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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:23.07.2019
Fallnummer:3B 19 24
LGVE:2019 II Nr. 10
Gesetzesartikel:Art. 276 ZPO, Art. 176 ZGB.
Leitsatz:Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Eheschutzgericht und dem Massnahmengericht.

Eheschutzmassnahmen behalten ihre Wirkung, bis sie vom Scheidungsgericht abgeändert werden. Dies auch dann, wenn der Eheschutzentscheid erst nach Anhängigmachung der Scheidung ergeht. Das Scheidungsgericht ist nur zuständig für die Abänderung der rechtskräftig entschiedenen Eheschutzmassnahmen oder für den Erlass von vorsorglichen Massnahmen, welche nicht Gegenstand des Eheschutzverfahrens sind.

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

3.3.
Für die Zeit vor Einreichung eines Scheidungsbegehrens ist grundsätzlich das Eheschutzgericht zuständig, für die Zeit danach das Scheidungsgericht. Diese Regel wurde gelegentlich so ausgelegt, dass ein Eheschutzentscheid nur dann fortwirke, wenn er vor Beginn des Scheidungsverfahrens getroffen worden sei und wenn danach kein Massnahmegesuch gestellt werde (BGer-Urteil 5A_139/2010 vom 13.7.2010 E. 2.3). Diese Auffassung ist nun aber berichtigt worden: Eheschutzmassnahmen behalten ihre Wirkung, bis sie vom Scheidungsgericht abgeändert werden. Das trifft auch dann zu, wenn der Eheschutzentscheid erst ergeht, nachdem die Scheidung anhängig gemacht wurde. Vorausgesetzt wird freilich, dass kein Kompetenzkonflikt entsteht (BGE 138 III 646 E. 3.3.2). Ein solcher Konflikt könnte sich schon ergeben, wenn die vom Eheschutzgericht zu regelnden Punkte in einem Massnahmeverfahren erneut aufgegriffen werden. Damit fällt aber die Kompetenz des Eheschutzgerichts noch nicht dahin. Weil es zuerst angerufen wurde, bleibt es zuständig. Das bei ihm eingereichte Gesuch entfaltet eine Sperrwirkung: Ein identisches Anliegen auf Regelung des Getrenntlebens kann nicht mehr anderweitig vorgebracht werden (Art. 64 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272]; Vetterli, in: FamKomm Scheidung [Hrsg. Schwenzer/Fankhauser], 3. Aufl. 2017, Vorbemerkungen zu Art. 175-179 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs [ZGB; SR 210] N 8). Zu beachten ist zudem, dass das Scheidungsgericht Unterhaltszahlungen als vorsorgliche Massnahmen nach Art. 276 ZPO auch rückwirkend für das dem Gesuch um Anordnung vorsorglicher Unterhaltszahlungen vorangehende Jahr anordnen kann. Das ist indessen nur möglich, wenn nicht bereits ein Eheschutzverfahren durchgeführt oder noch hängig ist (Leuenberger, in: FamKomm Scheidung [Hrsg. Schwenzer/Fankhauser], 3. Aufl. 2017, Art. 276 ZPO N 6 mit weiteren Hinweisen). In seinem Urteil vom 5. März 2019 bestätigte das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein Eheschutzverfahren durch die Einleitung der Scheidung nicht hinfällig wird. Das Eheschutzgericht bleibt zuständig für Massnahmen bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit der Scheidung, selbst wenn es darüber erst nach diesem Zeitpunkt entscheidet. Das Bundesgericht konkretisierte, die Eheschutzmassnahmen wirkten über den Entscheid – und damit auch über die Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens – hinaus, bis der Scheidungsrichter etwas anderes verfüge. Mangels im Scheidungsverfahren gestellter Massnahmebegehren würden die zu treffenden Entscheide über die Einleitung des Scheidungsverfahrens hinaus Geltung haben, bis der Scheidungsrichter andere Anordnungen treffe (BGer-Urteil 5A_316/2018 vom 5.3.2019 E. 3). Die neuste bundesgerichtliche Rechtsprechung ist jedoch nicht so zu verstehen, dass das Eheschutzgericht lediglich bis und mit dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Scheidung entscheiden darf, sofern die vom Eheschutzgericht zu regelnden Punkte auch im Massnahmeverfahren geltend gemacht werden. Identische Begehren können vor dem Scheidungsrichter wegen der Sperrwirkung des Eheschutzverfahrens nicht geltend gemacht werden. Eine andere Auslegung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung würde nicht nur gegen Art. 64 ZPO verstossen, sondern auch im Widerspruch zur Untersuchungsmaxime stehen. Sowohl auf das Eheschutzverfahren wie auch auf das Massnahmeverfahren ist das summarische Verfahren anwendbar (Art. 271 lit. a und Art. 276 i.V.m. Art. 248 lit. d ZPO), womit in beiden Verfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt (Art. 272 ZPO). Die Feststellung des Sachverhaltes und die Beweiserhebung hat somit von Amtes wegen zu erfolgen (Art. 55 Abs. 2 ZPO) und das Gericht hat neue Tatsachen und Beweismittel bis zur Urteilsberatung zu berücksichtigen (Art. 229 Abs. 3 ZPO). Die Untersuchungsmaxime müsste vom Eheschutzgericht aber unberücksichtigt bleiben, wenn es – bei einem erst nach Einleitung der Scheidung ergehenden Eheschutzentscheid – Eheschutzmassnahmen lediglich bis und mit dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Scheidung anordnen und deshalb auch nur die bis zu diesem Zeitpunkt vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen könnte.

Von daher ist festzuhalten, dass das Eheschutzgericht auch bei Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens über die Eheschutzmassnahmen nach Art. 176 ZGB zu entscheiden hat, selbst wenn ein Begehren um vorsorgliche Massnahmen gestellt wurde. Dabei hat es neue Tatsachen und Beweismittel bis zur Entscheidfindung zu berücksichtigen. Das Scheidungsgericht ist für den Erlass von vorsorglichen Massnahmen nach Art. 276 ZPO nur zuständig für die Abänderung der rechtskräftig entschiedenen Eheschutzmassnahmen oder für den Erlass von Massnahmen, welche nicht Gegenstand des Eheschutzverfahrens waren.

3.4.
Mit Entscheid vom 4. Februar 2019 hat die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Y Eheschutzmassnahmen erlassen und den Gesuchsteller zur Bezahlung eines Unterhaltsbeitrages an die Gesuchsgegnerin verpflichtet. Über die gegen diesen Entscheid erhobene Berufung des Gesuchstellers hat das Kantonsgericht noch nicht entschieden. Mit seiner Scheidungsklage hat der Gesuchsteller eine vorsorgliche Massnahme bezüglich Unterhalt beantragt und somit vor dem Scheidungsgericht ein identisches Anliegen vorgebracht. Da das Eheschutzgericht aber zuerst angerufen wurde und das bei ihm eingereichte Gesuch eine Sperrwirkung entfaltet hat, bleibt das Eheschutzgericht nach dem unter Erwägung 3.3 vorstehend Gesagten zuständig. Das Vorbingen des Gesuchstellers, das Bezirksgericht bzw. das Scheidungsgericht habe die Trennungsfolgen für die Dauer des Scheidungsverfahrens zu bestimmen, geht somit fehl. Die Berufung ist somit abzuweisen. Dem Gesuchsteller steht es aber offen, für die vom Eheschutzrichter angeordneten Massnahmen zu gegebener Zeit bei veränderten Verhältnissen beim Massnahmerichter ein Gesuch um Abänderung zu stellen.