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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Aufsichtsbehörden und Kommissionen
Abteilung:Aufsichtsbehörde über die Urkundspersonen
Rechtsgebiet:Beurkundungsrecht
Entscheiddatum:13.12.2019
Fallnummer:AU 19 23
LGVE:2020 V Nr. 2
Gesetzesartikel:§ 5 BeurkG
Leitsatz:Gestützt auf § 5 Abs. 1 lit. b BeurkG kann pro Gemeinde lediglich ein einziger Gemeindeschreiber und zusätzlich lediglich ein einziger vollamtlicher Substitut zum Notar ernannt werden. Bei der Erteilung der Beurkundungsbefugnis gestützt auf § 5 Abs. 1 lit. c BeurkG (Bedürfnisnachweis) ist Zurückhaltung geboten.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Die Gesuchstellerin ist seit 1. März 2019 in einem 80 %-Pensum bei der Gemeinde Z tätig. Vom 1. März bis 20. August 2019 war sie zunächst in der Funktion Leitung Zentrale Dienste, Soziales und Gesellschaft und Gemeindeschreiber-Substitutin I sowie als Mitglied der Geschäftsleitung tätig. Seit 21. August 2019 wurde sie vom Gemeinderat Z – bei gleichbleibender Funktion (Leitung Zentrale Dienste, Soziales und Gesellschaft) – zur Gemeindeschreiberin II und als Mitglied der Geschäftsleitung gewählt. Dies erfolgte im Zusammenhang mit der Umsetzung des Geschäftsführermodells. Am 22. September 2019 reichte die Gesuchstellerin ein Gesuch um Ernennung zur Notarin ein.

Aus den Erwägungen:

1.
Als Notare werden gemäss § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die öffentlichen Beurkundungen (BeurkG; SRL Nr. 255) vom Präsidenten der Aufsichtsbehörde (AU) ernannt:
a. Anwälte die im Kanton Luzern ein Anwaltsbüro führen oder ständig in einem solchen tätig sind;
b. patentierte, im Amt stehende Gemeindeschreiber und ihre vollamtlichen, pantentierten Substituten;
c. mit ganzer oder teilweiser Beurkundungsbefugnis weitere Angestellte mit Gemeindeschreiberfunktionen, sofern ein Bedürfnis besteht.

Voraussetzungen sind nach § 5 Abs. 2 BeurkG:
a. eine vom Bewerber abgelegte Prüfung über seine Befähigung;
b. die Leistung der vorgeschriebenen Sicherheit;
c. die Beeidigung als Notar und
d. Wohnsitz im Kanton Luzern.

2.
Der Präsident der AU erachtet das vorliegende Gesuch als besonderen Fall mit Präjudizwirkung. Wie der Gesuchstellerin mit Schreiben vom 15. Oktober 2019 mitgeteilt, unterbreitet er daher das Gesuch der fünfköpfigen Aufsichtsbehörde zur Behandlung. Dies erfolgt analog § 19 Abs. 3 der Geschäftsordnung für das Kantonsgericht (SRL Nr. 263).

3.
Die Gesuchstellerin verfügt über ein Fähigkeitszeugnis für Gemeindeschreiber vom 15. Dezember 1998 und eine Bescheinigung der Notariatsprüfungskommission, wonach sie am 28. April 2003 die Notariatsprüfung bestanden hat. Sie hat Wohnsitz im Kanton Luzern und hat den Ausweis über die Leistung der vorgeschriebenen Sicherheit erbracht. Insoweit sind alle Voraussetzungen von § 5 Abs. 2 BeurkG (Ausnahme Beeidigung) erfüllt.

4.
4.1.
Die Gesuchstellerin ist in der Gemeinde Z als Gemeindeschreiberin II in einem 80 %-Pensum tätig. A als Gemeindeschreiber I und Notar hält ein 100 %-Pensum. Weiter ist in Z eine Gemeindeschreibersubstitutin angestellt. Diese übt das Notariat nicht aus. Es stellt sich die Frage, ob die Gesuchstellerin gestützt auf § 5 Abs. 1 lit. b BeurkG zur Notarin ernannt werden kann. Da sie nicht vollamtlich tätig ist, entfällt Satzteil 2 dieser Bestimmung "ihre vollamtlichen, patentierten Substituten" im Vornherein. Näher zu prüfen ist, ob die Gesuchstellerin als "im Amt stehende Gemeindeschreiber(in)" anzusehen ist. Bejahendenfalls würde ihr 80 %-Pensum genügen, um als Notarin ernannt werden zu können. Denn das Beurkundungsgesetz gibt für den Gemeindeschreiber kein Vollamt vor.

4.2.
Die Regelung gemäss § 5 Abs. 1 BeurkG wurde mit dem neuen Beurkundungsgesetz vom 18. September 1973 eingeführt. Dieses ersetzte jenes vom 8. Mai 1944. Gemäss der regierungsrätlichen Botschaft vom 27. November 1972 sollte mit dem neuen Gesetz eine klare und einfach zu handhabende Regelung getroffen werden. Namentlich sollte die viel zu grosse Zahl der Urkundspersonen auf ein tragbares Mass gebracht werden, indem für Anwälte und Gemeindeschreiber u.a. eine Notariatsprüfung eingeführt wurde. Der Kreis der Gemeindeschreibersubstituten mit Beurkundungsbefugnis wurde auf vollamtlich tätige eingeschränkt, damit es nicht mehr möglich sei, so die Botschaft, sich bloss zum Schein zum nebenamtlichen Substituten wählen zu lassen, um auf diese Weise die Beurkundungsbefugnis zu erhalten. Um berechtigten Bedürfnissen Rechnung tragen zu können, wurde andererseits für Gemeinden mit Sonderorganisation eine besondere, von Fall zu Fall zu treffende Regelung vorgesehen. Die diesbezügliche Bestimmung im Beurkundungsgesetz vom 18. September 1973 lautete: "c. in Gemeinden mit Sonderorganisation: ganz oder zum Teil weiteren Beamten mit Gemeindeschreiberfunktionen, sofern das Obergericht das Bedürfnis bejaht" (regierungsrätlicher Entwurf eines Gesetzes über die öffentlichen Beurkundungen [Beurkundungsgesetz] vom 27.11.1972, G 1972 S. 806 ff.). Diese Bestimmung wurde im Rahmen des neuen Gemeindegesetzes am 4. Mai 2004 angepasst, da in diesem nicht mehr von Gemeinden mit Sonderorganisation gesprochen wird (G 2004 I S. 488). Der seither gültige Wortlaut ist aus E. 1 ersichtlich.

4.3.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber unter der Klausel "im Amt stehende Gemeindeschreiber" den Gemeindeschreiber der jeweiligen politischen Gemeinde meinte. Dies vorab deshalb, weil der Gesetzgeber im Falle eines entsprechenden Bedürfnisses ausdrücklich die Regelung gemäss § 5 Abs. 1 lit. c BeurkG vorsah. Mit dieser Ausnahmebestimmung konnte damals wie heute einem weiteren Gemeindeschreiber oder weiteren Gemeindeschreibern ("Angestellte mit Gemeindeschreiberfunktionen") die Beurkundungsbefugnis erteilt werden, sofern ein entsprechender Bedarf bestand resp. besteht. Zum Notar kann somit gestützt auf § 5 Abs. 1 lit. b BeurkG nur ein Gemeindeschreiber ernannt werden. Diese Auffassung entspricht auch einem der erklärten Ziele der Totalrevision des Beurkundungsgesetzes, die viel zu grosse Zahl der Urkundspersonen zu vermindern. Zudem besteht damit eine klare und einfach zu handhabende Regelung. Eine andere Interpretation von § 5 Abs. 1 lit. b BeurkG ist abzulehnen, da diesfalls in ein und derselben Gemeinde beliebig viele Gemeindeschreiber unabhängig von Pensum und Bedarf als Notar tätig sein könnten. Dies war offenkundig nicht die Absicht des Gesetzgebers.

4.4.
An diesem Schluss vermag das von einzelnen Gemeinden eingeführte Geschäftsführermodell oder die Fusion von Gemeinden nichts zu ändern, da einem entsprechenden Bedürfnis nach Notariatsdienstleistungen mit der Ausnahmeklausel von § 5 Abs. 1 lit. c BeurkG begegnet werden kann. Soweit die Gesuchstellerin sinngemäss geltend macht, in anderen Gemeinden habe die AU eine mit der ihren vergleichbaren Situation anders behandelt, kann sie daraus nichts für sich ableiten. Sie zeigt nicht auf, inwieweit vergleichbare Situationen anders behandelt worden wären.

4.5.
Gestützt auf § 5 Abs. 1 lit. b BeurkG können somit in einer politischen Gemeinde nur ein Gemeindeschreiber und zusätzlich ein vollamtlicher Substitut, insgesamt maximal zwei Angestellte der Gemeindeverwaltung, zum Notar ernannt werden. Sofern – wie dies in Z der Fall ist – nicht bereits ein vollamtlicher Substitut als Notar tätig ist, kann indes einem vollamtlich tätigen Gemeindeschreiber II die Notariatsbefugnis nach § 5 Abs. 1 lit. b BeurkG erteilt werden. Insoweit stellt die AU einen vollamtlichen Gemeindeschreiber II dem vollamtlichen Substituten gleich. Soweit der Gemeindeschreiber I selber nicht Notar ist, kann sodann einem Gemeindeschreiber II das Notariat ausnahmsweise erteilt werden, auch wenn er nicht vollamtlich tätig ist. In diesem speziellen Fall wird der Gemeindeschreiber II gleich wie der Gemeindeschreiber I (kein Vollamt erforderlich) behandelt.

5.
5.1.
Wie erwähnt, handelt es sich bei § 5 Abs. 1 lit. c BeurkG um eine Ausnahmeregelung. Bei der Erteilung der Beurkundungsbefugnis gestützt auf diese Bestimmung ist deshalb Zurückhaltung geboten (vgl. Botschaft N 23 f.; LGVE 1977 I Nr. 403; Kurt Sidler, Kurzkomm. zum luzernischen Beurkundungsgesetz, Luzern 1975, S. 26 N 25).

(Im vorliegenden Fall wurde der Bedürfnisnachweis nicht erbracht und folglich das Gesuch um Ernennung zur Notarin abgewiesen.)