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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Bau- und Planungsrecht
Entscheiddatum:20.11.2020
Fallnummer:7H 19 185
LGVE:2021 IV Nr. 3
Gesetzesartikel:§ 138 Abs. 5 Anhang PBG.
Leitsatz:Begriff der Staffelung einer Baute. Bedeutung der optischen Wahrnehmung der Staffelung.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Sachverhalt (gekürzt):

Am 27. Juni 2019 erteilte der Gemeinderat Z die Baubewilligung für den geplanten Neubau eines Mehrfamilienhauses mit sieben Wohnungen, unterirdischer Autoeinstellhalle und Rampe unter Bedingungen und Auflagen. Gegen diesen Entscheid erhoben Miteigentümer des direkt angrenzenden Baugrundstücks Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

4.
In materieller Hinsicht verneinen die Beschwerdeführer das Vorliegen eines Staffelbaus und rügen damit einhergehende Verletzungen der Firsthöhe, Geschossigkeit und Ausnützung. Weiter monieren sie die Erschliessung des Baugrundstücks (insbesondere die Verletzung des Sichtfelds bei der Einfahrt und die ungenügende Ein- und Ausfahrt auf die Y-Strasse sowie aus der Einstellhalle). Die Beschwerdeführer erachten zudem die Vorschriften über die Anzahl der Parkfelder und die Anordnung sowie die Geometrie der Parkierungsanlage als verletzt und beanstanden die erteilte Ausnahmebewilligung zur Unterschreitung des Strassenabstands sowie die Verletzung der Baulinie. Schliesslich bemängeln sie die Eingliederung des Neubauprojekts in das Orts- und Quartierbild. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Einzelnen ist, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen einzugehen.

5.
5.1.
Zunächst bestreiten die Beschwerdeführer die Auffassung der Vorinstanz, dass es sich beim Bauvorhaben um einen gestaffelten Baukörper im Sinn von § 138 Abs. 5 Anhang des Planungs- und Baugesetzes (PBG; SRL Nr. 735) handle. Entsprechend seien sowohl die Geschosszahl als auch die Gebäude-, Trauf- und Firsthöhe nicht für jeden Gebäudeteil separat, sondern über das gesamte Gebäude einmal zu ermitteln. Nach Auffassung der Beschwerdeführer verletze das Bauvorhaben die Geschossigkeit und damit auch die Ausnützung sowie die Firsthöhe.

Die Beschwerdegegnerin widerspricht dieser Darlegung und weist darauf hin, dass es sich um einen gestaffelten Baukörper handle, der sämtliche öffentlich-rechtliche Vorschriften einhalte. Das Bauvorhaben teile sich in zwei Gebäudeteile auf. Der nordöstliche Teil des Gebäudes sei gegenüber dem nordwestlichen Teil des Gebäudes sowohl horizontal als auch vertikal um mindestens 3 m zurückversetzt. Es handle sich um die klare Versetzung von zwei Baukörpern. Das Bauvorhaben halte die Bestimmungen der Geschossigkeit, der Firsthöhe und der Ausnützung ein.

5.2.
Nach der Rechtsprechung des Kantonsgerichts kommt dem Begriff der Staffelung nach § 138 Abs. 5 Anhang PBG die Bedeutung einer vertikalen Staffelung zu (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern V 98 214 vom 21.7.1999 E. 3b). Als gestaffelte Baukörper gelten mit anderen Worten ein oder mehrere Gebäudekörper, die in der Höhe gestaffelt sind. Liegt ein in der Höhe gestaffelter Baukörper vor, ist die Geschosszahl für jeden der versetzten Gebäudeteile separat zu berechnen (§ 138 Abs. 5 Anhang PBG). Die Staffelung des Baukörpers führt zu einem "versetzten Baukörper", d.h. zu einem Baukörper mit versetzten Teilen respektive mit versetzten Gebäudeteilen. Wesentlich ist, dass gemäss dieser Norm einem Ganzen (Baukörper) bloss Teile, nämlich versetzte Gebäudeteile zugeordnet werden. Dabei handelt es sich dann um einen gestaffelten Baukörper im Sinn von § 138 Abs. 5 Anhang PBG, wenn der Baukörper selber und nicht bloss Teile davon versetzt sind (Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 14 324 vom 16.3.2016 E. 13.2.2; Urteile des Verwaltungsgerichts Luzern V 03 22 vom 20.1.2004 E. 3b, V 03 269 vom 22.6.2004 E. 2b). In welcher Grössenordnung die fraglichen Gebäudeteile bzw. Baukörper im Einzelfall versetzt sein müssen, um als gestaffelt zu gelten, lässt sich weder dem Gesetzestext noch den Materialien entnehmen. Gemäss kantonsgerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich bei einem Gebäude indessen dann um einen gestaffelten Baukörper im Sinn von § 138 Abs. 5 Anhang PBG, wenn die Baukörper oder einzelne Gebäudeteile um mindestens 3 m versetzt sind. Dies entspricht einer Rückversetzung um mindestens die Höhe eines durchschnittlichen Vollgeschosses (§ 139 Abs. 1 Anhang PBG; Urteile des Verwaltungsgerichts Luzern V 04 165 vom 18.2.2005 E. 3c, V 03 269 vom 22.6.2004 E. 2b, V 98 214 vom 21.7.1999 E. 3d; zum Ganzen: Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern V 08 236/V 08 238 vom 17.9.2009 E. 2b). Mit diesem Mindestmass soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der zurückversetzte Teil auch optisch deutlich als Rückversetzung wahrnehmbar sein muss (LGVE 2011 II Nr. 11).

5.3.
Wie den Grundrissplänen Untergeschoss und Erdgeschoss (Pläne vom 16.4.2019, Massstab 1:100) zu entnehmen ist, weist der Gebäudekörper auf der Westseite im südlichen Bereich auf den Ebenen Untergeschoss und Erdgeschoss je einen Rücksprung von 3 m auf. Für das Attikageschoss ist aus dem aufliegenden Grundrissplan Attika (Plan vom 16.4.2019, Massstab 1:100) ersichtlich, dass sich − ebenfalls auf der Westseite des Gebäudekörpers − der Rücksprung aufgrund des vorgelagerten Balkons auf 1,60 m (gemessen ab Plan) reduziert. Anzufügen ist, dass die vertikale Versetzung der beiden Gebäudeteile lediglich einen Höhenunterschied von 78 cm aufweisen.

Nach dem Gesagten ist zu prüfen, ob eine Vertikalrückversetzung derart ausgestaltet ist, dass ihre beiden Baukörper als "selbstständig" bezeichnet werden können. Dies ist der Fall, wenn die beiden Bauteile auch optisch klar voneinander zu unterscheiden sind. Diese optische Wahrnehmbarkeit der Versetzung muss dabei über den ganzen versetzten Bauteil und mithin über alle seine sichtbaren Geschosse gewährleistet sein. Dies ist hier aber nicht der Fall: Vorliegend tritt die Westfassade aufgrund des nur partiell vorhandenen Gebäuderücksprungs von 3 m und unter Berücksichtigung des reduzierten Rücksprungs im Attikageschoss (1,60 m) als Gesamtfront in Erscheinung. In Anbetracht einer einheitlichen Gesamtfront des Attikageschosses über den ganzen Baukörper hinweg kann nicht von zwei selbstständigen Gebäudeteilen gesprochen werden. Deshalb ist auch das "Schema Staffelung" nicht aussagekräftig, da es dabei die baulichen Verschiebungen im Attikageschoss im Bereich der geltend gemachten Rückversetzungen ausser Acht lässt. Demnach ist beim geplanten Bauvorhaben nicht von einer Staffelung im Sinn der dargelegten Rechtsprechung auszugehen. Daran vermag auch der Hinweis der Beschwerdegegnerin auf das Urteil des Kantonsgerichts 7H 17 40 vom 31. Dezember 2017 nichts zu ändern. Zum einen wurde mit diesem Urteil die publizierte Rechtsprechung (LGVE 2011 II Nr. 11), auf welche sich auch die Beschwerdegegnerin selbst beruft, nicht geändert. Zum anderen sind im Rahmen der Anwendung dieser Vorschrift die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls massgebend. Selbst wenn das Kantonsgericht in einem singulären Fall bei der Beurteilung der Versetzung eine grosszügigere Sichtweise angewendet haben sollte, ändert dies nichts an den oben angeführten Grundsätzen. Ist eine solche Versetzung im Attikageschoss nicht mehr wahrnehmbar, weist das Bauvorhaben der Beschwerdegegnerin nicht mehr zwei versetzte Gebäudeteile auf, sondern erscheint als einziger, integraler Baukörper. Folglich sind die Höhenmasse (Gebäude-, Trauf- und Firsthöhe) sowie die Anzahl Vollgeschosse für einen Baukörper (und nicht für jeden der versetzten Gebäudeteile separat) zu berechnen. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet, weshalb die Baubewilligung mitsamt dem ihr zugrundeliegenden Entscheid der Dienststelle rawi aufzuheben ist. Es ist nicht Aufgabe des Kantonsgerichts als Rechtsmittelinstanz, die nötigen Berechnungen hier erstmals vorzunehmen.