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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Aufsichtsbehörden und Kommissionen
Abteilung:Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte
Rechtsgebiet:Anwaltsrecht
Entscheiddatum:20.11.2019
Fallnummer:AR 16 100
LGVE:
Gesetzesartikel:Art. 12 lit. a BGFA.
Leitsatz:Es ist mit der Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung nach Art. 12 lit. a BGFA nicht vereinbar, wenn der Anwalt zur Durchsetzung einer Forderung eine Strafanzeige in Aussicht stellt, sofern zwischen dem Gegenstand der Drohung (Strafanzeige) und demjenigen der Forderung ein sachlicher Zusammenhang fehlt.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:1.
1.1
Mit Anzeige vom 22. Dezember 2016 ersuchte Rechtsanwalt A die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Luzern, gegen Rechtsanwalt B (nachfolgend Beanzeigter) ein Disziplinarverfahren zu eröffnen. Zur Begründung trug er vor, das Teilungsamt Z habe den Beanzeigten gestützt auf den Entscheid des Bezirksgerichts Y vom 18. Januar 2013 per 16. Mai 2013 als Erbenvertreter für den Nachlass von C sel. eingesetzt. Da gegen den Beanzeigten nun im Zusammenhang mit einem Strafverfahren, das zwischen den beiden Erbengruppen im Rahmen des Nachlasses von C sel. geführt werde, am 6. Oktober 2016 eine Strafuntersuchung wegen Gehilfenschaft zu Urkundenfälschung eröffnet worden sei und er somit als beschuldigte Person in einer direkten Interessenkollision zur Erbengemeinschaft C sel. und auch zu den einzelnen Erben stehe, sei eine weitere Mandatsführung per sofort zu beenden.

1.2
Mit Schreiben vom 17. Januar 2017 verzichtete Rechtsanwalt A im Namen seiner Klientschaft auf eine Parteistellung in diesem Verfahren und teilte mit, dass die Aufsichtsbehörde seine Eingabe vom 22. Dezember 2016 lediglich als Anzeige behandeln solle. Mit Schreiben vom 8. Februar 2017 verlangte er, dass er über den Ausgang des Verfahrens informiert werde.

1.3
Am 18. Januar 2017 wurde der Beanzeigte aufgefordert, innert 20 Tagen eine Stellungnahme zur Anzeige einzureichen.

1.4
Mit Schreiben vom 31. Januar 2017 nahm das Teilungsamt Z auf Wunsch des Beanzeigten Stellung zur Anzeige. Es führte aus, dass Rechtsanwalt A als Parteivertreter von vier Erben bereits am 12. Juli 2013 gegen den Beanzeigten als frisch eingesetzten Erbenvertreter eine erste Beschwerde eingereicht habe, die aber abgewiesen worden sei, was der Regierungsstatthalter mit Entscheid vom 5. Dezember 2013 bestätigt habe. Noch vor Rechtskraft dieses Entscheids habe Rechtsanwalt A am 23. Dezember 2013 eine weitere Aufsichtsbeschwerde gegen den Beanzeigten erhoben und beantragt, ihn abzusetzen. Auch diese Beschwerde sei abgewiesen worden. Das Justiz- und Sicherheitsdepartement und das Kantonsgericht hätten diesen Entscheid bestätigt. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2016 habe Rechtsanwalt A vom Teilungsamt Z als Aufsichtsbehörde die Absetzung des Beanzeigten als Erbenvertreter bis zum 21. Dezember 2016 wegen angeblicher Gehilfenschaft zur Urkundenfälschung gefordert. Gleichentags sei der Erbenvertreter bei der Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte angezeigt worden. Zudem sei mit einem parallelen Schreiben an Stadtrat D versucht worden, Druck auf das Teilungsamt auszuüben. Ein solches Verhalten sei inakzeptabel und müsse sanktioniert werden. Die fast wöchentlichen Schreiben und E-Mails, manchmal parallel dazu auch direkt von den Erben, mit nicht präzisierten Aufforderungen bis hin zu als Drohungen empfundenen Einschüchterungsversuchen müssten als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden. Tatsache sei, dass die Beschwerdeführer es nicht hinnehmen könnten, wenn Dritte für alle Erben handeln würden und es ihnen nicht passe, weil es einfach nicht ihren Vorstellungen oder Wünschen entspreche. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen scheine das Strafverfahren gegen den Erbenvertreter grundlos und nur zum Zweck der Absetzung eingeleitet worden zu sein. Dieses Verhalten sei eines Rechtsanwalts nicht würdig. Der Beanzeigte als Erbenvertreter habe in diesem vergifteten Klima eine äusserst schwierige Aufgabe. Es sei bisher jedoch kein willkürliches oder schlichtweg unhaltbares Handeln zu erkennen, weshalb es keine Gründe gebe, ihn einfach so abzusetzen beziehungsweise zu sanktionieren.

1.5
Der Beanzeigte machte in seiner Stellungnahme vom 3. Februar 2017 geltend, er führe seine Aufgabe als amtlicher Erbenvertreter auftragsgemäss aus. Die Auftragserfüllung erfolge allerdings im Wissen, dass dies Rechtsanwalt A bzw. seinen Klienten nicht passe. Alle bisherigen Absetzungsverfahren seien erfolglos geblieben, was man nicht akzeptiere. Nun versuche man, mit dieser Aufsichtsanzeige die bisherigen Entscheide zu umgehen und gleichzeitig Kosten zu sparen. Als Erbenvertreter müsse er grundsätzlich nicht über ein Anwaltspatent verfügen. Die Tatsache, dass er zufällig noch registrierter Anwalt sei, werde bewusst ausgenutzt, um kostenlos eine weitere Aufsichtsbehörde einzuschalten. Zudem sei es bewusste Taktik, ihn mit einer Strafanzeige in Misskredit zu bringen und ihn wegen Interessenkollision zur Demission zu zwingen. Die interne Eröffnungsverfügung der Staatsanwaltschaft sei ihm nur auf Umwegen bekannt geworden. Selbst auf Anfrage hin sei ihm bisher keine Auskunft erteilt worden, weshalb er gar nicht wisse, was ihm konkret vorgeworfen werde. Deshalb könne er die angebliche Interessenkollision auch nicht beurteilen. Rechtsanwalt A gehe bewusst so vor, ohne konkret zu werden, wie er es auch in andern Verfahren getan habe, einzig mit dem Ziel, den missliebigen Erbenvertreter loszuwerden. Dieses Verhalten und auch jenes von Rechtsanwalt E verstosse gegen Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61), müssten doch strafrechtliche Vorwürfe im Rahmen prozessualer Darlegungspflichten sachbezogen und zurückhaltend geäussert werden. Nicht mit Art. 12 lit. a BGFA vereinbar sei es, wenn zwischen dem Objekt der Drohung und demjenigen des Streits der sachliche Zusammenhang fehle, die Drohung somit rechtsmissbräuchlich werde. Er erachte es als angezeigt, gegenüber Rechtsanwalt A und Rechtsanwalt E Massnahmen zu prüfen und sie zu sanktionieren.

1.6
Gemäss telefonischer Auskunft der Staatsanwaltschaft X wurde gegen den Beanzeigten Strafanzeige wegen Gehilfenschaft zur Urkundenfälschung eingereicht, da er als Erbenvertreter an der Generalversammlung der F AG der Bilanz zugestimmt habe, in der bestimmte Forderungen nicht aufgeführt gewesen seien. Zugleich werde ihm ungetreue Geschäftsführung im Zusammenhang mit der Nachlassverwaltung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft edierte die Strafakten gestützt auf die am 15. Februar 2017 verfügte Aktenedition.

1.7
Am 28. Februar 2017 wurde das Aufsichtsverfahren einstweilen sistiert und der Beanzeigte darauf hingewiesen, dass er eine allfällige Anzeige gegen die Rechtsanwälte A und E in einer separaten, begründeten Eingabe zu erstatten hätte.

1.8
Mit Schreiben vom 23. März 2017 teilte der Beanzeigte der Aufsichtsbehörde mit, dass er angesichts seiner exponierten Stellung als Erbenvertreter davon absehe, Anzeige zu erstatten, zumal er davon ausgehe, dass die Aufsichtsbehörde die Eingabe des Teilungsamts Z vom 31. Januar 2017 als Anzeige entgegengenommen habe.

1.9
Auf telefonische Nachfrage hin erklärte am 28. März 2017 auch das Teilungsamt Z, dass man vorerst auf eine Anzeige gegen Rechtsanwalt A verzichte.

1.10
In der Folge wurde die Sistierung des Aufsichtsverfahrens mehrfach verlängert, letztmalig bis zum abschliessenden Urteil des Bundesgerichts über die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren gegen den Beanzeigten.

1.11
Mit Schreiben vom 7. November 2019 setzte der Beanzeigte die Aufsichtsbehörde davon in Kenntnis, dass das Bundesgericht die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung mit Urteil vom 22. Oktober 2019 definitiv abgewiesen habe. Es halte in E. 3.2.3 deutlich fest, dass das Strafverfahren in missbräuchlicher Art geführt worden sei. Folglich sei auch das wegen dieses Strafverfahrens angestrengte Disziplinarverfahren gegen ihn missbräuchlich erfolgt.

2.
Mit dem Entscheid des Bundesgerichts vom 22. Oktober 2019 ist rechtskräftig entschieden, dass sich der Beanzeigte keiner Straftat schuldig gemacht hat. Folglich liegt kein Grund vor, das Disziplinarverfahren gegen ihn wegen möglicher Verletzung von Berufsregeln weiterzuführen. Das eröffnete Verfahren kann daher infolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben werden.

3.
Da im Moment keine konkreten Anzeigen gegen die Rechtsanwälte A und E vorliegen, sieht die Aufsichtsbehörde davon ab, ein Disziplinarverfahren gegen sie zu eröffnen. Denn sowohl die Angaben des Beanzeigten und des Teilungsamts Z als auch die Erwägungen des Bundesgerichts, das in seinem Urteil von missbräuchlichem Vorgehen spricht, sind zu allgemein gehalten, als dass sie eine Verfahrenseinleitung von Amtes wegen indizieren würden. Allfällige künftige konkrete Pflichtverletzungen können indes jederzeit zur Anzeige gebracht werden. Denn auch wenn Rechtsanwälte die Interessen ihrer Klienten bestmöglich zu vertreten haben, energisch auftreten sowie sich den Umständen entsprechend auch scharf ausdrücken dürfen und zudem nicht verpflichtet sind, stets das für die Gegenpartei mildeste Vorgehen zu wählen, sind nicht sämtliche Mittel durch die Ausübung der anwaltlichen Berufspflicht gerechtfertigt. So ist es insbesondere mit der Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung nach Art. 12 lit. a BGFA sicher nicht mehr vereinbar, wenn zum Zweck der Durchsetzung einer gestellten Forderung eine Strafanzeige in Aussicht gestellt wird, sofern zwischen dem Gegenstand der Drohung (Strafanzeige) und demjenigen der Forderung ein sachlicher Zusammenhang fehlt (BGer-Urteil 2C_620/2016 vom 30.11.2016 E. 2.2).

4.
Bei diesem Verfahrensausgang gehen die Kosten zulasten des Staates (§ 15 Abs. 2 des Gesetzes über das Anwaltspatent und die Parteivertretung [AnwG; SRL Nr. 280] i.V.m. Art 423 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]).

Die amtlichen Kosten für den vorliegenden Abschreibungsentscheid werden auf Fr. 500.-- festgesetzt (§ 13 i.V.m. § 1 Abs. 3 der Verordnung über die Kosten in Zivil-, Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren [JusKV; SRL Nr. 265]) und zulasten des Staates abgeschrieben.

Da es zu den ungeschriebenen Berufspflichten eines Rechtsanwalts gehört, der Aufsichtsbehörde die nötigen Auskünfte zu erteilen, wird dem Beanzeigten keine Parteientschädigung zugesprochen (vgl. Sterchi, Komm. zum bernischen Fürsprecher-Gesetz, Bern 1992, Art. 31 N 2d).