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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Aufsichtsbehörden und Kommissionen
Abteilung:Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte
Rechtsgebiet:Anwaltsrecht
Entscheiddatum:27.01.2021
Fallnummer:AR 20 95
LGVE:
Gesetzesartikel:Art. 12 lit. a BGFA, Art. 12 lit. b BGFA
Leitsatz:Allein die Tatsache, dass eine Anwältin/ein Anwalt eine enge persönliche, gegebenenfalls sogar intime Beziehung mit einer Mandantin/einem Mandanten pflegt, tangiert die anwaltliche Unabhängigkeit nicht, solange keine weiteren Indizien für eine mangelhafte Mandatsführung vorliegen.

Eine Absprache zwischen den Verteidigern mehrerer Beschuldigter stellt keine zu disziplinierende Handlung dar, solange sie sich an die Rechtsordnung halten und insbesondere nicht verpönte Zwecke verfolgen oder darauf abzielen, die Strafuntersuchung an sich zu vereiteln.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:1.
1.1.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 erstattete die Oberstaatsanwaltschaft Luzern (nachfolgend Anzeigestellerin) bei der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Y Anzeige gegen Rechtsanwalt A (nachfolgend Beanzeigter). Die Aufsichtskommission hielt in ihrem Beschluss vom 3. September 2020 fest, dem Beanzeigten werde sein Verhalten im Zusammenhang mit einem im Kanton Luzern geführten Strafverfahren vorgeworfen. Zur Beurteilung dieser Anzeige sei daher nicht sie, sondern die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Luzern zuständig. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2020 (…) überwies sie daher ihren Beschluss sowie die Meldung der Anzeigestellerin an die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Luzern.

1.2.
Die Anzeigestellerin führt in ihrer Meldung vom 8. Juli 2020 aus, am zz.yy.xxxx sei B an deren Wohnort in Z getötet worden. Am ww.yy.xxxx sei C unter dem Tatverdacht festgenommen worden, B getötet zu haben. Nach der Aktenlage sei C am Abend des zz.yy.xxxx zusammen mit ihrer Kollegin, D, bei B in Z gewesen. C habe nach ihrer Festnahme den Beanzeigten als Verteidiger ausgewählt und ihn mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt. Im Lauf des Verfahrens habe sich bei der Auswertung des Mobiltelefons von C sowie aufgrund der Aussagen von D herausgestellt, dass zwischen C und dem Beanzeigten eine aktuelle intime (Liebes-)Beziehung bestehe. Aufgrund dieser Beziehung habe es dem Beanzeigten an der notwendigen professionellen Distanz und der geforderten professionellen Unabhängigkeit gefehlt, weshalb er das Mandat gar nie hätte annehmen dürfen. Die Staatsanwaltschaft habe in diesem Umstand die Gefahr einer allfälligen zukünftigen Beeinträchtigung der Interessen von C gesehen und dem Beanzeigten (…) mitgeteilt, dass aus diesen Gründen die weitere Verteidigung von C mit Blick auf die Pflicht zur Gewährleistung einer wirksamen Verteidigung nicht länger toleriert werden könne. Der Beanzeigte habe darauf (…) geantwortet, dass er neben Rechtsanwalt E, welcher am 22.vv.uuuu die Interessenvertretung von C angezeigt habe, auf ausdrücklichen Wunsch von C diese weiterhin mitvertreten werde. Mit Schreiben vom 27.vv.uuuu habe der Beanzeigte mitgeteilt, dass er im Interesse einer effizienten Wahrnehmung der Interessen von C durch Rechtsanwalt E sein Mandat in dieser Sache mit sofortiger Wirkung niederlege.

Im Nachgang zur Einvernahme von D (…) habe deren Verteidiger, Rechtsanwalt F, (…) zwei Aktenvermerke eingereicht, aus welchen das Bestreben des Beanzeigten hervorgehe, die mit der Untersuchungshaft beabsichtigte Verhinderung der Kollusion zu unterlaufen, indem er mit Rechtsanwalt F Kontakt aufgenommen und diesen zu einem kolludierenden Verhalten zu verleiten versucht habe bzw. vor dem Hintergrund der entsprechenden Nichtkooperation von Rechtsanwalt F diesen im Rahmen einer späteren Einvernahme mit einer ungebührlichen Bemerkung ohne jede sachliche Grundlage als Gehilfen der Polizei dargestellt habe.

1.3.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2020 wurde der Beanzeigte aufgefordert, innert zehn Tagen seit Zustellung der Aufforderung zu dieser Anzeige Stellung zu nehmen.

In seiner Stellungnahme vom 29. Oktober 2020 führte er aus, dass er C seit 2008 in sehr anspruchsvollen und langwierigen persönlichen Angelegenheiten vertreten habe, weshalb sie ihn immer wieder aufgesucht habe, wenn sie für ihre Rechtsfragen eine Beratung oder Unterstützung benötigt habe. Deshalb seien ihm C und ihre persönlichen Verhältnisse seit Jahren vertraut. Trotzdem hätten sie (…) keine privaten Kontakte gepflegt. An einem gemeinsamen Wochenende in London (…) habe sich auch eine Beziehung auf persönlicher Ebene ergeben. Nach diesem Wochenende bis zu ihrer Verhaftung am ww.yy.xxxx habe er sie sechsmal getroffen. Es sei eine Beziehung gewesen, in der es beide Seiten offengelassen hätten, ob und wie sich die persönliche Beziehung weiter entwickeln würde. Unabhängig davon habe er das Mandat von C in den üblichen anwaltlichen Formen weiter betreut. Schon im Rahmen des Telefonats am Abend des Todes von B, aber auch nach der Verhaftung habe ihm C glaubwürdig versichert, nicht in den Tod von B verwickelt zu sein. Da er die Beziehung zwischen ihr und B aus seiner anwaltlichen Tätigkeit bestens gekannt und auch gewusst habe, dass es trotz starker Differenzen nie Gewalt gegeben habe, habe er keine Veranlassung gehabt, Cs Schilderung nicht als Grundlage seiner Tätigkeit zu nehmen. Im ersten Gespräch mit ihr vor der Hafteinvernahme habe er sie darauf aufmerksam gemacht, dass ein allfälliges Geständnis hilfreich sei. Aus dem Einvernahmeprotokoll vom ww.yy.xxxx gehe denn auch hervor, dass C den dringenden Wunsch gehabt habe, durch volle Kooperation zur raschen Klärung des Sachverhalts beizutragen.

Die Anzeigestellerin stütze ihren Vorwurf des versuchten Unterlaufens des Kollusionsverbots allein auf eine interne Aktennotiz von Rechtsanwalt F (…). In dieser halte Kollege F fest, er (der Beanzeigte) hätte ihm gegenüber ausgesagt, dass seine Klientin (C) immer bestritten habe, im Haus von B gewesen zu sein, und er (der Beanzeigte) hätte ihn gefragt, was denn seine Klientin dazu sage. Diese Aussage im Protokoll F sei offensichtlich unzutreffend, denn die Frage, ob sich C am zz.yy.xxxx im Haus von B aufgehalten habe, sei längst beantwortet gewesen. Bereits an der ersten Einvernahme (…) habe C ausführlich zu Protokoll gegeben, wie sich ihr Besuch im Haus von B am zz.yy.xxxx abgespielt habe. C habe entgegen der Protokollnotiz von Rechtsanwalt F nie bestritten, am zz.yy.xxxx im Haus von B gewesen zu sein. Ebenfalls unzutreffend sei die Behauptung in der Protokollnotiz, er (der Beanzeigte) habe sich als ausserordentlicher amtlicher Verteidiger von C ausgegeben. Bereits im Protokoll der ersten Einvernahme (…) sei er als privater Verteidiger von C aufgeführt, weshalb es für ihn keinen Grund gegeben hätte, sich gegenüber dem Kollegen F als ausserordentlicher amtlicher Verteidiger auszugeben. Eine Protokollnotiz mit dermassen unrichtigen Inhalten sei für den Nachweis eines angeblich kolludierenden Verhaltens untauglich. Der Grund für sein Telefonat sei eine erste Kontaktaufnahme mit dem Kollegen F gewesen, da sie ja den gleichen Fall – wenn auch mit verschiedenen Klienten – betreut hätten. Einen konkreten Gesprächsbedarf habe er nicht gehabt, da er davon ausgegangen sei, dass C wohl bald entlassen werde, und D gemäss der Aussage von C (…) nicht im Haus gewesen und damit für eine Straftat ebenfalls nicht in Frage gekommen sei. Eine solche Kontaktaufnahme sei aus Sicht des Anwaltsgesetzes durchaus erlaubt. Dass Kollege F diese Kontaktaufnahme abgelehnt habe, habe er als etwas unüblich empfunden, aber als dessen gutes Recht zur Kenntnis genommen.

An der Einvernahme (…) habe er den Kollegen F zurechtgewiesen, nachdem dieser ihm habe erklären wollen, weshalb er eine Aussage seiner Klientin (C) nicht durch den einvernehmenden Polizeibeamten korrigieren lassen dürfe. Die Korrektur habe nicht den geringsten Bezug zur Mandantin des Kollegen F gehabt. Er (der Beanzeigte) erachte es als wenig kollegial, wenn ein Anwalt ohne Not den anderen bei seiner Aufgabe behindere. Die Protokolländerung sei zudem anstandslos vorgenommen worden. Seine Zurechtweisung von Kollege F habe im Übrigen darin bestanden, dass er ihn daran erinnert habe, dass er ihn nicht belehren müsse, unter welchen Umständen er eine Aussage seiner Mandantin im Protokoll korrigieren dürfe. Nicht er (Rechtsanwalt F) sei der Protokollführer, sondern der einvernehmende Polizeibeamte. Den Begriff "Hilfssheriff" habe er nicht verwendet und dieser finde sich auch im Einvernahmeprotokoll nicht. Dieser Ausdruck finde sich allein in der internen Aktennotiz von Kollege F, deren Inhalte die festgehaltenen Sachverhalte nicht in jedem Fall korrekt wiedergeben würden.

Wegen des Vorwurfs des ermittelnden Staatsanwalts (…), dass seine persönliche Beziehung zu C die Gefahr einer allfälligen zukünftigen Interessenbeeinträchtigung berge, habe er (der Beanzeigte) diesen darauf hingewiesen, dass das bloss theoretische Risiko eines Interessenkonflikts noch keine Berufsregelverletzung darstelle. In der Anzeige der Anzeigestellerin fehle nun dieser Vorwurf. Die Anzeigestellerin gehe nunmehr davon aus, dass es ihm aufgrund der geschilderten intimen Beziehung offenbar ganz generell an der professionellen Distanz zu C und der geforderten professionellen Unabhängigkeit gefehlt habe. Allerdings behaupte die Anzeigestellerin keine konkreten Verfahrensschritte, in welchen es ihm an der von einem Anwalt verlangten Professionalität gefehlt hätte, oder lege diesbezügliche Beweise vor.

Als Beweis für die persönliche Beziehung und deren unprofessionelle Konsequenzen diene der Anzeigestellerin vor allem das Whatsapp-Protokoll zwischen C und ihm. Ob die Auswertung und Weiterverbreitung seiner privaten Whatsapp-Korrespondenz in einem Verwaltungsverfahren verhältnismässig und rechtens sei, sei von Amtes wegen zu würdigen. Zudem rechtfertige eine unsorgfältige Berufsausübung im Sinn von Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) staatliches Eingreifen nur, wenn sie objektiv eine solche Schwere erreiche, dass eine zusätzliche Sanktionierung im überwiegenden öffentlichen Interesse liege und verhältnismässig erscheine. Diese Voraussetzung sei erst bei einer qualifizierten Norm- bzw. Sorgfaltswidrigkeit gegeben. So führe eine persönliche Beziehung nicht generell zur Annahme des Fehlens der professionellen Distanz, das automatisch einen bedeutenden Verstoss gegen die Berufspflicht darstelle. Es sei vielmehr zu prüfen, ob sich aus seiner Beziehung zu C konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass er für sie kein objektiver Berater mehr habe sein können. Er kenne C aufgrund der rechtlichen Betreuung seit Jahren. Aus dem gemeinsamen London-Aufenthalt habe sich keine eigentliche Partnerschaft entwickelt. Der Chat-Verlauf sei das Protokoll einer guten Beziehung, nicht aber einer tief verbundenen Partnerschaft. Sie seien sich aus ihrer langjährigen Bekanntschaft vertraut und als Singles ungebunden gewesen; alles ohne jede Abhängigkeit und gegenseitige Verpflichtung. Als es soweit gewesen sei, sei er selbstverständlich daran interessiert gewesen, dass C rasch wieder aus der Haft entlassen werde. Aber das wünsche er jedem von ihm vertretenen Strafgefangenen. Auch in der Sache selbst hätte er C nicht anders beraten, wenn er sie nicht auch auf der persönlichen Ebene gekannt hätte. Nach ihren sehr überzeugenden Aussagen habe C das Tötungsdelikt nicht begangen. Wenn sie nun rasch klare Verhältnisse habe schaffen und nach Hause zu ihren Kindern habe gehen wollen, sei gegen diese Kooperationsstrategie mit der Staatsanwaltschaft fachlich nichts einzuwenden gewesen. Diese Strategie habe er denn auch in der Folge unterstützt. Zur Bearbeitung des Mandats habe er überdies seine Kanzleikollegin G beigezogen, womit er sein Handeln immer vor sich und seiner Mitarbeiterin habe reflektieren müssen. Dass er seine fachlichen Kompetenzen im Strafrecht durchaus einschätzen könne, habe sich auch daran gezeigt, dass er schon vor der Abmahnung des Staatsanwalts (…) mit der ältesten Tochter von C besprochen habe, nunmehr einen Spezialisten in Strafverteidigung hinzuzuziehen, da sich laufend neue Details zum Sachverhalt ergeben hätten, die darauf hätten schliessen lassen, dass der Nachmittag des zz.yy.xxxx nicht so stringent abgelaufen sei, wie ihn C in ihrer Einvernahme vom ww.yy.xxxx geschildert habe. Zudem habe er sich nicht dem Vorwurf der Kinder aussetzen wollen, er habe den Prozess ihrer Mutter "verbockt". Das Schreiben der Staatsanwaltschaft sei am 20.vv.uuuu bei ihm eingetroffen. Bereits am Vormittag des 22.vv.uuuu habe der von ihm vorgeschlagene Kollege, Rechtsanwalt E, C in der Untersuchungshaft besucht. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die Wahl des Anwalts und die Mandatsübernahme nicht schon vor dem 20.vv.uuuu mit der Familie von C abgesprochen gewesen wäre. Auf den dringenden Wunsch von C sei er jedoch ihr Vertreter geblieben, bis er in Absprache mit Kollege E am 27.vv.uuuu das Mandat gegen den Willen von C niedergelegt habe.

2.
2.1.
Der Beanzeigte ist im Anwaltsregister des Kantons Y eingetragen. Damit untersteht er den Berufsregeln von Art. 12 BGFA. Da es vorliegend um die Mandatsführung im Rahmen einer Strafuntersuchung geht, die von der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern geführt wird, fällt die Anzeige in den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Aufsichtsbehörde des Kantons Luzern (Art. 14 BGFA und § 10 Abs. 2 des Gesetzes über das Anwaltspatent und die Parteivertretung [AnwG; SRL Nr. 280]).

2.2.
Die Anzeigestellerin will ihre Eingabe als Anzeige behandeln lassen. Sie möchte aber über den Verfahrensausgang informiert werden.

2.3.
Die Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte ahndet Verletzungen der Berufsregeln nach Art. 12 BGFA, kann Weisungen erteilen und den Anwalt mit Disziplinarmassnahmen belegen (§ 10 Abs. 1 AnwG). Sie handelt gemäss § 12 Abs. 1 AnwG aufgrund von Beschwerden, Anzeigen oder eigenen Feststellungen. Sachlich ist der Ausschuss der Aufsichtsbehörde zuständig für Verwarnungen, Verweise und Bussen bis Fr. 1'000.-- (Art. 17 Abs. 1 lit. a-c BGFA i.V.m. § 4 lit. e und § 5 der Verordnung betreffend die Aufsicht über die Anwältinnen und Anwälte [AAV; SRL Nr. 281]).

3.
Die aufgelegten Urkunden werden zu den Akten genommen. Weitere Beweiserhebungen erübrigen sich.

4.
4.1.
Nach Art. 12 lit. b BGFA hat der Anwalt seinen Beruf unabhängig auszuüben. Die Unabhängigkeit des Anwalts soll grösstmögliche Freiheit und Sachlichkeit bei der Interessenwahrung gegenüber dem Klienten wie gegenüber dem Richter gewährleisten. Sie bildet die Voraussetzung für das Vertrauen in den Anwalt und in die Justiz (BGE 130 II 87 E. 4.1). Historisch gesehen ist die anwaltliche Unabhängigkeit primär Unabhängigkeit vom Staat und Freiheit vor staatlichen Weisungen. Aus der staatlichen Garantie der Unabhängigkeit folgt die Berufspflicht des Anwalts, seine berufliche und persönliche Unabhängigkeit zu wahren. Sie soll gewährleisten, dass er sich ausschliesslich von sachgemässen Überlegungen leiten lässt, nur dem eigenen Denken und Urteilen sowie seinen Berufspflichten folgt und frei bleibt von Einflüssen, die sachgemäss nicht mit dem Mandat zusammenhängen. Das Gebot der Unabhängigkeit verbietet ihm daher, rechtliche oder tatsächliche Bindungen einzugehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden (Fellmann, Komm. zum Anwaltsgesetz, [Hrsg. Fellmann/Zindel], 2. Aufl. 2011, Art. 12 BGFA N 55 f.). Nach Auffassung des Bundesgerichts hat der Anwalt auch gegenüber seinem Klienten unabhängig zu bleiben, um als objektiv urteilender Helfer dienlich sein zu können. Das setze voraus, dass er eigenständig abschätze, wie im Prozess vorzugehen sei, und versuche, den Klienten von seiner Betrachtungsweise zu überzeugen bzw. von einer unzweckmässigen Handlungsweise abzuhalten (BGE 130 II 87 E. 4.2). Auch in der Lehre wird darauf hingewiesen, dass der Anwalt nicht willenloses Instrument seines Auftraggebers sein dürfe. Er habe seinen Auftrag vielmehr unabhängig von der Partei zu erfüllen und sich den Wünschen seines Mandanten zu widersetzen, wenn ihm Verstösse gegen Berufspflichten zugemutet würden. Er sei wohl der Beauftragte seiner Partei, niemals aber ihr Diener. Sei der Anwalt nämlich in der konkreten Interessenlage verfangen, verliere er leicht den Überblick und damit auch die Fähigkeit, die für seinen Klienten sachgerechten Massnahmen zu treffen (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 75). Gemäss Auftragsrecht schulde der Anwalt seinem Klienten denkenden Gehorsam, was bedeute, dass er bei der Ausführung der übernommenen Geschäfte oder Dienste stets darauf zu achten habe, ob die Vorstellungen und Weisungen seines Auftraggebers einen Sinn ergäben. Der Beauftragte habe den Auftraggeber auf die zu erwartenden Schwierigkeiten aufmerksam zu machen und ihn wenn möglich von unzweckmässigen Anordnungen abzubringen. Die dem Anwalt zugestandene Unabhängigkeit gegenüber dem Staat setze ihrerseits die Vertrauenswürdigkeit des Anwalts im Verhältnis zu den Behörden voraus, indem er gegenüber seinem Klienten die Unabhängigkeit wahre und sich nicht für verpönte Zielsetzungen seines Klienten einspannen lasse (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 77 f.).

4.2.
Die Staatsanwaltschaft Y teilte dem Beanzeigten (…) mit, dass gestützt auf die Aussagen von D und die Auswertung des Mobiltelefons von C offensichtlich eine (Liebes-)Beziehung zwischen ihm und seiner Mandantin, C, bestehe. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft bestehe somit die Gefahr einer Beeinträchtigung der Wahrung der Interessen seiner Mandantin, da es aufgrund dieser Beziehung an der notwendigen professionellen Distanz und damit an der von Anwälten geforderten Unabhängigkeit fehle. Das Bestehen einer intimen Beziehung zwischen Anwalt und Mandantin sei generell geeignet, die Gefahr einer Interessenbeeinträchtigung herbeizuführen. Es könnten Entscheidungen, welche die Verteidigung als objektiv urteilende Helferin zu fällen habe, gerade nicht objektiv gefällt werden, wodurch erhebliche Konsequenzen für seine Mandantin entstehen könnten. Mit Blick auf die Gewährleistung einer wirksamen Verteidigung könne die weitere Verteidigung der Mandantin durch ihn aufgrund der fehlenden professionellen Distanz nicht mehr toleriert werden.

4.3.
4.3.1.
Soweit der Beanzeigte moniert, es sei rechtswidrig und unverhältnismässig, dass die Staatsanwaltschaft ohne Vorliegen eines dringenden Tatverdachts auf ein Vergehen oder Verbrechen seine persönliche, private Whatsapp-Korrespondenz mit C ausgewertet und weiterverbreitet habe, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft nicht seine Mobiltelefon-Daten, sondern jene der einer Straftat verdächtigten C auswertete. Folglich kann der Staatsanwaltschaft nicht vorgeworfen werden, sie habe unrechtmässig Daten beschafft.

4.3.2.
Die Staatsanwaltschaft forderte den Beanzeigten (…) zur Mandatsabgabe auf. Gemäss seinen Ausführungen erhielt der Beanzeigte dieses Schreiben am 20.vv.uuuu. Er will bereits vorher mit seinem Kollegen E die Mandatsübernahme besprochen haben. Allerdings blieb er neben dem neu mandatierten E noch als persönlicher Berater von C tätig. Am 27.vv.uuuu legte er das Mandat definitiv nieder. Folglich bestand ab diesem Zeitpunkt von vornherein keine Gefahr mehr von unprofessionellem Handeln des Beanzeigten infolge seiner persönlichen Beziehung zu C.

4.3.3.
Zu prüfen bleibt, ob dem Beanzeigten für die Zeit von der Mandatsübernahme am ww.yy.xxxx bis zur Niederlegung am 27.vv.uuuu unprofessionelles Handeln vorgeworfen werden kann, das allenfalls zu disziplinieren wäre. Vorwegzuschicken ist, dass allein die Tatsache, dass der Beanzeigte im fraglichen Zeitraum mit seiner langjährigen Mandantin eine persönliche, gegebenenfalls intime Beziehung pflegte, ihm noch nicht per se zum Vorwurf der ungenügenden Distanz resp. der mangelnden Professionalität gereicht; vielmehr wäre das Vorliegen hinlänglich konkreter Indizien für fehlerhafte Prozesshandlungen oder eine mangelhafte Beratung resp. Instruktion von C erforderlich. Diesbezüglich trägt die Staatsanwaltschaft keine konkreten Begebenheiten vor, die auf eine ungenügende Mandatsführung schliessen liessen. Solche Vorfälle hätten aber im fraglichen Zeitraum auftreten müssen, um dem Beanzeigten fehlende Unabhängigkeit vorwerfen zu können. Dass er C nach ihrer Festnahme am ww.yy.xxxx zur Kooperation mit den Behörden riet, damit sie möglichst schnell wieder entlassen würde, entspricht der üblichen Praxis von Strafverteidigern, liegt es doch in den meisten Fällen auch im Interesse der beschuldigten Personen, möglichst rasch wieder aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Folglich kann dem Beanzeigten insofern keine fehlende Objektivität vorgeworfen werden. Ebenso wenig kann der Umstand, dass er nach der Aufforderung der Staatsanwaltschaft nicht umgehend von seinem Mandat zurücktrat, sondern vorerst weiterhin als Verteidiger von C amtete, als unprofessionelles Handeln ausgelegt werden, zumal die Staatsanwaltschaft nicht behauptet, dass er dadurch den neuen Strafverteidiger behindert hätte. Da der Beanzeigte C offenbar schon lange kannte und sie auch Vertrauen zu ihm hatte, bedeutete es für eine gute Mandatsübernahme keinen Nachteil, dass er noch während einer Woche ihr Vertreter blieb, bis Rechtsanwalt E das Mandat vollständig übernehmen konnte. Folglich kann dem Beanzeigten auch in dieser Zeit kein unprofessionelles Handeln vorgeworfen werden, weshalb diesbezüglich kein Disziplinarverfahren zu eröffnen ist.

5.
5.1.
Nach Art. 12 lit. a BGFA haben Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Sie haben die Interessen ihrer Klienten nach Recht und Billigkeit zu wahren und dabei bestrebt zu sein, klare Rechtsverhältnisse zu schaffen. Dieser Grundsatz gebietet ihnen, die ihnen anvertrauten Interessen nach bestem Wissen und Gewissen zu wahren. Gleichzeitig wird aber von ihnen verlangt, diese Interessenwahrung ausschliesslich mit rechtlich zulässigen Mitteln zu betreiben (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 36). Laut Bundesgericht bezieht sich diese Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung nicht nur auf das Verhältnis zwischen Anwalt und Klient, sondern auch auf das Verhalten des Anwalts gegenüber Behörden (BGE 130 II 270 E. 3.2). Der Anwalt darf nicht versuchen, die bestehende Rechtsordnung zu umgehen oder zu durchkreuzen. Er hat diese zu respektieren und sich an Recht und Gesetz zu halten. Er soll die Interessen seines Klienten nicht mit Lug und Trug, sondern nach Recht und Billigkeit verfechten. Er darf nicht bewusst das Unrecht fördern oder das Recht irgendwelchen ausserrechtlichen Einflüssen opfern (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 37). Die berufsrechtlich gebotene Gewissenhaftigkeit schränkt den Anwalt auch in der Wahl der Mittel ein, indem sie ihm gebietet, die Wahrung der Interessen des Klienten ausschliesslich mit rechtlich zulässigen Mitteln zu betreiben, namentlich keine vom Gesetz verpönten Zwecke zu verfolgen und Verteidigungsmittel zu gebrauchen (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 37a). Im Strafprozess bedeutet dies, dass es dem Anwalt verwehrt ist, rechtswidrige Mittel zu ergreifen. Unzulässig ist es ferner, wenn er zu Mitteln Zuflucht nimmt, die das Ziel des Verfahrens, über die Schuld oder Unschuld des Klienten einen der Rechtslage entsprechenden Entscheid zu fällen und gegebenenfalls das Mass der Strafe festzulegen, vereiteln sollen (BGE 106 Ia 100 E. 6b). Es ist dem Anwalt daher beispielsweise nicht gestattet, die Ermittlung der staatlichen Behörden aktiv prozessordnungswidrig zu vereiteln. Unstatthaft sind namentlich Kollusionshandlungen wie etwa die Beeinflussung von Zeuginnen (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 38b). Obwohl der Anwalt bei seiner Tätigkeit zugunsten seiner Klienten den Zielen des Rechtsstaats verpflichtet ist, hat er in erster Linie die Interessen seiner Auftraggeber zu wahren. Er überschreitet die Grenze des Zulässigen aber, wenn er positiv störend in die Wahrheitsfindung eingreift oder die Rechtsordnung missachtet, indem er beispielsweise bewusst Unwahres vorbringt, Beweisquellen trübt, Zeugen beeinflusst, den Klienten zu falscher Aussage anhält oder dem Angeschuldigten zur Flucht verhilft. Dem Verteidiger ist es ferner verboten, Untersuchungsbehörden und Gerichte durch Vorspiegelung falscher Tatsachen bewusst irrezuführen, den Sachverhalt bewusst durch aktives Handeln zu verdunkeln sowie Beweise zu beseitigen oder Beweisquellen zu trüben (ZR 106 [2007] Nr. 35 S. 162, Nr. 37 S. 170, Nr. 62 S. 251). Da der Anwalt aber nicht Gehilfe des Richters, sondern Verfechter von Parteiinteressen und als solcher einseitig für seinen jeweiligen Mandanten tätig ist, muss ihm im Strafverfahren hinsichtlich der Wahl der Verteidigungsmittel ein hohes Mass an Entscheidungsfreiheit zukommen (BGE 106 Ia 100 E. 6b). Aus diesem Grund sind auch Absprachen unter den Verteidigern mehrerer Angeschuldigter zulässig, solange sie sich an die Rechtsordnung halten und insbesondere das für alle Verfahrensbeteiligten geltende Gebot des fair trial beachten. Innerhalb dieser Grenzen sind Absprachen unter den Verteidigern zulässig, solange sie dem eigenen Klienten nützen oder wenigstens nicht schaden. Das legitime Ziel solcher Absprachen liegt in der Stärkung der Position der Verteidigung im Verfahren (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 38d).

5.2.
Die Anzeigestellerin legt eine Aktennotiz von Rechtsanwalt F (…) auf. Daraus geht hervor, dass der Beanzeigte Rechtsanwalt F angerufen habe und habe wissen wollen, was dessen Klientin, D, dazu sage, dass seine Klientin, C, immer bestritten habe, im Haus von B gewesen zu sein. Wie oben dargelegt, stellt eine Absprache zwischen den Verteidigern von verschiedenen Beschuldigten grundsätzlich noch keine zu disziplinierende Handlung dar. Dass der Beanzeigte die Klientin von Rechtsanwalt F zu irgendwelchen Aussagen habe "zwingen" wollen, wird in der Aktennotiz nicht vermerkt. Die vom Beanzeigten gestellte Frage reichte aber, auch wenn sie vielleicht suggestiv formuliert war – gemäss eigenen Angaben habe er bereits seit der ersten Einvernahme vom ww.yy.xxxx gewusst, dass C sich im Haus von B aufgehalten hatte –, noch nicht aus, um die Strafuntersuchung zu vereiteln. Denn selbst wenn Rechtsanwalt F darauf geantwortet hätte, hätte der Beanzeigte allenfalls gewusst, wie seine Klientin auf diese Antwort reagieren müsste. Allein damit wäre aber der Tathergang nicht dermassen verwischt worden, dass die Staatsanwaltschaft ihn deswegen nicht mehr oder nur noch unter erschwerten Bedingungen hätte abklären können. Folglich kann dem Beanzeigten lediglich gestützt auf diese Anfrage noch kein kolludierendes Verhalten vorgeworfen werden.

Daran vermöchte auch der Umstand, dass der Beschuldigte sich möglicherweise zu Unrecht als ausserordentlicher amtlicher Verteidiger bezeichnet haben könnte, nichts zu ändern. Denn Rechtsanwalt F führt nicht aus, dass er einem amtlichen Verteidiger mehr mitgeteilt hätte als einem privaten Verteidiger und dass deshalb die Gefahr bestanden hätte, dass er dem Beanzeigten zu viele Informationen hätte zukommen lassen. Im Übrigen kommt es bei Absprachen nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an.

Aufgrund der vorgetragenen Sachverhalte kann dem Beanzeigten kein kolludierendes Verhalten vorgeworfen werden, weshalb der Anzeige auch in diesem Punkt keine weitere Folge zu geben ist.

6.
Soweit der Beanzeigte Ausführungen zu einer angeblich ungebührlichen Bemerkung gegenüber einem Anwaltskollegen macht, ist darauf mangels Anzeige nicht einzutreten.

7.
Zusammenfassend sind somit keine Berufspflichtverletzungen des Beanzeigten ersichtlich, weshalb von der Eröffnung eines Disziplinarverfahrens abzusehen ist.

8.
Bei diesem Verfahrensausgang können dem Beanzeigten keine Kosten auferlegt werden. Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen, da es zu den ungeschriebenen Berufspflichten des Anwalts gehört, der Aufsichtsbehörde Auskunft über einen bestimmten Sachverhalt zu geben (vgl. Sterchi, Komm. Zum bernischen Fürsprecher-Gesetz, Bern 1992, Art. 31 N 2d). Auf eine Kostenfestsetzung ist deshalb zu verzichten.