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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Aufsichtsbehörden und Kommissionen
Abteilung:Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte
Rechtsgebiet:Anwaltsrecht
Entscheiddatum:26.11.2019
Fallnummer:AR 19 88
LGVE:
Gesetzesartikel:Art. 13 BGFA; § 16 Abs. 1 AnwG.
Leitsatz:Entbindung vom Berufsgeheimnis für die Eingabe einer Honorarforderung im öffentlichen Inventar über den Nachlass des verstorbenen Klienten
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:1.
Mit Eingabe vom 1. Oktober 2019 ersuchte Rechtsanwalt X die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte um behördliche Entbindung vom Berufsgeheimnis gegenüber seinem am 1. September 2019 verstorbenen Klienten Y sel., wohnhaft gewesen in Z, um seine diesem gegenüber bestehende Honorarforderung im Rechnungsruf für das öffentliche Inventar bei der Teilungsbehörde Z eingeben zu können. Auf telefonische Aufforderung der Aufsichtsbehörde hin reichte der Gesuchsteller mit Eingabe vom 1. November 2019 weitere Unterlagen ein, welche belegen, dass er vom Klienten bzw. von dessen Anwälten mit seiner Vertretung in verschiedenen Verfahren beauftragt wurde. Im Weiteren reichte er Kopien seiner Honorarabrechnungen vom 1. Juli 2019 sowie eine Kopie seiner Mahnung vom 1. September 2019 ein. Sein Gesuch begründete er mit der Konstellation, dass er seine Honorarforderung im öffentlichen Inventar eingeben und allenfalls anschliessend auch noch gerichtlich durchsetzen müsse.

2.
Die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Luzern ist angesichts des Geschäftssitzes des gesuchstellenden Rechtsanwalts für die Behandlung des vorliegenden Gesuchs zuständig. Auf das Gesuch ist daher einzutreten. Mangels einer möglichen Opposition gegen das Entbindungsgesuch infolge Tod des Geheimnisherrn ist der Ausschuss der Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte zum Erlass des Entbindungsentscheids zuständig (§ 4 lit. b AAV).

3.
Der Anwalt ist grundsätzlich verpflichtet, das Berufsgeheimnis auch über den Tod des Klienten hinaus zu wahren. Allfällige Geheimnisse des Erblassers bzw. die Berechtigung, darüber zu verfügen, gehen mit dessen Tod nicht auf die Erben über (Nater/Zindel, in: Komm. zum Anwaltsgesetz, [Hrsg. Fellmann/Zindel], 2. Aufl. 2011, Art. 13 BGFA N 160). Daher ist die Aufsichtsbehörde zuständig, über eine Befreiung des Gesuchstellers vom Berufsgeheimnis zu entscheiden (Nater/Zindel, a.a.O., Art. 13 BGFA N 157; ZR 82 [1983] Nr. 15 S. 35; EGV-SZ 1992 Nr. 35 = SJZ 91 [1995] S. 119 Nr. 12).

4.
Die Aufsichtsbehörde hat das Interesse des Anwalts an der Offenbarung des Geheimnisses gegen das entgegenstehende Interesse des Auftraggebers an der Geheimhaltung abzuwägen, indem sie prüft, ob das Interesse an der Offenbarung des Berufsgeheimnisses wesentlich höher ist als das Interesse an der Geheimhaltung (Nater/Zindel, a.a.O., Art. 13 BGFA N 137). Die Offenbarung ist demnach dann zu bewilligen, wenn das Interesse an der Offenbarung im konkreten Fall dasjenige an der Geheimhaltung übertrifft. Dabei ist zu berücksichtigen, was vom Gesuchsteller offenbart werden soll und zu welchem Zweck dies geschieht. Mit in die Überlegungen einzubeziehen ist aber auch – da sich der Verstorbene nicht mehr selber äussern kann – dessen objektiv zu beurteilendes mutmassliches Geheimhaltungsinteresse bzw. dessen Interesse an einer allfälligen Offenbarung. Unter Umständen wird das Geheimhaltungsinteresse des Verstorbenen ohnehin oftmals kleiner zu bewerten sein als noch zu seinen Lebzeiten (Handbuch über die Berufspflichten des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, herausgegeben vom Verein Zürcherischer Rechtsanwälte auf Grundlage der 1969 erschienenen Dissertation von Dr. Paul Wegmann, Zürich 1988, S. 111 mit zahlreichen Verweisen; ZR 82 [1983] Nr. 15 S. 36). Stehen nicht höhere Interessen entgegen, so muss grundsätzlich der Rechtsanwalt Prozesse um sein Honorar ohne Behinderung durch seine Schweigepflicht führen können. Praxisgemäss wird daher ein Anwalt – zwecks Abwendung eines ungerechtfertigten erheblichen Vermögensnachteils – in der Regel von der Geheimhaltungspflicht entbunden, damit er seinen Honoraranspruch geltend machen kann. Dieser Entscheid basiert auf einer Interessenabwägung, bei welcher grundsätzlich das vermögensrechtliche Interesse des Anwalts höher eingestuft wird als das öffentliche Interesse an der Wahrung des Berufsgeheimnisses (vgl. Handbuch Wegmann, a.a.O., S. 115 FN 145a; Sterchi, Komm. zum bernischen Fürsprecher-Gesetz, Bern 1992, S. 144 lit. c.aa; Giovanni Andrea Testa, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts gegenüber dem Klienten, Diss. Zürich 2000, S. 156 f.).

Im vorliegenden Fall sind höhere Interessen, die einer Entbindung des Gesuchstellers von der Geheimhaltungspflicht im Hinblick auf die Geltendmachung der Honorarforderung entgegenständen, nicht ersichtlich. Für die Geltendmachung einer Honorarforderung wird von der Geheimhaltungspflicht in der Regel auch dann entbunden, wenn der Geheimnisherr noch lebt und sich dagegen ausspricht. Nur in absoluten Ausnahmefällen, in welchen dem Anwalt höchst persönliche Geheimnisse anvertraut werden, die unter keinen Umständen einem weiteren Personenkreis bekannt gegeben werden sollen und dem Anwalt auch mit diesem Hinweis anvertraut werden, ist eine Entbindung zu verweigern. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Vorliegend geht es um Aufwendungen, welche dem Gesuchsteller im Zusammenhang mit der Beratung und Vertretung des Verstorbenen in zivilrechtlichen Verfahren entstanden sind. Es liegt im mutmasslichen Interesse des Verstorbenen, dass diese Arbeiten ordentlich entschädigt werden. Die Offenbarung von Geheimnissen kann in diesem Fall sein Interesse an einer Geheimhaltung nicht verletzen. Somit wiegt das Interesse an einer Offenbarung unter Berücksichtigung des damit verfolgten Zwecks wie auch des mutmasslichen Interesses des Geheimnisherrn höher als das (rein institutionelle) Interesse an der Geheimhaltung. Dem Gesuch um Entbindung vom Berufsgeheimnis ist daher in Bezug auf die Forderungseingabe im Rechnungsruf wie auch hinsichtlich einer allfälligen gerichtlichen Geltendmachung zu entsprechen.

5.
Die Verfahrenskosten werden in Anwendung von § 15 Abs. 1 AnwG dem Gesuchsteller auferlegt. Eine Gerichtsgebühr von Fr. 300.-- für das Verfahren vor der Aufsichtsbehörde erscheint angemessen (§ 13 JusKV).