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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Regierungsrat
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Volksrechte
Entscheiddatum:14.08.2017
Fallnummer:RRE Nr. 843
LGVE:2017 VI Nr. 7
Gesetzesartikel:Art. 34 Abs. 2 BV, § 17 Abs. 2 GG, § 86 Abs. 2 StRG
Leitsatz:Einer Ortsplanungsinitiative kommt nur verpflichtende Wirkung für die Durchführung des Ortsplanungsverfahrens zu. Die Initianten haben keinen Anspruch darauf, dass die angenommene ausformulierte Initiative nach Abschluss des Verfahrens auch wortwörtlich umgesetzt wird. Schon im Rahmen des Auflageverfahrens sind Änderungen möglich. Ebenso können die Stimmberechtigten die Umsetzungsvorlage der Initiative ablehnen und insofern auf die Initiative zurückkommen und diese rückgängig machen. Die allgemeine Verantwortung des Gemeinderates verbunden mit seiner Zuständigkeit bei Abstimmungen berechtigt den Gemeinderat im Rahmen der Vorbereitung der Sachgeschäfte, Varianten zu einer Vorlage zu präsentieren und zur Abstimmung zu bringen. Diese Rechte werden auch durch eine Initiative nicht eingeschränkt.

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:An der Urnenabstimmung vom 8. März 2015 in der Gemeinde A. wurde eine ausformulierte Ortsplanungsinitiative angenommen. In der Folge erarbeitete der Gemeinderat der Gemeinde A zwei Varianten eines neuen Bau- und Zonenreglements. In der ersten Variante wurde die Forderung der Initianten umgesetzt, während die zweite Variante eine vom Gemeinderat ausgearbeitete Alternative auf Basis einer eingereichten Petition einer Interessengemeinschaft darstellte.

Mit Eingabe vom 3. Juli 2017 erhob der Beschwerdeführer B Stimmrechtsbeschwerde gegen das geplante Vorgehen des Gemeinderates, zwei Varianten eines Bau- und Zonenreglements zur Abstimmung bringen zu wollen. Das Vorgehen der Vorinstanz verstosse gegen die Gleichberechtigung und die Gleichbehandlung aller Stimmbürger. Sollten beide Varianten zur Abstimmung gebracht werden, würde die Vorinstanz eine Petition gleich gewichten wie eine Initiative, die von den Stimmberechtigten angenommen worden sei. Zwar schliesse das kantonale Planungs- und Baugesetz Varianten nicht explizit aus, führe aber verschiedene Varianten auch nicht im Vokabular. Ausserdem dürfe eine Variante nicht dazu führen, dass kürzlich gefällte Abstimmungsentscheide umgestossen würden.


Aus den Erwägungen:

(…)

4.1 Bei einer Initiative in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs kann der Gemeinderat diese redaktionell bereinigen. Inhaltliche Änderungen darf er nicht vornehmen (§ 39 Abs. 4 des Gemeindegesetzes vom 4. Mai 2004 (GG; SRL Nr. 150). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass im kantonalen Recht nicht geregelt ist, wie zu verfahren ist, wenn im Bereich der Ortsplanung eine Gemeindeinitiative zustande gekommen ist. Die herrschende Rechtsprechung hat festgehalten, dass eine formulierte Ortsplanungsinitiative durch Lückenfüllung verfahrensmässig so zu behandeln ist, dass die Verfahrensgarantien der §§ 61 ff. des Planungs- und Baugesetzes vom 7. März 1989 (PBG; SRL Nr. 735) gewahrt bleiben. Dies geschieht dadurch, dass einer formulierten Ortsplanungsinitiative nur als Vorlage für die Durchführung des Ortsplanungsverfahrens verpflichtende Wirkung zukommt. Lehnt die zuständige Gemeindebehörde die Vorlage ab, ist diese den Stimmberechtigten im Wortlaut zur Abstimmung vorzulegen. Nehmen die Stimmberechtigten die Vorlage an, hat die zuständige Behörde die formulierte Initiative öffentlich aufzulegen und das Verfahren gemäss §§ 61 PBG durchzuführen. Nach Abschluss des öffentlichen Auflageverfahrens hat die zuständige Behörde nach Abwägung aller raumplanungsrechtlich relevanter Gesichtspunkte wie im ordentlichen Ortsplanungsverfahren den Stimmberechtigten die allenfalls abgeänderte Vorlage zu unterbreiten und bei Annahme vom Regierungsrat genehmigen zu lassen. Dessen Rechte und Pflichten sind selbstverständlich zufolge der formulierten Initiative nicht eingeschränkt. Eine formulierte Ortsplanungsinitiative bleibt damit weniger verbindlich als eine formulierte Gesetzesinitiative. Sie enthält aber immer noch eine grössere Verbindlichkeit als eine nicht formulierte Initiative, indem die Vorlage des Ortsplanungsverfahrens durch die Initianten und nicht durch die zuständige Behörde festgelegt wird (LGVE 2007 III Nr. 2, LGVE 1993 III Nr. 10).

4.2 Im vorliegenden Verfahren handelt es sich um eine ausformulierte Gemeindeinitiative im Bereich der Ortsplanung. In einem solchen Fall kommt der Initiative nur verpflichtende Wirkung für die Durchführung der Ortsplanung zu. Gemäss den Absichten des Gemeinderates soll die Vorlage mit der umgesetzten Initiativforderung nach der Mitwirkung und der öffentlichen Auflage den Stimmberechtigten zur Abstimmung vorgelegt werden. Dass über eine Ortsplanungsinitiative – nach der erfolgten Annahme der Initiative durch die Stimmberechtigten – im Rahmen der Ausarbeitung des Bau- und Zonenreglements ein zweites Mal abgestimmt wird, liegt in der Natur des Ortsplanungsverfahrens. Somit führt der Gemeinderat das Ortsplanungsverfahren ordnungsgemäss durch. Insoweit setzt er gemäss den obigen Ausführungen die Initiative korrekt um, soweit dieser verpflichtende Wirkung zukommt. Dies wird vom Beschwerdeführer denn auch nicht bestritten.

5. Nachdem festgestellt worden ist, dass die Ortsplanungsinitiative bisher gemäss der herrschenden Rechtsprechung umgesetzt wird, ist zu prüfen, ob die Vorinstanz berechtigt ist, der umgesetzten Initiative eine Variante gegenüberzustellen.

5.1 Das Bundesgericht hielt fest, dass die Umsetzung einer Planungsinitiative vergleichbar sei mit der Umsetzung einer als allgemeine Anregung angenommenen unformulierten Verfassungs- oder Gesetzesinitiative. Aus Art. 34 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101) gehe hervor, dass die Behörden, welche den in einer nicht formulierten und damit nicht inhaltlich fest vorgegebenen Initiative angenommenen Regelungsgehalt umsetzen, eine Regelung auszuarbeiten und zu verabschieden haben, die den in der Initiative zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen entspricht (vgl. BGE 115 Ia 148 E. 4). Bei einer Planungsinitiative ist eine Vorlage eines Planerlasses oder von Plananpassungen auszuarbeiten, die dem mit der Initiative angestrebten planerischen Ergebnis entsprechen und grundsätzlich ebenfalls mit dem höherrangigen Recht vereinbar scheinen (Urteil des Bundesgerichts 1C_273/2012 vom 7.11.2012 E. 5.6). Innerhalb des entsprechenden Rahmens steht dem Umsetzungsorgan jedoch eine gewisse, wenn auch auf das mit der Initiative verfolgte Anliegen beschränkte Gestaltungskompetenz zu (BGE 141 I 186 E. 5.3, Urteil des Bundesgerichts 1C_273/2012 vom 7.11.2012 E. 5.6).

5.2 Einer ausformulierten Ortsplanungsinitiative kommt nur als Vorlage für die Durchführung des Ortsplanungsverfahrens verpflichtende Wirkung zu. Spätestens mit der Abstimmung über die Vorlage mit den umgesetzten Initiativforderungen findet die verpflichtende Wirkung der Planungsinitiative ihr Ende. Jedoch kann daraus nicht der Anspruch abgeleitet werden, dass das Initiativbegehren unverändert in das Bau- und Zonenreglement übernommen wird. Aufgrund der Besonderheit des Ortsplanungsverfahrens haben die Initianten keinen Anspruch darauf, dass die angenommene ausformulierte Initiative nach Abschluss des Verfahrens auch wortwörtlich umgesetzt wird. So sind schon im Rahmen des Auflageverfahrens Änderungen möglich. Ebenso haben die Stimmberechtigten das Recht, die Umsetzungsvorlage der Initiative abzulehnen, insbesondere weil ihnen möglicherweise die Variante des Gemeinderats mehr zusagt. Insofern ist es durchaus zulässig und liegt in der Natur des Verfahrens, dass auf die Abstimmung über die Initiative zurückgekommen wird und dass sie auch rückgängig gemacht werden kann. In diesem Sinn ist es auch zulässig, wenn nicht sogar nötig, dass der Gemeinderat den Stimmberechtigten auch Varianten aufzeigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Idee für die Variante vom Gemeinderat selber entwickelt wurde oder ursprünglich aus einer eingereichten Petition stammt, wie im vorliegenden Fall.

5.3 In § 14 Abs. 1 des Gemeindegesetzes des Kantons Luzern vom 4. Mai 2004 (GG; SRL Nr. 150) ist festgehalten, dass der Gemeinderat das zentrale Führungsorgan der Gemeinde ist und die Gesamtverantwortung trägt. So ist er unter anderem verantwortlich für die Vorbereitung der Sachgeschäfte für die Stimmberechtigten (§ 17 Abs. 2 GG). Dazu konkretisiert § 23 Abs. 4 des Stimmrechtsgesetzes vom 25. Oktober 1988 (StRG; SRL Nr. 10), dass die Gemeindebehörde die Gemeindeabstimmungen anordnet und zeitlich festlegt. Diese allgemeine Verantwortung des Gemeinderates verbunden mit seiner Zuständigkeit bei Abstimmungen berechtigen ihn, im Rahmen der Vorbereitung der Sachgeschäfte seine eigene Haltung zu einer Vorlage zum Ausdruck zu bringen. Diese Rechte werden auch durch eine Initiative nicht eingeschränkt. Selbst wenn das Gesetz es nicht ausdrücklich vorsieht, muss der Gemeinderat bei einer Abstimmung über die Umsetzung einer Initiative aufgrund der genannten Grundsätze und seiner Gesamtverantwortung für die Gemeindeanliegen die Möglichkeit haben, seine eigene Haltung auszudrücken. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit, Varianten zur Abstimmung bringen zu dürfen, wie es vorliegend der Fall ist. Die Variantenabstimmung ist in § 86 Abs. 2 StRG denn auch ausdrücklich vorgesehen.