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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Justiz- und Sicherheitsdepartement
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Strafvollzug
Entscheiddatum:08.10.2018
Fallnummer:JSD 2018 9
LGVE:2019 VI Nr. 9
Gesetzesartikel:§ 204 Abs. 2 VRG
Leitsatz:Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege in Strafvollzugsverfahren richtet sich nach den Bestimmungen des kantonalen VRG und nicht nach denjenigen der StPO über die amtliche Verteidigung.
Rechtskraft:
Das Kantonsgericht Luzern hat die gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 8. Februar 2019 abgewiesen (4H 18 14 / 4U 18 14). Dieses Urteil ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

9. Der Beschwerdeführer befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug und ersucht um Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters für das Beschwerdeverfahren betreffend die Verweigerung seiner Versetzung in eine andere Strafvollzugsanstalt.

9.1 Ein unentgeltlicher Rechtsvertreter ist zu ernennen, wenn die sich im Prozess stellenden Fragen für einen Rechtsunkundigen nicht leicht zu beantworten sind und das in Frage stehende Verfahren besonders stark in seine Rechtsposition eingreift (BGE 130 I 180 E. 2.2). Bei der Klärung der Frage, ob eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung sachlich notwendig ist, sind die konkreten Umstände des Einzelfalls und die Eigenheiten der anwendbaren (kantonalen) Verfahrensvorschriften zu berücksichtigen (BGE 128 I 225 E. 2.5.2). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat die bedürftige Partei Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen (BGE 122 I 49 E. 2c/bb, 120 Ia 43 E. 2a). Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtsposition des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten. Dies trifft insbesondere im Strafprozess zu, wenn dem Angeschuldigten eine schwerwiegende freiheitsentziehende Massnahme oder Strafe droht, deren Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausschliesst. Droht zwar eine erhebliche, nicht aber eine besonders schwere Freiheitsbeschränkung, müssen zur relativen Schwere des Eingriffs besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Betroffene – auf sich allein gestellt – nicht gewachsen wäre. Als besondere Schwierigkeiten, die eine Verbeiständung rechtfertigen können, fallen auch Gründe in der Person des Gesuchstellers in Betracht, insbesondere dessen Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (BGE 122 I 49 E. 2c/bb). Bei offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine Busse oder eine geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, verneint das Bundesgericht einen unmittelbaren verfassungsmässigen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung (BGE 122 I 49 E. 2c/bb, Urteil des Kantonsgerichts Luzern 4H 17 15/4U 17 10 vom 9.11.2017 E. 3.1). Zudem ist vorausgesetzt, dass der Prozess nicht aussichtslos ist. Aussichtslos ist aber ein Prozess, wenn eine über die nötigen Mittel verfügende Partei bei vernünftiger Überlegung das Risiko eines Prozesses nicht eingehen würde, anders gewendet, wenn die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deswegen anstrengen können, weil es sie nichts kostet (LGVE 1985 III Nr. 14; BGE 129 I 129 E. 2.3.1 mit Verweisen).

9.2 Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 1. Dezember 2017 in der Justizvollzugsanstalt G. im vorzeitigen Strafvollzug und untersteht damit grundsätzlich dem Strafvollzugsregime. Im Strafverfahren wird er durch seinen Rechtsvertreter amtlich verteidigt. Dieser ist der Ansicht, die amtliche Verteidigung umfasse auch das vorliegende Beschwerdeverfahren. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Von der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO) – und damit von der amtlichen Verteidigung – nicht erfasst sind nämlich Verfahren, die an das rechtskräftige Urteil anschliessen, insbesondere Revisionsverfahren und nachträgliche Widerrufs- und Vollzugsentscheide von Gerichts- und Verwaltungsbehörden. Nur für solche Entscheide, die in Verfahren gemäss der StPO zu fällen sind, kommt allenfalls eine amtliche Verteidigung im Sinn von Art. 132 Abs. 1 litera b in Verbindung mit Abs. 2 StPO in Frage. Dies betrifft somit nur Entscheide, die von Behörden oder Gerichten der Strafrechtspflege zu fällen sind. Für Vollzugsentscheide von Verwaltungsbehörden sind jedoch die entsprechenden Bestimmungen des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 3. Juli 1972 (VRG) über die unentgeltliche Rechtspflege und nicht diejenigen über die amtliche Verteidigung massgebend (Niklaus Ruckstuhl, in: Basler Kommentar zur StPO, 2. Aufl., Basel 2014, N 11 zu Art. 130 und N 9 ff. zu Art. 132). Zu prüfen ist somit, ob dem Beschwerdeführer gestützt auf § 204 Abs. 2 VRG ein unentgeltlicher Rechtsvertreter zu ernennen ist. Für das Verfahren um Versetzung besteht grundsätzlich ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung, sofern die in Art. 29 Abs. 3 der Bundesverfassung vom 18.4.1999 (BV) vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Zu beachten ist, dass für die Vollzugsplanung als solche vom Grundsatz her kein verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung besteht (BGE 128 I 225 E. 2.4.4). Das kantonale VRG gewährleistet keinen weitergehenden Anspruch (vgl. § 204 VRG).

9.3 Der Beschwerdeführer befindet sich in der Justizvollzugsanstalt G. in einem Sonderstatusverhältnis, weshalb sich für ihn bereits daraus besondere Pflichten und Einschränkungen der Freiheitsrechte ergeben. Durch die Verweigerung der Versetzung droht dem Beschwerdeführer keine zusätzliche, besonders schwere Freiheitsbeschränkung, welche die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters unabhängig von den tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des konkreten Falls gebieten würde. Damit wird nicht besonders stark in die Rechtsposition des Beschwerdeführers eingegriffen. Zudem ist nicht ersichtlich, inwiefern das Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten bieten soll. Der Sachverhalt ist klar und grundsätzlich nicht umstritten. Es geht auch nicht um einen komplexen Tatbestand, bei dem sich schwierige Rechtsfragen stellen (vgl. zum Ganzen: Niklaus Ruckstuhl, a.a.O., N 38 ff. zu Art. 132). Zwar sind die Schwierigkeiten eines Verfahrens an den Fähigkeiten des Betroffenen zu messen. Der Beschwerdeführer macht denn auch geltend, er spreche kein Deutsch, sondern nur seine Landessprache und Italienisch. Wenn ein Beschuldigter aufgrund von Bildung und Herkunft vergleichsweise geringe Fähigkeiten hat, sich in einem Verfahren zurechtzufinden und mit dem Justizsystem nicht vertraut ist beziehungsweise unfähig ist, sich in einem Verfahren zurecht zu finden, kann dies allenfalls eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung rechtfertigen. Es besteht jedoch kein Anspruch, wenn der Betroffene – wie im vorliegenden Fall – bloss der Verhandlungssprache nicht mächtig ist (Urteil des Bundesgerichts 1B_555/2012 vom 6.12.2012 E. 3.2). Der Beschwerdeführer spricht immerhin Italienisch und damit eine Landes- beziehungsweise Amtssprache (Art. 4 und Art. 70 BV). Auch wenn die Verfahrenssprache im Kanton Luzern grundsätzlich Deutsch ist, sind die Behörden berechtigt, fremdsprachige Eingaben entgegenzunehmen und nötigenfalls zu übersetzen bzw. übersetzen zu lassen. Allenfalls ist ein Dolmetscher beizuziehen (§ 25 VRG). Die Vorinstanz weist zudem zu Recht darauf hin, dass es Aufgabe des Sozialdienstes ist, die Insassen bei Problemen zu unterstützen (vgl. § 19 Gesetz über den Justizvollzug vom 14.9.2015 [JVG], Botschaft B 136 des Regierungsrates vom 06.01.2015 über den Entwurf eines Gesetzes über den Strafvollzug, in Verhandlungen des Kantonsrates 3/2015 S. 911). Dazu gehören auch sprachliche Probleme im Zusammenhang mit einer gewünschten Versetzung (vgl. Hausordnung Justizvollzugsanstalt G. vom 1.1.2018, Ziff. 7.1 und 12.1). Aus den Akten ergibt sich zudem, dass der Beschwerdeführer am 4. Februar 2018 selber schriftlich um Versetzung in die Abteilung E der Justizvollzugsanstalt G. ersucht hat. Zudem hat er am 29. Januar 2018 in einem Schreiben sein Interesse am Bildungsprogramm im Strafvollzug geäussert. Dies zeigt, dass er in der Lage ist, seine Anliegen zu formulieren. Sprachliche Schwierigkeiten allein rechtfertigen jedenfalls keine unentgeltliche Rechtsverbeiständung. Für ein Ersuchen um Versetzung in eine andere Anstalt braucht es auch keine besonderen Kenntnisse unseres Rechtssystems. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erweist sich die unentgeltliche Rechtsverbeiständung des Beschwerdeführers für das vorliegende Verfahren zur Wahrung seiner Interessen nicht als notwendig. Ist die fehlende Notwendigkeit einer unentgeltlichen Rechtsverbeiständung zu bejahen, besteht kein Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsvertreter. Es erübrigt sich deshalb, die weiteren Voraussetzungen (Bedürftigkeit des Beschwerdeführers und Nichtaussichtlosigkeit des Verfahrens) zu prüfen.