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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Bau- und Planungsrecht
Entscheiddatum:19.03.2020
Fallnummer:7H 19 138
LGVE:
Gesetzesartikel:Art. 6 lit. m BZR der Gemeinde X.
Leitsatz:In der Arbeits- und Wohnzone (A+W) der Gemeinde X dürfen Wohnungen nur im Zusammenhang mit Gewerbe und Dienstleistungen erstellt werden. Sinn und Tragweite dieser Bestimmung.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Sachverhalt (gekürzt)

Die A AG ist Eigentümerin eines Grundstücks in der Gemeinde X. Nach dem in Kraft stehenden Bau- und Zonenreglement der Gemeinde X (BZR) liegt die Parzelle in der so genannten "gemischten Zone für Arbeiten und Wohnen" (A+W), in der gemäss Art. 6 lit. m BZR Wohnungen nur im Zusammenhang mit Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben erstellt werden dürfen. Auf dem Grundstück steht derzeit ein Gewerbegebäude (Metzgerei) mit zwei Wohnungen sowie ein zweites Gebäude. Die A AG beabsichtigt, auf diesem Grundstück den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohnungen, welches südlich eines der bestehenden Gebäudes zu liegen kommen soll. Das zweite Gebäude soll abgerissen werden (…). Mit Eingabe vom 7. März 2019 (eingegangen am 13.3.2019) unterbreitete die A AG den Gemeindebehörden von X das Baugesuch für den Neubau eines Wohnhauses auf dem erwähnten Grundstück. Der Gemeinderat wies das Baugesuch ab. Das Kantonsgericht bestätigte den Bauabschlag.

Aus den Erwägungen:

4.
4.1.
Die Vorinstanz hält das Baugesuch der Beschwerdeführerin mangels Zonenkonformität für nicht bewilligungsfähig. Sie stützt ihren Entscheid auf Art. 6 lit. m BZR. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut: "In der A+W dürfen Wohnungen nur im Zusammenhang mit Gewerbe und Dienstleistungen erstellt werden." Beschwerdeführerin und Vorinstanz interpretieren diese Bestimmung unterschiedlich. Deren Gehalt ist durch Auslegung zu ermitteln.

4.2.
Ziel der Auslegung einer Norm ist es, deren Sinngehalt zu ergründen. Ausgangspunkt einer jeden Rechtsanwendung bildet der Wortlaut der anzuwendenden Gesetzesnorm. Das Studium der Bestimmung führt oft zum Ergebnis, dass die Bedeutung und Tragweite einer Norm nicht eindeutig aus dem Wortlaut hervorgeht. So gesehen ist der Wortlaut nur der unvollkommene Ausdruck des gesetzgeberischen Willens (Hrubesch-Millauer/Bosshardt, Die Einleitungsartikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Bern 2019, S. 16 m.H.). Es muss nach der wahren Tragweite des Wortlauts gesucht werden unter Berücksichtigung der weiteren Auslegungselemente (BGE 131 II 697 E. 4.1). Selbst Abweichungen von einem klaren Wortlaut sind zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass dieser nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (systematische, teleologische, historische und rechtsvergleichende Auslegung; zum Ganzen: vgl. BGE 138 III 497 E. 3.4, 130 III 76 E. 4).

4.3.
In diesem Zusammenhang ist zudem auf die Gemeindeautonomie hinzuweisen. So gewährleistet Art. 50 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV; SR 101) die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nach der Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (BGE 141 I 36 E. 5.2). Der Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen (BGE 136 I 395 E. 3.2.1 f.; BGer-Urteile 1C_328/2007 vom 18.12.2007 E. 2 und 1P.504/2005 vom 2.2.2006 E. 3.2; Donatsch, in: Komm. zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [Hrsg. Griffel], 3. Aufl. 2014, § 20 VRG N 57). In diesem Sinn auferlegt sich das Kantonsgericht eine gewisse Zurückhaltung bei der Überprüfung kommunaler Bauvorschriften und überlässt den Gemeinden einen erheblichen Beurteilungsspielraum bei der Auslegung des von ihr kompetenzmässig erlassenen Rechts (vgl. E. 1.3 hiervor; vgl. Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 304 ff.; Bertossa, Der Beurteilungsspielraum, Diss. Bern 1984, insb. S. 71 ff.; LGVE 2000 II Nr. 18 E. 3a). Erscheint die Auslegung der Gemeinde rechtlich vertretbar, besteht für das Kantonsgericht kein Raum für eine abweichende Interpretation. Bei aller gebotenen Zurückhaltung ist ein Eingreifen des Gerichts allerdings geboten, falls sich die Auslegung durch eine kommunale Behörde im Ergebnis nicht halten lässt.

4.4.
4.4.1.
Im Rahmen der Auslegung von Art. 6 lit. m BZR ist vorab in Erinnerung zu rufen, dass sich das RPG als Rahmengesetz auf die Umschreibung von drei Hauptzonenarten beschränkt (Art. 15-17 des Bundesgesetzes über die Raumplanung [RPG; SR 700]). Art. 18 RPG, der die Regelung zu den Zonenarten abschliesst, enthält sodann im Wesentlichen zwei Hauptaussagen: einerseits werden die Kantone ermächtigt (und verpflichtet), die bundesrechtliche Grundnutzungsordnung zu verfeinern und zu ergänzen (Abs. 1 und 2). Anderseits wird für Waldgebiete und die darin geltende Nutzungsordnung auf die Waldgesetzgebung verwiesen (Abs. 3). Die vom RPG vorgegebenen Hauptzonenarten – die Rede ist von den Bauzonen, der Landwirtschaftszone und den Schutzzonen – erweisen sich als zu grobmaschig, um die gesamte Fläche eines Planungsgebiets hinreichend differenziert abdecken zu können. Vor diesem Hintergrund bedarf es der Ergänzung. So können die Kantone insbesondere Zonen vorsehen, welche die im RPG genannten Zonen untergliedern. Ferner können sie neue Zonen definieren, die entweder selbständig zu den Hauptnutzungsarten des RPG hinzutreten oder diese überlagern. Nebst anderem können sie auch so genannte "Mischzonen" zulassen, so insbesondere etwa die Arbeits- und Wohnzone, denn eine entsprechende Nutzungsdurchmischung kann durchaus auch im öffentlichen Interesse liegen (vgl. Art. 3 Abs. 3 lit. a und d RPG; dazu: Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 6. Aufl. 2016, S. 170; Waldmann/Hänni, Komm. zum Raumplanungsgesetz, Bern 2006, Art. 18, N 11). Auch das Luzerner PBG kennt eine Rechtsgrundlage, auf welche sich die Arbeits- und Wohnzone abstützen lässt (§ 35 Abs. 6 PBG). Beizufügen ist, dass sich in der Mischzone prinzipiell auch eine Wohnüberbauung realisieren lässt (so: Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 15 293 vom 5.7.2016 E. 4.2-4.4). Die Bezeichnung bzw. die Überschrift der im vorliegenden Fall interessierenden Zonenart "A+W" weist auf den ersten Blick auf eine gemischte Zone von Arbeit und Wohnen hin, in welcher – wie dargetan – im Ansatz sowohl das Wohnen als auch das Arbeiten als zonenkonform in Frage kommt. Von diesem Ansatz lässt sich die Argumentation der Beschwerdeführerin leiten, die von einem klassischen Fall einer Mischzone A+W ausgeht.

4.4.2.
In den gemischten Zonen soll – dem Grundsatz nach – ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe möglich sein (so etwa: Häuptli, in: Baumann/von den Bergh/Gossweiler/Häuptli/Häuptli-Schwaller/Forestier [Hrsg.], Komm. zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 15 N 82). Wie die Nutzungsmodalitäten in solchen Zonen allerdings im Einzelnen definiert werden, ist dem kommunalen Recht (BZR) zu entnehmen (vgl. Zaugg/Ludwig, Komm. zum Baugesetz des Kantons Bern, Band I, 4. Aufl. Bern 2013, Art. 24 N 34 m.H.). Oder anders gewendet: Es ist das kommunale Recht, dass die konkrete Nutzung in einer bestimmten Mischzone definieren kann. Der kommunale Planungsträger kann dabei bestimmte Planungsziele unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse vor Ort umsetzen.

4.4.3.
Nach dem klaren Wortlaut von Art. 6 lit. m BZR dürfen nach dem kommunalen Recht der Gemeinde X in der Zone A+W Wohnungen nur im Zusammenhang mit Gewerbe- und Dienstleistungen erstellt werden. Aus dieser Formulierung kann nichts Anderes geschlossen werden, als dass in dieser Zone die Zonenarten Wohnen und Arbeiten nicht egalitär gemischt werden können, sondern dass die prägende Grundnutzung auf Gewerbe und Dienstleistungen und nicht auf die Wohnnutzung zielt. Mit dieser Anforderung an die Realisierung von Wohnungen in der Zone A+W hat der Planungsträger zum Ausdruck gebracht, dass er den Fokus auf die Realisierung von Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben gelegt hat. Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund betont, die gemischte Zone A+W diene in erster Linie der Ansiedlung von Dienstleistungs- und Gewerbebetrieben, so steht dies im Einklang mit dem Wortlaut von Art. 6 lit. m BZR und entspricht dessen Zweck. Dass diese Zone A+W nach der Zonenordnung der Gemeinde X als eine "klassische" Mischzone gelten würde, in welcher sowohl das Arbeiten als auch das Wohnen gleichermassen als zonenkonform zu erachten wäre, greift hier zu kurz, denn diese Sichtweise verkennt die in Art. 6 lit. m BZR verankerte Einschränkung hinsichtlich der Möglichkeit, im Gelände die Wohnnutzung zuzulassen.

Es widerspricht sodann nicht dem Bundesrecht oder dem kantonalen Recht, eine bestimmte Nutzung innerhalb einer Mischzone zu priorisieren. Gegenteiliges vermag auch die Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen. Der kommunale Gesetzgeber durfte daher den Fokus auf die Ansiedlung von Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben legen und gleichzeitig die Wohnnutzung einschränken, indem hierfür ein Zusammenhang zur Arbeitsnutzung vorausgesetzt wird.

Soweit die Vorinstanz mit Blick auf Art. 6 lit. m BZR weiter festhält, dass in der Zone A+W Wohnraum nur zonenkonform ist, wenn die Wohnnutzung für die (zonenkonformen) Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe einen betrieblichen, räumlichen bzw. funktionalen Zusammenhang aufweisen, leuchtet dieser Auslegungsansatz nach dem Gesagten ebenfalls ein. Die Notwendigkeit eines "Zusammenhangs" wird ausdrücklich in Art. 6 lit. m BZR erwähnt. Dass die Vorinstanz diese Anforderung als betrieblichen, räumlichen und funktionalen Zusammenhang interpretiert, steht im Einklang mit dem dargelegten Zweck dieser Vorschrift. Der Beschwerdeführerin hilft daher nicht weiter, dass Art. 6 lit. m BZR das Wort "Zusammenhang" in grammatikalischer Hinsicht nicht näher definiert. Da diese Bestimmung in einer Priorisierung der Dienstleistungs- und Gewerbebetrieben und ihrer Ansiedelung mündet, kann dieser Zweck nur dann umgesetzt werden, wenn eine Wohnnutzung nur eingeschränkt und nach Massgabe ihres Zusammenhangs zur Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe zugelassen wird.

Nach dem Gesagten erweist sich die Auslegung der Vorinstanz von Art. 6 lit. m BZR als nachvollziehbar und rechtlich vertretbar. Für das Kantonsgericht besteht keine Veranlassung, diesbezüglich einzugreifen; dies umso weniger, als der Behörde im Rahmen der Auslegung ihres kommunalen Rechts ein Ermessensspielraum zusteht, den das Gericht zu beachten hat (E. 4.3). Alles andere liefe auf eine Verletzung der Gemeindeautonomie hinaus.

4.5.
Bei einem solchen Auslegungsergebnis ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Zonenkonformität des Bauvorhabens verneint hat. Die Beschwerdeführerin erachtet den in Art. 6 lit. m BZR verankerten Zusammenhang zwischen Wohnen und Gewerbe bzw. Dienstleistungen für gegeben. Dazu ist in genereller Hinsicht festzuhalten, dass sich die behauptete Unentbehrlichkeit eines Wohnbedarfs weder nach den subjektiven Vorstellungen und Wünschen noch nach Bequemlichkeit richtet. Vielmehr ist in jedem einzelnen Fall anhand objektiver Kriterien zu prüfen, ob eine Notwendigkeit für Wohnraum ausgewiesen ist. Dabei ist zu unterscheiden, in welchem Umfang etwa eine ständige Anwesenheit des Bewirtschafters und der betrieblich benötigten Arbeitskräfte notwendig ist. Diese Beurteilung hängt beispielsweise von Art und Umfang der betriebsnotwendigen Überwachungsaufgaben und/oder von der Distanz zur nächsten Wohnzone ab. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, auf dem projektierten Wohnhaus werde sie zwei Wohnungen Mitarbeitern des Metzgereibetriebs zur Verfügung stellen, ist der nach Art. 6 lit. m BZR notwendige Zusammenhang mit dem vorhandenen Gewerbebetrieb nicht erkennbar. Weshalb alle Angestellten eines Betriebs in dieser Zone A+W wohnen müssten, ist nicht nachvollziehbar. Mit Recht behauptet die Beschwerdeführerin auch nicht, der Betrieb könne frühmorgens nicht von einer Wohnzone aus erreicht werden. Auch sonst wie ist nicht erkennbar, inwiefern weitere Mitarbeiter der Metzgerei aus betrieblichen Gründen zwingend auf Wohnraum auf ihrem Betriebsgrundstück angewiesen wären. Damit gelingt es der Beschwerdeführerin auch mit den im Gerichtsverfahren nachgereichten Unterlagen nicht, den nach Art. 6 lit. m BZR verlangten Zusammenhang zwischen dem Mehrfamilienhaus und einem Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieb zu belegen. Abgesehen davon vermag die Beschwerdeführerin nicht ansatzweise aufzuzeigen, dass die weiteren vier (von sechs) geplanten Wohneinheiten auf ihrem Grundstück einen Zusammenhang mit der A+W prägenden Gewerbe- bzw. Dienstleistungsnutzung aufweisen würden. Ein solcher Zusammenhang ist in der Tat nicht erkennbar. Allein der Hinweis darauf, dass auf dem Grundstück bereits ein Gewerbebetrieb vorhanden ist, welcher den im BZR verankerten Zusammenhang begründe, zielt am wiedergegebenen Gehalt von Art. 6 lit. m BZR vorbei und ist demnach unbehelflich.