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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Entscheiddatum:29.04.2021
Fallnummer:1C 21 13
LGVE:2021 I Nr. 4
Gesetzesartikel:Art. 85a SchKG; Art. 57 ZPO, Art. 308 f. ZPO
Leitsatz:Voraussetzungen für die Konversion eines unzulässigen Rechtsmittels in ein zulässiges (E. 2).

Eine Betreibung kann erst dann nach Art. 85a SchKG vorläufig eingestellt werden, wenn der Gläubiger durch das Betreibungsverfahren selbst Sicherheit für die Forderung erhalten hat (E. 5).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

2.1.
Der Entscheid über die vorläufige Einstellung der Betreibung nach Art. 85a Abs. 2 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG; SR 281.1) stellt eine vorsorgliche Massnahme dar.

Gegen den Entscheid der Vorinstanz ist – entgegen der Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid – aufgrund des Streitwerts von Fr. 19'548.-- nicht die Beschwerde, sondern die Berufung zulässig (Art. 308 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272]; Kren Kostkiewicz, Komm. SchKG, 19. Aufl. 2016, Art. 85a SchKG N 11 und 13; Bodmer/Bangert, Basler Komm., 2. Aufl. 2010, Art. 85a SchKG N 28a; vgl. auch Art. 309 lit. b Ziff. 4 ZPO, wonach die Berufung nur gegen die Aufhebung oder Einstellung der Betreibung nach Art. 85 SchKG – und damit nicht auch nach Art. 85a SchKG – unabhängig vom Streitwert unzulässig ist).

2.2.
Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist von Amtes wegen zu prüfen. Die Konversion eines unzulässigen Rechtsmittels in ein zulässiges ist nur sehr eingeschränkt möglich. Da indes vorliegend die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des richtigen Rechtsmittels erfüllt sind, das Rechtsmittel als Ganzes umgewandelt werden kann, die Umwandlung die Rechte der Gesuchsgegnerin nicht beeinträchtigen und der Irrtum des Rechtsvertreters des Gesuchstellers in Bezug auf das Erkennen der falschen Rechtsmittelbelehrung nicht auf einem groben Fehler beruht, kann die Beschwerde ausnahmsweise in eine Berufung umgewandelt und als solche behandelt werden (ausführlich BGer-Urteil 5A_46/2020 vom 17.11.2020 E. 4.1 ff., mit Hinweisen).

Die Rechtsmittelfrist betrug im Übrigen so oder anders zehn Tage (vgl. Art. 314 Abs. 1 und Art. 321 Abs. 2 ZPO) und wurde gewahrt. Weiter kam dem Rechtsmittel so oder anders nicht bereits von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung zu (vgl. Art. 315 Abs. 4 lit. b und Art. 325 ZPO). Zuständig ist schliesslich so oder anders der Einzelrichter des Kantonsgerichts (§ 18a Abs. 1 lit. a des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und Behörden in Zivil-, Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren [JusG; SRL Nr. 260]).

3.1.
Die Vorinstanz begründete die Abweisung des Gesuchs um vorläufige Einstellung der Betreibung mit dem fehlenden Nachweis des Gesuchstellers, dass seine Prozesschancen im Hauptverfahren deutlich besser wären als jene der Gesuchstellerin bzw. dass seine Klage sehr wahrscheinlich begründet sei.

4.
Die Rechtsmittelinstanz verfügt vorliegend über volle Kognition in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. In der Rechtsanwendung ist sie frei (Art. 57 ZPO), d.h. sie ist weder durch die Begründung des erstinstanzlichen Gerichts noch durch jene des Rechtsmittelklägers gebunden (BGer-Urteile 4A_376/2016 vom 2.12.2016 E. 3.2.2, 4A_218/2017 vom 14.7.2017 E. 3.1.2). Wie nachfolgend zu zeigen sein wird (unten E. 5), hat die Vorinstanz das Gesuch um Anordnung einer vorsorglichen Massnahme im Ergebnis zu Recht abgelehnt bzw. die Betreibung im Ergebnis zu Recht nicht vorläufig eingestellt.

5.1.
Der Betriebene kann jederzeit vom Gericht des Betreibungsortes feststellen lassen, dass die Schuld nicht oder nicht mehr besteht oder gestundet ist (Art. 85a Abs. 1 SchKG). Nach Eingang der Klage hört das Gericht die Parteien an und würdigt die Beweismittel; erscheint ihm die Klage als sehr wahrscheinlich begründet, so stellt es die Betreibung vorläufig ein: 1. in der Betreibung auf Pfändung oder auf Pfandverwertung vor der Verwertung oder, wenn diese bereits stattgefunden hat, vor der Verteilung die Betreibung; 2. in der Betreibung auf Konkurs nach der Zustellung der Konkursandrohung (Art. 85a Abs. 2 SchKG).

Art. 85a Abs. 2 SchKG sieht für die Klage nach Art. 85a SchKG ein vorsorgliches Massnahmeverfahren vor, welches in den Grundzügen bereits in dieser Bestimmung geregelt ist. So bestimmt Art. 85a Abs. 2 SchKG, dass das Gericht beide Parteien anzuhören hat. Sodann schreibt Art. 85a Abs. 2 SchKG einen vom Massnahmeverfahren nach Art. 261 ff. ZPO abweichenden Beweisgrad vor, indem eine vorläufige Einstellung der Betreibung nur erfolgen kann, wenn die Klage als sehr wahrscheinlich begründet erscheint (Vock/Aepli-Wirz, in: Kren Kostkiewicz/Vock [Hrsg.], Komm. SchKG, 4. Aufl. 2017, Art. 85a SchKG N 10-12).

Art. 85a Abs. 2 SchKG bestimmt weiter den Zeitpunkt, in welchem die Betreibung vorläufig eingestellt werden kann: In der Betreibung auf Pfändung, welcher der Gesuchsteller unbestrittenermassen untersteht, kann dies (erst) vor der Verwertung (also erst nach der Durchführung der Pfändung) oder, wenn die Verwertung bereits erfolgt ist, vor der Verteilung geschehen. Nach einhelliger Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung bestimmt Art. 85a Abs. 2 SchKG nicht etwa einen spätestmöglichen Zeitpunkt in dem Sinne, dass eine vorläufige Einstellung jederzeit, d.h. auch vor einer Pfändung erfolgen könnte, solange dies vor der Verwertung bzw. Verteilung geschehe. Vielmehr hat das Gericht das Betreibungsverfahren so lange laufenzulassen, bis der Gläubiger durch dieses selbst Sicherheit für die Forderung erhält, d.h. in der Spezialexekution bis zur Pfändung. Vorher kann die Betreibung nicht vorläufig eingestellt werden (Vock/Aepli-Wirz, a.a.O., Art. 85a SchKG N 13; Bodmer/Bangert, a.a.O., Art. 85a SchKG N 22; Brönnimann, in: Hunkeler [Hrsg.], Kurzkomm. SchKG, 2. Aufl. 2014, Art. 85a SchKG N 14; ausführlich BGer-Urteil 4A_580/2019 vom 16.4.2020 E. 3.3, mit weiteren Hinweisen).

5.2.
Vorliegend hat der Gesuchsteller vorinstanzlich weder behauptet noch belegt, dass die besagte Voraussetzung für die beantragte vorläufige Einstellung der Betreibung erfüllt, d.h. dass bereits eine Pfändung erfolgt wäre. Vielmehr ergibt sich bereits aus seinem vorinstanzlich gestellten Antrag, wonach die Betreibung Nr. (…) "im Hinblick auf die Fortsetzung der Betreibung" im Sinne einer vorsorglichen Massnahme vorläufig einzustellen sei, dass in der besagten Betreibung noch nicht einmal das Fortsetzungsbegehren gestellt worden ist (…).

5.3.
Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz das Gesuch um Anordnung einer vorsorglichen Massnahme im Ergebnis zu Recht abgelehnt bzw. die Betreibung im Ergebnis zu Recht nicht vorläufig eingestellt. Dies führt zur Abweisung des Antrags des Gesuchstellers auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und auf vorläufige Einstellung der Betreibung durch die Rechtsmittelinstanz. Die besagte Voraussetzung für die vorläufige Einstellung, eine erfolgte Pfändung, ist nicht erfüllt. Damit erübrigen sich Weiterungen zu den Prozesschancen des Gesuchstellers im Hauptverfahren bzw. zu deren Beurteilung durch die Vorinstanz (…).

Sollte es in der besagten Betreibung zu einer Pfändung kommen und die Hauptsache dannzumal noch hängig sein, dürfte es dem Gesuchsteller – analog zur Möglichkeit im Massnahmeverfahren nach Art. 261 ff. ZPO, nach Ablehnung der Anordnung einer vorsorglichen Massnahme das Gesuch aufgrund seither veränderter Umstände (echte Noven) neu anzubringen (vgl. Sprecher, Basler Komm., 3. Aufl. 2017, Art. 261 ZPO N 100) – wohl unbenommen sein, sein Gesuch um vorläufige Einstellung der Betreibung nach erfolgter Pfändung neu anzubringen. Darüber ist indes vorliegend nicht abschliessend zu befinden.