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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Kindesschutz
Entscheiddatum:30.03.2020
Fallnummer:3H 20 3
LGVE:2020 II Nr. 7
Gesetzesartikel:Art. 314abis ZGB, Art. 450f ZGB, § 3 EGZGB, Art. 95 Abs. 2 lit. e ZPO, § 201 Abs. 2 VRG.
Leitsatz:In Bezug auf die Kosten der Kindesvertretung hält Art. 95 Abs. 2 lit. e ZPO fest, dass diese zu den Gerichtskosten zu schlagen sind. Diese Bestimmung gilt sinngemäss auch für die Kosten der Kindesvertretung gemäss Art. 314abis ZGB vor den Zivilgerichten. Es handelt sich demzufolge nicht um Massnahmekosten (E. 10.2.1).



Indem die Vorinstanz ihrem Entscheid über die Fremdplatzierung des Kindes die aufschiebende Wirkung entzogen hat, obwohl keine Dringlichkeit vorlag, hat sie einen groben Verfahrensfehler im Sinne von § 201 Abs. 2 VRG begangen, was eine teilweise Auferlegung der Parteikosten der Beschwerdeführerinnen an das Gemeinwesen, dem die Vorinstanz angehört, rechtfertigt (E. 10.2.2).

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Am 8. Januar 2020 entzog die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Z (KESB) der alleine sorgeberechtigten Mutter A gestützt auf Art. 310 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) per 8. Januar 2020 das Aufenthaltsbestimmungsrecht über ihre Tochter B und brachte B per 10. Januar 2020 bei einer Pflegefamilie unter. Einer allfälligen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid entzog sie die aufschiebende Wirkung.

Aus den Erwägungen:

E. 10.2.1
Die Entschädigung für die Kindesvertretung im Sinne von Art. 314abis ZGB stellt keine Massnahmekosten im Sinne von Art. 307 ff. ZGB dar. Wer die Kosten der Kindesvertretung trägt, ist im Gesetz nicht geregelt. Gemäss Art. 450f ZGB sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung sinngemäss anwendbar, soweit die Kantone nichts anderes bestimmen. Der Kanton Luzern hat in § 3 des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EGZGB; SRL Nr. 200) gewisse Verfahrensvorschriften aufgestellt. Danach richtet sich das Verfahren vor den zivilgerichtlichen Behörden nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272), soweit es das Gesetz nicht anders bestimmt. Das Kantonsgericht ist gemäss § 3 Abs. 2 lit. a des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und Behörden in Zivil-, Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren (JusG; SRL Nr. 260) das für Zivilverfahren zuständige Gericht. Folglich sind die Vorschriften der ZPO sinngemäss anzuwenden. In Bezug auf die Kosten der Kindesvertretung hält Art. 95 Abs. 2 lit. e ZPO fest, dass diese zu den Gerichtskosten zu schlagen sind. Diese Bestimmung gilt sinngemäss auch für die Kosten der Kindesvertretung gemäss Art. 314 abis ZGB vor den Zivilgerichten.

E. 10.2.2
Wenn an Rechtsmittelverfahren Parteien mit gegensätzlichen Interessen beteiligt sind, wird der obsiegenden Partei zulasten jener, die unterliegt oder Rückzug erklärt oder auf deren Begehren nicht eingetreten wird, eine angemessene Parteientschädigung zugesprochen. In familienrechtlichen Verfahren kann die Parteientschädigung abweichend von diesem Grundsatz festgelegt werden. Wenn der Vorinstanz grobe Verfahrensfehler oder offenbare Rechtsverletzungen zur Last fallen, wird der obsiegenden Partei zu Lasten des Gemeinwesens, dem die Vorinstanz angehört, eine angemessene Vergütung für ihre Vertretungskosten zugesprochen (§ 201 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [VRG; SRL Nr. 40]).
In der Regel handelt es sich bei Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Entscheide der KESB nicht um Verfahren von Parteien mit gegensätzlichen Interessen im Sinne von § 201 Abs. 1 VRG, da die KESB Vorinstanz und nicht Partei ist. Vorliegend ist der Vorinstanz jedoch ein grober Verfahrensfehler im Sinne von § 201 Abs. 2 VRG vorzuwerfen. Indem sie einer Beschwerde gegen den definitiven Entscheid über den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts über B und deren Unterbringung in einer Pflegefamilie die aufschiebende Wirkung entzogen hat, hat sie einen groben Verfahrensfehler begangen. Der Entscheid vom 8. Januar 2020 war nicht dringlich, da B seit dem 20. Dezember 2019 bei C wohnte und von ihr gut betreut wurde; das hat die Vorinstanz in ihrer Stellungnahme vom 21. Januar 2020 ausdrücklich bestätigt. Es gab keinen Grund für den Entzug der aufschiebenden Wirkung. Insbesondere geht die Vorinstanz fehl in der Annahme, der Entscheid über den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts müsse zeitlich mit der Platzierung des betroffenen Kindes zusammenfallen. Das ist gerade nur in dringlichen Fällen angezeigt. Vielmehr muss den vom Entscheid Betroffenen die Möglichkeit offen stehen, den Entscheid über die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts (als einschneidendste Massnahme) vor der Rechtsmittelinstanz anzufechten. Bei Gutheissung der Beschwerde bleibt es dann beim Aufenthaltsbestimmungsrecht des bisher Berechtigten oder die Unterbringung wird anders geregelt. Falls sich im Verlauf des Rechtsmittelverfahrens die Situation ändert und schnell eine Lösung gefunden werden muss, hat die Rechtsmittelbehörde die Möglichkeit, dringliche Anordnungen zu treffen, um eine Gefährdung des Kindeswohls zu verhindern. Indem die Vorinstanz ihrem Entscheid die aufschiebende Wirkung entzogen hat, obwohl keine Dringlichkeit vorlag, hat sie es zu verantworten, dass B bereits am dritten Tag nach Unterbringung in der Pflegefamilie in Y wieder zu C zurückgeführt wurde. Es rechtfertigt sich daher, 75 % der Parteikosten von A und C im Sinne von § 201 Abs. 2 VRG zu Lasten des Gemeinwesens, dem die Vorinstanz angehört, zu verlegen und 25 % A und C tragen zu lassen.