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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Entscheiddatum:19.01.2021
Fallnummer:2C 20 71
LGVE:2021 I Nr. 3
Gesetzesartikel:Art. 67 SchKG, Art. 68 SchKG, Art. 80 SchKG, Art. 81 SchKG; Art. 105 OR; Art. 111 ZGB
Leitsatz:Auf familienrechtliche Unterhaltsbeiträge ist gestützt auf Art. 105 Abs. 1 OR grundsätzlich erst mit der Stellung des Betreibungsbegehrens Verzugszins geschuldet. Diese Norm ist dispositiver Natur. Treffen die Parteien eine davon abweichende Regelung, so ist der Verzugszins ab dem vereinbarten Datum geschuldet. Wurde die Vereinbarung zum gerichtlichen Urteil erhoben, stellt dieses auch für den Verzugszins einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

4.
4.1
Bei den Forderungen der Gesuchstellerinnen handelt es sich um Unterhaltsbeiträge, welche der Gesuchsgegner gestützt auf das Scheidungsurteil vom 20. Januar 2004 schuldet. Für die aufgelaufenen Unterhaltsbeiträge erteilte die Vorinstanz die definitive Rechtsöffnung. Für den Verzugszins erteilte die Vorinstanz die Rechtsöffnung nicht wie beantragt ab dem mittleren Verfalldatum (15.4.2016), sondern erst vom Tag der Anhebung der Betreibung an. Vorliegend einzig streitig ist, ab welchem Zeitpunkt Verzugszinsen auf die Unterhaltsbeiträge geschuldet sind.

4.2
Die Vorinstanz hat zutreffend ausgeführt, dass das Bundesgericht in seinem Leitentscheid BGE 145 III 345 festgehalten hat, dass familienrechtliche Unterhaltsbeiträge als Renten im Sinne von Art. 105 Abs. 1 des Obligationenrechts (OR; SR 220) gelten. Verzugszinsen sind Ausgleich dafür, dass der Geldgläubiger aus der geschuldeten Summe keinen Nutzen ziehen kann. Diese Schadensfiktion ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung für Renten und namentlich familienrechtliche Unterhaltsbeiträge nicht gerechtfertigt, weshalb der Gläubiger, wenn er trotzdem Verzugszinsen beanspruchen will, den erhöhten Anforderungen von Art. 105 Abs. 1 OR genügen muss (BGE 145 III 345 E. 4.4.4 mit weiteren Hinweisen).

4.3
Die Gesuchstellerinnen machen geltend, Art. 105 OR stelle dispositives Recht dar. Davon hätten die Parteien Gebrauch gemacht und in ihrer Ehescheidungsvereinbarung die Klausel "jeweils auf den ersten eines jeden Monats zum Voraus zahlbaren, ab Verfall mit 5 % zu verzinsenden Unterhaltsbeitrag" vereinbart. Anlässlich der Anhörung durch die Scheidungsrichterin hätten die Parteien erklärt, dass sie an dieser Vereinbarung festhalten würden. In der Folge habe das damalige Amtsgericht Luzern-Stadt im Scheidungsurteil folgende Bestimmung festgehalten: "Der Gesuchsteller hat der Gesuchstellerin folgende, jeweils auf den Ersten eines Monats vorauszahlbare und ab Verfall zu 5 % verzinsliche Unterhaltsbeiträge zu bezahlen…" Damit liege ein verbindliches, formell und materiell rechtskräftiges Urteil vor, das anzuwenden sei. Es liege eine Res iudicata vor. Der Rechtsöffnungsrichter sei bloss Vollstreckungsrichter und müsse sich wie alle anderen Gerichte an das Urteilsdispositiv des Scheidungsurteils halten.

4.4
4.4.1
Der Rechtsöffnungsrichter befindet nicht über den Bestand der in Betreibung gesetzten Forderung, sondern über deren Vollstreckbarkeit, auch wenn vorfrageweise materiellrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Nach Art. 80 und Art. 81 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG; SR 281.1) ist die definitive Rechtsöffnung zu erteilen, wenn die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil beruht und der Betriebene nicht durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Urteils getilgt oder gestundet worden ist, oder wenn er die Verjährung anruft. Darüber hinaus ist die Rechtsöffnung ebenfalls zu verweigern, wenn sie sich auf eine nichtige Verfügung oder einen nichtigen Entscheid als Rechtsöffnungstitel stützt (BGE 129 I 361 E. 2.3; BGer-Urteil 5A_45/ 2007 vom 6.12.2007 E. 2). Der Schuldner kann jederzeit behaupten, es liege überhaupt kein Rechtsöffnungstitel vor, was vom Richter von Amtes wegen zu beachten ist. Bei dieser Einwendung des Schuldners handelt es sich um eine Einwendung, während die vom Schuldner zu beweisenden Vorbringen gemäss Art. 81 SchKG als Einreden zu bezeichnen sind (Staehelin, Basler Komm., 2. Aufl. 2010, Art. 81 SchKG N 2). Die Behauptung der Gesuchstellerinnen, wonach der Rechtsöffnungsrichter blosser Vollstreckungsrichter sei, ist − zumindest für solche Ausnahmefälle − entsprechend zu relativieren.

4.4.2
Den Gesuchstellerinnen ist beizupflichten, dass Art. 105 OR dispositives Recht darstellt. Gemäss dessen Abs. 2 gelten für abweichende Parteivereinbarungen die Bestimmungen über die Konventionalstrafe. Die Bedeutung dieser Verweisung liegt vor allem darin, dass der Richter ermächtigt wird, eine unverhältnismässige Benachteiligung des Schuldners nach freiem Ermessen zu korrigieren (Widmer Lüchinger/Wiegand, Basler Komm., 7. Aufl. 2020, Art. 105 OR N 4 und 6).

Weiter zutreffend führen die Gesuchstellerinnen aus, dass die Gesuchstellerin 1 und der Gesuchsgegner in ihrer Ehescheidungsvereinbarung vom 9./20. Juli 2003 einen "jeweils auf den ersten eines jeden Monats zum Voraus zahlbaren, ab Verfall mit 5 % zu verzinsenden Unterhaltsbeitrag (…)" vereinbart hatten. Damit haben sie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine vom Gesetz abweichende Verzugszinsregelung zu vereinbaren. Diese Vereinbarung wurde im Ehescheidungsverfahren nach Art. 111 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) gerichtlich genehmigt und zum rechtskräftigen Urteil erhoben. Grundsätzlich ist daher für die geforderten Verzugszinsen Rechtsöffnung zu erteilen.

4.4.3
Zu prüfen ist sodann nur, aber immerhin, ob keine Nichtigkeit des Rechtsöffnungstitels vorliegt. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die gewählte Formulierung "jeweils auf den ersten eines jeden Monats zum Voraus zahlbaren, ab Verfall mit 5 % zu verzinsenden Unterhaltsbeitrag" langjähriger Gerichtspraxis im Kanton Luzern entspricht. Dass sich dabei die Parteien − insbesondere die jeweiligen Unterhaltsschuldner − aber in jedem Fall bewusst waren, dass sie damit von der (dispositiven) Gesetzesregelung abweichen, scheint zwar zumindest fraglich. So ergibt sich im vorliegenden Fall weder aus der Ehescheidungsvereinbarung noch aus dem Anhörungsprotokoll vom 4. November 2003, dass die Parteien wissentlich und willentlich eine vom Gesetz abweichende Regelung treffen wollten. Indes würde ein solcher Mangel kaum die Nichtigkeit der Vereinbarung zur Folge haben, nachdem inhaltliche Mängel einer Entscheidung nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit führen (vgl. BGE 129 I 361 E. 2.1). Vorliegend hat sich der Gesuchsgegner nicht vernehmen lassen und damit die Einwendung der Nichtigkeit wegen inhaltlicher Mängel auch nicht erhoben. Diesbezügliche Weiterungen erübrigen sich daher.

4.5
Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten: Das Bundesgericht hat mit seinem Urteil BGE 145 III 345 Klarheit geschaffen in einer in Lehre und kantonaler Rechtsprechung umstrittenen und überaus praxisrelevanten Frage. So ist gestützt auf Art. 105 Abs. 1 OR auf familienrechtliche Unterhaltsbeiträge grundsätzlich erst mit der Stellung des Betreibungsbegehrens nach Art. 67 f. SchKG Verzugszins geschuldet. Allerdings ist diese Norm dispositiver Natur und die Parteien können eine davon abweichende Regelung vereinbaren. Haben sie davon Gebrauch gemacht, so ist der Verzugszins ab dem vereinbarten Datum geschuldet. Wurde die Vereinbarung zum gerichtlichen Urteil erhoben, so stellt dieses auch für den Verzugszins einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar. Dementsprechend ist in diesen Fällen auch für den Verzugszins die definitive Rechtsöffnung zu erteilen. An der im Entscheid des Kantonsgerichts vom 27. April 2020 (2C 20 27) vertretenen Auffassung und der daraus teilweise abgeleiteten erstinstanzlichen Gerichtspraxis ist nicht festzuhalten. Die vorliegenden Beschwerden sind gutzuheissen.