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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Administrativmassnahmen
Entscheiddatum:10.02.2021
Fallnummer:7H 21 18
LGVE:2021 IV Nr. 13
Gesetzesartikel:Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG; Art. 33 Abs. 1 VZV, Art. 33 Abs. 4 lit. a VZV.
Leitsatz:Sicherungsentzugs wegen wiederholten Rückfalls. Umfang des Sicherungsentzugs und Ermessen der Behörden (E. 3.3). Vorliegend integraler Sicherungsentzug auch der Spezialkategorien G und M (E. 4).

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
BGer-Urteil 1C_152/2021 vom 19.10.2021.
Entscheid:Sachverhalt (gekürzt)

A.________ (geb. ________1962) lenkte am 20. August 2020 um 17.06 Uhr den Lieferwagen mit dem Kennzeichen LU B.________ auf der Willisauerstrasse in Alberswil in Fahrtrichtung Alberswil Dorf. Zu diesem Zeitpunkt führte die Luzerner Polizei auf Höhe Willisauerstrasse 14 eine Geschwindigkeitskontrolle durch. Bei A.________ ergab die Messung eine Überschreitung der gesetzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 60 km/h um 27 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h).

Am 24. Oktober 2020 lenkte A.________ den gleichen Lieferwagen auf der Autobahn A2 von Reiden herkommend in Fahrtrichtung Sursee. Auf der Ladebrücke transportierte er ein Quad-Fahrzeug. Eine hinter ihm fahrende Polizeipatrouille stellte fest, dass das Quad-Fahrzeug einzig mit einer Spanngurte an der Front gesichert war. Des Weiteren waren die beiden Metall-Laderampen gegen ein Wegrutschen weder festgezurrt noch auf andere Weise gegen einen Verlust bei der Fahrt gesichert.

Mit Strafbefehl vom 5. November 2020 wurde A.________ von der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 3 Sursee, wegen mehrfacher Verletzung der Verkehrsregeln (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit; pflichtwidrig ungenügende Sicherung der Ladung) schuldig gesprochen. Am 21. Dezember 2020 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern dem Beschwerdeführer den Führerausweis auf unbestimmte Zeit, mindestens aber zwei Jahre, ab Zustellung der Verfügung. Damit wurde ihm das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien, Unterkategorien und Spezialkategorien (inkl. G und M) sowie von Schiffen untersagt. Die Wiedererteilung des Führerausweises nach Ablauf der Mindestentzugsdauer machte das Strassenverkehrsamt von einem positiven verkehrspsychologischen Gutachten abhängig. Sodann entzog es einer allfälligen Verwaltungsgerichtsbeschwerde die aufschiebende Wirkung.

Gegen diese Verfügung erhob A.________ am 19. Januar 2021 Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Aus den Erwägungen:

3.
3.1.
Gemäss Art. 14 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) müssen Motorfahrzeugführer über Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen. Über Fahreignung verfügt, wer das Mindestalter erreicht hat, die erforderliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen hat, frei von einer Sucht ist, die das sichere Führen von Motorfahrzeugen beeinträchtigt, und nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr bietet, als Motorfahrzeugführer die Vorschriften zu beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht zu nehmen (Art. 14 Abs. 2 lit. a-d SVG). Über Fahrkompetenz verfügt, wer die Verkehrsregeln kennt und Fahrzeuge der Kategorie, für die der Ausweis gilt, sicher führen kann (Art. 14 Abs. 3 lit. a und b SVG).

Die gesetzliche Bewilligungspflicht verschafft den Behörden die Möglichkeit zu überprüfen, ob jemand die Polizeigüter wie namentlich Leib und Leben, Gesundheit, Ruhe und Ordnung als Lenker eines Fahrzeugs einer bestimmten Kategorie in einem Mass gefährdet, welches die Zulassung zur Teilnahme am öffentlichen Verkehr ausschliesst. Seiner Rechtsnatur als Polizeierlaubnis entsprechend, besteht auf Erteilung eines Führerausweises ein Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. u.a. Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 15 119 vom 5.6.2015 E. 2.1; Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, N 2650 f.). Wenn aber festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen, sind gemäss Art. 16 Abs. 1 SVG Ausweise und Bewilligungen zu entziehen bzw. ist die Abklärung der Fahreignung vornehmen zu lassen (Art. 15d Abs. 1 SVG). Bei der Anordnung einer solchen Massnahme ist – wie bei allem staatlichen Handeln – das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten (Art. 5 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101]; Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 517 mit Hinweisen).

3.2.
Führerausweise sind mangels Fahreignung auf unbestimmte Zeit zu entziehen (sog. Sicherungsentzug), wenn der Lenker aufgrund seines bisherigen Verhaltens keine Gewähr bietet, dass er künftig beim Führen eines Motorfahrzeugs die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen wird (Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG). Anzeichen hierfür bestehen insbesondere, wenn Charaktermerkmale des Betroffenen, die für die Eignung im Verkehr erheblich sind, darauf hindeuten, dass er als Lenker eine Gefahr für den Verkehr darstellt. Ob dies der Fall ist, ist in der Regel mittels psychologischem Gutachten abzuklären (vgl. Weissenberger, Komm. zum Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl. 2015, Art. 16d SVG N 40).

Eine Ausnahme bildet die Situation des rückfälligen Lenkers. Gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG wird der Führerausweis nach einer mittelschweren Widerhandlung für unbestimmte Zeit, mindestens aber für zwei Jahre entzogen, wenn in den vorangegangenen zehn Jahren der Ausweis dreimal wegen mindestens mittelschwerer Widerhandlungen entzogen war. Somit handelt es sich beim Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit nach wiederholtem Rückfall um einen Sicherungsentzug, da dieser auf einer unwiderlegbaren gesetzlichen Vermutung der fehlenden Fahreignung beruht (BGE 141 II 220 E. 3.2 i.V.m. E. 3.3.4). Anders gewendet, der fehlbare Lenker gilt von Gesetzes wegen als fahrunfähig, ohne dass das Fehlen der charakterlichen Eignung überhaupt noch gutachterlich abgeklärt werden müsste (vgl. Botschaft des Bundesrats zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 31.3.1999, in: BBl 1999 4490 f.; vgl. BGE 139 II 95 E. 3.4.3 [Pra 2013 Nr. 83]; s. auch BGer-Urteil 6A.105/2002 vom 21.3.2003 E. 3.2.4; Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 20 96 vom 19.1.2021 E. 4.2; Weissenberger, a.a.O., Art. 16d SVG N 43).

3.3.
Über den Umfang des Sicherungsentzugs spricht sich das SVG nicht aus. Diesbezügliche Bestimmungen finden sich im Verordnungsrecht. Nach Art. 33 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) hat der Entzug des Lernfahr- oder des Führerausweises einer Kategorie oder Unterkategorie den Entzug des Lernfahr- oder Führerausweises aller Kategorien, aller Unterkategorien und der Spezialkategorie F zur Folge. Die Entzugsbehörde kann mit einem solchen Entzug auch den Führerausweis der Spezialkategorien G und M entziehen (Art. 33 Abs. 4 lit. a VZV).

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wie auch nach Ansicht der Mehrheit der Literatur, hat ein Sicherungsentzug gestützt auf Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG, dessen Zweck es ist, den mehrfach rückfälligen, als öffentliche Gefahr geltenden Lenker, vom Verkehr auszuschliessen, in der Regel den Entzug aller Ausweiskategorien gemäss Art. 3 VZV zur Folge (BGer-Urteile 1C_6/2019 vom 23.4.2019 E. 3.2, 1C_531/2017 vom 13.4.2018 E. 2.2; Mizel, Droit et pratique illustrée du retrait du permis de condiure en particulier sous l'ange de la révision du 14 décembre 2001 de la loi fédérale sur la circulation routière et de la révision Via sicura du 15 juin 2012, Bern 2015, S. 553; Rütsche/D'Amico, Basler Komm., Basel 2014, Art. 16d SVG N 11; anderer Meinung: Weissenberger, a.a.O., Art. 16d SVG N 18).

Bei Art. 33 Abs. 4 lit. a VZV handelt es sich um eine Kann-Vorschrift. Eine solche Bestimmung räumt den rechtsanwendenden Behörden erhebliches Ermessen ein, welches diese pflichtgemäss auszuüben haben (vgl. betreffend Anordnung eines verkehrsmedizinischen Gutachtens: Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 20 255 vom 1.2.2021 E. 3.3 und 4.4).

4.
4.1.
Vor Erlass des aktuellen Sicherungsentzugs entzog das Strassenverkehrsamt dem Beschwerdeführer innerhalb der letzten sieben Jahre bereits dreimal den Führerausweis. Am 13. März 2014 für einen Monat wegen mittelschwerer Verletzung der Verkehrsregeln (Geschwindigkeitsüberschreitung, Ablenkung), am 9. Februar 2015 für sechs Monate wegen schwerer Verkehrsregelverletzung (Geschwindigkeitsüberschreitung) und am 8. April 2020 für einen Monat wiederum wegen mittelschwerer Verletzung der Verkehrsregeln (Geschwindigkeitsüberschreitung). Damit wurde dem Beschwerdeführer in den vorangegangenen zehn Jahren der Führerausweis dreimal wegen mindestens mittelschweren Widerhandlungen entzogen, weshalb automatisch die gesetzliche Folge gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG eintritt.

Strittig ist denn auch nicht der Sicherungsentzug an und für sich, da der Beschwerdeführer diesen ausdrücklich anerkennt. Er erachtet indes den integralen Entzug auch der Spezialkategorien G und M als nicht sachgerecht und unverhältnismässig.

4.2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, ohne seine Widerhandlungen zu verharmlosen, könne aus diesen nicht abgeleitet werden, dass ihm die Fahreignung auch für die Spezialkategorien G und M abzusprechen sei. Dagegen spreche insbesondere die Höchstgeschwindigkeit landwirtschaftlicher Fahrzeuge und Motorfahrräder von 30 km/h bzw. 40 km/h. Ihm ist zwar insoweit zuzustimmen, wonach mit Fahrzeugen, welche auf 30 km/h bzw. 40 km/h tempolimitiert sind, soweit sie denn nicht manipuliert sind, so hohe Überschreitungen der Höchstgeschwindigkeit, wie er sie begangen hat, kaum möglich sind. Geschwindigkeitsübertretungen sind jedoch – anders als er meint – nicht ausgeschlossen. In seiner Argumentation lässt er zudem ausser Acht, dass nicht nur mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen, sondern auch weitere Verletzungen der Verkehrsregeln, wie Kartenlesen während der Fahrt, Führen eines Telefonats ohne Freisprecheinrichtung und nicht zuletzt die ungenügende Sicherung der Ladung, zum vorliegenden Sicherungsentzug führten. Dabei handelt es sich um Verletzungen der Verkehrsregeln, die ebenso mit Fahrzeugen der Spezialkategorien G und M begangen werden können. Insbesondere das Risiko einer ungenügenden Ladungssicherung steht im Raum, denn wie das Strassenverkehrsamt zu Recht festhält, sind Fahrzeuge der Spezialkategorie G berechtigt zwei Anhänger zu ziehen, mit denen auch entsprechend Ladung transportiert werden kann. Zudem hat sich der Führer eines Fahrzeugs nach Art. 29 SVG i.V.m. Art. 57 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung (VRV; SR 741.11) zu vergewissern, ob die Ladung in vorschriftsgemässem Zustand und das Fahrzeug betriebssicher sind. Diese Kontrolle hat der Beschwerdeführer beim Transport des Quad-Fahrzeugs nicht vorgenommen, was umso schwerer wiegt, als er die Beladung nicht selbst vorgenommen hat.

Des Weiteren kann auch die Gefahr des erneuten Telefonierens ohne Freisprechanlage nicht ausser Acht gelassen werden, da selbst die neusten Modelle landwirtschaftlicher Fahrzeuge nur in seltenen Fällen über eine Freisprechanlage verfügen (vgl. www.agropool.ch, Suchbegriff: "Freisprechanlage", Suchergebnis: zehn Inserate bei 17'642 Angeboten, zuletzt besucht am 10.2.2021).

4.3.
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, seine Geschwindigkeitsüberschreitungen wie auch seine anderen Widerhandlungen seien jeweils ohne Unfallfolge geblieben. Es könne daher nicht auf die fehlende Fahreignung für die Spezialkategorien G und M geschlossen werden. Auch wenn es lediglich dem glücklichen Zufall zuzuschreiben ist, dass der Beschwerdeführer durch sein teils deutliches Überschreiten der Höchstgeschwindigkeiten sowie seine anderen Verkehrsregelnverletzungen bisher keinen Unfall verursachte, stellte sein Verhalten im Strassenverkehr zumindest eine abstrakte teilweise gar eine erhöhte abstrakte Gefährdung dar. Denn übersetzte Geschwindigkeit, nur marginal gesicherte Ladung sowie Ablenkungen, die durch Telefonieren, insbesondere ohne Freisprechanlage, verursacht werden, sind Verletzungen der Verkehrsregeln, die im Fall eines Unfalls zu schwerwiegenden Folgen führen können. Sie fallen daher in der Gesamtbeurteilung der Fahreignung betreffend die Spezialkategorien G und M erheblich zu Ungunsten des Beschwerdeführers ins Gewicht.

4.4.
Soweit der Beschwerdeführer schliesslich vorbringt, er sei aus beruflichen Gründen auf die Spezialkategorien G und M angewiesen, ist sein Einwand unbehelflich. Die berufliche Notwendigkeit des Führerausweises ist grundsätzlich nur beim Warnungsentzug, nicht aber beim Sicherungsentzug zu berücksichtigen (BGE 133 II 331 E. 6.4.1 und 9.1; Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 19 147 vom 16.7.2019 E. 4.3; Rütsche, Basler Komm., a.a.O., Art. 16 SVG N 89; Weissenberger, a.a.O., Art. 16 SVG N 26).

4.5.
Insgesamt liegt beim Beschwerdeführer ein erheblich getrübter automobilistischer Leumund vor. Seine Verletzungen der Verkehrsregeln, die seit dem Jahr 2008 wiederholt zu administrativrechtlichen Massnahmen führten, beschränken sich, ähnlich wie im Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesgerichts 1C_6/2019 vom 23. April 2019 zugrunde liegt (insb. E. 3.2), nicht nur auf Geschwindigkeitsübertretungen. Auch wenn die ungenügend gesicherte Ladung ebenso wie das Telefonieren ohne Freisprechanlage im konkreten Fall, einmalig zu administrativ- und strafrechtlichen Folgen führten und auch nicht direkt mit den weiteren Widerhandlungen, wie sie im BGer-Urteil 1C_6/2019 thematisiert waren, verglichen werden können, dürfen sie nicht verharmlost werden und fallen angesichts der seit Jahren immer wieder vorkommenden Verkehrsregelnverletzungen erheblich ins Gewicht. Folglich hat das Strassenverkehrsamt sein Ermessen pflichtgemäss ausgeübt und die Ausdehnung des Sicherungsentzugs auf die Spezialkategorien G und M zu Recht verfügt. Damit erweist sich die Massnahme als gesetz- und auch verhältnismässig.