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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilrecht
Entscheiddatum:23.05.2018
Fallnummer:3B 17 30
LGVE:2018 II Nr. 2
Gesetzesartikel:Art. 122 ZGB, Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB; Art. 276 Abs. 1 ZPO.
Leitsatz:Trotz der Vorverlegung des für die Teilung des Pensionskassenguthabens massgebenden Zeitpunkts auf die Einleitung des Scheidungsverfahrens, besteht kein Raum für das Zusprechen eines Vorsorgeunterhalts im Rahmen des Massnahmeverfahrens.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.
Gegen diesen Entscheid ist eine Beschwerde beim Bundesgericht hängig (Fall-Nr.: BGer 5A_582/2018 und 5A_588/2018).
Entscheid:Aus den Erwägungen:

5.2.4.
5.2.4.1
Die Gesuchstellerin macht gestützt auf das neue Recht bezüglich Vorsorgeausgleich neu einen Vorsorgeunterhalt geltend. Da für die Teilung des Pensionskassenguthabens der Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens und nicht derjenige des Scheidungsurteils massgebend sei, habe sie seit dem 2. Januar 2016 – dem Tag der Einleitung des Scheidungsverfahrens – Anspruch auf einen Vorsorgeunterhalt. Dazu ist Folgendes festzustellen:

Für Eheschutz- bzw. vorsorgliche Massnahmeverfahren besteht keine gesetzliche Grundlage analog Art. 125 Abs. 2 Ziff. 8 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210), welche Raum für Vorsorgeunterhalt vor der Scheidung bietet. Anlässlich der Änderung der Bestimmungen betreffend Vorsorgeausgleich bei Scheidung vom 19. Juni 2015 verzichtete der Gesetzgeber auf eine Revision des (Vorsorge-)Unterhaltsrechts. Es ist davon auszugehen, dass beim Gesetzgeber das Bewusstsein über die von der Gesuchstellerin erwähnte mögliche Beitragslücke vorhanden war. Dies ergibt sich aus den Materialien zum neuen Vorsorgeausgleich. Der Bundesrat führte in seiner Botschaft zur Gesetzesrevision zu Art. 122 ZGB aus, nach dem geltenden Recht müssten die Austrittsleistungen der Ehegatten auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsurteils berechnet werden. Dies habe zwar den Vorteil, dass der Vorsorgeausgleich auf den während der gesamten Ehedauer erworbenen Austrittsleistungen erfolge. Nachteilig an der Regelung sei aber, dass sie zum Taktieren verleite und für den berechtigten Ehegatten einen Anreiz schaffe, das Verfahren möglichst in die Länge zu ziehen. Zudem könnten weder die Parteien noch das Gericht zuverlässig bestimmen, wann das Scheidungsurteil rechtskräftig werde, sodass mehrfach aktualisierte Bestätigungen der beteiligten Vorsorgeeinrichtungen über die Höhe der massgeblichen Austrittsleistungen beigebracht werden müssten. Dass eine solche Lösung nicht befriedige, sei offensichtlich. Überzeugen könne daher nur eine Lösung, die einen Zeitpunkt in der Vergangenheit für ausschlaggebend erkläre. Es liege nahe, dafür auf den gleichen Zeitpunkt wie im Güterrecht abzustellen, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem das Scheidungsverfahren eingeleitet werde (Art. 204 Abs. 2 ZGB). Demnach sehe der Entwurf vor, dass jene Ansprüche ausgeglichen würden, die vom Zeitpunkt der Eheschliessung bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens erworben worden seien. Dass damit die während des Scheidungsverfahrens geäufnete Austrittsleistung nicht hälftig geteilt werde, sei im Interesse einer einfachen Lösung in Kauf zu nehmen (Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Vorsorgeausgleich bei Scheidung] vom 29.5.2013, in: BBl 2013 4905 f.). Anlässlich der Beratung der Vorlage im Parlament folgte der Ständerat dem bundesrätlichen Entwurf einstimmig (Amtl.Bull. SR 2014 S. 522 f.). Die vorberatende nationalrätliche Kommission unterbreitete dem Nationalrat zunächst den Mehrheitsantrag, an der bisherigen Lösung der Teilung per Scheidungsdatum festzuhalten, während eine Kommissionsminderheit für die Vorlage gemäss Botschaft votierte. Aus den Wortmeldungen in der nationalrätlichen Debatte geht hervor, dass die aufgeworfenen Fragen über Schwierigkeiten der bisherigen Regelung in der Praxis (bezüglich präziser Berechnungen) sowie über das Taktieren unterschiedlich beurteilt wurden (Amtl.Bull. NR 2015 S. 758 ff.). In zwei Voten zugunsten einer Beibehaltung des bisherigen Rechts wurde zudem die allfällige Vorsorgelücke, welche durch die Vorverschiebung des Stichtags entstehen könnte, ausdrücklich angesprochen (NR Vischer und NR Kiener Nellen). Bei einer Beibehaltung des bisherigen Rechts, so der erstgenannte Redner, bliebe die Koordination mit der Frage des nachehelichen Unterhaltsrechts, welches erst ab Rechtskraft der Scheidung gelte, gewährleistet. Bis zu diesem Zeitpunkt würden vorsorgliche Massnahmen gelten, welche indessen auf unterschiedlichen Anspruchsberechnungen basierten. Deshalb sei es wichtig, dass der Zeitpunkt der BVG-Teilung auch koordiniert sei mit dem Zeitpunkt, zu dem man wisse, wie hoch der nacheheliche Unterhalt allfällig sei, und dass man darauf dann Bezug nehmen könne (Amtl.Bull. NR 2015 S. 764 f.). Und sinngemäss wandte Nationalrätin Kiener Nellen ein: "Selon le Code Civil suisse, notamment à l'article 125, l'époux ou l'èpouse économiquement plus faible a droit à une contribution d'entretien qui doit lui permettre d'assurer sa prévoyance viellesse. Alors si vous limitez le partage du deuxième pilier au moment de l'introduction de la demande de divorce, vous empêchez l'autre conjoint, l'autre conjointe de s'assurer une prévoyance professionelle qui est, dans la plupart des couples […] le bien fiancier le plus important d'un couple." (Amtl.Bull. NR S. 765). Trotz den geäusserten Bedenken folgte die Mehrheit im Nationalrat dem Minderheitsantrag der Kommission und damit dem bundesrätlichen Vorschlag, wie er schliesslich Eingang ins Gesetz fand. Im Unterhaltsrecht nahm der Gesetzgeber keine Anpassungen vor, so dass die bisherigen familienrechtlichen Pflichten der Ehegatten unverändert weitergelten. Gemäss Art. 163 ZGB beruht der eheliche Unterhalt auf der gegenseitigen ehelichen Beistands- bzw. Familienunterhaltspflicht und der zwischen den Ehegatten vereinbarten Aufgabenteilung. Eingeschlossen ist dabei auch die Pflicht des erwerbstätigen Ehegatten, für eine adäquate Altersvorsorge besorgt zu sein (BGE 134 III 577 E. 3). Allerdings ist die Beistandspflicht mit Blick auf das Pensionsalter der Ehegatten als allgemeine familienrechtliche Verpflichtung zu verstehen, entsprechende Rückstellungen durch regelmässige Beiträge an eine geeignete Einrichtung der obligatorischen oder freiwilligen Altersvorsorge im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten der Familie zu tätigen, ohne dass dabei auch ein persönlicher Anspruch auf Vorsorgeunterhalt des anderen Ehegatten statuiert wird. Die Vorverschiebung des Stichtags für die Aufteilung der Austrittsleistungen gemäss dem revidierten Art. 122 ZGB hat zur Folge, dass die eheliche Versorgungsgemeinschaft nach dem Willen des Gesetzgebers hinsichtlich der beruflichen Altersvorsorge bereits bei Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens aufgehoben wird, dies unter bewusster Inkaufnahme einer allfälligen Vorsorgelücke. Zudem bestehen nach der gesetzlichen Konzeption des Unterhaltsrechts zwischen dem ehelichen Trennungsunterhalt (Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB) und dem nachehelichen Ehegattenunterhalt (Art. 125 ZGB) Unterschiede, welche unabhängig vom neuen Vorsorgeausgleich weiterbestehen. Während es bei ersterem ausschliesslich um die Alimentierung für die laufenden monatlich wiederkehrenden Verpflichtungen des persönlichen Grundbedarfs geht, dient der Unterhaltsanspruch für die Zeit nach der Ehescheidung nicht nur der Deckung des laufenden (gebührenden) Unterhalts, sondern hat auch Sparcharakter, indem unter den gegebenen Voraussetzungen nach Art. 125 ZGB ein Sparbeitrag für den Aufbau einer angemessenen beruflichen Altersvorsorge zugesprochen werden kann (vgl. zum Ganzen: Entscheid des Kantonsgericht Basel-Landschaft 400 17 270 vom 7.11.2017 E. 9.1).

Aus all diesen Gründen sieht das Kantonsgericht keinen Raum für das Zusprechen eines Vorsorgeunterhalts im Rahmen des Massnahmeverfahrens.

5.2.4.2.
Als Gründe für die Vorverlegung des massgeblichen Teilungszeitpunktes nach Art. 122 ZGB werden in der Botschaft die Eindämmung von Taktierungsmöglichkeiten zur Verschleppung des Verfahrens und die praktische Vereinfachung bei der Ermittlung der Austrittsleistungen hinsichtlich des massgeblichen Stichtages genannt. Die hier beantragte Zusprechung eines vorsorglichen Vorsorgeunterhalts würde diese gesetzgeberischen Absichten wieder unterwandern. Das Erkenntnisverfahren für einen Antrag auf Vorsorgeunterhalt während der Dauer des Scheidungsverfahrens würde den Hauptprozess verlängern und dadurch auch eine allfällige Vorsorgelücke vergrössern. Die Berechnung der Unterhaltshöhe würde zudem zu einer Komplizierung des Massnahmeverfahrens führen. Hinzu kommt, dass einer Einbusse bei der Äufnung der Altersvorsorge im Hauptentscheid bei erfüllten Voraussetzungen nach Art. 124b ZGB durch eine überhälftige Teilung der Austrittsleistung Rechnung getragen werden könnte, was insbesondere bei überdurchschnittlich langen Scheidungsprozessen angezeigt sein könnte (Entscheid des Kantonsgericht Basel-Landschaft 400 17 270 vom 7.11.2017 E. 9.2).