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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Kindes- und Erwachsenenschutz
Entscheiddatum:14.03.2019
Fallnummer:3H 18 40
LGVE:2019 II Nr. 6
Gesetzesartikel:Art. 450 Abs. 2 ZGB; § 57 Abs. 3 EGZGB; § 16 Abs. 4 SHG.
Leitsatz:Die vorleistungspflichtige Gemeinde ist nicht befugt, gegen die mit einer fürsorgerischen Unterbringung zusammenhängende Anweisung der KESB zur Leistung einer Kostengutsprache Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben. Die besagte Anweisung kann einzig eine Vorleistungspflicht auslösen und stellt keine selbständig anfechtbare Verfügung betreffend die Leistung wirtschaftlicher Sozialhilfe dar. Für die Festlegung der definitiven Zuständigkeit zur Finanzierung der Unterbringung fehlt der KESB die sachliche Zuständigkeit. Diese Klärung hat im Streitfall im sozialhilferechtlichen Kompetenzkonfliktverfahren zu erfolgen.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

3. Beschwerdelegitimation
3.1.
Angefochten ist ein Entscheid der KESB Z, mit welchem die Gemeinde Y im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung zur Leistung einer Kostengutsprache für die Unterbringung des Betroffenen angewiesen wird. Vorab ist zu prüfen, ob die Gemeinde Y legitimiert ist, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Kantonsgericht zu gelangen.

3.2.
Das Bundesgericht ist im Bereich des Kindesschutzes zum Schluss gekommen, dass der (als Kostenträgerin involvierten) Gemeinde – im Verfahren vor der kantonalen Rechtsmittelinstanz – gestützt auf Art. 450 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) keine Beschwerdebefugnis gegen Entscheide der Kindesschutzbehörde zukommt (vgl. BGer-Urteil 5A_979/2013 vom 28.3.2014 E. 4 ff.). Aus der Positionierung von Art. 450 ZGB ergibt sich jedoch insofern eine Einschränkung, als die Regelung der Beschwerdelegitimation zwar für Entscheidungen im Erwachsenenschutz und – gestützt auf Art. 314 Abs. 1 ZGB – auch im Kindesschutz gilt, sich jedoch nicht auf weitere, möglicherweise ausserhalb der Zuständigkeit der KESB liegende Entscheidungen erstreckt. Bislang hatte sich das Bundesgericht – soweit ersichtlich – im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens noch nie mit der Frage zu beschäftigen, ob die KESB für die Anweisung an eine Gemeinde zur Leistung einer Kostengutsprache zuständig ist.

Vorliegend wendet sich die Gemeinde Y in einem Verfahren betreffend die Bestätigung einer fürsorgerischen Unterbringung für eine volljährige Person gegen die "Anweisung zur Kostengutsprache". Im Folgenden ist zu klären, ob diese "Anweisung zur Leistung einer Kostengutsprache" im Rahmen eines erwachsenenschutzrechtlichen Verfahrens von der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichts mitumfasst ist, mit der Folge, dass auf die Beschwerde mangels Beschwerdebefugnis nicht einzutreten wäre. Dabei ist zunächst auf die Funktion und die Wirkung der "Anweisung" einzugehen.

3.3.
Wie das Bundesgericht – wiederum im Bereich des Kindesschutzes – entschieden hat, bedarf es für die Übernahme von Kosten bei der behördlichen Unterbringung eines Kindes keiner vorgängigen Kostengutsprache seitens der Sozialhilfebehörde. Die Sozialhilfebehörde könne gestützt auf kantonalrechtliche Sozialhilfebestimmungen die Übernahme der Kosten der angeordneten Massnahme nicht verweigern, da kantonale Verfahrensbestimmungen infolge der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101]) nicht dazu führen dürfen, dass die Umsetzung oder Durchführung von Bundesrecht verhindert oder übermässig erschwert werde (vgl. BGE 135 V 134 E. 4.3 ff.). Das Gesagte gilt auch für die – in den Art. 426 ff. ZGB geregelte – fürsorgerische Unterbringung eines Erwachsenen.

Die Wirkung eines Gesuchs um (vorgängige) Kostengutsprache ergibt sich für Massnahmenkosten des Kindes- und Erwachsenenschutzes aus § 57 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EGZGB; SRL Nr. 200; in Kraft seit 1.7.2017), für Kosten der wirtschaftlichen Sozialhilfe allgemein aus § 16 Abs. 4 des Sozialhilfegesetzes (SHG; SRL Nr. 892). Diese Bestimmungen sehen vor, dass bei streitiger Unterstützungspflicht dasjenige Gemeinwesen, bei dem das Gesuch um Kostengutsprache zuerst gestellt wurde, bis zur Klärung der Zuständigkeit für die Kosten der Mass­nahme als Vorleistung aufzukommen hat. Solche Vorleistungen sind vom tatsächlich zuständigen Gemeinwesen zurückzuerstatten (vgl. § 57 Abs. 3 EGZGB und § 35 Abs. 3 SHG). Ist keine vorgängige Kostengutsprache seitens der Sozialhilfebehörde nötig (vgl. BGE 135 V 134 E. 4.5), erübrigt sich auch ein entsprechendes Gesuch.

Die Kostenübernahme ist Folge der durch die Vormundschaftsbehörde (neu Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) beschlossenen Massnahme (vgl. BGer-Urteil 8D_4/2013 vom 19.3.2014 E. 5.1) und ist insofern vom Anordnungsentscheid mitumfasst, als sich das unterstützungspflichtige Gemeinwesen nicht gegen die Massnahme und die damit verbundene Kostenübernahme wehren kann. Da – wie dargelegt – eine vorgängige Kostengutsprache nicht nötig ist, muss die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die Finanzierung auf andere Weise sichern können. Jedenfalls darf ein fehlendes Gesuch um Kostengutsprache weder dem Betroffenen noch der aufnehmenden Institution oder dem unterstützungspflichtigen Gemeinwesen zum Nachteil gereichen. Wie die Sicherung der Finanzierung geschehen soll, hat das Kantonsgericht in seinem Urteil vom 28. April 2014 ausgeführt, nämlich durch autoritative Bezeichnung des unterstützungspflichtigen Gemeinwesens im Anordnungsentscheid (Urteil des Kantonsgerichts Luzern 3H 13 100 vom 28.4.2014 E. 4.2, nicht publiziert in LGVE 2014 II Nr. 3). Dazu ist anzumerken, dass diese Bezeichnung, konkret die Anweisung zur Leistung einer Kostengutsprache, nicht über die Wirkungen des Gesuchs (des Betroffenen) um Kostengutsprache hinausgehen und damit einzig Vorleistungen gemäss § 57 Abs. 3 EGZGB bzw. § 16 Abs. 4 SHG auslösen kann. Für die Festlegung der definitiven Zuständigkeit zur Finanzierung der Unterbringung fehlt der KESB die sachliche Zuständigkeit. Diese Klärung hat im Streitfall im sozialhilferechtlichen Kompetenzkonfliktverfahren zu erfolgen (vgl. Affolter/Vogel, Berner Komm., Bern 2016, Art. 314 ZGB N 153). Kann der Zuständigkeitsstreit nicht geklärt werden, so steht der verwaltungsgerichtliche Klageweg offen (vgl. dazu §§ 15 ff. der Sozialhilfeverordnung [SHV; SRL Nr. 892a] und § 162 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [VRG; SRL Nr. 40]).

3.4.
Wie die obigen Ausführungen zeigen, stellt die Anweisung zur Leistung einer Kostengutsprache keine verbindliche Verfügung betreffend die Leistung wirtschaftlicher Sozialhilfe dar (vgl. zum Verfügungsbegriff: Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, Rz 854 f., mit Hinweisen; ausführlich Wirthlin, Luzerner Verwaltungsrechtspflege, Bern 2011, Rz. 5.1 ff. und 5.9; vgl. auch § 4 Abs. 1 VRG), sondern löst als Surrogat für das im Bereich einer fürsorgerischen Unterbringung nicht erforderliche Gesuch um Leistung einer vorgängigen Kostengutsprache einzig die Vorleistungspflicht aus. In diesem Sinn ist sie direkter Ausfluss bzw. Bestandteil des Massnahmenentscheids und wird von der in E. 3.2 dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichts mitumfasst. Gegen den Entscheid in Sachen Weiterführung der fürsorgerischen Unterbringung kommt der Gemeinde keine Beschwerdebefugnis zu. Dasselbe gilt für die damit zusammenhängende Anweisung zur Leistung einer Kostengutsprache. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist schon aus diesem Grund nicht einzutreten.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass der von der Beschwerdeführerin zur Begründung der Beschwerdelegitimation angeführte LGVE 2015 II Nr. 1 für den vorliegenden Streitfall nicht einschlägig ist. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Anweisung zur Kostengutsprache. Dem publizierten Urteil lag jedoch ein Entscheid einer Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde über die (definitive) Tragung von Unterbringungskosten und damit eine Verfügung über sozialhilferechtliche Kosten zu Grunde. Unter diesem Aspekt wurde damals die Beschwerdelegitimation der Gemeinde als Verfügungsadressatin bejaht. Ob die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde – wie in LGVE 2015 II Nr. 1 weiter ausführt wird – tatsächlich Massnahmenkosten gegenüber der Gemeinde auf dem Verfügungsweg geltend machen und damit sozialhilferechtliche Kosten festlegen kann, kann vorliegend offen gelassen werden, vgl. dazu aber E. 3.3 in fine.