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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:05.11.2020
Fallnummer:3B 20 2 / 3B 20 3
LGVE:2021 II Nr. 2
Gesetzesartikel:Art. 289 Abs. 2 ZGB, Art. 293 ZGB, § 27 Abs. 3 SHG.
Leitsatz:Aktivlegitimation des Gemeinwesens für die Geltendmachung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder, die im Rahmen der Sozialhilfe unterstützt wurden bzw. werden. Bestätigung der Praxis des Kantonsgerichts Luzern im Leitentscheid LGVE 2020 II Nr. 4, wonach das Stammrecht, d.h. der Unterhaltsanspruch an sich, nicht an das unterstützende Gemeinwesen subrogiert wird. Aktivlegitimation der Mutter dieser Kinder
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Entscheid 3B 20 3
Aus den Erwägungen:
3. Kinderunterhalt
3.1. Aktivlegitimation
3.1.1.
In der Sache strittig ist die Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seinen beiden Kindern, wobei vorliegend die Stadt Luzern als Klägerin den Unterhaltsanspruch geltend macht. Der Beklagte bestreitet vorab die Aktivlegitimation der Klägerin zur Geltendmachung von Kinderunterhalt für seine Töchter X. und Y., während die Klägerin diese sowohl für rückwirkende als auch zukünftige Unterhaltsbeiträge geltend macht. (…)

(…)

3.1.3.
Unterhaltsberechtigt ist das Kind und ihm steht der Anspruch sowohl auf Bar- wie auch Betreuungsunterhalt zu. Indes wird das minderjährige Kind in wirtschaftlichen Belangen durch den Inhaber der elterlichen Sorge vertreten, weshalb sein Anspruch während der Minderjährigkeit durch Leistung an den gesetzlichen Vertreter zu erfüllen ist und nur solche Leistung den Pflichtigen befreit (Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, Basler Komm., 6. Aufl. 2018, Art. 276 ZGB N 17 und Art. 289 ZGB N 4). Sind weder Unterhalts- noch Unterstützungspflichtige vorhanden oder sind diese nicht (ausreichend) leistungsfähig, hat das Gemeinwesen die (verbleibenden) Kosten des Unterhalts nach den einschlägigen Bestimmungen des öffentlichen Rechts (Sozialhilfe-/Fürsorgerecht) zu tragen (Art. 293 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs [ZGB; SR 210]; Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, a.a.O, Art. 276 ZGB N 15). Kommt das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über (Art. 289 Abs. 2 ZGB). Die Subrogation findet im Umfang der tatsächlich erbrachten Leistungen statt (vgl. § 27 Abs. 3 Sozialhilfegesetz [SHG; SRL Nr. 892]). Beim Rechtsübergang nach Art. 289 Abs. 2 ZGB handelt es sich um eine Legalzession (Subrogation) im Sinn von Art. 166 des Obligationenrechts (OR; SR 220; BGE 137 III 193 E. 2.1, 123 III 161 E. 4b; BGer-Urteil 5A_643/2016 vom 21.6.2017 E. 3.1). Das Gemeinwesen tritt dabei bezüglich aller von ihm für den Unterhalt des Kindes an Stelle des Pflichtigen erbrachten Leistungen in den Anspruch des Kindes ein. Die Legalzession umfasst somit mit anderen Worten auch Fürsorge- beziehungsweise Sozialhilfeleistungen im Allgemeinen sowie Bevorschussungsleistungen i.S.v. Art. 293 Abs. 2 ZGB (Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, a.a.O, Art. 276 ZGB N 18 und Art. 289 ZGB N 9 und 10; Hegnauer, Berner Komm., Bern 1997, Art. 289 ZGB N 80). Zu «allen Rechten», die auf das Gemeinwesen übergehen, sind auch die Nebenrechte zu zählen. Dazu gehört das Klagerecht gemäss Art. 279 ZGB (Fountoulakis/Breitschmid/Kamp, a.a.O., Art. 289 ZGB N 10; vgl. BGE 123 III 161 E. 4b). Art. 289 Abs. 2 ZGB bezieht sich insbesondere auf Leistungen der öffentlichen Hilfe oder Sozialhilfe, einschliesslich Vorschüsse. Der Rückerstattungsanspruch der Gemeinde ist begrenzt auf die Dauer und auf den Umfang der tatsächlich erbrachten Leistungen und berührt von daher in diesem Sinne das Stammrecht des Kindes nicht (vgl. dazu auch Lötscher, Das Kind im Unterhaltsprozess, in: Der Familienprozess, Jungo/Fountoulakis, 10. Symposium, Schulthess 2020, S. 117). Gewährt die Behörde somit eine Hilfe, die unter dem Unterhaltsanspruch des Kindes liegt, so tritt sie nur bis zur Höhe der gezahlten Leistungen in die Rechte des Kindes ein; für den Rest behält das Kind die Stellung eines Unterhaltsberechtigten für die vom Vater und von der Mutter geschuldeten Unterhaltsbeiträge (BGE 123 III 161 E. 4b m.H.).

3.1.4.
X. und Y. werden seit ihrer Geburt mit wirtschaftlicher Sozialhilfe unterstützt. Ihr Anspruch auf Kinderunterhalt ist im Umfang der ausgerichteten wirtschaftlichen Sozialhilfe auf das Gemeinwesen übergegangen (§ 27 Abs. 3 SHG i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB).

Das Kantonsgericht hat in seinem Leitentscheid vom 9. Dezember 2019 festgehalten, dass das Gemeinwesen mit der Bevorschussung der Alimentenforderung nur in die mit der konkret bevorschussten Einzelforderung verbundenen Rechte und Nebenrechte subrogiert. Bei der Bevorschussung durch das Gemeinwesen wird somit nicht das Stammrecht, sondern werden nur die mit der konkret bevorschussten Einzelforderung verbundenen Rechte und Nebenrechte subrogiert (LGVE 2020 II Nr. 4 E. 3.2.3.8). Gleiches muss auch vorliegend gelten. Da das Stammrecht der Zwillinge X. und Y., d.h. ihr Unterhaltsanspruch, durch die Subrogation der einzelnen Forderungen nicht tangiert wird, bleiben sie weiterhin zur Unterhaltsklage aktivlegitimiert, auch wenn die einzelnen Unterhaltsbeiträge im Umfang der erhaltenen Sozialhilfe nicht mehr ihnen, sondern dem unterstützenden Gemeinwesen zustehen, welches im Umfang der geleisteten Sozialhilfe in die einzelnen Unterhaltsforderungen subrogiert ist. Wäre dem nicht so, würde dies in Fällen, in welchen während eines hängigen Unterhaltsverfahrens Sozialleistungen zugesprochen werden, dazu führen, dass die Klage des Kindes nachträglich abgewiesen werden müsste, mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Entsprechend ist die Praxis des Kantonsgerichts Luzern im Leitentscheid LGVE 2020 II Nr. 4 zu bestätigen, wonach das Stammrecht, d.h. der Unterhaltsanspruch an sich, nicht an das unterstützende Gemeinwesen subrogiert wird. Vielmehr subrogiert das Gemeinwesen nur in die einzelnen Unterhaltsforderungen bzw. konkreten Unterhaltsbeträge im Umfang der von ihm an die Unterhaltsberechtigten ausgerichteten Unterstützungsleistungen. Von daher ist die Aktivlegitimation der Stadt Luzern für die geleisteten Beträge zu bejahen. Anlässlich der Verhandlung vom 10. April 2019 machte die Klägerin geltend, dass die Finanzierung der Zwillinge weiterhin von der Stadt übernommen werde. Dass nach dem 8. April 2019 weitere Leistungen erbracht worden sind, wurde nicht geltend gemacht. Daher hat die Klägerin gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB gegenüber dem Beklagten einen Rückerstattungsanspruch für bis und mit April 2019 geleistete Unterhaltsbeiträge.

Entscheid 3B 20 2
Sachverhalt
Der Vater der Zwillinge X. und Y. reichte beim Bezirksgericht eine Klage auf Änderung der elterlichen Sorge und Obhut verbunden mit einer Unterhaltsklage und weiteren Anträgen zu den Kinderbelangen ein. Beklagte war die Mutter der Kinder. Sie stellte mit ihrer Klageantwort eigene Anträge und beantragte insbesondere, der Kläger sei zu verpflichten, ihr Unterhaltsbeiträge für die beiden Kinder zu bezahlen.

Aus den Erwägungen:
E. 6.2.3
Im Verfahren KG 3B 20 3 wird der Kläger verpflichtet, der Stadt Luzern Unterhalt für die beiden Kinder X. und Y. für die Zeit von Oktober 2017 bis und mit April 2019, in welcher die beiden Kinder durch das Gemeinwesen finanziert wurden, zu bezahlen. Vorliegend geht es um die Festsetzung der Unterhaltspflicht des Klägers für seine beiden Töchter X. und Y. ab Mai 2019. Betroffen ist das sogenannte Stammrecht; es geht nicht um die mit der Leistung von Sozialhilfe verbundenen Rechte und Nebenrechte, in welche das Gemeinwesen, hier die Stadt Luzern, subrogiert. Die Aktivlegitimation der Beklagten zur Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von X. und Y. als deren Prozessstandschafterin ist daher zu bejahen