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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Kindes- und Erwachsenenschutz
Entscheiddatum:20.07.2018
Fallnummer:3H 17 114
LGVE:2018 II Nr. 7
Gesetzesartikel:Art. 389 ZGB, Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB.
Leitsatz:Ist kein in der Person selber liegender Schwächezustand gegeben, fehlt es an einer notwendigen Voraussetzung zur Errichtung einer Erwachsenenschutzmassnahme, auch wenn Unterstützungsbedarf besteht.

Die Eingriffsschwelle für die Anordnung behördlicher Massnahmen des Erwachsenenschutzes kann tiefer gehalten werden, wenn die betroffene Person entsprechende Unterstützung ausdrücklich befürwortet.

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Die KESB Z hat für A eine Vertretungsbeistandschaft mit Einkommens- und Vermögensverwaltung angeordnet. Gegen diesen Entscheid reichte A beim Kantonsgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein.

Aus den Erwägungen:

3.4.
3.4.1.
Eine Beistandschaft ist anzuordnen, wenn eine volljährige Person wegen einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands ihre Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht besorgen kann (Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Die Erwachsenenschutzbehörde umschreibt die Aufgabenbereiche der Beistandschaft entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Person (Art. 391 Abs. 1 ZGB; BGE 140 III 49 E. 4.3.1). Die Aufgabenbereiche können die Personensorge, die Vermögenssorge oder den Rechtsverkehr betreffen (Art. 391 Abs. 2 ZGB). Tragende Prinzipien des Erwachsenenschutzrechts sind die Subsidiarität der behördlichen Massnahmen und deren Verhältnismässigkeit (Art. 389 ZGB). Eine behördliche Massnahme darf nur angeordnet werden, wenn den negativen Folgen eines Schwächezustands nicht anders begegnet werden kann. Ergibt sich ein genügender Schutz aus dem privaten Umfeld der betroffenen Person, besteht keine Notwendigkeit für ein behördliches Eingreifen und die behördliche Massnahme ist nicht gerechtfertigt. Genügt der durch das private Umfeld gewährte Schutz nicht und muss deshalb eine behördliche Massnahme angeordnet werden, ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten. Die verhängte Massnahme darf weder stärker noch schwächer in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreifen, als für das Erreichen des notwendigen Schutzes erforderlich ist. Verhältnismässigkeit bedeutet, dass die verhängte Massnahme dazu geeignet sein muss, den verfolgten Zweck herbeizuführen und dafür auch erforderlich, d.h. notwendig ist. Konkret steht die Errichtung einer Beistandschaft kumulativ unter folgenden drei Voraussetzungen: Die betroffene Person muss unter einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder einem ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustand leiden. Auf Grund dieses Zustands muss sie ihre Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht besorgen können und die Beistandschaft muss für die sich dadurch ergebenden Schwierigkeiten Abhilfe bieten (vgl. BGer-Urteil 5A_427/2017 vom 6.2.2018 E. 2.1 mit Hinweisen; Fassbind, Erwachsenenschutz, Zürich 2012, S. 228 f.; Henkel, Basler Komm., 5. Aufl. 2014, Art. 390 ZGB N 2 ff.; Rosch, in: Erwachsenenschutzrecht – Einführung und Kommentar zu Art. 360 ff. ZGB und VBVV [Hrsg. Rosch/Büchler/Jakob], 2. Aufl. 2015, Art. 388 ZGB N 2 ff.).

3.4.2.
Voraussetzung für die Errichtung einer Beistandschaft ist – wie dargelegt – zunächst das Vorliegen eines Schwächezustands, also einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands (Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Unter geistiger Behinderung werden angeborene oder erworbene Intelligenzdefizite verschiedener Schweregrade verstanden. Der Begriff der psychischen Störung umfasst die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie (vgl. Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28.6.2006, in: BBl 2006 7043). Die weit gefasste Wendung des ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands ermöglicht als Auffangtatbestand insbesondere den Schutz Betagter, bei denen gleichartige Defizite wie bei Menschen mit einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Störung auftreten. Erfasst sind auch ausgeprägte Fälle von Unerfahrenheit, Abhängigkeit (Unfähigkeit dem eigenen Willen entsprechend zu handeln und Hilfe zu holen aufgrund von Angst und eingeschränkter Mobilität), Unwilligkeit (z.B. Ablehnung der unbedingt erforderlichen Reinigung der Wohnung samt Bekämpfung von Schädlingen sowie Desinfektion), Verschwendung oder Misswirtschaft sowie schwerste Erscheinungsformen körperlicher Beeinträchtigungen (z.B. schwere Lähmungen) oder multiple Behinderungen (z.B. Taubblindheit). Ein solcher Schwächezustand kann sich beispielsweise bei jungen Erwachsenen auch in mangelnder psychischer und sozialer Reife manifestieren und eine Beistandschaft zur Förderung und Begleitung der beruflichen Entwicklung angezeigt erscheinen lassen. Der Ursprung der Schwäche muss in der Person selbst liegen und nicht bloss auf äusseren Umständen (z.B. soziale Herkunft, Arbeitsschwierigkeiten, Einsamkeit, finanzielle Not) beruhen (vgl. Henkel, a.a.O., Art. 390 ZGB N 13; Meier, in: FamKomm. Erwachsenenschutz [Hrsg. Büchler/Häfeli/Leuba/Stettler], Bern 2013, Art. 390 ZGB N 16 f.; Häfeli, Grundriss zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, 2. Aufl. 2016, N 16.05 f.). Die Variante des ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands ist restriktiv zu handhaben, das heisst, ein Schwächezustand kann nur dann Anlass zur Errichtung einer Beistandschaft sein, wenn er im Hinblick auf die Hilfsbedürftigkeit einer Person mit einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Störung vergleichbar ist. Dies schliesst es beispielsweise aus, eine Person allein deshalb zu verbeiständen, weil sie in einer Art und Weise mit ihrem Geld umgeht, die nach landläufiger Auffassung unvernünftig ist (vgl. BGer-Urteile 5A_773/2013 vom 5.3.2014 E. 4.1, 5A_638/2015 vom 1.12.2015 E. 5.1).

3.4.3.
Nach Lage der Akten liegt beim Beschwerdeführer kein medizinisch bedingter Schwächezustand vor. Zu klären ist, ob – so die Vorinstanz – der Tatbestand eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands erfüllt ist. Dafür spricht, dass der im jungen Erwachsenenalter stehende Beschwerdeführer – wie die Abklärungen der Vorinstanz ergeben haben – im Umgang mit administrativen, finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten unerfahren ist, ein starkes Vermeidungsverhalten zeigt und – trotz Überforderung – nicht offen ist für freiwillige Hilfsangebote. So hat er sich weder selber um Unterstützungsleistungen gekümmert, noch entsprechende Hilfestellungen angenommen, obschon seine Lebenshaltungskosten mit dem Lehrlingslohn allein nicht gesichert sind. Er weist ausserdem Schulden im Betrag von rund Fr. 7'600.-- auf und hat sich mit dem Ausfüllen der Steuererklärung als überfordert gezeigt. Dagegen spricht, dass er im Verlauf des Abklärungsverfahrens eine Lehrstelle als Informatiker (…) gefunden hat und gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Schulden überwiegend von der Mutter herbeigeführt worden sind, welche unter dem Namen des Sohnes Anschaffungen getätigt hat. Dem Betreibungsregisterauszug vom 28. Juni 2018 ist zu entnehmen, dass seit Erlass des angefochtenen Entscheids einzig eine Forderung im Betrag von Fr. 115.-- hinzugekommen und in Pfändung gesetzt worden ist.

Es wurde bereits dargelegt, dass die Tatbestandsvariante des ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands restriktiv zu handhaben ist. Während das alte Recht explizit die Unerfahrenheit als Grund für die Errichtung einer Beistandschaft kannte (vgl. Art. 394 i.V.m. Art. 372 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (in der bis 31.12.2012 gültig gewesenen Fassung [aZGB; SR 210]), kann ein Schwächezustand im geltenden Recht nur dann Anlass zur Errichtung einer Beistandschaft sein, wenn er im Hinblick auf die Hilfsbedürftigkeit einer Person mit einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Störung vergleichbar ist (vgl. Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB; BGer-Urteil 5A_773/2013 vom 5.3.2014 E. 4.1). So werden in der Botschaft zum neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht als vergleichbare Defizite extreme Fälle von Unerfahrenheit oder Misswirtschaft genannt (vgl. BBl 2006 7043). Das Kantonsgericht verkennt die Bedeutung der Begleitung junger Erwachsener auf dem Weg zur Selbständigkeit nicht und sieht auch die Gefahren, welche drohen, wenn das soziale Netz die konkret erforderliche Unterstützung entweder gar nicht oder nicht im benötigten Ausmass zu bieten vermag. Zwar kann die Eingriffsschwelle für die Anordnung behördlicher Massnahmen des Erwachsenenschutzes tiefer gehalten werden, wenn die betroffene Person entsprechende Unterstützung ausdrücklich befürwortet (vgl. Affolter-Fringeli, in: Fachhandbuch Kindes- und Erwachsenenschutzrecht [Hrsg. Fountoulakis/Affolter-Fringeli/Biderbost/Steck], Zürich 2016, N 8.153; ferner Henkel, a.a.O., Art. 390 ZGB N 6). Indes ist bei der Annahme eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands grundsätzlich Zurückhaltung geboten. Es geht darum, Personen zu schützen, die, ohne geistig behindert oder von psychischen Störungen betroffen zu sein, dennoch körperlich oder psychisch geschwächt sind (vgl. Meier, a.a.O., Art. 390 ZGB N 16). Der Schwächezustand muss dergestalt sein, dass die betroffene Person bei der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts derart beeinträchtigt ist, dass eigenverantwortliche Entscheidungen nicht mehr möglich oder zumindest erschwert sind (vgl. Rosch, a.a.O., Art. 390 ZGB N 3; Häfeli, a.a.O., N 16.06). Dies ist im hier zu beurteilenden Fall nicht erstellt. Nach Lage der Akten gründen die Schwierigkeiten des Beschwerdeführers, namentlich die Schuldensituation, auch im Verhalten der Mutter. Als entwicklungshemmend erweist sich sodann die als symbiotisch beschriebene Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Äussere Umstände genügen indes für die Annahme eines Schwächezustands nicht, der Ursprung muss vielmehr in einer Schwäche der Person selbst liegen. Nach dem Gesagten ist beim Beschwerdeführer zwar Unterstützungsbedarf auszumachen, indes fehlt es an einem in der Person selber liegenden Schwächezustand, welcher die Errichtung einer Vertretungsbeistandschaft zu rechtfertigen vermöchte. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen.

3.4.4.
Dem Beschwerdeführer stehen weiterhin die von der Vorinstanz aufgezeigten freiwilligen Hilfsangebote offen. Es steht ihm auch frei, bei der KESB Z selber um Errichtung einer Beistandschaft nachzusuchen, sollte er zum Schluss kommen, dass er entsprechende Unterstützung benötigt. Sollte es zu einem Lehrabbruch kommen, wäre die Situation allenfalls neu zu beurteilen.