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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Verkehrsanordnung
Entscheiddatum:10.01.2019
Fallnummer:7H 17 191
LGVE:
Gesetzesartikel:Art. 32 Abs. 2 SVG, Art. 32 Abs. 3 SVG; Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV; Art. 108 Abs. 4 SSV; Art. 3 der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen.
Leitsatz:Tempo-30-Zone auf einer verkehrsorientierten Gemeindestrasse aus Gründen des Lärmschutzes. Anforderungen an das Gutachten für die Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

3.
3.1.
Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet die Errichtung einer Tempo-30-Zone auf einem Abschnitt der A-strasse in B, die im Rahmen der Strassenlärmsanierung angeordnet wurde. Einschlägig sind dafür einerseits die Bestimmungen des Umweltrechts zur Sanierung ortsfester Anlagen und andererseits die Vorgaben des Strassenverkehrsrechts zur Herabsetzung der allgemeinen Regelgeschwindigkeit bzw. zu Tempo-30-Zonen.

3.3.
Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge in Ortschaften wurde vom Bundesrat auf 50 km/h festgelegt (Art. 4a Abs. 1 lit. a der Verkehrsregelnverordnung [VRV; SR 741.11] i.V.m. Art. 32 Abs. 2 des Strassenverkehrsgesetzes [SVG; SR 741.01]). Sie kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde aufgrund eines Gutachtens herab- oder heraufgesetzt werden (Art. 32 Abs. 3 SVG). Innerorts können tiefere Höchstgeschwindigkeiten für bestimmte Strassenstrecken in Abstufungen von je 10 km/h (Art. 108 Abs. 5 lit. d der Signalisationsverordnung [SSV; SR 741.21]) oder durch die Signalisation einer Tempo-30-Zone oder einer Begegnungszone angeordnet werden (Art. 108 Abs. 5 lit. e SSV i.V.m. Art. 22a und 22b SSV). Die Gründe, welche eine Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit erforderlich machen können, werden in Art. 108 Abs. 2 SSV abschliessend aufgezählt: Die Herabsetzung ist alternativ zulässig, wenn eine Gefahr nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist (lit. a), wenn bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen (lit. b), wenn auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann (lit. c) oder wenn dadurch eine im Sinn der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann, wobei der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren ist (lit. d).

(…)

3.4.
Die Anordnung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten ist nur gestützt auf ein vorgängig zu erstellendes Gutachten zulässig. Dieses hat aufzuzeigen, dass die Massnahme nötig, zweck- und verhältnismässig ist bzw. keine anderen Massnahmen vorzuziehen sind (Art. 32 Abs. 3 SVG i.V.m. Art. 108 Abs. 4 Satz 1 SSV). Gutachten unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung. In Fachfragen darf das Gericht jedoch nur aus triftigen Gründen von einer Expertise abweichen. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen ist Aufgabe des Gerichts. Dieses hat zu prüfen, ob sich aufgrund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Ein-wände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen (BGE 136 II 539 E. 3.2).

Art. 3 der Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen (V-Tempo-30-Zonen; SR 741.213.3) umschreibt die Anforderungen an das zu erstellende Gutachten. Verlangt wird ein Kurzbericht, der namentlich die in lit. a-g umschriebenen Elemente enthalten muss, wie beispielsweise die Umschreibung der Ziele, die mit der Anordnung der Zone erreicht werden sollen (lit. a), die Beurteilung bestehender und absehbarer Sicherheitsdefizite sowie Vorschläge für Massnahmen zu deren Behebung (lit. c), Angaben zum vorhandenen Geschwindigkeitsniveau (50-Prozent-Geschwindigkeit V50 und 85-Prozent-Geschwindigkeit V85; lit. d) oder Überlegungen zu möglichen Auswirkungen der geplanten Massnahme auf die ganze Ortschaft oder auf Teile der Ortschaft sowie Vorschläge zur Vermeidung allfälliger negativer Folgen (lit. f). Dabei hängen der Inhalt und der Umfang des Gutachtens auch vom Zweck der Geschwindigkeitsbeschränkung und den örtlichen Gegebenheiten ab. Die Anforderungen, welche Art. 3 V-Tempo-30-Zonen an das Gutachten stellt, sind somit vor dem Hintergrund des Zwecks der Geschwindigkeitsbeschränkung zu sehen und sind deshalb von Fall zu Fall unterschiedlich. So hat beispielsweise die Beurteilung bestehender und absehbarer Sicherheitsdefizite eine andere Bedeutung, je nachdem, ob mit der Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit einer Gefahr begegnet oder der Verkehrsablauf verbessert werden soll (Art. 108 Abs. 2 lit. a und c SSV). Sodann sind, wie erwähnt, die örtlichen Gegebenheiten von Bedeutung. Umfangreiche Untersuchungen können beispielsweise bei Nationalstrassen oder verkehrsreichen Kantonsstrassen nötig sein. Dagegen genügt bei wenig befahrenen Quartierstrassen unter Umständen eine Beschreibung der Örtlichkeiten. Das geforderte Gutachten ist zudem nicht isoliert zu betrachten. Zur Ergänzung und Konkretisierung der im Gutachten enthaltenen Informationen kann auch auf andere Erhebungen zurückgegriffen werden. Im Ergebnis entscheidend ist, dass die zuständige Behörde die erforderlichen Informationen besitzt, um zu beurteilen, ob eine der Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 2 SSV erfüllt ist und ob die Massnahme im Hinblick auf das betreffende Ziel nötig, zweck- und verhältnismässig ist (Art. 108 Abs. 4 SSV), wobei auch die Vorgeschichte des Projekts eine Rolle spielen kann (zum Ganzen: BGer-Urteil 1C_206/2008 vom 9.10.2008 E. 2.2 mit Hinweisen; vgl. ferner BGE 139 II 145 E. 4.3, 136 II 539 E. 3.2; BGer-Urteil 1C_11/2017 vom 2.3.2018 E. 2.3 mit weiteren Hinweisen; Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern A 08 241 vom 19.10.2009 E. 3b/bb).

(...)

5.
5.1.
Die angefochtene Anordnung der Tempo-30-Zone auf dem Abschnitt der A-strasse ab C bis Ende Parzellen-Nr. a (Schulhaus Z) wird von der Vorinstanz bzw. der Gemeinde B primär mit Lärmschutz begründet (Art. 108 Abs. 2 lit. d SSV). Es gilt im Folgenden zu prüfen, ob das der Verkehrsanordnung zu Grunde liegende Gutachten und die weiteren Erhebungen im Hinblick auf diesen Zweck den unter E. 3.4 hiervor umschriebenen Anforderungen genügen bzw. die Voraussetzungen gemäss Art. 108 SSV für die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h erfüllt sind, was von den Beschwerdeführern bestritten wird.

5.2.
In Zusammenhang mit dem Lärmsanierungsprojekt A-strasse bzw. der Einführung der Tempo-30-Zone wurden verschiedene Berichte bzw. Gutachten erstellt.

(…)

5.3.
Beim Gutachten Tempo-30-Zone A-strasse vom 30. September 2016 der Y AG, Ingenieure und Planer (nachfolgend: Gutachten Tempo-30-Zone), handelt es sich um dasjenige, welches in erster Linie Grundlage für die Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung bildet. Es nennt die Lärmminderung als erstes Ziel, welches mit der Errichtung der Tempo-30-Zone erreicht werden soll. Danach werden als weitere Ziele die Verkehrsberuhigung, die Senkung der Unfallgefahr an Knotenpunkten, die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer (insbesondere Schulwegsicherheit) und ein einheitliches flächendeckendes Verkehrsregime genannt. Im Weiteren soll die Schulhauserschliessung vom Zubringerverkehr (Autobahnanschluss) entlastet werden (Art. 3 lit. a V-Tempo-30-Zonen).

Im Gutachten ist sodann ein Übersichtsplan mit der Strassenhierarchie integriert (Art. 3 lit. b V-Tempo-30-Zonen). Zwar fehlt bei der Karte die Klassierung der Strassen als "verkehrsorientiert" und "siedlungsorientiert" (vgl. dazu Fachbroschüre der Beratungsstelle für Unfallverhütung [bfu] zu Tempo-30-Zonen, 2017 [nachfolgend: Fachbroschüre bfu], S. 6). Aus dem Gutachten geht jedoch an anderer Stelle hervor, dass es sich bei der A-strasse um eine verkehrsorientierte Strasse handle. Im Textabschnitt unterhalb der Karte zur Strassenhierarchie wird sodann erwähnt, dass es sich bei den angrenzenden, untergeordneten Strassen (D-, E-, F-strasse und G) um siedlungsorientierte Strassen handle, auf welchen bereits Tempo-30-Zonen eingeführt worden seien.

Weiter findet sich im Gutachten eine Beurteilung der bestehenden Sicherheitsdefizite sowie Vorschläge für Massnahmen zu deren Behebung (Art. 3 lit. c V-Tempo-30-Zonen). So sei der Strassenraum im heutigen Zustand vor allem auf den motorisierten Individualverkehr (MIV) ausgerichtet und nicht auf die Bedürfnisse der weiteren Benutzergruppen, insbesondere jener mit besonderem Schutzbedürfnis. Weiter werden ungenügende Sichtweiten bei Grundstückszufahrten, überdimensionale Einmündungen, nicht den heutigen Normen entsprechende Fussgängerübergänge sowie ein fehlendes Trottoir beim Gemeindehaus als punktuelle Defizite genannt. Als Massnahmen zur Behebung der Sicherheitsdefizite gehen aus dem Gutachten die Einführung der Tempo-30-Zone sowie die Verkleinerung der Radien bei den Einmündungen in die A-strasse hervor. Als weitere Massnahme wird im technischen Bericht "A-strasse: Sanierung mit verkehrsberuhigenden Massnahmen" vom 30. September 2016 der Y AG, Ingenieure und Planer (nachfolgend: technischer Bericht Tempo-30-Zone), die Einführung von Gehwegüberfahrten genannt. Das Gutachten setzt sich somit mit den allfälligen Sicherheitsdefiziten auseinander, sodass es den Anforderungen von Art. 3 lit. c V-Tempo-30-Zonen insofern genügt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der primäre Zweck der Verkehrsanordnung Tempo 30 vorliegend nicht in der Behebung von Gefahren oder im Schutz bestimmter Strassenbenützer (Art. 108 Abs. 2 lit. a, b), sondern in der Lärmsanierung liegt (Art. 108 Abs. 2 lit. d; vgl. dazu auch E. 3.4 hiervor).

Das Gutachten enthält sodann die vorgeschriebenen Angaben zum vorhandenen Geschwindigkeitsniveau (Art. 3 lit. d V-Tempo-30-Zonen). Die 50-Prozent-Geschwindigkeit V50 betrage 45 km/h, die 85-Prozent-Geschwindigkeit V85 liege bei 51 km/h. Anders als im Gutachten erläutert, entspricht das Geschwindigkeitsniveau V85 nicht der Geschwindigkeit, welche von 85 % der gemessenen Fahrzeuge überschritten wird, sondern jener, welche von 85 % aller Verkehrsteilnehmer gerade nicht überschritten bzw. eingehalten wird (vgl. Fachbroschüre bfu, S. 4). Indessen hat diese Erklärung keine Auswirkung auf die Beurteilung, ob das Gutachten den gesetzlichen Anforderungen entspricht bzw. die Voraussetzungen für die Einführung der Tempo-30-Zone erfüllt sind. Die Bedeutung der Angaben zum Geschwindigkeitsniveau liegt insbesondere darin, dass sie eine Beurteilung erlauben, ob eine Tempo-30-Zone notwendig ist und ob diese mit oder ohne zusätzliche bauliche und verkehrsrechtliche Massnahmen eingeführt werden kann (BGer-Urteil 1C_206/2008 vom 9.10.2008 E. 2.4.4; vgl. auch BGE 139 II 145 E. 5.9; Fachbroschüre bfu, S. 8). Gemäss Gutachten beträgt das Geschwindigkeitsniveau V85 vorliegend 51 km/h. Die Anordnung einer Tempo-30-Zone müsste somit – wie vorliegend auch vorgesehen – mit zusätzlichen baulichen Massnahmen verbunden werden, da die effektiv gefahrene Geschwindigkeit allein durch die Signalisation von Tempo 30 vorliegend nicht genügend gesenkt werden könnte (vgl. BGer-Urteil 1C_11/2017 vom 2.3.2018 E. 4.2.1 f.).

Gemäss Gutachten ist der Strassenraum im heutigen Zustand v.a. für den MIV ausgerichtet. Weil sich an der Strasse auch ein Schulhaus, Detailhandelsgeschäfte, das Gemeindehaus und Wohnbauten befänden, müsse er aber noch weiteren Nutzergruppen und deren Bedürfnissen gerecht werden. Im heutigen Zustand decke er die Bedürfnisse dieser weiteren Nutzergruppen nicht ab. Mit der Einführung der Tempo-30-Zone könne u.a. die Wohn- und Aufenthaltsqualität erhöht und die Verkehrssicherheit des Langsamverkehrs besser gewährleistet werden, was Ziele des Verkehrsrichtplans seien. Das Gutachten macht somit auch Angaben zur bestehenden und angestrebten Qualität als Wohn-, Lebens- und Wirtschaftsraum, einschliesslich der Nutzungsansprüche (Art. 3 lit. e V-Tempo-30-Zonen).

Nach Art. 3 lit. f V-Tempo-30-Zonen hat das Gutachten auch Überlegungen zu möglichen Auswirkungen der geplanten Massnahme auf die ganze Ortschaft oder auf Teile der Ortschaft sowie Vorschläge zur Vermeidung allfälliger negativer Folgen zu machen. Gemäss Gutachten seien durch die Einführung der Tempo-30-Zone nur minimale Auswirkungen auf das Gemeindestrassennetz zu erwarten. Weitere Überlegungen zu den Auswirkungen finden sich im Gutachten nicht, so dass die Anordnung der Verkehrsmassnahme unter diesem Gesichtspunkt wenig Rückhalt findet, zumal das Gutachten selbst als sekundäre Ziele der Tempo-30-Zone die Verkehrsberuhigung sowie die Entlastung der Schulhauserschliessung vom Zubringerdienst (Autobahnanschluss) nennt. Die Aussage, es seien nur minimale Auswirkungen auf das Gemeindestrassennetz zu erwarten, steht auch nicht im Einklang mit den soeben genannten Zielen. Da die Umfahrung der A-strasse über die Kantonsstrassen (…) und (…) als Zubringerdienst zum Autobahnanschluss vorliegend aber gerade als Nebeneffekt gewünscht ist und somit keine negative Folge darstellt, kann auf weitere Angaben zu diesem Punkt im Gutachten verzichtet werden.

Schliesslich verlangt Art. 3 lit. g V-Tempo-30-Zonen eine Aufzählung und Umschreibung der Massnahmen, die erforderlich sind, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Neben der Anordnung der Tempo-30-Zone an sich sieht das Gutachten als begleitende Massnahmen eine Verschmälerung der Strasse, die Gestaltung der Eingangspforten, die Neugestaltung der Knoten und die Gestaltung des Fussgängerübergangs beim Schulhaus vor. Die Massnahmen werden im Gutachten mit Planausschnitten dokumentiert. Die Details und weitere bauliche Massnahmen sind dem technischen Bericht Tempo-30-Zone zu entnehmen.

Zusammenfassend genügt das Gutachten Tempo-30-Zone somit den formellen Anforderungen von Art. 3 V-Tempo-30-Zonen.

Dem technischen Bericht zum Lärmsanierungsprojekt A-, H- und I-strasse vom 31. Oktober 2014, revidiert am 17. Februar 2017, der X AG, Lärmschutz und Bauakustik (nachfolgend: Bericht X), sind sodann zusätzliche, vorliegend beachtliche Informationen zu entnehmen. Auch nach diesem geht es bei der Einführung der Tempo-30-Zone um die Lärmsanierung. Die Voruntersuchungen hätten ergeben, dass auf dem besagten Abschnitt der A-strasse der Immissionsgrenzwert (IGW) bei mindestens einem Gebäude überschritten sei, weshalb auf dieser Strecke eine Sanierungspflicht bestehe. Als Lärmschutzmassnahme führe die Temporeduktion von 50 km/h auf 30 km/h zu einer deutlichen Reduktion der Anzahl über dem Immissionsgrenzwert belasteter Gebäude und zu einer wahrnehmbaren Entlastung der Lärmsituation. Aus Anhang 9 des Berichts ergeben sich sodann die konkreten Auswirkungen der Temporeduktion hinsichtlich Lärmbelastung bzw. die dadurch bewirkte Reduktion des IGW für die einzelnen Gebäude/Objekte an der A-strasse.

5.4.
Ob eine abweichende Höchstgeschwindigkeitsregelung angezeigt ist, muss mittels eines Gutachtens abgeklärt werden. Dieses hat aufzuzeigen, dass die (Geschwindigkeits-)Massnahme nötig, zweck- und verhältnismässig ist und keine anderen Massnahmen vorzuziehen sind (Art. 32 Abs. 3 SVG i.V.m. Art. 108 Abs. 4 Satz 1 SSV). Abweichende Höchstgeschwindigkeiten sind m.a.W. nur gestützt auf ein Gutachten zulässig (BGE 139 II 145 E. 4.3). Entscheidend ist, dass die zuständige Behörde, d.h. die Dienststelle Verkehr und Infrastruktur des Kantons Luzern (vif), die erforderlichen Informationen besitzt, um zu beurteilen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verkehrsmassnahme gegeben sind.

Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie Gutachten im gerichtlichen Verfahren als Beweismittel zu würdigen sind. Für das gesamte Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass alle Beweismittel objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden ist, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung der verkehrsrechtlichen Fragestellung gestatten. Praxisgemäss weicht der Richter allerdings bei Verkehrsgutachten nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung der Verkehrsexperten ab (…). Einem Gutachten ist jedenfalls dann grundsätzlich Beweiswert zuzuerkennen, wenn es vollständig, klar, gehörig begründet und widerspruchsfrei ist. Weiter muss der Gutachter über hinreichende Sachkenntnis und Unbefangenheit verfügen (vgl. dazu LGVE 2013 IV Nr. 3 E. 2d u. 4b/aa mit Hinweisen).

Das Gutachten Tempo-30-Zone sowie der Bericht X ergänzen sich und ergeben zusammen ein vollständiges Bild über alle massgeblichen Umstände und Kriterien. Auch wenn die Expertisen, je für sich betrachtet, Lücken aufweisen, in formeller Hinsicht nicht alle gesetzlich erwähnten Kriterien in gleichem Mass in Betracht ziehen und namentlich das Gutachten Tempo-30-Zone sich stark an den Bericht "Sanierung A-strasse" vom 20. November 2015, revidiert am 14. April 2016, der W AG, Verkehrsingenieure (nachfolgend: Bericht W), anlehnt, so erweisen sie sich jedenfalls in ihrer Kombination sowie über das Ganze betrachtet doch als vollständig (vgl. dazu insbesondere die Ausführungen unter E. 5.3 hiervor), widerspruchsfrei und aus der Laienperspektive in der Schlussfolgerung schlüssig und nachvollziehbar. Das Gutachten Tempo-30-Zone wurde von zwei diplomierten Bauingenieuren der Y AG verfasst und unterzeichnet. Der Bericht X wurde von einem diplomierten Umweltingenieur und Akustiker sowie einem diplomierten Ingenieur Stadtplanung der X AG erstellt. Sowohl das Gutachten als auch der Bericht wurden somit je von zwei versierten, über genügend Sachkenntnis besitzenden Fachleuten verfasst. Auch wenn die Beschwerdeführer, wie noch zu prüfen ist, die Objektivität und Ergebnisoffenheit der Gutachter infrage stellen (…), stützen sich Gutachten und Berichte auf objektive Messwerte und bestehen keine Hinweise darauf, dass die Fachleute nicht über die erforderliche Unbefangenheit verfügen würden. Auf die genannten Expertisen kann somit grundsätzlich in tatsächlicher Hinsicht abgestellt werden.

5.5.
(Es folgen Ausführungen zu den weiteren Voraussetzungen für die Anordnung einer Geschwindigkeitsreduktion zur Lärmsanierung nach Art. 108 Abs. 2 lit. d und Abs. 4 SSV, namentlich zur vorliegend bestehenden übermässigen Umweltbelastung sowie zur Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit im engeren Sinn der Massnahme, vgl. LGVE 2019 IV Nr. 5.)

5.6.
Auch wenn das Gutachten Tempo-30-Zone einige inhaltliche Mängel aufweist und auch der Bericht X in gewissen Punkten zu Kritik Anlass gibt, so enthält das Gutachten doch zusammen mit den weiteren Erhebungen der Gemeinde B, insbesondere dem Bericht X, alle für die Ermittlung des Lärmsanierungsbedarfs notwendigen Informationen und belegt zusammen mit den weiteren Erhebungen schlüssig und nachvollziehbar, dass vorliegend mit der Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 30 bzw. der Einführung einer Tempo-30-Zone eine im Sinn der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Lärmbelastung vermindert werden kann (Art. 108 Abs. 2 lit. d SSV). Mit dem Gutachten Tempo-30-Zone und den weiteren Berichten können die Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 2 lit. d und Art. 108 Abs. 4 SSV abschliessend geprüft werden. Die Vorinstanz hat den Sachverhalt somit genügend abgeklärt und gelangte ohne Bundesrechtsverletzung zum Ergebnis, dass die Massnahme Tempo-30-Zone im Hinblick auf den Zweck der Verminderung der übermässigen Lärmbelastung nötig, zweck- und verhältnismässig ist (Art. 108 Abs. 4 SSV). Auf weitere Beweismassnahmen – insbesondere den von den Beschwerdeführern beantragten Augenschein, die Parteibefragung sowie die Einholung einer Beweisauskunft und eines neuen Gutachtens – kann verzichtet werden (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3).