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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:21.04.2020
Fallnummer:1B 19 37
LGVE:2020 I Nr. 3
Gesetzesartikel:Art. 88 ZPO; Art. 168 Abs. 1 OR
Leitsatz:Im Prätendentenstreit wird nur über die Berechtigung (Aktivlegitimation) an einer von beiden Parteien behaupteten Forderung im Verhältnis der beiden Ansprecher zueinander entschieden und nicht über die Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner oder über den Bestand der Forderung als solches. Es soll Klarheit bezüglich der Gläubigerrolle geschaffen werden. Diesbezüglich besteht ein Feststellungsinteresse im Sinne von Art. 88 ZPO.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Gemäss Zession vom 1. Juni 2016 trat die A AG der B GmbH (nachfolgend: Klägerin) sieben Forderungen gegenüber Dritten im Umfang von Fr. 64'706.50 ab. Im Zusammenhang mit dem Konkursverfahren gegen die A AG reichte die C GmbH (nachfolgend: Beklagte) dem Konkursamt mehrere Zessionen vom 4. November 2016 ein. Daraus geht hervor, dass die A AG der Beklagten dieselben Forderungen abgetreten hat, wie zuvor der Klägerin.

Vor Bezirksgericht klagte die Klägerin auf Feststellung, dass sie rechtmässige und gültige Gläubigerin der am 1. Juni 2016 abgetretenen Forderungen der besagten sieben Schuldner sei; entsprechend sei festzustellen, dass der Beklagten keine Ansprüche gegenüber diesen Schuldnern aus Abtretung zustünden und namentlich, dass die am 4. November 2016 an die Beklagte erfolgten Abtretungen ungültig seien. Die Klägerin machte geltend, es bestehe aktuell eine unzumutbare Ungewissheit und die Gefährdung ihrer Rechtsstellung, weil sie die an sie abgetretenen Forderungen wegen des behaupteten Drittanspruchs der Beklagten nicht durchzusetzen vermöge. Die Beklagte habe den Drittschuldnern ihre Zessionen vom 4. November 2016 angezeigt. Nun sähen sich diese zu Recht der Gefahr einer Doppelzahlung ausgesetzt und hätten ihr mitgeteilt, dass sie mit der Zahlung zuwarten oder den Betrag gerichtlich hinterlegen würden.

Die Vorinstanz trat auf die Klage nicht ein. Sie kam zum Schluss, es mangle der Klägerin an einem Feststellungsinteresse. Die vorliegende Klage diene nicht dazu, eine Unsicherheit im Verhältnis zwischen ihr und der Beklagten zu beseitigen, sondern primär dazu, eine Unsicherheit im Verhältnis zwischen der Beklagten und Dritten zu klären. Dies solle ihr in einem zweiten Schritt ermöglichen, ihre behaupteten Forderungen gegenüber Dritten durchsetzen zu können. Dieses Ziel könne indessen mittels Leistungsklage direkt gegenüber den Dritten erreicht werden, weshalb die Feststellungsklage aufgrund ihrer Subsidiarität unzulässig sei.

Das Kantonsgericht hiess die dagegen erhobene Berufung gut. Aus den Erwägungen:

3.3
Ist die Frage, wem eine Forderung zustehe, streitig, so kann der Schuldner die Zahlung verweigern und sich durch gerichtliche Hinterlegung befreien (Art. 168 Abs. 1 des Obligationenrechts [OR; SR 220]). Diese Bestimmung regelt als lex specialis zur allgemeinen Hinterlegungsregel des Art. 96 OR den sogenannten Prätendentenstreit, d.h. den Fall, dass die Person des Gläubigers streitig ist (BGer-Urteile 4A_685/2017 vom 7.2.2017 E. 2.1, 4A_511/2007 vom 8.4.2008 E. 2). Nach Lehre und Rechtsprechung kommt diese Bestimmung hauptsächlich bei der Abtretung zur Anwendung. Sie ist aber auch beim Prätendentenstreit infolge anderer Ursache anwendbar (Lardelli, Kurzkomm. OR [Hrsg. Honsell], Basel 2014, Art. 168 OR N 1, mit Hinweisen). (…)

Eine Feststellungsklage nach Art. 88 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) ist zulässig, wenn ein Feststellungsinteresse besteht, welches gegeben ist, wenn eine Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis besteht, der Fortbestand dieser Unsicherheit unzumutbar ist und diese Unsicherheit nicht durch eine Leistungs- oder Gestaltungsklage beseitigt werden kann (Bessenich/Bopp, in: Komm. ZPO [Hrsg. Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger], 3. Aufl. 2016, Art. 88 ZPO N 7).

Im gerichtlichen Prätendentenstreit klagt der eine Ansprecher gegen den anderen auf Feststellung, dass die Forderung ihm (und nicht dem Beklagten) zusteht. Dieser Streit kann vor oder nach der Hinterlegung zu Handen wes Rechtes ausgetragen werden. Im Forderungsprätendentenstreit stehen sich zwei Personen gegenüber, welche die Gläubigerstellung an einer Forderung für sich beanspruchen. Der Bestand der Forderung an und für sich wird dabei von keiner der Parteien bestritten. Im Rahmen des Forderungsprätendentenstreits wird kein Drittrechtsverhältnis beurteilt. Der Feststellungsprozess spielt sich daher einzig zwischen den beiden behaupteten Gläubigern ab, ohne dass die Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner Thema des Verfahrens bildet. Folglich stellt sich im Rahmen des Forderungsprätendentenstreits nicht die Frage, ob ein Feststellungsinteresse an der Beurteilung eines Drittrechtsverhältnisses besteht (Staehelin, Die Hinterlegung zu Handen wes Rechtes und der Prätendentenstreit, in: BJM 1972 S. 232 f.; Weber, Die Feststellungsklage nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Diss. Basel 2013, S. 24 f. N 49, mit Hinweisen).

Im Prätendentenstreit wird somit nur über die Berechtigung (Aktivlegitimation) an einer von beiden Parteien behaupteten Forderung im Verhältnis der beiden Ansprecher zueinander und nicht über den Bestand der Forderung als solches entschieden. Eine entsprechende (Feststellungs-) Klage ist selbstverständlich zulässig. Eine Leistungsklage gegen die Beklagte kommt vorliegend nicht in Betracht, da sie nicht zur Herausgabe der Beträge verpflichtet werden kann (Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 14 N 24; Urteil Handelsgericht Zürich 110033-O vom 1.9.2014 E. II.2; vgl. auch Bessenich/Bopp, a.a.O., Art. 88 ZPO N 4).

(…)

3.4.3
Nach dem Gesagten (oben E. 3.3) erweist sich die Erwägung der Vorinstanz als unzutreffend, wonach die Feststellungsklage der Klägerin nicht dazu diene, eine Unsicherheit zwischen ihr und der Beklagten zu beseitigen, sondern primär dazu, eine Unsicherheit im Verhältnis zwischen der Beklagten und Dritten zu klären. Die Klägerin will festgestellt haben, dass sie (und nicht die Beklagte) Gläubigerin der abgetretenen Forderungen ist. So hat die Klägerin denn auch beantragt, es sei richterlich festzustellen, dass sie rechtmässige und gültige Gläubigerin der am 1. Juni 2016 abgetretenen Forderungen sei. Zwar beantragt die Klägerin im zweiten Teil ihres Rechtsbegehrens (und entgegen BG-Urteil nicht als zweites Rechtsbegehren), dass dementsprechend richterlich festzustellen sei, dass der Beklagten keine Ansprüche gegenüber den oben aufgeführten Schuldnern aus Abtretung zustünden, namentlich die am 4. November 2016 an die Beklagte erfolgten Abtretungen ungültig seien. Damit will sie aber nicht "primär eine Unsicherheit im Verhältnis zwischen der Beklagten und Dritten klären". Vielmehr ist dies als Folge der eingangs beantragten Feststellung ihres eigenen Anspruchs anzusehen. Stellt das Gericht fest, dass die Klägerin rechtmässige Gläubigerin der abgetretenen Forderungen ist, so ist umgekehrt grundsätzlich auch festgestellt, dass es die Beklagte nicht ist. Mit ihrem Rechtsbegehren will die Klägerin nicht ein Drittrechtsverhältnis geklärt haben, sondern nur – aber immerhin – Klarheit zwischen ihr und der Beklagten bezüglich der Gläubigerrolle bei den abgetretenen Forderungen erreichen. Diesbezüglich besteht sehr wohl ein Feststellungsinteresse im Sinne von Art. 88 ZPO (Urteil Handelsgericht Zürich 110033-O vom 1.9.2014 E. II.2).

Nach dem Gesagten (oben E. 3.3) nicht stichhaltig ist die Erwägung der Vorinstanz, dass die Klägerin ihr Ziel mittels Leistungsklage direkt gegenüber den Schuldnern erreichen könne und wonach es in jenen Verfahren Sache der Schuldner sein werde, die Aktivlegitimation der Klägerin zu bestreiten. Die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage bezieht sich auf das Verhältnis zwischen den Prozessparteien und nicht auf das Verhältnis zwischen einer Prozesspartei und einem Dritten. Eine Leistungsklage gegen die Beklagte kommt vorliegend nicht in Betracht, da sie zur Herausgabe der Beträge nicht verpflichtet werden kann. Ein vorgängiger Entscheid über den Prätendentenstreit vor dem Einreichen bzw. an Stelle des Einreichens von (vorliegend bis zu je sieben) Forderungsklagen liegt sodann nicht nur im Interesse der Prozessparteien, sondern auch in jenem der Schuldner, die im Unklaren sind, wer rechtmässige Gläubigerin ist, die Gefahr einer Doppelzahlung laufen und denen gerade nicht zuzumuten ist, vor der Klärung der Frage nach der rechtmässigen Gläubigerin bzw. deren Aktivlegitimation in gegen sie erhobenen Forderungsklagen, wie sie die Vor­instanz postuliert, diese Aktivlegitimation zu bestreiten bzw. klären zu lassen. Es ist vielmehr an der behaupteten Gläubigerin, diesbezüglich im Rahmen des Prätendentenstreits vorgängig für Klarheit zu sorgen, was die Klägerin mit ihrem Feststellungsbegehren denn auch anstrebt.

Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, wirkt die Rechtskraft eines Urteils grundsätzlich nur unter den Prozessparteien. Der daraus gezogene Schluss, dass ein Feststellungsurteil den von der Klägerin gewünschten Erfolg nicht herbeizuführen vermöchte, erweist sich indes nach dem Gesagten als unrichtig – und zwar unabhängig von der Tatsache, dass vorliegend klare Anzeichen dafür bestehen, dass die Schuldner leisten werden, sobald bezüglich der Person der Gläubigerin Klarheit herrscht.

4.
Zusammenfassend hat die Vorinstanz in unrichtiger Rechtsanwendung (Art. 310 lit. a ZPO) das aktuelle Rechtsschutzinteresse bzw. das Feststellungsinteresse der Klägerin an der – im angehobenen Prätendentenstreit zu klärenden – Frage, ob vor dem Hintergrund der diversen Abtretungen sie und nicht die Beklagte rechtmässige Gläubigerin der besagten Forderungen sei, zu Unrecht verneint und ist zu Unrecht nicht auf die Klage eingetreten. Entsprechend ist die Berufung gutzuheissen, das Urteil vom 9. Juli 2019 aufzuheben und die Sache antragsgemäss zur materiellen Beurteilung an die Vor­instanz zurückzuweisen (Art. 318 Abs. 1 lit. c ZPO).