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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:4. Abteilung
Rechtsgebiet:Staats- und Gemeindesteuern / direkte Bundessteuer
Entscheiddatum:12.07.2021
Fallnummer:7W 20 55/7W 20 56
LGVE:2022 IV Nr. 4
Gesetzesartikel:Art. 9 DBG, Art. 113 DBG, Art. 124 DBG, Art. 125 DBG Art. 132 DBG; Art. 48 StHG.
Leitsatz:Anforderungen an die Einsprachebegründung gegen eine Ermessensveranlagung, mit welcher die Steuerfaktoren von inzwischen getrennt lebenden Ehegatten festgesetzt

wurden (E. 3.3.1).



Möglichkeit der Einsprachebegründung auf andere Weise als durch Vorlage der Steuererklärung: Vorliegend genügt die einer Veranlagungsverfügung nachgebildete tabellarische Aufstellung von Einkommens- und Vermögensbestandteilen den Begründungsanforderungen nicht (E. 3.3.5).

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:3.
3.1
Gemäss Art. 132 Abs. 3 DBG kann der Steuerpflichtige eine Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen nur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit anfechten. Die Einsprache ist zu begründen und muss allfällige Beweismittel nennen. Die Einsprache gegen eine Ermessenseinschätzung muss folglich als Prozessvoraussetzung eine Begründung und die Nennung der Beweismittel enthalten. In der Regel setzt das Eintreten auf eine Einsprache auch das Nachholen der versäumten Handlung − beispielsweise das Einreichen der Steuererklärung − voraus (Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7W 15 6/7W 15 7 vom 28.10.2015 E. 3.1 [im Internet publiziert]; Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, Handkomm. zum DBG, 3. Aufl. 2016, Art. 132 DBG N 54 und N 58; Locher, a.a.O., Art. 132 DBG N 33).

Sowohl an die Begründung der Einsprache als auch an das Beweisangebot werden strenge Anforderungen gestellt: Einerseits muss die Begründung den bisher ungewiss gebliebenen Sachverhalt erhellen (vgl. Zweifel/Hunziker, in: Komm. zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [Hrsg. Zweifel/Beusch], 3. Aufl. 2017, Art. 132 DBG N 42; Zweifel/Casanova/Beusch/Hunziker, Schweizerisches Steuerverfahrensrecht, Direkte Steuern, 2. Aufl. 2018, § 20 N 21). Der Einwand, das Einkommen sei im Rahmen der Ermessensveranlagung zu hoch geschätzt worden, genügt dem Begründungserfordernis von vornherein nicht. Ebenso wenig genügt ein Antrag, das Einkommen sei so festzusetzen, wie er sich aus den noch einzureichenden Belegen ergeben werde. Die fehlende Substanziierung kann weder in einer mündlichen Verhandlung noch in einem Beweisverfahren nachgeholt werden. Andererseits hat die steuerpflichtige Person innert der Einsprachefrist die notwendigen Beweismittel beizubringen oder zumindest anzubieten. Dabei muss das Beweisangebot eindeutig und unmissverständlich sein und die angebotenen Beweismittel müssen genau bezeichnet werden (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 132 DBG N 57).

Fehlt die Begründung (inkl. die Nennung der Beweismittel), wird auf die Einsprache ohne Ansetzung einer Nachfrist nicht eingetreten (BGE 137 I 273 E. 3.2.2; Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7W 19 1/7W 19 2 vom 1.7.2019 E. 4.1). Aus dem Begründungserfordernis fliesst jedoch nicht strikt und in jedem Fall, dass eine Einsprache gegen eine Ermessensveranlagung wegen versäumter Mitwirkungshandlungen nur gültig ist, wenn damit gleichzeitig das Versäumte nachgeholt wird. Wird auch mit der Einsprache kein ausgefülltes Steuererklärungsformular samt Hilfsblättern und Beilagen abgegeben, so kann die Einsprache sich dennoch ausnahmsweise als gültig erweisen, sofern die gesetzlich erforderliche Begründung in anderer Form erbracht wird. Auch wenn das Nachholen der versäumten Mitwirkungshandlung in aller Regel die einfachste Art darstellt, um der Begründungspflicht nachzukommen, vermag sie andere Begründungsformen nicht auszuschliessen. Ein blosser Formmangel bei der Nachholung der versäumten Mitwirkungshandlung kann daher nur dann zu einem Nichteintretensentscheid führen, wenn der betreffende Mangel derart gravierender Natur ist, dass es der Einsprache deswegen an einer genügenden Begründung fehlt (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 132 DBG N 58).

3.2.
Das Einkommen der Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, wird ohne Rücksicht auf den Güterstand zusammengerechnet (sog. Ehegattenbesteuerung; Art. 9 Abs. 1 DBG). Sie üben die dem Steuerpflichtigen zukommenden Verfahrensrechte und Verfahrenspflichten gemeinsam aus (Art. 113 Abs. 1 DBG). Eine tatsächliche Trennung ist gemäss der Lehre dann zu bejahen, wenn die Ehegatten während einer gewissen Dauer − in der Regel während eines Jahres − räumlich getrennt leben und keine wirtschaftliche Einheit mehr in dem Sinn bilden, dass die zur Verfügung stehenden Mittel gemeinsam verwendet werden (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 9 DBG N 17). Die rechtliche Trennung wird im Rahmen eines gerichtlichen Entscheids nach Massgabe von Art. 175 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) festgestellt.

3.3.
Die Eheleute A.________ und C.________ lebten während des streitbetroffenen Steuerjahres 2017 unbestrittenermassen in ungetrennter Ehe. Aus den Akten geht hervor, dass sich die Beschwerdeführer am 15. Juli 2019 trennten, als die Beschwerdeführerin ihren unbestritten gebliebenen Angaben zufolge zu ihrer Tochter nach J.________ auszog. In den Akten findet sich ferner das Rubrum eines Entscheids betreffend Eheschutzmassnahmen nach Art. 175 ZGB des Bezirksgerichts L.________. Mit diesem Entscheid − so der Beschwerdeführer − sei der gemeinsame Haushalt im Nachhinein per 15. Juli 2019 aufgelöst worden.

3.3.1.
Für die Steuerperiode 2017 sind die Beschwerdeführer demnach gemeinsam zu veranlagen. Damit geht jedoch nicht einher, dass die Beschwerdeführer zwingend eine gemeinsame Steuererklärung hätten einreichen müssen. Da jeder Ehegatte nur für seine eigenen Steuerfaktoren mitwirkungspflichtig ist, muss es ausreichen, wenn beide Ehegatten eine eigene Steuererklärung verfassen, worin sie die bloss sie betreffenden Informationen aufführen (vgl. Locher, a.a.O., Art. 113 DBG N 15). Bei einer solchen Konstellation fällt es folglich ausnahmsweise der Steuerbehörde zu, die individuellen Deklarationen für die gemeinsame Veranlagung zusammenzuführen. Aus der Möglichkeit, eine "individuelle" Steuererklärung einreichen zu können, fliesst jedoch nicht, dass das Begründungserfordernis für eine Einsprache gegen eine Ermessensveranlagung bereits dann erfüllt wäre, wenn ein Ehegatte die für seine Person relevanten Steuerinformationen nachliefert. Eine begründete Einsprache im Sinn von Art. 132 Abs. 3 DBG bzw. Art. 48 Abs. 2 StHG liegt bei einer Ermessensveranlagung mangels Steuererklärung erst vor, wenn innerhalb der Einsprachefrist der Steuerbehörde die Einkünfte und Abzüge sowie die Vermögensverhältnisse beider Ehegatten − indem jeder Steuerpflichtige für sich die versäumte vollständige Deklaration nachholt − zur Kenntnis gebracht worden sind. Als Folge der Ehegattenbesteuerung, bei der zwei Steuersubjekte über ein gemeinsames Steuerobjekt verfügen (vgl. Art. 9 Abs. 1 DBG; Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 9 DBG N 24), kommt es dazu, dass ein Steuerpflichtiger, welcher gemeinsam mit seinem Ehegatten zu veranlagen ist, keine materielle Prüfung der erfolgten Ermessensveranlagung erwirken kann, selbst wenn er seinen Steuererklärungspflichten vollumfänglich und – je nachdem – unter Einreichung von weiteren, über die blossen Deklarationspflichten hinausgehenden Beweismitteln oder unter Angabe von Beweisofferten nachgekommen ist, während der andere Ehegatte nach wie vor säumig blieb.

Anzufügen bleibt, dass die Prüfung der Prozessvoraussetzung, ob innert Frist eine genügende Begründung eingereicht wurde, unabhängig davon erfolgt, ob dem einen oder anderen steuerpflichtigen Ehegatten die allfällige Säumnis vorgeworfen werden kann oder nicht. Namentlich trifft die Steuerbehörde auch im Fall der Anfechtung einer Ermessensveranlagung durch nur einen Ehegatten keine Pflicht, im Säumnisfall eine Nachfrist zur Behebung des allenfalls verbliebenen Mangels anzusetzen (Zweifel/Hunziker, a.a.O., Art. 132 DBG N 41).

3.3.2.
Im vorliegenden Fall reichte der Beschwerdeführer fristgerecht eine sechsseitige Einsprache ein. Der Einspracheschrift waren 46 Beilagen angefügt, die thematisch gegliedert in 17 Registerabgriffen (16 davon belegt) abgelegt sind.

Mit der Einsprache bestritt er die Richtigkeit der Ermessensveranlagung und wies darauf hin, dass er seit 1. Mai 2013 AHV-Bezüger sei und keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgehe. Für die Ermittlung der Steuerfaktoren machte er Angaben zu einzelnen Einkünften und Abzügen, die er in der Einsprache tabellarisch aufführte, wobei er sich bezüglich Aufbau und Gliederung am Veranlagungsprotokoll der Steuerbehörde K.________ und der Steuerbehörde M.________ orientierte. Er behauptete, dass aus dieser Zusammenstellung die "finalen" Zahlen für die Steuererklärung 2017 hervorgehen müssten.

3.3.3.
Zur Einspracheschrift und -begründung ist zu bemerken, dass die tabellarische Darstellung einem Veranlagungsprotokoll mit Steuerausscheidung gleicht, zumal am linken Rand die auch in der Steuererklärung verwendeten Ziffern samt Beschrieb (etwa Ziff. 189 "Nettoertrag") aufgeführt sind, während in den dazugehörigen Spalten anzubringen wäre, welchem Gemeinwesen das infrage stehende Steuersubstrat zusteht.

Im besagten "Veranlagungsprotokoll" brachte der Beschwerdeführer zur Ziff. 100 "Einkünfte unselbst. Erwerbstätigkeit" den Vermerk "KEINE" an und deklarierte ein Einkommen von 0.--. Die Zeilen zu Ziff. 101 "Einkünfte unselbst. Erwerbstätigkeit Ehefrau/P2" sowie zu Ziff. 125 "Einkünfte aus AHV-/IV-Renten Ehefrau/P2" wurden mit der Bemerkung "k.A." versehen, während die Zeile betreffend "124 Einkünfte AHV-/IV-Renten" nicht ausgefüllt wurde. Ferner gab der Beschwerdeführer an, dass sich die Einkünfte aus Wertschriften und Guthaben inkl. Lotteriegewinne auf Fr. 0.-- beliefen. Die weiteren Ziffern (160-495) sind, abgesehen von drei Stellen, blau hinterlegt, was gemäss dem Beschwerdeführer bedeute, dass die Zahlen von der Steuerbehörde K.________ eingefügt werden müssten.

3.3.4.
Gemäss Art. 125 Abs. 1 DBG müssen natürliche Personen der Steuererklärung insbesondere beilegen: Lohnausweise über alle Einkünfte aus unselbständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit; Ausweise über Bezüge als Mitglieder Verwaltung oder eines anderen Organs einer juristischen Person; Verzeichnis über sämtliche Wertschriften, Forderungen und Schulden.

Seiner Einspracheschrift fügte der Beschwerdeführer insbesondere Unterlagen, die im Kontext mit der Veranlagung von Bedeutung sein könnten, bei:

(Auflistung der eingereichten Belege)

Die Steuererklärungspflicht im Sinn von Art. 124 Abs. 2 DBG verlangt, dass der Steuerpflichtige das Formular für die Steuererklärung wahrheitsgemäss und vollständig ausfüllt, persönlich unterzeichnet und samt den vorgeschriebenen Beilagen fristgemäss der zuständigen Behörde einreicht (Art. 124 Abs. 2 DBG). Hinsichtlich der Form der Steuererklärungspflicht besteht auf Seiten des Steuerpflichtigen keine Freiheit, die es erlauben würde, die deklarationsrelevanten Informationen auf eine beliebige Art und Weise zu bringen (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 124 DBG N 10). Dieser sogenannte Formularzwang zielt darauf ab, dass auf Seiten der Behörden davon ausgegangen werden kann, der Steuerpflichtige habe sich beim Ausfüllen des Formulars sämtliche für eine richtige Veranlagung wesentlichen Fragen gestellt und die vorgenommene Deklaration beinhalte eine vollständige Darstellung der steuerrelevanten Situation für das infrage stehende Steuerjahr (Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 124 DBG N 10). Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. vorne E. 3.1) für eine hinreichende Begründung einer Einsprache gegen eine Ermessensveranlagung nicht zwingend das Nachholen der versäumten Mitwirkungshandlung im Sinn eines Nachreichens der Steuererklärung erforderlich, sofern die Begründung in anderer Form erfolgt. Diese Befreiung vom Formularzwang ist aber nicht dergestalt zu verstehen, dass die eine Prozessvoraussetzung bildende Begründung bereits dann vorliegen würde, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Dokumentationspflicht teilweise nicht und teilweise "überschiessend" nachkommt, indem er neben den gesetzlich zwingend einzureichenden Beilagen auch andere Dokumente, die eventuell erst auf entsprechende Aufforderung hin vorzuweisen wären, den Steuerbehörden zur Kenntnis bringt. Die Dokumentationspflicht vermag die Deklarationspflicht nicht zu ersetzen, da sie den bestehenden Mangel − das Fehlen einer Wissenserklärung des Steuerpflichtigen über dessen steuerrelevanten Verhältnisse (vgl. Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 124 DBG N 2) − nicht zu heilen vermag. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe der Steuerbehörde ist, in den Akten nach den steuerrelevanten Informationen zu forschen (BGer-Urteil 2C_1023/2013, 2C_1024/2013 vom 8.7.2014 E. 3.2; Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., Art. 132 DBG N 57).

3.3.5.
Aus der Einsprache, der integrierten Tabelle im Sinn eines angepassten Veranlagungsprotokolls und den eingereichten Beilagen geht nicht im Ansatz hervor, welches steuerbare Einkommen und Vermögen nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte veranlagt werden müssen. Die Vorgehensweise des Beschwerdeführers, die Vorinstanz mit einem Bündel von Akten und dem Hinweis zu bedienen, dass sie die relevanten Zahlen selbst einfügen solle, stellt wie gesehen keine hinreichende Begründung dar. Es wäre an ihm gewesen, in seiner Einsprache klar und zweifelsfrei erkennbar darzutun, weshalb die gegen ihn ergangene Ermessensveranlagung offensichtlich unrichtig sein soll. Wohl ist nicht auszuschliessen, dass eine hinreichende Begründung der Einsprache mittels einer eigenen Darstellung, die sich beispielsweise an einem Veranlagungsprotokoll orientiert, erfolgen könnte. Dies würde aber voraussetzen, dass in dieser Darstellung die für die Bestimmung der Steuerfaktoren notwendigen Angaben hinreichend spezifiziert und vollständig aufgeführt würden, sodass von einer inhaltlichen Gleichwertigkeit zu einer ausgefüllten Steuererklärung auszugehen wäre (vgl. BGer-Urteil 2C_837/2017 vom 23.2.2015 E. 3). Dies ist nicht der Fall, wobei sich die Unvollständigkeit der Angaben auch nicht bloss mit der behaupteten Mitwirkungsverweigerung seitens der Beschwerdeführerin erklären lässt, weil der Beschwerdeführer auch dort keine Angaben tätigte, wo nur ihn betreffende Einkommens- oder Vermögensverhältnisse zur Frage stehen.

Die Einsprachebegründung erwies sich damit sowohl mit Bezug auf die Einkünfte, Abzüge und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers wie auch der Beschwerdeführerin als unvollständig, sodass die Vorinstanz zu Recht auf die Einsprache nicht eingetreten ist.