Drucken

Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:2. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:03.09.2021
Fallnummer:3C 21 11
LGVE:LGVE 2021 II Nr. 7
Gesetzesartikel:Art. 271 und 276 ZPO.
Leitsatz:Entgegennahme einer als Eheschutzgesuch bezeichneten Eingabe als Gesuch um vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 276 ZPO während eines hängigen Scheidungsprozesses.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.
Entscheid:
Aus den Erwägungen:

4.1.
Zunächst ist festzuhalten, dass ein Eheschutzgesuch grundsätzlich nicht mehr anhängig gemacht werden kann, wenn der Scheidungsprozess hängig ist. In einem solchen Fall hat das Scheidungsgericht gemäss Art. 276 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) die nötigen Massnahmen zu treffen. Aus den Akten ist erkennbar, dass die Gesuchstellerin Kenntnis davon hatte, dass der Gesuchsgegner den Scheidungsprozess anhängig gemacht hatte. Soweit sie dabei geltend macht, die vom Gesuchsgegner eingereichte Scheidungsklage sei wohl erfolglos, verhilft ihr dieses Argument nicht, die Zuständigkeit des Eheschutzrichters zu begründen. Ob die Voraussetzungen einer Scheidung gestützt auf Art. 115 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) erfüllt sind, hat letztlich das Gericht zu entscheiden. Mit dem Einreichen der Scheidungsklage ist die Zuständigkeit des Eheschutzrichters grundsätzlich weggefallen. Streng genommen dürfte auf das Eheschutzgesuch daher nicht eingetreten werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Scheidungsgericht das als Eheschutzgesuch bezeichnete Gesuch als solches um vorsorgliche Massnahmen behandeln kann bzw. muss.

Eheschutzverfahren und vorsorgliche Massnahmen verfolgen ähnliche Ziele. Dabei sollen die notwendigen Massnahmen während des Getrenntlebens der Ehegatten im Rahmen eines schnellen Verfahrens geregelt werden (Art. 175 ff. ZGB sowie Art. 276 Abs. 1 ZPO). Wie bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels die Konversion möglich ist (vgl. dazu vorgehend E. 2.2), stellt sich hier grundsätzlich dieselbe Frage. Ein solches Vorgehen ist aber nur zulässig, wenn dadurch die Rechte der Gegenpartei nicht beeinträchtigt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Es gilt für beide Verfahren das summarische Verfahren (Art. 271 und Art. 276 Abs. 1 ZPO). Zudem bleibt die örtliche Zuständigkeit bestehen, ist doch das Eheschutzgesuch am Gericht eingereicht worden, an dem bereits der Scheidungsprozess hängig ist. Gleiches gilt für eine allfällige künftige Aufhebung oder Abänderung der vom Eheschutzgericht oder dem Massnahmengericht getroffenen Massnahmen (Art. 276 Abs. 2 ZPO). Ebenfalls ist für beide Verfahren der Einzelrichter zuständig (§ 35 Abs. 1 lit. c des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und Behörden in Zivil-, Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren [JusG; SRL Nr. 260]). Der Eheschutz- und der Massnahmenrichter haben grundsätzlich die gleichen Kompetenzen. Die im vorliegenden Eheschutzgesuch gestellten Anträge können auch vom Massnahmenrichter getroffen werden. Schliesslich würde ein allfälliger Rückzug der Scheidungsklage nicht dazu führen, dass das Massnahmengesuch dahinfällt (Leuenberger, in: FamKomm. Scheidung [Hrsg. Schwenzer/Frankhauser], Bern 2017, Anh. ZPO Art. 276 N 12; BGE 137 III 614).

4.2.
Zusammenfassend gibt es vorliegend keine überzeugenden Gründe, die als Eheschutzgesuch bezeichnete Eingabe nicht als Gesuch um vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 276 ZPO entgegenzunehmen. Ganz im Gegenteil: Ein Nichteintretensentscheid wäre als überspitzt formalistisch zu betrachten. Nachteile, welche der Gesuchsgegner bei der vorliegenden Beurteilung hätte, sind keine ersichtlich. Ein Nichteintreten auf das Eheschutzgesuch würde mit grösster Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Gesuchstellerin gestützt auf Art. 276 ZPO ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen einreichen würde. Eine erneute Eingabe würde zu mehr Aufwand und höheren Kosten führen. Im Übrigen ist es auch im Rahmen eines Massnahmengesuchs durchaus möglich, eine Vereinbarung zu treffen, nachdem gemäss Art. 273 ZPO i.V.m. Art. 276 ZPO das Gericht eine mündliche Verhandlung durchführen muss. Die Berufung des Gesuchsgegners gegen den Zwischenentscheid vom 19. Juli 2021 wird daher abgewiesen.