämtlichen staatsanwaltschaftlichen Einvernahmen aktiv teilnahm. Das Verfahren wurde schliesslich primär gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO eingestellt.
5.2.
Bei dieser Sachlage ist im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft dem Privatkläger Kosten des Verfahrens auferlegt hat. Diese Kostenauflage lässt sich aus dem in E. 5.1 erwähnten Sachverhalt und gestützt auf Art. 426 Abs. 2 StPO begründen. Der Zusatzbegründung der Staatsanwaltschaft, der Vorfall sei bei Strafantragsstellung bereits ein Jahr zurückgelegen und der Privatkläger habe einen Zeugen verschwiegen, bedurfte bzw. bedarf es nicht. Insoweit braucht auch nicht weiter auf diese Argumente des Privatklägers sowie auf die ergänzende Darstellung der Oberstaatsanwaltschaft eingegangen zu werden, die Kostenauflage könne sich auch auf Art. 427 Abs. 2 StPO stützen. Entgegen der Auffassung des Privatklägers führt eine konsequente Anwendung von Art. 427 Abs. 2 StPO bei Antragsdelikten, bei denen der Privatkläger – wie vorliegend – aktiv am Verfahren teilnimmt, nicht zu einer Aushöhlung der Ehrverletzungstatbestände. Vielmehr beabsichtigte der Gesetzgeber den Privatkläger bei Antragsdelikten grundsätzlich dann das volle Kostenrisiko tragen zu lassen, wenn er aktiv am Verfahren teilnimmt.
5.3.
Einzuräumen ist allerdings, dass vorliegend die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach der letzten Einvernahme vom 23. Februar 2016 und der abschliessenden Stellungnahme der Beschuldigten vom 7. März 2016 nicht zügig genug vorangetrieben hat, zumal im Mai 2017 der Eintritt der Verjährung der eingeklagten Äusserung vom Mai 2013 drohte. Auch dem Privatkläger steht (gestützt auf Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101] sowie Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 lit. b und Art. 109 Abs. 2 StPO) ein Rechtsanspruch zu, dass seine Eingaben und Parteianträge innert angemessener Frist behandelt werden und das Strafverfahren ohne unbegründete Verzögerung vorangetrieben wird (BGer-Urteil 1B_55/2017 vom 24.5.2017 E. 4 mit zahlreichen Hinweisen). Wie der Privatkläger zu Recht moniert, liegen seit dem 7. März 2016 und der nächsten Untersuchungshandlung der Staatsanwaltschaft am 13. September 2017 rund 1 ½ Jahre, in denen das Strafverfahren vollständig "ruhte". Diese sehr lange Dauer erweist sich unter den konkreten Umständen als unangemessen und verletzt das Beschleunigungsgebot. Die von der Oberstaatsanwaltschaft erwähnten Gründe vermögen nichts daran zu ändern. Ein Verfahrensabschluss mittels Einstellungsverfügung im Herbst 2016 (statt erst am 25.9.2017) wäre adäquat gewesen.
5.4.
Es fragt sich, ob und welche Konsequenzen sich aus dieser Verletzung des Beschleunigungsgebots für die vorliegend zu beurteilenden Kostenfolgen ergeben. Entgegen der Auffassung des Privatklägers ist es mit Blick auf die obigen Ausführungen nicht bereits deshalb unhaltbar, dem Privatkläger die Verfahrenskosten aufzuerlegen, weil eine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegt. Es erscheint jedoch naheliegend und folgerichtig, dass ihm aus der Säumnis der Staatsanwaltschaft kostenmässig keine Nachteile erwachsen dürfen. Bei der Beurteilung der Kostenfolgen ist somit in erster Linie auf den mutmasslichen Prozessausgang abzustellen (vgl. BGer-Urteil 6B_1118/2016 vom 10.7.2017 E. 1.2.2). In diesem Sinn ist zu prüfen, ob die gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO erfolgte Verfahrenseinstellung mutmasslich einer Überprüfung durch das Kantonsgericht standgehalten hätte, wäre die Verfahrenseinstellung zeitgerecht, d.h. ca. im Herbst 2016, ergangen und anschliessend mit Beschwerde beim Kantonsgericht angefochten worden.