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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Erlassprüfung
Entscheiddatum:11.12.2020
Fallnummer:7R 20 3
LGVE:2021 IV Nr. 5
Gesetzesartikel:Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 8 BV, Art. 27 BV, Art. 36 BV; Art. 6 Abs. 2 EpG, Art. 40 EpG; Covid-19-Verordnung besondere Lage; §§ 188 ff. VRG; § 3 Abs. 1 GesG, § 54 GesG.
Leitsatz:Regierungsrätliche Notverordnung. Erlassprüfung. Im Verfahren der gerichtlichen Prüfung von Erlassen sind reformatorische Anordnungen ausgeschlossen (E. 1.7). Zuständigkeit des Regierungsrats für den Erlass des kantonalen Covid-Notverordnungsrechts (E. 4). Verfassungsmässigkeit der Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe bejaht (E. 5 und 6). Die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe ist mit der Rechtsgleichheit vereinbar (E. 7).
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.


Entscheid:Sachverhalt (Zusammenfassung)

Mit Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie vom 13. Oktober 2020 (VCov19; SRL Nr. 835a) beschloss der Regierungsrat des Kantons Luzern zusätzliche Massnahmen des Kantons zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (vgl. § 1 Abs. 1 VCov19). Unter dem Titel "Massnahmen betreffend öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe" ordnete der Regierungsrat an, dass Erotik- und Sexbetriebe für das Publikum geschlossen sind (§ 2a VCov19). Daraufhin haben einzelne Dienstleistungserbringerinnen und zwei Betreiberinnen von Erotik- und Sexbetrieben gemeinsam ein Erlassprüfungsverfahren eingeleitet.

Aus den Erwägungen:

1.
1.1.
Gemäss § 188 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRG; SRL Nr. 40) prüft das Kantonsgericht auf Antrag, ob bestimmte Rechtssätze verwaltungsrechtlichen Inhalts in Erlassen der Gemeinwesen (§ 1) verfassungs- oder gesetzwidrig sind oder sonstwie einem übergeordneten Rechtssatz widersprechen. Ausgenommen von dieser Prüfung sind u.a. die Kantonsverfassung, die kantonalen Gesetze und die Dekrete (§ 188 Abs. 2 lit. a VRG).

1.2.
Gegenstand eines Prüfungsantrags können ausschliesslich bestimmte Rechtssätze sein. Als Rechtssatz gilt eine generell-abstrakte Anordnung bzw. Norm, die sich an eine unbestimmte Zahl von Adressaten richtet und auf die Regelung unbestimmt vieler Fälle abzielt. Inhaltlich begründet der Rechtssatz Rechte und Pflichten der Bürger oder regelt Organisation, Zuständigkeit oder Aufgaben der Behörden oder das Verfahren (zum Ganzen: BGE 121 II 473 E. 2b, 112 Ib 249 E. 2b, 101 Ia 73 E. 3a; Häfelin /Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, N 340; Tschannen/Zimmerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2014, § 13 N 6 und 8). Rechtssätze unterstehen nur dann der gerichtlichen Normenkontrolle, wenn sie einen verwaltungsrechtlichen Inhalt haben. Nach konstanter Rechtsprechung des Gerichts sind darunter Vorschriften zu verstehen, die vom Kantonsgericht in seiner Tätigkeit als Verwaltungsgericht und von Verwaltungsbehörden anzuwenden sind (LGVE 2009 II Nr. 38 E. 3b mit Hinweis).

Die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19 Epidemie und insbesondere die Anordnung im Sinn von § 2a VCov19 richtet sich mit Wirkung an einen Teil der Gewerbetreibenden im Kanton und dessen uneingegrenzten Kundenkreis und insofern an die Allgemeinheit. Im Übrigen wird eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten geregelt, sodass sich die mit der Geltungsdauer der Verordnung verbundene Anordnung, Erotik- und Sexbetriebe seien geschlossen, als generell-abstrakte Regelung erweist. Damit kommt ihr (verwaltungsrechtlicher) Rechtssatzcharakter zu, weshalb sie Gegenstand eines Normprüfungsverfahrens sein kann.

1.3.
(…)

1.4.
Im Normprüfungsverfahren sind die Vorschriften über das Rechtsmittelverfahren (§§ 132-141 VRG) sinngemäss anwendbar (§ 191 VRG). Dem Charakter einer erstinstanzlichen gerichtlichen Prüfung entspricht sodann, dass wie im Verwaltungsbeschwerdeverfahren, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Prüfungsentscheides massgeblich sind (vgl. § 146 VRG).

Von den massgebenden Verhältnissen abzugrenzen ist der Gegenstand der Normenprüfung. Dieser bildet im vorliegenden Fall allein § 2a VCov19 in der Fassung vom 31. Oktober 2020, d.h. die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe und nicht das per 12. Dezember 2020 in Kraft getretene Prostitutionsverbot.

1.5.
Die Normprüfungseingabe gemäss §§ 188 ff. VRG muss einen bestimmten Antrag und dessen Begründung enthalten (§ 191 in Verbindung mit [i.V.m.] § 133 Abs. 1 VRG). Demnach ist im Prüfungsantrag im Einzelnen darzulegen, welche konkreten Bestimmungen überprüft werden sollen (§ 188 Abs. 1 VRG spricht ausdrücklich von bestimmten Rechtssätzen) und inwiefern diese Gesetzes- oder Verfassungsbestimmungen oder anderen übergeordneten Rechtssätzen widersprechen.

Im Verfahren betreffend die Prüfung von Erlassen hat sich das Kantonsgericht darauf zu beschränken, angefochtene Bestimmungen in Bezug auf die von den Antragstellern ausdrücklich gerügten rechtlichen Mängel zu untersuchen. Zudem sind an die Begründung der Vorbringen hohe Anforderungen zu stellen. Einzig sich aus der Natur der Sache ergebende Mängel sowie offensichtliche, in die Augen springende Verfassungs- und Gesetzwidrigkeiten sind auch ohne entsprechende Hinweise der Antragsteller zu berücksichtigen (LGVE 1994 II Nr. 39 E. 3a; Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7R 15 1 vom 14.4.2016 E. 2.2; Urteile des Verwaltungsgerichts Luzern P 11 2 vom 25.11.2011 E. 4b und P 99 1 vom 9.8.2001 E. 2a, je mit weiteren Hinweisen).

1.6.
Gemäss § 189 lit. a VRG kann den Prüfungsantrag jedermann stellen, dessen schutzwürdige Interessen in absehbarer Zeit durch die Anwendung der angefochtenen Rechtssätze verletzt werden können. Aus Ziel- und Zwecksetzung der selbständigen verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle heraus sind an die Voraussetzungen des schutzwürdigen Interesses keine allzu hohen Anforderungen zu stellen (eingehend zur Legitimationsfrage: LGVE 1982 II Nr. 42 E. 1a und b). Es genügt "virtuelle Betroffenheit", d.h. die Anforderungen sind erfüllt, wenn zumindest eine minimale Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die antragstellende Person durch den angefochtenen Erlass früher oder später einmal in ihren schutzwürdigen Interessen betroffen sein könnte (vgl. BGE 146 I 62 E. 2.1, 137 I 77 E. 1.4, 136 I 17 E. 2.1, 133 I 206 E. 2.1).

Die Antragstellerinnen bieten gemäss eigener Darstellung im Kanton Luzern in einem Erotik- oder Sexbetrieb ihre Dienstleistungen an oder führen solche Betriebe. Von der angefochtenen Bestimmung, welche die Schliessung der Betriebe anordnet, sind sie folglich konkret betroffen und nach § 189 Abs. 1 lit. a VRG zur Stellung des Normprüfungsantrags legitimiert.

1.7.
Da auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. §§ 190 f. i.V.m. §§ 132-141 VRG), ist auf den Prüfungsantrag (…) einzutreten und die Anträge sind materiell zu beurteilen. (Hinweis auf bereits mit Zwischenverfügung vom 30.10.2020 erledigte Anträge. Vgl. dazu LGVE 2020 IV Nr. 13)

Das Kantonsgericht ist zudem einzig befugt, im Fall festgestellter Ungültigkeit, den angefochtenen Rechtssatz aufzuheben (§ 192 Abs. 1 VRG). Dass das Gericht im Erlassprüfungsverfahren reformatorische Anordnungen trifft (…), ist jedoch von vornherein ausgeschlossen. (…)

2.
Ist im Verfahren nach den §§ 188 ff. VRG eine Norm auf ihre Verfassungs- oder Gesetzmässigkeit zu überprüfen, ist in Anlehnung an die bundesgerichtliche Praxis massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit dem angerufenen Verfassungs- oder Gesetzesrecht vereinbar erscheinen lässt. Dabei dürfen Erklärungen der Behörde über die beabsichtigte künftige Anwendung der Vorschrift berücksichtigt werden. Die angefochtene Norm ist nur aufzuheben, wenn sie sich einer verfassungs- oder gesetzeskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist. Sodann sind im abstrakten Normenkontrollverfahren die möglichen Auswirkungen einer neuen Vorschrift, selbst wenn deren Inhalt klar bestimmt ist und der rechtsanwendenden Behörde keinerlei Spielraum offen zu stehen scheint, nie völlig übersehbar. Erscheint eine generell-abstrakte Regelung bezogen auf normale Verhältnisse, wie sie vom Gesetzgeber zugrunde gelegt werden durften, als verfassungsrechtlich halt-bar, so vermag die ungewisse Möglichkeit, dass sie sich in besonderen Einzelfällen als verfassungs- oder gesetzwidrig auswirken könnte, ein Eingreifen im Stadium der abstrakten Normenkontrolle im Allgemeinen noch nicht zu rechtfertigen, vor allem dann nicht, wenn im fraglichen Sachbereich die Möglichkeit der späteren konkreten Normenkontrolle den Betroffenen einen hinreichenden Schutz bietet. Wird im dargelegten Sinn das Vorliegen einer Verfassungs- oder Gesetzesverletzung im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle verneint, hindert dies den Bürger nicht, die Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit der betreffenden Vorschriften anlässlich ihrer Anwendung im Einzelfall erneut geltend zu machen (LGVE 1994 II Nr. 39 und dort zitierte Praxis; Urteil des Verwaltungsgerichts Luzern P 99 1 vom 9.8.2001 E. 2b; vgl. auch BGE 146 I 62 E. 4, 134 I 293 E. 2 und 120 Ia 286 E. 2b, je mit Hinweisen).

3.
Vorliegend ist zu prüfen, ob die mit § 2a VCov19 angeordnete Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe im Kanton Luzern höherrangigem Recht widerspricht. Dabei gilt es zu beachten, dass nicht die Frage aufgeworfen ist, ob die Massnahme an sich höherrangigem Recht widerspricht, was aufgrund der Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit ohne Weiteres augenfällig ist, sondern, ob der Grundrechtseingriff den dafür in der besonderen Lage gegebenen Rahmen des übergeordneten Rechts wahrt. Die Anordnung von § 2a VCov19 gehört zu den staatlichen Massnahmen, die nicht im Rahmen der normalen demokratischen Kompetenzordnung getroffen wurden. Vielmehr handelt es sich um eine von der Kantonsregierung anstelle des ordentlichen Gesetzgebers erlassene, temporäre Einschränkung von durch die Verfassung garantierten Grundrechten (insb. die Wirtschaftsfreiheit). Zu prüfen ist deshalb vorliegend, ob die verfassungs- und gesetzmässigen Kompetenzen für Massnahmen zum Schutz der Gesundheit dem Regierungsrat erlauben, die temporäre Schliessung von Betrieben anzuordnen. Sollte das bejaht werden, bleibt zu prüfen, ob die auch für solche Eingriffe in Grundrechte geltenden Schranken gewahrt sind. Hierfür müssen zunächst die Voraussetzungen für den Erlass einer regierungsrätlichen Verordnung anstelle der ordentlichen Gesetzgebung, d.h. einer Notverordnung (sog. Polizeinotverordnung, vgl. z. B. Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl. 2016, N 1862), erfüllt sein.

4.
Zunächst stellt sich die Frage, ob der Kanton Luzern zuständig ist für Massnahmen, welche die Verbreitung des Coronavirus (Covid-19) verhindern und Übertragungsketten unterbrechen. Sodann ist zu prüfen, ob der Regierungsrat nach kantonalem Recht befugt war, die angefochtene Notverordnung zu erlassen.

4.1.
(Kompetenzordnung nach Art. 118 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101] und Art. 40 Epidemiengesetz [EpG; SR 818.101])

4.1.1.
(Kantonale Zuständigkeit)

4.1.2.
(Zuständigkeit des Regierungsrats im Kanton Luzern)

4.1.3.
Aufgrund der bundesrätlich verordneten besonderen Lage sind die Kantone damit befugt, unter Einhaltung der Voraussetzungen von Art. 40 EpG und Art. 8 Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage (SR 818.101.26), zusätzliche Massnahmen anzuordnen und zugunsten der Gesundheit sowie zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten in die Grundrechte einzugreifen. Hiervon hat der Kanton Luzern mit dem Erlass der VCov19 Gebrauch gemacht. Es handelt sich um einen kantonalen Erlass, der sich auf eine Zuständigkeit stützt, die der gestützt auf Art. 118 Abs. 2 lit. b BV zuständige Bund auf dem Weg der Bundesgesetzgebung an den Kanton zurückgegeben hat (vgl. Art. 3 BV).

4.1.4.
Diesen Erwägungen zufolge war (und ist) der Kanton zum Erlass von Massnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus (Covid-19) und zur Unterbrechung von Übertragungsketten in der besonderen Lage gemäss Epidemiengesetz zuständig. Die mit der VCov19 verordneten Massnahmen ergingen mithin – unter Vorbehalt der Wahrung des bundesrechtlichen Rahmens – in der kantonalen Hoheit.

4.2.
Die strittige Anordnung von § 2a VCov19 ist eingebettet in die besagte Verordnung. Wie erwähnt (vorne E. 1.2) hat die angefochtene Norm schon für sich generell-abstrakten Charakter und erging die VCov19 zu Recht in der Form eines Erlasses (vgl. LGVE 2020 IV Nr. 11 E. 2.4).

Gemäss § 36 Abs. 1 KV ist jedoch der Kantonsrat die gesetzgebende Behörde des Kantons. Der Regierung steht im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltentrennung im Prinzip keine selbständige, unmittelbar aus der Verfassung folgende Rechtsverordnungskompetenz zu (Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 6. Aufl. 1985, Bd I, Nr. 10 A, S. 57 f. m.H.). Für die partiell angefochtene Verordnung stützt sich der Regierungsrat als erlassende Behörde zum einen auf die Kompetenz gemäss § 54 Abs. 3 des Gesundheitsgesetzes vom 13. September 2005 (GesG; SRL Nr. 800) und mit Bezug auf die Erlassform auf sein Verordnungsrecht in ausserordentlichen Lagen. Nach kantonalem Recht setzt das Notverordnungsrecht des Regierungsrats voraus, dass unter anderem die öffentliche Sicherheit erheblich gestört oder durch eine unmittelbare Gefahr bedroht und zeitliche Dringlichkeit gegeben ist (vgl. § 56 Abs. 3 KV; Imboden/Rhinow, a.a.O., S. 60; Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, a.a.O., N 1863).

4.2.1.
(…)

4.2.2.
(Gefahr für Leib und Leben und zeitliche Dringlichkeit)

4.2.3.
Waren demnach die Voraussetzungen für die Verordnungskompetenz des Regierungsrats zufolge ausserordentlicher Lage im Sinn der KV ebenso gegeben wie seine Zuständigkeit für die Anordnung von Massnahmen im Gesundheitsbereich, kann zusammenfassend festgehalten werden, dass vorliegend die zuständige Behörde im richtigen Verfahren die Verordnung VCov19 erlassen hat.

5.
5.1.
Gemäss Art. 40 Abs. 1 EpG ordnen die kantonalen Behörden Massnahmen an, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern. Sie können insbesondere (Abs. 2)
a) Veranstaltungen verbieten oder einschränken,
b) Schulen, andere öffentliche Institutionen und private Unternehmen schliessen oder Vorschriften zum Betrieb verfügen,
c) das Betreten und Verlassen bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmte Aktivitäten an definierten Orten verbieten oder einschränken.

Die kantonale Kompetenz, solche Massnahmen zu verordnen, wird sodann in Art. 8 Abs. 2 Covid-19 Verordnung besondere Lage insofern eingeschränkt, als der Kanton regional geltende Massnahmen nach Art. 40 EpG nur für eine begrenzte Zeit treffen kann, wenn es örtlich begrenzt zu einer hohen Anzahl von Infektionen kommt oder eine solche unmittelbar droht.

5.2.
Wie bereits ausgeführt, kam es ab Mitte Oktober zu einer exponentiellen Zunahme der Neuinfektionen und der Todesfälle. Etwa zeitgleich stieg die Belegung der Intensivpflegebetten mit Covid-19 Patienten im Kanton Luzern bedrohlich an. Indem der Regierungsrat bei diesem Verlauf und der in Aussicht stehenden Entwicklung ohne kantonal geltende Massnahmen die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe im Kanton Luzern anordnete und für das gesamte Gebiet des Kantons deren Aktivitäten für anfänglich wenige Wochen und – mit der angefochtenen Verordnung – für etwas mehr als drei Monate untersagte, machte er unter Wahrung des bundesgesetzlichen und -verordnungsmässigen Rahmens von seinen Befugnissen Gebrauch. Die angefochtene temporäre Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe kann sich demnach auf die genannten gesetzlichen Grundlagen stützen, was von den Antragsstellerinnen im Übrigen nicht bestritten wird.

5.3.
5.3.1.
(Rügen betreffend die Bestimmtheit von § 2a VCov19)

5.3.2.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Legalitätsprinzip unter dem Gesichtswinkel der genügenden gesetzlichen Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten im Sinn von Art. 36 Abs. 1 BV verlangt eine hinreichende und angemessene Bestimmtheit der anzuwendenden Rechtssätze im Dienst des Gesetzesvorbehalts, der Rechtssicherheit (Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit) und der rechtsgleichen Rechtsanwendung (vgl. namentlich BGE 132 I 49 E. 6.2 und 6.3, 135 I 169 E. 5.4.1, je mit Hinweisen). Der Gesetzgeber kann jedoch nicht auf allgemeine, mehr oder minder vage und von der Praxis zu konkretisierende Begriffe verzichten. Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidungen, von den Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung ab (BGE 136 I 87 E. 3.1). In gewissem Ausmass kann die Unbestimmtheit von Normen durch verfahrensrechtliche Garantien kompensiert werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit besondere Bedeutung zukommt.

Auch für Notverordnungen verlangt das Legalitätsprinzip eine hinreichende und angemessene Bestimmtheit der anzuwendenden Rechtssätze. Das Gesetz muss jedenfalls so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann (BGE 146 I 70 E. 6.2.2, 141 I 201 E. 4.6, 128 I 327 E. 4.2, 109 Ia 273 E. 4d mit Hinweisen). Eine ursprüngliche Unbestimmtheit kann indessen mit zunehmender Erfahrung der Praxis schwinden oder entfallen (Imboden/Rhinow, a.a.O., S. 401).

5.3.3.
(Inhalt von § 2a VCov19)

5.3.4.
Ob § 2a VCov19 den Anforderungen an die Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit mit Bezug auf die Adressaten und zugleich an die Gewährleistung der rechtsgleichen Rechtsanwendung genügt, er-scheint mit Blick auf die unterschiedliche und teils nicht mit der regierungsrätlichen Auffassung vereinbaren Anwendung der Verbotsnorm durch Behörden, wie die von den Antragsstellerinnen aufgeführten Beispiele und die öffentliche Stellungnahme zur Handhabung während der Zeit vom 24. Oktober bis zum 12. November 2020 zeigen, fraglich. Mit der öffentlichen Klarstellung in der kantonalen Stellungnahme und mit der erneuten Zulassung der Strassenprostitution seit 12. November 2020 erfolgten Korrekturen in der Handhabung. Sodann wurde mit dem Hinweis darauf, dass es zu bedauern sei, wenn nach aussen hin nicht kohärent kommuniziert worden sei, – wenn auch nur mittelbar – eingeräumt, dass der Adressatenkreis mit der gewählten Umschreibung zu Beginn weder von Behörden noch von den Rechtsunterworfenen im vom Regierungsrat gemeinten Sinn verstanden wurden. Indem nun der Anwendungsbereich mit der öffentlich gemachten Praxisfestlegung genauer gefasst ist, fand eine Korrektur und zugleich eine Präzisierung durch den Regierungsrat als Notverordnungsgeber statt. Selbst wenn der Wortlaut nach wie vor einen sehr weiten Anwendungshorizont umfasst, können Behörden und Normadressaten dank der Praxisfestlegung Gewissheit über die Tragweite des Verbots erlangen. Die von Adressaten und Behörden gezeigte Ungewissheit wegen der ursprünglichen Unbestimmtheit konnte damit beseitigt werden. Im heutigen Zeitpunkt erübrigt sich deshalb die Aufhebung von § 2a VCov19 aufgrund einer Verletzung des im Legalitätsprinzip enthaltenen Bestimmtheitsgebots, wie es namentlich Art. 36 Abs. 1 BV für Grundrechtseingriffe verlangt.

Unter dem Gesichtswinkel des verfassungsmässigen Gesetzmässigkeitsgrundsatzes bleibt zu bemerken, dass es der Vorhersehbarkeit als wesentlichem Aspekt der Rechtssicherheit abträglich ist, wenn rechtsetzende Erlasse, wie es gesetzesvertretende Verordnungen sind, selbst wenn es sich um Notrecht handelt, nicht wenigstens auf die Dauer ihrer zeitlich beschränkten Wirksamkeit unverändert gelten. Gesetzgebung unterscheidet sich von der Einzelfallentscheidung mitunter darin, dass sie, nur schon damit die Rechtsunterworfenen die Verbote oder Gebote befolgen können, auf Dauer, bei befristeten Erlassen eigentlich auf Geltungsdauer, angelegt sein muss. Der Rechtsunterworfene muss wissen, welche Bestimmungen gelten, die entsprechenden Normen zu Kenntnis nehmen und sich auf deren Beständigkeit verlassen können (Publikationskriterien: Botschaft zur Änderung des Publikationsgesetzes vom 28.8.2013, in: BBl 2013 7080; vgl. auch Bericht des Bundesrats vom 19.10.2016 zur Veröffentlichung von Gesetzen, Ziff. 2.2.2; Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 260). Dass der Regierungsrat die VCov19 innerhalb von zehn Tagen dreimal revidierte, nämlich am 21. Oktober, 24. Oktober und 31. Oktober 2020, belastete die Vorhersehbarkeit und beeinträchtigte das Vertrauen in die Verlässlichkeit der eingesetzten Ordnung. Indessen ist auch darin keine Verletzung des auch für Notverordnungen massgeblichen Verfassungsprinzips der Gesetzmässigkeit der nunmehr angefochtenen Regelung von § 2a VCov19, in Kraft bis 31. Januar 2021, zu erblicken.

6.
Die Zulässigkeit von Polizeinotverordnungen verlangt nebst einer Störung oder unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung und zeitlicher Dringlichkeit auch, dass die allgemeinen Schranken staatlichen Handelns, wie das Vorliegen eines öffentlichen Interesses und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, eingehalten sind (BGE 122 IV 258 E. 2a; Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, a.a.O., N 1863). Einschränkungen von Grundrechten gemäss Bundesverfassung, wie vorliegend die Wirtschaftsfreiheit im Sinn von Art. 27 BV, müssen schon aufgrund von Art. 36 Abs. 2 BV durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV).

6.1.
Das öffentliche Interesse ist die allgemeine Voraussetzung für jede staatliche Tätigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV). Beim Begriff des öffentlichen Interesses handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der zeitlich und örtlich einem gewissen Wandel unterworfen sein kann (Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 465). Gemeinsam ist den öffentlichen Interessen, dass sie in der Rechtsordnung eine Anerkennung gefunden haben. Als öffentliches Interesse gilt insbesondere der Schutz der Polizeigüter, zu denen als grundlegendes Element auch die öffentliche Gesundheit gehört (Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 20 N 4). Gemäss § 1 VCov19 dienen die in der Verordnung angeordneten Massnahmen dazu, die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern und Übertragungsketten zu unterbrechen. Wie der Regierungsrat ausführt, sollen schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle sowie eine Überlastung oder ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems verhindert werden. Die angeordneten Massnahmen, darunter auch die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe in § 2a VCov19, dienen der Bekämpfung der Covid-19-Epidemie und damit dem Schutz der Gesundheit sowie von Leib und Leben und liegen entsprechend im öffentlichen Interesse. Das wird denn auch von den Antragsstellerinnen ausdrücklich anerkannt.

6.2.
In Notverordnungen sind in den Schranken der Verhältnismässigkeit auch schwerwiegende Grundrechtseingriffe zulässig (BGE 132 I 229 E. 10.1; Seiler, in: Komm. der Kantonsverfassung Luzern [Hrsg. Richli/Wicki], Bern 2010, § 56 KV N 32; Imboden/Rhinow, a.a.O., S. 60). Die Verhältnismässigkeit ist zwar ein allgemeiner Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns im Sinn von Art. 5 Abs. 2 BV und gilt deshalb im ganzen öffentlichen Recht sowohl bei der Rechtssetzung als auch bei der Rechtsanwendung. Wenn es aber, wie vorliegend, um die Prüfung der Rechtmässigkeit von Grundrechtseingriffen geht, stützt sich die Verhältnismässigkeitsprüfung auf die erwähnte, besondere Grundlage von Art. 36 Abs. 3 BV. Auch wenn das Verhältnis der beiden Ausprägungen des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes nicht restlos geklärt ist, muss nach der Rechtsprechung immerhin in Anwendung von Art. 36 Abs. 3 BV der Schutzbedürftigkeit des infrage stehenden Freiheitsrechts besondere Beachtung geschenkt werden (Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 517, m. H.).

Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit umfasst nach Lehre und Rechtsprechung drei Elemente, die generell kumulativ erfüllt sein müssen (vgl. BGE 123 I 112 E. 4e; Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 21 N 2). Vorab muss die Massnahme geeignet sein, den im öffentlichen Interesse verfolgten Zweck herbeizuführen (Geeignetheit). Weiter muss sie im Hinblick auf den angestrebten Zweck erforderlich sein, das heisst sie hat zu unterbleiben, wenn eine ebenso geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreichen würde (Erforderlichkeit). Schliesslich muss zwischen dem gesteckten Ziel und dem zu seiner Erlangung notwendigen Eingriff in die Grundrechte ein vernünftiges Verhältnis bestehen, was eine Abwägung der betroffenen öffentlichen und privaten Interessen bedingt (Verhältnismässigkeit im engeren Sinn; BGE 135 I 176 E. 8.1; Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 21 N 2; ZBl 1998 S. 441). Das Prinzip der Verhältnismässigkeit soll zusammenfassend sicherstellen, dass die zur Erreichung des angestrebten Ziels eingesetzten Mittel geeignet und erforderlich sind, und dass der Zweck der Massnahme deren Auswirkungen rechtfertigt (BGE 137 I 327 E. 5.5 f.; Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 21 N 1 und 16).

6.2.1.
6.2.1.1.
Unter dem Gesichtswinkel der Geeignetheit wird die Präzision des staatlichen Handelns geprüft. Eine Massnahme kann als geeignet gelten, wenn sie zumindest einen tauglichen Versuch darstellt, einen Beitrag zur Realisierung des gesetzmässigen und im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks leisten zu können. Zu prüfen ist somit die Zwecktauglichkeit einer Massnahme (BGE 144 I 126 E. 8.1).

(…)

Wie jede Massnahme, die Kontakte zwischen Menschen verhindert, taugt die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe deshalb grundsätzlich dazu, die Möglichkeiten zur Verbreitung des Coronavirus zu reduzieren und allfällige angefangene Übertragungsketten, die auf dem Weg von Kunden zu Dienst-leistenden und von Dienstleistenden zu Kunden verlängert werden könnten, zu unterbrechen. Die Zwecktauglichkeit, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit beizutragen, ist demnach mit der angefochtenen Massnahme grundsätzlich genauso gegeben wie bei jeder anderen Massnahme, die die Anzahl von übertragungstauglichen Begegnungen reduziert.

6.2.1.2.
Genauer gefasst, ist das vom BAG erklärte Ziel der Anstrengungen von Behörden des Bundes und der Kantone, mit den verschiedenen Massnahmen den R-Wert dauerhaft unter 1 zu halten, sodass die Ausbreitung des Virus abgebremst wird. Dabei bezeichnet die Reproduktionszahl R die Anzahl Personen, die im Durchschnitt von einer infizierten Person angesteckt werden. Damit die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe als Massnahme tatsächlich einen solchen Beitrag zur Reduktion der Ansteckungen mit dem Coronavirus leisten kann, muss feststehen, dass die Erotik- und Sexbetriebe, sollten sie dem Publikum weiter zur Verfügung stehen, einen Beitrag zur Ausbreitung des Virus erbringen, der zur Zielerreichung reduziert werden muss.

Dazu ist zwar nicht erforderlich, dass es sich bei den zu schliessenden Betrieben um eigentliche Ansteckungsherde (Hotspots) handelt. Immerhin ist aber die Zwecktauglichkeit der Massnahme nur dann gegeben, wenn von ihnen zumindest eine gegenüber der Begegnung ausserhalb der Betriebe und unter Respektierung der geltenden Corona-Massnahmen (ab 29.10.2020 Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen, Regeln für Sport und Kultur, Fernunterricht an Hochschulen, Schliessung von Tanzlokalen und Discos, Regeln für Bars und Restaurants, ausgedehnte Maskenpflicht, Kontakt reduzieren, Handhygiene beachten, wenn möglich Homeoffice, Abstand halten) erhöhte Ansteckungsgefahr besteht.

6.2.1.3.
Während die Antragsstellerinnen geltend machen, die Ansteckungsgefahr sei nicht grösser als beim Besuch eines Restaurants, geht der Regierungsrat davon aus, dass in Erotik- und Sexbetrieben aufgrund des sehr engen, dauerhaften Körperkontakts, der beschleunigten Atmung, und der eher kleinen, schlecht gelüfteten Räumlichkeiten, in denen die Dienstleistungen erfolgen, eine erhöhte Ansteckungsgefahr bestehe.

6.2.1.4.
(Übertragungsarten des Coronavirus)

6.2.1.5.
(…) Ob diese Gefahr im Vergleich mit anderen Tätigkeiten oder Betrieben wie Restaurants und Kosmetik-Studios (erheblich) grösser ist oder nicht, spielt im Rahmen der Beurteilung der Zwecktauglichkeit keine Rolle. Vielmehr zeigt sich, dass bei Dienstleistungen, welche von Sex- und Erotikbetrieben angeboten werden, die Übertragung von Viren über Tröpfchen und Aerosolen aufgrund der besonderen Umstände erheblich ungehinderter als ausserhalb solcher Betriebe erfolgen kann. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus weiterverbreitet wird, wenn die Erotik- und Sexbetriebe dem Publikum zugänglich bleiben, wegen des damit verbundenen Anteils an Neuansteckungen in einem Übermass im Vergleich zum Beitrag an Neuansteckungen unter dem sonst geltenden sanitarischen Regime.

Sollten die Erotik- und Sexbetriebe weiter dem Publikum zu Verfügung stehen, ist deshalb davon auszugehen, dass sie einen gegenüber dem mit dem Grundregime angestrebten Reproduktionsziel erhöhten Beitrag zur Verbreitung des Virus leisten. Die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe bewirkt demgegenüber, dass die Zahl der Neuansteckungen, die sonst beim Besuch solcher Einrichtungen resultieren, auf Null vermindert werden. Die damit erreichte Abbremswirkung der Verbreitung ist ein Beitrag zur Reduktion der Reproduktionszahl.

6.2.1.6.
Was die Antragsstellerinnen der Zwecktauglichkeit der Schliessung entgegenhalten, ist nicht stichhaltig. Namentlich erbringt die Massnahme nicht deshalb keinen Beitrag zum angestrebten Zweck, weil es für eine konsequente Umsetzung des Verbots an Kontrollpersonal mangle. Zum einen entbehrt die Behauptung jeglicher Substanziierung, welche erlaubte, das angeblich drohende Vollzugsdefizit in Relation zum Personalbestand der Behörden zu bringen. Zum andern scheinen sie zu verkennen, dass gerade die Notverordnung wegen der infrage stehenden fundamentalen Rechtsgüter und der Dringlichkeit des Handelns von den Rechtsunterworfenen aus Einsicht in die Notlage ebenso befolgt wird, wie die Regelordnung ausserhalb des Notstandes ohne ausdrückliche Kenntnisse von Gesetzestexten befolgt wird (vgl. dazu Towfigh, Komplexität und Normenklarheit – oder: Gesetze sind für Juristen gemacht, in: Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods, 22/2008 S. 22 f.). Im Gegensatz zu totalitären Staaten, die ihre verwaltungsrechtliche Ordnung hart und rücksichtslos durchsetzen, stellt der nach demokratischen Grundsätzen organisierte Rechtsstaat darauf ab, dass die Bevölkerung seinen Vorschriften grundsätzlich freiwillig und ohne Einsatz von Druckmitteln nach-kommt (Locher, Verwaltungsrechtliche Sanktionen, Rechtliche Ausgestaltung, Abgrenzung und Anwendbarkeit der Verfahrensgarantien, Zürcher Studien zum öffentlichen Recht Bd. 210, Zürich - Basel - Genf 2013, S. 6). Das bedeutet zugleich, dass im freiheitlichen Rechtsstaat die verwaltungsrechtliche Ordnung nicht wegen der allgegenwärtigen Kontroll- und Durchsetzungsmacht der Exekutive erzwungen ist, sondern diese befolgt wird, weil sich die Bevölkerung an die Gesetze hält. Demgegenüber tritt der Vollzug und die Kontrolle durch die Verwaltung und deren Unterstützung durch polizeiliche Kontrollen zur Durchsetzung der Rechtsordnung, wenn sie im Einzelfall nicht beachtet werden sollte, in den Hintergrund, auch wenn die Unterstützung durch die Polizei im Verwaltungsverfahren in der Rechtspraxis eine bedeutende Rolle einnimmt (Tiefenthal, Kantonales Polizeirecht der Schweiz, Zürich/Uster 2018, S. 127 f.). Funktional betrachtet stellen im Rechtsstaat die Verwaltung und die Polizei sicher, dass die Rechtsordnung im Sinn der Gleichbehandlung nicht nur befolgt, sondern auch – als ultima ratio und ausnahmsweise – zwangsweise durchgesetzt wird. Dass dafür die Mittel der Behörden nicht ausreichen sollten, wird indes zu Recht schon nicht ausdrücklich geltend gemacht. Dass das Verbot nicht lückenlos kontrolliert und in jedem Einzelfall rund um die Uhr rigoros durchgesetzt werden könnte, da den Behörden schon nicht alle Betriebe im Sinn von § 2a VCov19 bekannt sind, wie die Antragsstellerinnen behaupten, ändert folglich nichts an der erkannten Tauglichkeit der Massnahme für den erwarteten Zielbeitrag.

(…)

6.2.1.7.
Zusammenfassend besteht in Erotik- und Sexbetrieben im Sinn von § 2a VCov19 eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Die Massnahme, die Erotik- und Sexbetriebe zu schliessen, ist vor diesem Hintergrund geeignet, die Verbreitung des Coronavirus einzuschränken, d.h. die Zahl der Neuansteckungen zu reduzieren und so die öffentliche Gesundheit zu schützen.

6.2.2.
Ein Eingriff muss mit Blick auf das im öffentlichen Interesse angestrebte Ziel erforderlich sein. Die Erforderlichkeit oder Notwendigkeit ist gegeben, wenn keine weniger belastende, die geschützten Rechte schonendere Massnahme zum Ziel führen würde (vgl. BGE 119 Ia 348 E. 2a). Eine Massnahme hat mit anderen Worten zu unterbleiben, wenn eine gleich geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreichen würde (Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 527). Zu prüfen ist, ob es mildere Massnahmen gibt, die gleich geeignet sind, die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern und Übertragungsketten zu unterbrechen.

6.2.2.1.
Die Antragsstellerinnen nehmen den Standpunkt ein, Ziel der Massnahmen gemäss der VCov19 sei nicht ein vollständiger Ausschluss der Infektionsgefahr, sondern deren Minimierung. Dieses Ziel könne auch mit Hygienekonzepten und der Erhebung von Kontaktdaten – wozu sie bereit seien – erreicht werden, womit die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe sachlich nicht erforderlich sei. In der Replik weisen sie sodann darauf hin, die Erhebung von Kontaktdaten könne, entgegen der Auffassung des Regierungsrats, nicht als illusorisch bezeichnet werden, da beispielsweise der Kanton Zürich genau dies mache.

6.2.2.2.
(…) Ob eine Massnahme notwendig ist, hängt von zahlreichen Aspekten ab, die von Kanton zu Kanton unterschiedlich ausgeprägt sein können. Der Regierungsrat des Kantons Luzern befolgt bezogen auf die Erotik- und Sexbetriebe gerade nicht den Ansatz, die Infektionsgefahr bloss so gut wie möglich zu minimieren. Vielmehr entschied er sich dafür, in Teilbereichen das öffentliche Leben und Teile der Wirtschaft mit einzelnen Massnahmen für eine gewisse Zeit zusätzlich zum Bund einzuschränken oder eben ganz zu untersagen. (…) In Erotik- und Sexbetrieben finden naturgemäss überwiegend ein enger und eine gewisse Zeit andauernder Körperkontakt sowie körperliche Anstrengungen statt. Damit ist durch die Atmung ein erhöhter Tröpfchen- und Aerosole-Ausstoss verbunden. Dies im Gegensatz zu den von den Antragsstellerinnen genannten (nur) körpernahen Dienstleistungen wie Tattoo- und Kosmetikstudios, Massagesalons, Physiotherapie- und Akupunkturbehandlungen und Coiffeursalons. Daran können weder die Erhebung der Kontaktdaten noch ein ausführliches Schutzkonzept, wie es die Antragsstellerinnen mit ihrer Eingabe vom 4. Dezember 2020 geltend machten und nachreichten, etwas ändern. Solche Massnahmen könnten erst dann allenfalls als mildere Massnahme geprüft werden, wenn die Ansteckungszahlen im Kanton Luzern deutlich zurückgehen und auch wieder ausreichende Kapazitäten an freien Spitalbetten zur Verfügung stehen. Gemessen an der gegenwärtig gewählten, vollständigen Verhinderung der Übertragung in Erotik- und Sexbetrieben stellen sämtliche Schutzmassnahmen (wie z.B. Schutzkonzepte mit Maskentragen, Lüften, Hände desinfizieren, Aufenthaltsdauer beschränken etc.) weniger geeignete Massnahmen dar. Eine Massnahme gilt nämlich nur als milderes Mittel im Sinn von Art. 36 Abs. 3 BV, wenn sie gleich geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen (Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 527; Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 21 N 7). Gleich verhält es sich mit einer zeitlichen Einschränkung der Öffnungszeiten auf 6.00 bis 23.00 Uhr. Damit kann zwar die Anzahl der Kontakte durch die Inanspruchnahme von Dienstleistungen aus den als übertragungsgefährlich identifizierten Gewerbebetrieben reduziert werden, was mit einer Verminderung der Anzahl zu erwartender Neuinfektionen einhergeht. Doch gilt auch hier, dass die verordnete Massnahme mit Null Neuansteckungen (von Dienstleistenden und Kunden) aus dem Bereich der geschlossenen Betriebe mit einer blossen Reduktion der Begegnungen nicht erreicht werden kann. Die zeitliche Einschränkung kann deshalb nicht als mildere Massnahme in Sinn von Art. 36 Abs. 2 BV gelten.

6.2.2.3.
Die Antragsstellerinnen machen weiter geltend, es sei nicht notwendig, dass die Massnahme bis 31. Januar 2021 gelte und allenfalls noch verlängert werde (KG amtl.Bel. 1 S. 7).

Gemäss Art. 40 Abs. 3 EpG dürfen die Massnahmen der kantonalen Behörden nur so lange dauern, wie es notwendig ist, um die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit zu verhindern, und sie sind regelmässig zu überprüfen. Mit Blick auf die aktuell geltende besondere Lage im Sinn von Art. 6 EpG und da heute nicht absehbar ist, wann die Behörden und die kantonalen Träger der Gesundheitsversorgung wieder in der Lage sein werden, die Verbreitung des Corona-Virus zu verhüten und ausreichend zu bekämpfen, kann die Frage, ob die Massnahme bis zum 31. Januar 2021 erforderlich ist, im jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden. Wie der Regierungsrat in der Vernehmlassung festhält, liegt eine funktionierende Wirtschaft im Interesse des Kantons. Seine Erklärung, die einschränkenden Massnahmen für die Bevölkerung und einzelne Branchen nicht länger als notwendig aufrechtzuerhalten (KG amtl.Bel. 5 S. 13), nimmt diese Interessenlage als Motiv auf und entspricht einer gesetzeskonformen Ausübung der mit dem Epidemiengesetz delegierten Befugnis, ausnahmsweise auch schwerwiegende Massnahmen beschränkt auf die Dauer der Notlage anzuordnen.

Zu ergänzen ist, dass die Frage der Vereinbarkeit des kantonalen Rechts, d.h. die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe, mit dem übergeordneten Recht von Art. 40 Abs. 3 EpG (vgl. Art. 49 Abs. 1 BV) im Fall der Beanstandung einer übermässigen Dauer zu einem späteren Zeitpunkt auch noch vorfrageweise im Rahmen einer sog. konkreten oder inzidenten Normenkontrolle geprüft werden würde. Zeigte sich dann, dass die streitbetroffene, generell-abstrakte Norm ganz oder teilweise übergeordnetem Recht widerspricht, bliebe diese zwar in Kraft, doch wäre der darauf beruhende Anwendungsakt aufzuheben (vgl. BGer-Urteil 2C_875/2016 vom 10.10.2016 E. 1.2.5 mit Hinweisen).

6.2.2.4.
Sind demnach keine milderen Massnahmen geltend gemacht und ersichtlich, die gleich geeignet sind, die Verbreitung des Coronavirus in Erotik- und Sexbetrieben zu verhindern, erweist sich deren Schliessung als für das Ziel, dass keine Neuansteckungen aus dem Kontakt von Kunden und Anbieterinnen in den besagten Betrieben erfolgen, erforderlich.

6.2.3.
Damit eine Einschränkung von verfassungsmässigen Rechten zumutbar ist, muss zwischen dem an-gestrebten Ziel und dem Eingriff ein vernünftiges Verhältnis bestehen. Es sind hierzu die vorstehend umschriebenen öffentlichen Interessen am Schutz der Gesundheit und der Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus den tangierten öffentlichen und privaten Interessen gegenüberzustellen. Hierzu zählen insbesondere die Wirtschaftsfreiheit, die privaten Interessen der Betroffenen an der freien Aus-übung ihrer Erwerbstätigkeit sowie die Rechtsgleichheit nach Art. 8 BV.

6.2.3.1.
Die Wirtschaftsfreiheit beinhaltet namentlich die freie Wahl des Berufs sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung (Art. 27 Abs. 2 BV; BGE 142 I 162 E. 3.2.1, 141 V 557 E. 7.1 mit Hinweis). Geschützt ist jede gewerbsmässig ausgeübte, privatwirtschaftliche Tätigkeit, die der Erzielung eines Gewinnes dient, und zwar in allen ihren Erscheinungsformen (BGE 140 I 218 E. 6.3). Die Wirtschaftsfreiheit steht natürlichen und juristischen Personen gleich-ermassen zu (BGE 142 I 162 E. 3.2, BGE 140 I 218 E. 6.3). Während Art. 27 BV den individualrechtlichen Gehalt der Wirtschaftsfreiheit schützt, sieht Art. 94 Abs. 1 BV als konstitutiv-institutionelles Gegenstück vor, dass sich Bund und Kantone an die Wirtschaftsfreiheit zu halten haben. Verhindert werden sollen staatliche Massnahmen, die darauf ausgerichtet sind, das Wirtschaftsleben nach einem festen Plan zu lenken (BGE 131 I 223 E. 4.2, 116 Ia 345 E. 5) oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen (BGE 138 I 378 E. 8.3; BGer-Urteil 2C_109/2017 vom 3.7.2018 E. 5.2). Einschränkungen der Wirtschaftsfreiheit sind neben den Voraussetzungen von Art. 36 BV nur zulässig, wenn sie nicht vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen und Gründe für die Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit nicht bloss vorgeschoben sind (Art. 94 Abs. 4 BV; BGE 142 I 162 E. 3.2.2 und 3.5). Was Kerngehalt der Wirtschaftsfreiheit ist, ist umstritten. Während das Bundesgericht die Frage nach einer eigenständigen Bedeutung des Kerngehalts offenliess (vgl. BGE 136 I 17 E. 4.5), kann eine Verletzung des Kerngehalts darin gesehen werden, wenn der Staat in vielen Bereichen des Wirtschaftsgeschehens den Marktmechanismus beseitigt, sodass der Privatwirtschaft kaum mehr sinnvolle Betätigungsfelder bleiben oder die Vertragsfreiheit ausgehöhlt wird (Uhlmann, Basler Komm., Basel 2015, Art. 27 BV N 55 mit Hinweisen).

6.2.3.2.
Mit der Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe wird die bisherige privatwirtschaftliche Erwerbstätigkeit der Anbieterinnen von Erotik- und Sexdienstleistungen in Betrieben unterbunden. M.a.W. wird ihnen mit der Schliessung die freie Ausübung ihrer aktuellen Erwerbstätigkeit entzogen. Dies stellt einen schwerwiegenden staatlichen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit derjenigen dar, die in diesem Bereich ihre Geschäftstätigkeit ausüben. Der Eingriff bewirkt in vielen Fällen den weitgehenden Entzug der wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeit mit existenzbedrohender Wirkung.

Diesem gravierenden Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit ist das öffentliche Interesse am Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung des Coronavirus gegenüberzustellen. Die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit durch die Ansteckung mit dem Coronavirus, das zum "severe acute respiratory syndrome" Sars führen kann, ist für viele Menschen lebensgefährlich. Die Behandlung der Patienten mit schwerem Verlauf erfordert stationäre Pflege in den Intensivstationen von Spitälern und den Einsatz von nur begrenzt vorhandenen technischen und personellen Mitteln. Aufgrund der Erfahrungen ist bekannt, dass bei einer raschen Verbreitung des Corona-Virus die Anzahl der Patienten mit schwerem Verlauf massiv und mit einer Geschwindigkeit ansteigt, welche dazu führt, dass die Ressourcen der Spitäler, inklusive des Medizinalpersonals, in einem Mass belastet werden, das die pflichtgemässe Behandlung und Pflege gefährdet. Der Kerngehalt des Rechts auf Leib und Leben wäre deshalb vor allem dann tangiert, wenn bei einer Systemüberlastung durch Triage-Entscheid einzelne Patienten der rein palliativen Pflege zugewiesen werden müssten. Indem der Regierungsrat mit der Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe einen Anteil von Neuansteckungen aus diesem Dienstleistungssegment von vornherein ausschliesst, schafft er einen Beitrag dazu, dass weniger Neuansteckungen resultieren.

Die Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit zum Nachteil des Wirtschaftszweigs, der mit dem Betrieb von Erotik- und Sexbetrieben verbunden ist, dient deshalb dem Schutz des Rechtsguts Leib und Leben. (…) Werden die Interessen am Schutz der öffentlichen Gesundheit und von Leib und Leben mit der Verpflichtung zur Gewährleistung eines funktionierenden Gesundheitssystems dem Gewicht der Massnahme im Kontext ihres Anteils an der gesamten Wirtschaft entgegengestellt, muss dem öffentlichen Interesse, die pandemische Situation unter Kontrolle zu halten, der Vorrang gebühren.

Das private Interesse an der möglichst ungehinderten Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit als Betreiber von oder Dienstleistungsanbieterin in Erotik- und Sexbetrieben darf im Übrigen vorliegend nicht mit seinem gesamten Gewicht in die Abwägung einbezogen werden, geht es doch nicht um einen definitiven Ausschluss, sondern lediglich um ein zeitlich knapp befristetes Regime. Unter dem Blickwinkel, dass die Schliessung als Reaktion auf eine Notlage erlassen wurde (vgl. E. 3.1) und zeitlich befristet ist, erweist sich umso mehr, dass der Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit zwar im Einzelfall hart treffen mag, aber mit Blick auf die übergeordneten Interessen zumutbar ist.

6.2.3.3.
(Darstellung der Massnahmenpakete und Härtefallgelder zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen)

6.2.4.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe zwar einen schweren Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellt. Jedoch vermag das private Interesse an möglichst ungehinderter Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit in solchen Betrieben wegen des überwiegenden Interesses an der mit der Massnahme angestrebten Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit und einer funktionierenden Gesundheitsversorgung nicht zu überwiegen, zumal es sich um einen auf wenige Monate befristeten Eingriff handelt, der von Gesetzes wegen gemildert werden muss, so-bald die Verhältnisse es erlauben. Kommt hinzu, dass die wirtschaftlichen Folgen gemildert werden sollen.

7.
7.1.
Die Antragsstellerinnen rügen weiter eine Verletzung der Rechtsgleichheit nach Art. 8 BV.

Das Rechtsgleichheitsgebot stellt ein verfassungsmässiges Recht dar und ist nicht nur bei der Rechtsanwendung, sondern auch bei der Rechtssetzung zu beachten. Ein Erlass verstösst nach der Rechtsprechung gegen das Gebot der Rechtsgleichheit in der Rechtsetzung, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die kein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen, wenn also Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird (BGE 145 II 206 E. 2.4.1). Die ungerechtfertigte Gleich- bzw. Ungleichbehandlung muss sich auf eine wesentliche Tatsache beziehen. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen besteht, kann zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet werden. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Gestaltungsspielraum (BGE 145 II 206 E. 2.4.1, 143 V 139 E. 6.2.3 mit zahlreichen Hinweisen). Schematische oder typisierende Regelungen verletzen die Rechtsgleichheit nicht, sofern sie sich aus technischen oder praktischen Gründen aufdrängen und nicht zu unbilligen Ergebnissen führen (Tschannen/Zimmerli/Müller, a.a.O., § 23 N 9). Träger des Grundrechts sind natürliche und juristische Personen des Privatrechts. In örtlicher Hinsicht bezieht sich das Rechtsgleichheitsgebot immer nur auf den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Gebietskörperschaft, deren Rechtsakte in Frage stehen. Aus der föderalistischen Staatsstruktur ergibt sich, dass die Kantone in ihrem Zuständigkeitsbereich für dieselbe Materie sowohl unterschiedliche Regelungen aufstellen als auch vom Bundesrecht gewährte Ermessens- und Gestaltungsspielräume verschieden nutzen können (Waldmann, in: Basler Komm., Basel 2015, Art. 8 BV N 25).

7.2.
Die Antragsstellerinnen erblicken eine Verletzung der Rechtsgleichheit nach Art. 8 BV darin, dass die Erotik- und Sexbetriebe geschlossen werden, die Strassenprostitution aber weiterhin zulässig ist, obwohl dabei eine identische Dienstleistung angeboten werde. Auch im Vergleich zu anderen körpernahen Dienstleistungen und Dienstleistungsbetrieben, wie etwa Tattoo- und Kosmetik-Studios, Coiffeure, Massagen, Physiotherapien oder Akupunktur, sei eine Ungleichbehandlung gegeben. Sodann liege in Bezug zu den Erotik- und Sexbetrieben in anderen Kantonen, die nicht geschlossen worden seien, eine Ungleichbehandlung direkter Konkurrenten vor, die sowohl das Rechtsgleichheitsgebot als auch die Wirtschaftsfreiheit verletze. Verschiedene Gerichte in Deutschland hätten deshalb ein totales Prostitutionsverbot für verfassungswidrig angesehen.

7.3.
7.3.1.
Vorab ist festzuhalten, dass nicht von Belang ist, was in anderen Kantonen gilt, weil sich das Rechtsgleichheitsgebot – wie erwähnt – immer nur auf den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Gebietskörperschaft bezieht, deren Rechtsakte in Frage stehen. Noch viel weniger ist deshalb massgeblich, was ausländische Gerichte im Zusammenhang mit umfassenden Prostitutionsverboten entschieden haben, zumal vorliegend gerade kein solches Verbot angefochten ist. Mit Bezug auf die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe gemäss § 2a VCov19 ist deshalb die Wahrung des Rechtsgleichheitsgebots allein im Zuständigkeitsbereich des Kantons Luzern zu prüfen.

7.3.2.
Die Antragsstellerinnen verfechten mit ihren Beispielen die Auffassung, dass, wenn Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich behandelt werden muss, ihre Betriebe nicht geschlossen werden dürften, weil ja die Strassenprostitution ausgeübt werden dürfe oder andere Anbieter körpernaher Dienstleistung weiterhin ihrer Geschäftstätigkeit nachgehen dürften. Sie behaupten damit sinngemäss, diese Tätigkeiten brächten den gleich grossen Anteil an Neuansteckungen mit sich, wie im Rahmen von Dienstleistungen in den Erotik- und Sexbetrieben, sodass die Auswahl, gerade diese Betriebe zu schliessen, eine Ungleichbehandlung bedeute.

Wie ausgeführt (vgl. vorne Ziff. 6.2.2.2) entschied sich der Regierungsrat, von allen öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben allein die Erotik- und Sexbetriebe für beschränkte Dauer vollständig zu schliessen. Vor dem Hintergrund des Interesses an einer funktionierenden Wirtschaft und der Pflicht, die mildest möglichen Eingriffe vorzunehmen, hat der Regierungsrat diese Auswahl aus der ganzen Vielfalt von öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben unter sorgfältiger Abwägung des Zielbeitrags vornehmen müssen. Nun wird unter dem Gesichtswinkel der rechtsgleichen Behandlung unterstellt, die Strassenprostitution und andere köpernahe Dienstleistungen würden die Verbreitung des Coronavirus in vergleichbarem Mass mit sich bringen wie die Erotik- und Sexbetriebe. Abgesehen davon, dass eine Begründung für diese Annahme fehlt, geht der Vergleich der Erotik- und Sex-betriebe mit anderen Betrieben und Dienstleistungen insofern fehl, als diese zwar allenfalls bezogen auf gewisse Umstände, welche die Verbreitung des Virus begünstigen (ungenügender Abstand, Berührungen, Kontaktstellenkontamination oder Dienstleistungserbringung in geschlossenen Räumen), mit denjenigen der Dienstleistungserbringung in den Erotik- und Sexbetrieben übereinstimmen. Sie unterscheiden sich aber zugleich in für die Verbreitung des Virus wesentlichen Aspekten: Die Dienstleistungen der Strassenprostitution finden nicht in Betrieben im Sinn von § 2a VCov19 statt. Frequenz der Kundenkontakte und die Dauer der Begegnungen unterscheiden sich ebenso wie die Räume wechseln, in denen die Geschäfte abgewickelt werden. Die Verbreitung des Virus wird deshalb bei der Strassenprostitution von vornherein weniger begünstigt, als bei der betrieblichen Abwicklung von Erotik- und Sexdienstleistungen.

7.3.3.
(…) Der wesentliche Unterschied zu den anderen körpernahen Dienstleistungen liegt indes im gänzlich fehlenden Abstand bzw. dem engen, eine gewisse Zeit andauernden Körperkontakt in Kombination mit körperlicher Betätigung. Bei den anderen körpernahen Dienstleistungen kommt es nicht zu einem solch engen Körperkontakt und die Leistungen sind für den Kunden oder die Kundin in der Regel nicht körperlich anstrengend (Kosmetik-und Tattoostudios, Coiffeursalons, Massagesalons usw.), sodass der Ausstoss von Tröpfchen und Aerosolen nicht erhöht wird. Bei Physiotherapiebehandlungen, die unter Umständen körperlich anstrengend sein können, kann bei solchen Übungen der Abstand zwischen Therapeut und Kunde besser eingehalten werden. Das gegenseitige Tragen von Gesichtsmasken ist – ausser für die Kundin oder den Kunden in Kosmetikstudios bei Gesichtsbehandlungen – problemlos möglich. Auch die Kontaktdatenerhebung ist in diesen Betrieben absolut unproblematisch, was für Sex- und Erotikbetriebe aufgrund des hohen Anonymitätsbedürfnisses der Kunden nicht im gleichen Ausmass gelten kann. Damit unterscheiden sich die Sex- und Erotikbetriebe für die hier zu beurteilende Frage entscheidend von anderen körpernahen Betrieben, weshalb sich die Ungleichbehandlung – temporäre Schliessung auf der einen Seite, erhöhte Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen auf der anderen Seite – auf sachliche Kriterien stützt und damit rechtmässig ist. Was die Strassenprostitution betrifft, kann auf das in E. 7.3.2 Erwogene verwiesen werden. Auch hier gibt es – wenn auch in geringerem Ausmass – für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt doch entscheidende und damit zu beachtende sachliche Unterschiede, was eine Ungleichbehandlung rechtfertigt.

7.3.4.
Geht es um die Selektion bestimmter Massnahmen in bestimmten Wirtschaftszweigen und -branchen, ist auch die gesamtwirtschaftliche Bedeutung eines Gewerbes relevant. Auf dieser Ebene unterscheiden sich die Erotik- und Sexdienstleistungsanbieter ebenfalls von den übrigen körpernahen Dienstleistungsbetrieben:

Denn die Erotik- uns Sexbetriebe sind bezüglich Branchengrösse und des Anteils an der wirtschaftlichen Gesamtleistung im Kanton Luzern gegenüber den übrigen körpernahen Dienstleistungsanbietern erheblich weniger bedeutsam. Wird der Zielbeitrag an die angestrebte Abbremswirkung, der durch die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe erzielt werden kann, demjenigen gegenübergestellt, der mit der Schliessung der körpernahen Dienstleistungsanbieter insgesamt resultiert, unterscheiden sich die Bereiche. Schon aufgrund der erwähnten äusseren Rahmenbedingungen der Dienstleistungserbringung ist von der Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe ein grösserer Beitrag zur Reduktion der Neuansteckungen zu erwarten. Sodann unterscheiden sich die Bereiche mit Blick auf den mit der Schliessung verbundenen gesamtwirtschaftlichen Schaden. Denn sowohl die Anzahl der Betriebe als auch die Arbeitnehmerzahlen unterscheiden sich erheblich (von den ca. 840 Betrieben mit personenbezogenen Dienstleistungen mit Körperkontakt, die im April 2020 wegen Corona schliessen mussten [vgl. https://www.bfs.admin. ch/bfs/de/home/statistiken/industriedienstleistungen/unternehmenbeschaeftigte/wirtschaftsstruktur-unternehmen.assetdetail.12927653.html], machen die Sexbetriebe ca. 110 Betriebe aus [vgl. Botschaft zu den Regelungen für das Sexgewerbe [B 151] vom 27.11.2018, S. 5]).

7.3.5.
Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung ist unter diesen Umständen bei der Einstellung der Wirtschaftstätigkeit für die Branche der Erotik- und Sexbetriebe jedenfalls dann gewahrt, wenn die Auswahl, welche Massnahmen bei welchem Wirtschaftszweig angeordnet werden, um die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern, nach den gleichen, sachlichen Kriterien vorgenommen wurde. Dafür, dass die Regierung diesbezüglich ungleiche oder unsachliche oder gar willkürliche Kriterien angewendet hätte beim Entscheid, die Erotik- und Sexbetriebe temporär zu schliessen, gibt es keine Anzeichen. Demnach ist die Rechtsgleichheit auch nicht durch den Umstand verletzt, dass die Erotik- und Sexbetriebe geschlossen wurden, die Strassenprostitution aber weiterhin erlaubt ist und die Betriebe der körpernahen Dienstleistungen unter der Einhaltung von Schutzkonzepten weiterhin geöffnet bleiben.

Mit der angeordneten Schliessung wurde demnach das Gebot der Rechtsgleichheit bei der Rechtssetzung ebenso wenig verletzt wie das Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen als Ausprägung der rechtsgleichen Behandlung im Rahmen der Wirtschaftsfreiheit.

7.4.
Die Wahl der Strategie, wie die epidemische Krise bewältigt werden soll, in welchen Bereichen des öffentlichen Lebens und der Volkswirtschaft welches Risiko der Verbreitung des Coronavirus eingegangen wird, sowie die Auswahl der Massnahmen zur Erreichung der definierten Ziele sind der Exekutive übertragen. Der Regierungsrat verfügt deshalb gerade im Rahmen des Polizeinotrechts über einen erheblichen Ermessensspielraum. Das Gericht auferlegt sich schon aus Gründen der Gewaltentrennung bei der Überprüfung der erlassenen Massnahmen Zurückhaltung, denn Wahl und Gestaltung von Massnahmen sind der Gerichtsbarkeit, die im Normenkontrollverfahren allein die Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht zu prüfen hat, entzogen.

Unter Berücksichtigung, dass es sich vorliegend nicht um eine für Leib und Leben zwingend notwendige Dienstleistung handelt, die angeordnete Massnahme die Bevölkerung des Kantons als Gesamtheit nicht besonders einschneidend trifft, sie aber doch einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus leisten kann, erweist sich die befristete Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe als vertretbar.

8.
Nach alledem kann sich die Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe als befristete Massnahme auf eine genügende gesetzliche Grundlage stützen, sie liegt im öffentlichen Interesse und ist verhältnismässig. Sie erfasst alle Anbieter von Dienstleistungen der Erotik- und Sexbranche, die in ihren Räumen Kunden bedienen, unterschiedslos, sodass insofern die Gleichbehandlung von Gewerbegenossen und zugleich die Rechtsgleichheit gewahrt ist. Soweit die angefochtene temporäre Schliessung der Erotik- und Sexbetriebe heute zu prüfen ist, erweist sie sich demnach als mit dem übergeordneten Recht vereinbar. Der Antrag der Antragsstellerinnen auf Aufhebung von § 2a VCov19 ist deshalb abzuweisen.

(Kostenfolgeregelung und Abweisung des Antrags auf Aufhebung von § 2a VCov19)