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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:01.09.2016
Fallnummer:1C 16 18
LGVE:2018 I Nr. 5
Gesetzesartikel:Art. 47 ZPO, Art. 52 ZPO, Art. 147 ZPO, Art. 147 Abs. 3 ZPO, Art. 183 Abs. 2 ZPO.
Leitsatz:Nach dem Prinzip von Treu und Glauben hat das Gericht nicht nur die Parteien, sondern auch betroffene Dritte auf die Säumnisfolgen hinzuweisen, hier den Gutachter, der eingeladen wird, zu einem Ausstandsbegehren Stellung zu nehmen (E. 3).



Ausstandsbegehren gegen einen Gutachter. Es gelten die gleichen Ausstandsgründe wie für die Gerichtspersonen. Grundsätzlich kann eine Befangenheit einer sachverständigen Person nicht mittels der Schilderung einzelner angeblich negativer Erfahrungen anderer versicherter Personen mit dieser Gutachtensperson in früheren Fällen begründet werden (E. 4).



Ein abgelehntes Ausstandsbegehren begründet keine Befangenheit (E. 6).

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:In einem Haftpflichtprozess teilte die erstinstanzliche Instruktionsrichterin den Parteien mit, es werde ein polydisziplinäres (medizinisches und psychiatrisches) Gutachten in Auftrag gegeben. Mit der Durchführung des Gutachtens werde Dr. med. B, leitender Oberarzt Neurologie, beauftragt. Er werde für psychiatrische Abklärungen Prof. Dr. med. A und für wirbelsäulenchirurgische Abklärungen Dr. med. C beiziehen. Die Parteien erhielten Gelegenheit, Einwendungen gegen die Person der Experten einzureichen, sich zur Fragestellung zu äussern und Änderungs- und Ergänzungsanträge zu formulieren. Der Gesuchsteller (Unfallopfer) erhob Einwendungen gegen den Gutachter Prof. Dr. med. A, lehnte ihn als Gutachter ab und unterbreitete der Vorinstanz Alternativvorschläge für die Disziplin der Psychiatrie. Nachdem sich die Gegenpartei und Prof. Dr. med. A dazu äussern konnten, wies die Vorinstanz das Ausstandsbegehren ab. Dagegen erhob der Gesuchsteller Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

3.
3.1.
Die Vorinstanz liess die Eingabe von Prof. Dr. med. A vom 9. März 2016 – entgegen dem Einwand des Gesuchstellers, diese sei erst nach Fristablauf und damit verspätet erfolgt – mangels entsprechenden Hinweises auf die Säumnisfolgen zu (Art. 147 Abs. 3 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272]).

3.2.
Der Gesuchsteller rügt diesbezüglich eine Verletzung von Art. 147 und Art. 52 ZPO. Die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass Art. 147 Abs. 3 ZPO nur für die Prozessparteien gelte (vgl. Art. 147 Abs. 1 ZPO). Prof. Dr. med. A sei nicht Partei, weshalb er nicht von Art. 147 Abs. 3 ZPO profitieren könne. Am 1. März 2016 habe die Vorinstanz zudem den Parteien geschrieben, Prof. Dr. med. A habe sich innert Frist nicht vernehmen lassen. Es verstosse gegen Art. 52 ZPO, wenn die Vorinstanz nun die verspätete Stellungnahme beachte.

3.3.
Nach dem Prinzip von Treu und Glauben hat das Gericht die Parteien und die betroffenen Dritten auf die Säumnisfolgen hinzuweisen (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 28.6.2006, S. 7309). Die Vorinstanz hatte demzufolge auch Prof. Dr. med. A in der Aufforderung zur Stellungnahme vom 12. Januar 2016 auf allfällige Säumnisfolgen hinzuweisen. Da dieser Hinweis nicht erfolgte, konnten keine Säumnisfolgen eintreten (BGer-Urteil 5A_812/2013 vom 11.2.2014 E. 2.3).

Zudem wies Dr. med. B bereits im Fristerstreckungsbegehren vom 15. Januar 2016 auf die Erkrankung von Prof. Dr. med. A hin und auch Prof. Dr. med. A führte in der Stellungnahme vom 9. März 2016 aus, er sei aus Krankheitsgründen und damit verbundener Langzeit-Arbeitsunfähigkeit bisher nicht in der Lage gewesen, zum Ausstandsgesuch Stellung zu nehmen. Die Vorinstanz hätte demnach die Eingabe vom 9. März 2016 auch aufgrund des sinngemäss gestellten Wiederherstellungsgesuchs nach Art. 148 ZPO zulassen müssen; dies insbesondere auch deshalb, weil die Stellungnahme von Prof. Dr. med. A vorliegend nicht entbehrlich ist.

4.
4.1.
Die Vorinstanz erwog, eine – wie vom Gesuchsteller behauptete – systematische Verneinung der Unfallkausalität lasse sich aus den von ihm aufgelegten, sehr kurzen Auszügen aus den jeweiligen Gutachten nicht entnehmen. (…) Zudem sei zu beachten – worauf Prof. Dr. med. A zu Recht hinweise –, dass die Schlussfolgerungen dieser Gutachten im interdisziplinären Konsens ausgearbeitet und die Gutachten in Verantwortung aller beteiligten Experten verfasst worden seien. (…) Zusammenfassend sei festzuhalten, dass die gegen den Gutachter Prof. Dr. med. A vorgebrachten Einwendungen unbegründet seien.

(…)

4.5.
Gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. f ZPO tritt eine Gerichtsperson in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder ihrer Vertretung befangen sein könnte. Nach Art. 183 Abs. 2 ZPO gelten für sachverständige Personen die gleichen Ausstandsgründe wie für Gerichtspersonen (Art. 47 ZPO). Damit wird der verfassungsmässige Anspruch auf ein unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV) konkretisiert, weshalb die zu dieser Bestimmung ergangene Rechtsprechung Geltung hat. Befangenheit ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit zu erwecken. Bei der Befangenheit handelt es sich allerdings um einen inneren Zustand, der nur schwer bewiesen werden kann. Für die Ablehnung braucht daher nicht nachgewiesen zu werden, dass die sachverständige Person tatsächlich befangen ist. Vielmehr genügt, wenn Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Bei der Beurteilung des Anscheins der Befangenheit und der Gewichtung solcher Umstände kann jedoch nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt werden. Das Misstrauen muss vielmehr in objektiver Weise als begründet erscheinen. Voreingenommenheit und Befangenheit werden angenommen, wenn Gegebenheiten dargetan sind, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters bzw. Gutachters zu erwecken. Diese können namentlich in einem bestimmten Verhalten der betreffenden Person begründet sein (BGer-Urteile 8C_276/2016 vom 23.6.2016 E. 3.1 und 4A_286/ 2011 vom 30.8.2011 E. 3.1).

Grundsätzlich kann eine Befangenheit einer sachverständigen Person nicht mittels der Schilderung einzelner angeblich negativer Erfahrungen anderer versicherter Personen mit dieser Gutachtensperson in früheren Fällen begründet werden. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn substanziiert dargetan wird, wie sich aus der (angeblichen) Fehlleistung eines Experten in früheren Fällen auf eine Befangenheit dieses Experten im konkreten Fall schliessen lässt (BGer-Urteil 8C_599/2014 vom 18.12.2015 E. 6.2).

Nicht abgelehnt im Sinne der Ausstandsvorschriften werden kann ein Experte mit dem blossen Hinweis auf seine ungenügenden Fachkenntnisse; ungenügende Fachkenntnisse können lediglich dazu führen, dass die Auswahl des Gutachters bzw. die Beweistauglichkeit seines Gutachtens und gegebenenfalls die darauf beruhende Beweiswürdigung durch das Gericht in Frage gestellt werden können. Kein Ausstandsgrund liegt sodann vor, wenn der Sachverständige Verfechter einer bestimmten Lehrmeinung ist und daher aus vertretbaren wissenschaftlichen Gründen die Wendung des Prozesses in eine bestimmte Richtung lenken könnte. Namentlich ist die Stellungnahme in früheren Gutachten in diesem oder jenem Sinne kein Ausstandsgrund. Der Sachverständige ist aber gehalten, sich in einem Gutachten mit den massgeblichen Schulen auseinanderzusetzen, damit das Gericht darüber befinden kann, ob es ein weiteres Gutachten einholen möchte oder nicht. Wie ein Richter kann auch ein Gutachter Anhänger oder Gegner einer bestimmten wissenschaftlichen Lehrmeinung sein: Der Ausstand eines Richters kann auch nicht mit der Begründung verlangt werden, dass sich dieser in der einen oder andern Richtung – sei es wissenschaftlich oder in früheren Urteilen – zu den die Parteien interessierenden Rechtsfragen geäussert habe (Müller, in: Schweizerische Zivilprozessordnung Komm. [Hrsg. Brunner/Gasser/Schwander], 2. Aufl. 2016, Art. 183 ZPO N 19).

4.6.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Thema des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nur die gegenüber dem Gutachter Prof. Dr. med. A geltend gemachten Ausstandsgründe sind, nicht aber dessen fachliche oder persönliche Eignung (vgl. Alfred Bühler, Gerichtsgutachter und -gutachten im Zivilprozess, in: Gericht und Expertise [Hrsg. Heer/Schöbi], Bern 2005, S. 47 f.). Vorbringen zur Fachkompetenz (als sogenannte materielle Einwendungen) können nicht schon im Rahmen eines Zwischenverfahrens zur Beurteilung vorgelegt werden (BGer-Urteil 9C_489/2014 vom 14.7.2014 E. 2.3). Die dem Gutachter Prof. Dr. med. A vom Gesuchsteller vorgeworfene Fehlbegutachtung im Zusammenhang mit dem Verfahren BG xx xx xx bzw. OG xx xx xx kann daher nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens sein. Im Übrigen hat der Gesuchsteller nicht substanziiert dargetan, wie sich aus einer (angeblichen) Fehlleistung in früheren Fällen auf eine Befangenheit von Prof. Dr. med. A im vorliegenden Fall schliessen lassen würde.

Unangefochten blieb die vorinstanzliche Feststellung, dass die Schlussfolgerungen dieser Gutachten – welche vom Gesuchsteller vorinstanzlich auszugsweise aufgelegt wurden – im interdisziplinären Konsens ausgearbeitet und die Gutachten in Verantwortung aller beteiligten Experten verfasst worden sind. Bereits aus diesem Grund vermögen diese Gutachtenauszüge keinen Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit von Prof. Dr. med. A als beteiligtem einzelnen Experten zu begründen.

Das Ergebnis der Begutachtung erscheint nach wie vor als offen und nicht vorherbestimmt. Die Offenheit des Ergebnisses der Begutachtung ist insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass das Gutachten im interdisziplinären Konsens und in voller Verantwortung aller beteiligten Experten – Dr. med. B, Dr. med. C und Prof. Dr. med. A – verfasst wird, zu bejahen. Im Übrigen hat Prof. Dr. med. A in seiner Stellungnahme vom 1. Juli 2016 glaubhaft zum Ausdruck gebracht, dass das Begutachtungsergebnis nach wie vor offen ist.

Schliesslich erhebt der Gesuchsteller im Beschwerdeverfahren keine Rügen in Bezug auf die Ausführungen der Vorinstanz im Zusammenhang mit der vorinstanzlich von ihm noch geltend gemachten wirtschaftlichen Abhängigkeit des Gutachters Prof. Dr. med. A von der Gesuchsgegnerin, weshalb darauf nicht (mehr) einzugehen ist.

4.7.
Die Vorinstanz wies demzufolge das Ausstandsbegehren gegen Prof. Dr. med. A zu Recht ab, soweit sie darauf eintrat.

(…)

6.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein abgelehntes Ablehnungsbegehren keine Befangenheit begründet (Wullschleger, in: Komm. zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [Hrsg. Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger], 3. Aufl. 2016, Art. 47 ZPO N 37; BGer-Urteile 1P.637/2004 vom 6.1.2005 E. 5 und 1P.630/2003 vom 23.1.2004 E. 3.2).