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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:18.08.2021
Fallnummer:1C 20 53
LGVE:2021 I Nr. 6
Gesetzesartikel:Art. 104 Abs. 3 ZPO
Leitsatz:Zur Festsetzung, Verlegung und Liquidation der Kosten eines Massnahmeverfahrens vor Rechtshängigkeit des Hauptprozesses: Die Gerichtskosten sowie allfällige Parteientschädigungen sind im Massnahmeentscheid masslich festzusetzen und grundsätzlich nach den Kriterien der Art. 106 - 108 ZPO zu verlegen. Die Kostenverlegung kann unter Vorbehalt einer anderen Kostenverlegung in einem allfälligen Hauptprozess erfolgen, was dann angezeigt sein kann, wenn das Massnahmegesuch ganz oder teilweise gutgeheissen wird. Falls ein Hauptprozess eingeleitet wird, entscheidet das zuständige Gericht in seinem Entscheid über die definitive Verlegung der Kosten des Massnahmeverfahrens. Falls kein Hauptprozess eingeleitet wird, wird die vorläufige Kostenverlegung gemäss Massnahmeentscheid definitiv, was sinnvollerweise bereits im Dispositiv des Massnahmeentscheids festzuhalten ist.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:
Aus den Erwägungen:

4.1
Über die Prozesskosten vorsorglicher Massnahmen kann gemäss Art. 104 Abs. 3 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR272) zusammen mit der Hauptsache entschieden werden, was es dem Gericht auch erlaubt, die Kostenverteilung im vorausgehenden Massnahmeentscheid vorzunehmen. Zwingend im Massnahmeverfahren selber sind die Prozesskosten dann zu verlegen, wenn der Hauptprozess noch nicht rechtshängig ist bzw. die verfügte vorsorgliche Massnahme bei unbenutztem Ablauf der Klagefrist dahinfallen wird; dies deshalb, weil es möglicherweise gar nicht zu einem Hauptprozess kommt bzw. um zu verhindern, dass mangels eines Hauptprozesses über die Massnahmekosten gar nicht befunden wird. Unbestritten ist, dass der Gesuchsteller im Falle des Unterliegens mit seinem Massnahmegesuch vor Rechtshängigkeit der Hauptsache nach Art. 106 Abs. 1 ZPO die Kosten des Massnahmeverfahrens zu tragen hat. Zu den Fragen, wie im Falle des (ganzen oder teilweisen) Obsiegens des Gesuchstellers mit seinem Massnahmegesuch vor Rechtshängigkeit der Hauptsache die Kosten zu verlegen sind und ob die Verteilung definitiv oder nur vorläufig erfolgt, bestehen demgegenüber unterschiedliche Lehrmeinungen und kantonale Praxen. Die Spannweite reicht von der Auferlegung der Kosten an den Gesuchsgegner nach Massgabe seines Unterliegens mit Anspruch auf Rückerstattung im Rahmen des Kostenersatzes bei Obsiegen im anschliessenden Hauptprozess bis zur vorläufigen Kostenauferlegung an den obsiegenden Gesuchsteller unter Vorbehalt der definitiven Regelung im Hauptprozess (vgl. die Übersicht bei Pesenti, Gerichtskosten nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Basel 2017, Rz 740 ff., 752 ff. und 757 ff.; vgl. auch Entscheid Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt ZB.2017.12 vom 23.6.2017 E. 2.3 ff., jeweils mit zahlreichen Hinweisen; Sterchi, Berner Komm., Bern 2012, Art. 104 ZPO N 11-12b). Die Nachteile derartiger Lösungen liegen auf der Hand: Für den obsiegenden Gesuchsteller begründen sie eine Prosequierungspflicht in Bezug auch bzw. allenfalls sogar nur auf die Kosten, damit er nicht trotz Obsiegens auf ihnen sitzen bleibt (vgl. Sterchi, a.a.O., Art. 104 ZPO N 13). Aus Sicht des unterliegenden Gesuchsgegners ist eine Prosequierung durch den Gesuchsteller Voraussetzung für die Geltendmachung eines Kostenersatzes (vgl. Sterchi, a.a.O., Art. 104 ZPO N 11a; vgl. auch die – nicht überzeugenden – Ausführungen von Pesenti, a.a.O., Rz 765, welche zur Stützung ihrer – ebenfalls nicht überzeugenden – Auffassung, der Massnahmerichter habe in jedem Fall einen definitiven Entscheid zu fällen, dafür hält, der unterliegende Gesuchsgegner könne die Kosten mit dem Nachweis, dass die vorsorgliche Massnahme ungerechtfertigt war, als Schadenersatz in einem separaten Forderungsprozess oder als Widerklage im nachfolgenden Hauptprozess geltend machen).

Als sachgerecht, praktikabel und mit den Vorgaben der ZPO vereinbar erscheint folgendes Vorgehen: Im Massnahmeverfahren vor Rechtshängigkeit des Hauptprozesses sind die Prozesskosten im Massnahmeentscheid zu verlegen. Die Verlegung hat grundsätzlich nach den Kriterien der Art. 106 - 108 ZPO zu erfolgen, d.h. es gibt – ausser etwa in Fällen, in denen es keine unterliegende Partei gibt (z.B. vorsorgliche Beweisführung, vgl. BGE 140 III 30 E. 3.5 f.) – keine Regel, wonach die Gerichtskosten etwa grundsätzlich einstweilig dem Gesuchsteller zu überbinden und die Parteikosten wettzuschlagen wären (so noch § 237 lit. a ZPO LU). Die Gerichtskosten sowie allfällige Parteientschädigungen sind masslich festzusetzen. Die Kostenverlegung kann unter Vorbehalt einer anderen Kostenverlegung in einem allfälligen Hauptprozess erfolgen, was dann angezeigt sein kann, wenn das Massnahmegesuch ganz oder teilweise gutgeheissen wird. Diesfalls handelt es sich um eine vorläufige Kostenverlegung. Vorbehalten bleibt allerdings nur die Verlegung, nicht das Mass der Kosten und Entschädigungen. Falls Klage in der Hauptsache eingereicht wird, entscheidet das zuständige Gericht in seinem Entscheid über die definitive Verlegung der Kosten des Massnahmeverfahrens; diese werden erst dann, d.h. zusammen mit den Kosten des Hauptverfahrens liquidiert (...). Falls kein Hauptprozess eingeleitet wird, wird die vorläufige Kostenverlegung gemäss Massnahmeentscheid definitiv, was sinnvollerweise bereits im Dispositiv des Massnahmeentscheids festzuhalten ist, und die Kosten werden liquidiert (vgl. Rüegg/Rüegg, Basler Komm., 3. Aufl. 2017, Art. 104 ZPO N 6a).