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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:1. Abteilung
Rechtsgebiet:Zivilprozessrecht
Entscheiddatum:28.09.2021
Fallnummer:1C 21 26
LGVE:2021 I Nr. 7
Gesetzesartikel:Art. 123 Abs. 1 ZPO; § 96 Abs. 1 lit. c JusG
Leitsatz:Ob eine mit unentgeltlicher Rechtspflege prozessierende Partei zur Nachzahlung verpflichtet ist, beurteilt sich nach den gleichen Grundsätzen, nach denen die Bedürftigkeit im Prozess für die Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege beurteilt wird. Vor der Anordnung der Nachzahlung ist ein formelles Nachzahlungsverfahren zu eröffnen und der UR-Partei das rechtliche Gehör zu gewähren.
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:Aus den Erwägungen:

3.1
Eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, ist zur Nachzahlung verpflichtet, sobald sie dazu in der Lage ist (Art. 123 Abs. 1 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272]).

Zur Nachzahlung ist eine Partei in der Lage, sofern und soweit ihre finanziellen Verhältnisse eine Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht mehr zulassen würden und ihr eine Rückzahlung erlauben, ohne den notwendigen Lebensunterhalt zu gefährden, das heisst, wenn sie nicht mehr mittellos im Sinn von Art. 117 lit. a ZPO ist. Ob die Nachzahlung anzuordnen ist, beurteilt sich mithin nach den gleichen Grundsätzen, nach denen die Bedürftigkeit im Prozess für die Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege beurteilt wird. Die Ursache für die Verbesserung der Verhältnisse ist unerheblich und kann etwa in einem höheren Einkommen, geringeren Lebenshaltungskosten, einem einmaligen Vermögensanfall, nachträglicher Entdeckung bereits früher vorhandener Vermögenswerte oder auch im Prozessausgang selbst bestehen (ausführlich Wuffli/Fuhrer, Handbuch unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, Zürich/St. Gallen 2019, Rz 1039 ff., mit Hinweisen).

3.2
Das Nachzahlungsverfahren ist nicht in der ZPO, sondern kantonal geregelt. Gemäss § 96 Abs. 1 lit. c des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und Behörden in Zivil-, Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren (JusG; SRL Nr. 260) regelt im Kanton Luzern die letzte entscheidende Instanz die Festlegung und Durchsetzung der Nachzahlung bei der unentgeltlichen Rechtspflege.

Praxisgemäss läuft die Nachzahlung wie folgt ab bzw. hat sie wie folgt abzulaufen: Nach einer gewissen Zeit nach Abschluss des Verfahrens erfolgt ein Inkassoversuch; von der Partei, die mit unentgeltlicher Rechtspflege prozessiert hat, werden Unterlagen zu den aktuellen finanziellen Verhältnissen eingefordert. Aufgrund dieser Unterlagen wird entschieden, ob ein formelles Nachzahlungsverfahren eröffnet wird. Kommt es zu einem formellen Nachzahlungsverfahren, ist der UR-Partei das rechtliche Gehör zu gewähren, d.h. sie ist vor Anordnung der Nachzahlung anzuhören. Sie wird aufgefordert, innert einer angesetzten Frist, etwa mittels dem zur Verfügung gestellten Formular "Begründung finanzielle Situation Rückforderung unentgeltliche Rechtspflege", ihre Einkünfte, Vermögenssituation und Verpflichtungen vollständig offenzulegen und soweit möglich durch Urkunden zu beweisen, verbunden mit der Androhung, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht zur Anordnung der Nachzahlung führt; gleichzeitig erhält sie Gelegenheit, zur Frage der Nachzahlung eine Stellungnahme einzureichen (vgl. Jozic/Boesch, Die unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, 4. Aufl. 2012, S. 56 f.).