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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Familienrecht
Entscheiddatum:20.02.2019
Fallnummer:3C 19 4
LGVE:2019 II Nr. 3
Gesetzesartikel:Art. 261 Abs. 1 ZPO, Art. 265 ZPO, Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO
Leitsatz:Bestätigung der Rechtsprechung, wonach superprovisorische Verfügungen nach Art. 265 ZPO nicht anfechtbar sind. Eigenständige zusätzliche superprovisorische Massnahmen nach Art. 265 ZPO im Rahmen eines Eheschutzverfahrens sind zulässig. Nach Eingang der gesuchsgegnerischen Vernehmlassung hat die zuständige Instanz unverzüglich (vgl. Art. 265 Abs. 2 ZPO) einen Entscheid zu erlassen, der selbstständig anfechtbar ist.

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:
1.1.
(…)
Nach der Rechtsprechung des Kantonsgerichts können in Eheschutzverfahren durchaus superprovisorische Massnahmen nach Art. 265 ZPO verfügt werden, wobei gegen solche kein kantonales Rechtsmittel gegeben ist (LGVE 2011 I Nr. 35 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung; Huber, in: Komm. zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [Hrsg. Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger], 3. Aufl. 2016, Art. 265 ZPO N 20; LGVE 2014 II Nr. 14). Diese Rechtsprechung wurde auch durch das Bundesgericht bestätigt (vgl. BGer-Urteil 5A_554/2014 vom 21.10.2014 E. 3.2). Der Entscheid der Vorinstanz (vom 29.11.2018) ist eine superprovisorische Massnahme im Sinne von Art. 265 ZPO und nicht anfechtbar. Zudem wäre auch die Anfechtungsfrist von 10 Tagen gemäss Art. 321 Abs. 2 ZPO abgelaufen. Von daher ist auf Antrag Ziff. 1 der Beschwerde von B. nicht einzutreten.
1.2.
1.2.1.
Beim Schreiben vom 9. Januar 2019 der Einzelrichterin an die Parteien, worin die Einzelrichterin festhielt, dass an der superprovisorischen Verfügung vom 29. November 2018 festgehalten werde, bis das Gericht diese abändere oder ein definitiver Entscheid ergehe, handelt es sich um eine prozessleitende Verfügung. Prozessleitende Verfügungen sind gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO nur anfechtbar, wenn der beschwerdeführenden Partei ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht. Vorliegend ist ein solcher Nachteil zu bejahen. Die Vorinstanz hat am 29. November 2018 aufgrund einer Gefährdungsmeldung superprovisorisch die Kinder der Parteien fremdplatziert. In der Zwischenzeit wurde den Parteien das rechtliche Gehör gewährt und die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang die Aufhebung der superprovisorischen Verfügung vom 29. November 2018 verlangt. Nachdem die Fremdplatzierung der Kinder eine für alle Betroffenen äusserst einschneidende und schwere Kindesschutzmassnahme ist, deren (ungerechtfertigte) Aufrechterhaltung bei allen Direktbetroffenen zu einem schweren nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil führen könnte, sind die Voraussetzungen von Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO erfüllt. Auf die Beschwerde ist in diesem Punkt einzutreten.
1.2.2.
(…)
Die Frage, ob eigenständige vorsorgliche Massnahmen während eines Eheschutzverfahrens zulässig sind, wurde weder vom Bundesgericht noch vom Kantonsgericht behandelt.
Nach Art. 261 Abs. 1 ZPO trifft das Gericht die notwendigen vorsorglichen Massnahmen, wenn die gesuchstellende Partei glaubhaft macht, dass ein ihr zustehender Anspruch verletzt ist oder eine Verletzung zu befürchten ist und ihr aus der Verletzung ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht. Die gesuchstellende Partei hat demnach in erster Linie darzutun, dass ein zivilrechtlicher Hauptanspruch wahrscheinlich begründet ist und dass er durch ein Tun oder Unterlassen der Gegenpartei bereits verletzt wurde oder dass eine Verletzung unmittelbar droht (Hauptsachenprognose). Zudem muss die gesuchstellende Partei glaubhaft machen, dass ihr aus der glaubhaft gemachten Verletzung des Anspruchs ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht. Damit wird eine zeitliche Dringlichkeit vorausgesetzt, indem sich ohne vorsorgliche Massnahme und mit Abwarten des Entscheids in der Hauptsache der Nachteil nicht verhindern lässt (Leuenberger/Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Bern 2010, S. 354 N 11.192).
Allein der vorliegende Fall zeigt mir grosser Deutlichkeit, dass vorsorgliche Massnahmen zusätzlich zu einem Eheschutzverfahren unter gewissen Umständen zulässig sein müssen. Insbesondere Kindesschutzmassnahmen sind oftmals dringlich zu erlassen, so dass auch von Seiten der zuständigen Richterperson zeitnah im Sinne einer superprovisorischen Massnahme entschieden werden muss, sofern die Zuständigkeit des Gerichts hierzu gemäss Art. 315a Abs. 1 ZGB gegeben ist. Dabei wird nicht verkannt, dass solche Massnahmen auch in einem Eheschutzverfahren getroffen werden können. Sofern nun aber der Abschluss eines Eheschutzverfahrens (als Hauptsache) zeitlich nicht absehbar ist und mit dessen Erledigung nicht innert hinreichender Frist gerechnet werden kann, insbesondere weil noch ein Gutachten oder Berichte eingeholt werden müssen, muss es den betroffenen Parteien möglich sein, gegen eine solche superprovisorische Verfügung vorgehen zu können. Unter diesen Umständen hat die zuständige Instanz nach Eingang der gesuchsgegnerischen Vernehmlassung unverzüglich einen Entscheid zu erlassen, der selbstständig anfechtbar ist. Prozessrechtlich drängt sich dabei die Eröffnung eines vorsorglichen Massnahmenverfahrens im Sinne von Art. 261 ff. ZPO auf. Nicht hilfreich wäre jedenfalls der Erlass eines Teilentscheids im Eheschutzverfahrens. Zwar könnte dieser Entscheid selbstständig angefochten werden. Hingegen wäre eine spätere Änderung zusammen mit der Hauptsache dann nicht mehr möglich (vgl. Art. 237 Abs. 2 ZPO), selbst wenn sich aufgrund des weiteren Beweisverfahrens eine Änderung aufdrängen würde.
Ein solches Vorgehen ist dabei selbstredend nur dann zulässig, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für den Erlass einer vorsorglichen Massnahme im Sinne von Art. 261 Abs. 1 lit. a und b ZPO erfüllt sind. Können die nötigen Massnahmen auch im Rahmen des Eheschutzverfahrens getroffen werden, ist eine Zweiteilung des Verfahrens zu vermeiden. An das Erfordernis der Notwendigkeit einer vorsorglichen Massnahme im Eheschutzverfahren sind deshalb hohe Anforderungen zu stellen.
1.2.3.
In ihrer Verfügung vom 9. Januar 2019 hält die Vorinstanz fest, dass die familiäre Situation der Parteien noch nicht abschliessend geklärt sei und die superprovisorisch verfügte Fremdplatzierung noch nicht aufgehoben werde.
Die Vorinstanz hat ihre Verfügung sinngemäss im Rahmen eines vorsorglichen Massnahmenverfahrens erlassen. Wie bereits vermerkt, schreibt Art. 265 Abs. 2 ZPO vor, dass nach Anhören der Gegenpartei das Gericht unverzüglich entscheiden muss. Indem die Vorinstanz B. in ihrer Verfügung vom 9. Januar 2019 darauf hinwies, dass an der superprovisorischen Verfügung festgehalten werde und dabei in zeitlicher Hinsicht völlig offen gelassen hat, wann mit einem Endentscheid überhaupt zu rechnen ist, hat sie Art. 265 Abs. 2 ZPO verletzt, was eine Rechtsverweigerung darstellt. Dabei darf auch nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass seit dem Erlass der superprovisorischen Verfügung mehrere Wochen verstrichen sind und die Parteien die Fremdplatzierung ihrer Kinder bis zum heutigen Zeitpunkt nicht anfechten können. Zudem ist es auch nicht zulässig, dass das in die Geschäftskontrolle aufgenommene vorsorgliche Massnahmenverfahren formlos mit der Hauptsache vereinigt wird, ohne die Parteien diesbezüglich zu informieren. Von daher hat die Vorinstanz in einem anfechtbaren Entscheid (vorsorglich) über den Weiterbestand oder die Änderung der superprovisorischen Verfügung vom 29. November 2018 zu entscheiden.
1.2.4.
Die prozessleitende Verfügung der Vorinstanz vom 9. Januar 2019 ist daher aufzuheben. Die Vorinstanz wird innert kurzer und angemessener Frist über den Weiterbestand der superprovisorischen Verfügung in einem begründeten und anfechtbaren (vorsorglichen) Entscheid zu befinden haben, unter Anhörung der Kinder, der Beiständin und der Kindesvertreterin. In diesem Sinne ist die Sache zum Entscheid zurückzuweisen.