Instanz: | Kantonsgericht |
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Abteilung: | 1. Abteilung |
Rechtsgebiet: | Strafprozessrecht |
Entscheiddatum: | 04.02.2019 |
Fallnummer: | 2M 18 33 |
LGVE: | 2019 I Nr. 4 |
Gesetzesartikel: | Art. 429 StPO |
Leitsatz: | Entschädigung für die Aufwendungen eines Strafverfahrens: Aufwendungen, die durch Privatermittlung (Parteigutachten etc.) entstanden sind, können nur dann nach Massgabe von Art. 429 StPO entschädigt werden, wenn sie zur Strafverteidigung geboten waren. Dies bedingt grundsätzlich, dass die Ergebnisse der Privatermittlung den Endentscheid kausal beeinflusst haben. |
Rechtskraft: | Dieser Entscheid ist rechtskräftig. |
Entscheid: | Der Beschuldigte war in einen Verkehrsunfall verwickelt und wurde vom Vorwurf des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs infolge mangelnder Aufmerksamkeit letztinstanzlich freigesprochen (vgl. BGer-Urteil 6B_1294/2017 vom 19.9.2018). In der Folge war seine Entschädigung festzulegen. Aus den Erwägungen: 4.2. 4.2.1. Wird die beschuldigte Person freigesprochen, so hat sie Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte sowohl im Vor- wie im Gerichtsverfahren (vgl. Art. 429 Abs. 1 lit. a und Art. 436 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]). Dazu zählt im Regelfall auch die Entschädigung der Kosten für den Beizug einer Anwältin oder eines Anwalts (BGer-Urteil 6B_193/2017 vom 31.5.2017 E. 2.5). Für die Bemessung des Anwaltshonorars sind die kantonalen Tarife massgebend (Art. 424 StPO, vgl. auch Art. 96 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272]; Domeisen, Basler Komm., 2. Aufl. 2014, Art. 424 StPO N 2). Die Gebühr der berufsmässigen Vertretung bemisst sich gemäss § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Kosten in Zivil-, Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren (JusKV; SRL Nr. 265) innerhalb des vorgegebenen Rahmens nach Umfang, Bedeutung und Schwierigkeit der Streitsache, nach der Art der Vertretung sowie nach dem sachlich gebotenen Zeitaufwand für die Verfahrensführung. Der Gebührenrahmen für die berufsmässige Vertretung in Strafsachen wird in § 32 JusKV festgelegt und beträgt vorliegend für das Vorverfahren Fr. 150.-- bis Fr. 15'000.--, für das erstinstanzliche Hauptverfahren Fr. 375.-- bis Fr. 3'000.-- und für das Berufungsverfahren Fr. 500.-- bis Fr. 24'000.-- (§ 32 i.V.m. §§ 15 Abs. 1 lit. b, 18 lit. a, 21 lit. b JusKV). Unter besonderen Umständen kann der vorgegebene Gebührenrahmen verlassen werden (vgl. § 2 Abs. 2 und 3 JusKV). Die Gebühr entschädigt den berufsmässigen Vertreter oder die berufsmässige Vertreterin für die unmittelbar mit der Vertretung der Partei im Verfahren zusammenhängenden Bemühungen, namentlich für die Instruktion, das Studium der Akten und der Rechtsfragen, das Erstellen der Rechtsschriften, die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen, das Studium der Entscheide und die mit diesen Bemühungen verbundenen Kanzleiarbeiten. Abgegolten sind zudem die geschäftlichen Grundkosten (§ 30 Abs. 1 JusKV). Für die Rechnungsstellung kann keine Gebühr beansprucht werden (§ 30 Abs. 2 JusKV). Ersetzt werden überdies die für die Prozessführung notwendigen Auslagen (§ 33 Abs. 1 JusKV). Die Auslagen sind nach ihrer Art getrennt auszuweisen, soweit sie Fr. 100.-- übersteigen. Fehlt eine ausreichende, nachvollziehbare Aufstellung, kann ein pauschaler Auslagenersatz nach Ermessen des Gerichts zugesprochen werden (§ 33 Abs. 2 JusKV). Die gerichtlich festgelegte Entschädigung kann, muss aber nicht deckungsgleich sein mit dem auftragsrechtlich vom Mandanten geschuldeten Honorar (Sterchi, Berner Komm., Bern 2012, Art. 95 ZPO N 12 und Art. 96 ZPO N 4). Zu vergüten ist nur der gebotene Aufwand, d.h. derjenige, der durch die bei objektiver Würdigung notwendig erscheinende Inanspruchnahme des berufsmässigen Rechtsvertreters entstanden ist. Was über dieses Mass hinausgeht, soll die Partei selber tragen. Der vom Verteidiger betriebene Aufwand muss sich mit anderen Worten als angemessen erweisen. Als Massstab bei der Beantwortung der Frage, welcher Aufwand für eine angemessene Vertretung im Strafverfahren nötig ist, hat der erfahrene Anwalt zu gelten, der im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts über fundierte Kenntnisse verfügt und deshalb seine Leistungen von Anfang an zielgerichtet und effizient erbringen kann (BGer-Urteil 6B_264/2016 vom 8.6.2016 E. 2.4.1 mit zahlreichen weiteren Hinweisen; Sterchi, a.a.O., Art. 95 ZPO N 14). 4.2.2. Der Beschuldigte beantragt, ihm sei für das kantonale Strafverfahren eine Entschädigung von insgesamt Fr. 20'106.05 auszurichten. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der Honorarnote für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren von Fr. 10'072.75, der Honorarnote für das Berufungsverfahren von Fr. 5'853.70 sowie Kosten für private Gutachten von insgesamt Fr. 4'179.60. 4.2.3. 4.2.3.1. (Genehmigung der eingereichten Kostennote für das Vorverfahren.) 4.2.3.2. Als Honorar seines Verteidigers im erstinstanzlichen Hauptverfahren beantragt der Beschuldigte die Ausrichtung von Fr. 5'002.80 (22.74 h zu je Fr. 220.--), was über dem für diesen Verfahrensschritt gemäss § 32 Abs. 2 i.V.m. 18 lit. a JusKV vorgegebenen Gebührenrahmen (maximal Fr. 3'000.--) liegt. Es ist daher zu prüfen, ob besondere Gründe im Sinne von § 2 Abs. 2 JusKV vorliegen, die eine Erhöhung des Honorars über den ordentlichen Gebührenrahmen rechtfertigen. Der Beschuldigte begründet die Überschreitung des Gebührenrahmens nicht besonders. Mit Blick auf die eingereichte Honorarnote in Abgleichung mit den Eingaben des Beschuldigten vor Bezirksgericht ergibt sich, dass die Mehraufwendungen der Verteidigung im erstinstanzlichen Hauptverfahren hauptsächlich auf umfangreiche Beweismitteleingaben zurückgehen. Der Beschuldigte hat am 20. März 2015 bei der A AG ein verkehrstechnisches Kurzgutachten in Auftrag gegeben und dieses mit Beweismitteleingabe vom 22. April 2016 beim Bezirksgericht eingereicht. Die Verteidigung macht dafür einen Aufwand im Umfang von gut sechs Stunden geltend. Am 26. April 2016 reichte die Verteidigung beim Bezirksgericht (unaufgefordert) eine weitere Beweismitteleingabe ein, welche ein vom Beschuldigten veranlasstes Ergänzungsgutachten (vom 22.4.2016) enthielt. Dieses Ergänzungsgutachten befasste sich mit den Unterschieden zwischen den Ergebnissen des behördlich angeordneten Gutachtens vom 19. Oktober 2015 und denjenigen des vom Beschuldigten am 20. März 2015 in Auftrag gegebenen Privatgutachtens. Im Zusammenhang mit der Beweismitteleingabe vom 26. April 2016 macht die Verteidigung einen Mehraufwand von drei Stunden geltend. Der darüber hinaus geltend gemachte Aufwand für die Vorbereitung der Hauptverhandlung sowie der Teilnahme daran beläuft sich auf rund 13,5 Stunden. Eine Erhöhung des Honorars über den vorgegebenen Rahmen kann sich gemäss § 2 Abs. 2 JusKV namentlich dann rechtfertigten, wenn eine Streitsache mit ausserordentlichem Umfang, grosser Bedeutung oder besonderer Schwierigkeit besteht, wenn in Strafverfahren Zivilforderungen mitbeurteilt werden müssen oder wenn die Prozessführung einen ausserordentlichen Zeitaufwand erforderte. Im zugrundeliegenden Verfahren ging es vor Bezirksgericht um die Beurteilung eines Verkehrsunfalls, der als strassenverkehrsrechtliche Übertretung im Sinne von Art. 90 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) eingeklagt wurde. Es handelte sich somit um einen überschaubaren, einfachen Sachverhalt mit in objektiver Hinsicht verhältnismässig geringer Bedeutung. Eine Zivilforderung war nicht zu beurteilen und der objektiv gebotene Zeitaufwand hielt sich in Grenzen. Die gesetzlich vorgesehenen Gründe für eine Überschreitung des vorgegebenen Gebührenrahmens sind vorliegend nicht gegeben. 4.2.3.3. Da die Mehraufwendungen des erstinstanzlichen Verfahrens, wie soeben dargelegt, in engem Zusammenhang stehen mit den vom Beschuldigten privat in Auftrag gegebenen Gutachten (Gutachten vom 27.5.2015 sowie Ergänzungsgutachten vom 22.4.2016), ist bereits an dieser Stelle zu prüfen, ob die damit verbundenen Kosten gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zu entschädigen sind. Diese Frage ist nach dem – massgebenden (vgl. E. 4.2.1 in fine) – Kriterium zu beurteilen, ob die Privatgutachten für die Strafverteidigung erforderlich waren. Im Strafverfahren obliegt der Beweis der Strafbarkeit (Art. 10 StPO) und demzufolge auch die Sachverhaltsfeststellung, sowohl der belastenden und entlastenden Umstände (Art. 6 StPO), grundsätzlich den Strafbehörden. Ausnahmsweise kann sich die private Sachverhaltsermittlung für eine in das Strafverfahren involvierte Partei dann aufdrängen, wenn diese zutreffenderweise zur Überzeugung gelangt, die Staatsanwaltschaft berücksichtige ihre berechtigten Beweisanträge nicht oder komme dem gesetzlichen Auftrag in Art. 6 StPO nicht nach. Die Entschädigung der Aufwendungen, welche in Zusammenhang mit privaten Sachverhaltsermittlungen entstanden sind, kann daher dann angezeigt sein, wenn der Endentscheid kausal auf die privaten Ermittlungsergebnisse zurückzuführen ist. Ob vor diesem Hintergrund private Ermittlungen geboten sind, kann sich naturgemäss erst im Verlaufe eines Strafverfahrens zeigen, da am Anfang der Untersuchung noch nicht feststeht, ob die Strafbehörden dem Untersuchungsgrundsatz nachkommen und/oder den Beweisanträgen der Parteien entsprechen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zur rechtlichen Ausgangslage zeigt sich, dass die Mehraufwendungen des Beschuldigten, welche in Zusammenhang mit den von ihm veranlassten Privatgutachten stehen, aus mehreren, nachfolgend dargelegten Gründen nicht zu entschädigen sind. Der Beschuldigte hat das Privatgutachten am 20. März 2015, mithin kurz nach Verfahrenseröffnung, in Auftrag gegeben. Aus einem objektiven Standpunkt betrachtet, bestand zu diesem Zeitpunkt keine Veranlassung dazu, da damals noch nicht klar war, ob die Staatsanwaltschaft die – am 10. März 2015 anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme bekanntgegebene – Arbeitshypothese der Strafbarkeit des Beschuldigten im Verlaufe des weiteren Verfahrens aufrechterhalten und welche weiteren Beweiserhebungen sie zur Feststellung des Sachverhalts veranlassen werde. Bis dahin hat die Staatsanwaltschaft auch keine Beweisanträge abgewiesen, da keine gestellt wurden. Es bestand mit anderen Worten im Zeitpunkt der Auftragserteilung des privaten Gutachtens keinerlei Veranlassung, anzunehmen, die Staatsanwaltschaft sei nicht gewillt, den Sachverhalt gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag von Amtes wegen zu untersuchen. Bezeichnenderweise ordnete die – über die privaten Erhebungen nicht informierte – Staatsanwaltschaft am 17. Juni 2015 nach vorgängiger Anhörung des Beschuldigten selbst ein Gutachten über das Unfallgeschehen an. Der Beschuldigte seinerseits liess am 15. Juni 2015 (lediglich) verlauten, das (behördlich veranlasste) Gutachten sei nicht erforderlich und es sei davon abzusehen. Die Redundanz der vom Beschuldigten veranlassten Privatgutachten offenbart sich aber auch nur schon dadurch, dass diese in den Grundzügen – wovon auch der Beschuldigte ausgeht – zu den gleichen Ergebnissen gelangten, wie das von der Staatsanwaltschaft veranlasste Gutachten. Der Freispruch des Beschuldigten geht somit nicht kausal auf die von ihm veranlassten Privatermittlungen zurück. Der Beschuldigte hätte also die Sachverhaltsermittlung den gemäss StPO dazu verpflichteten Strafbehörden überlassen können, womit seine (Mehr‑)Aufwendungen in diesem Zusammenhang zu seiner Verteidigung nicht erforderlich waren und daher auch nicht vom Staat zu entschädigen sind. 4.2.3.4. Der ordentliche Gebührenrahmen des Honorars der Verteidigung im bezirksgerichtlichen Einzelrichterverfahren beträgt, wie bereits erwähnt, Fr. 375.-- bis Fr. 3'000.--. In Anbetracht der Tatsache, dass Verfahren wegen Verbrechen und Vergehen, bei denen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe beantragt werden, unter denselben Gebührenrahmen fallen (vgl. § 35 Abs. 2 lit. b des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und Behörden in Zivil-, Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren [JusG; SRL Nr. 260]) und dem Beschuldigten gemäss der Anklageschrift lediglich eine Übertretung vorgeworfen wurde, wobei nur eine geringfügige Busse beantragt wurde, rechtfertigt es sich, die Honorarnote des Verteidigers für die angemessenen und erforderlichen Handlungen des erstinstanzlichen Hauptverfahren ermessensweise auf Fr. 2'000.-- festzusetzen. |