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Rechtsprechung Luzern


Instanz:Justiz- und Sicherheitsdepartement
Abteilung:-
Rechtsgebiet:Volksrechte
Entscheiddatum:25.02.2022
Fallnummer:JSD 2022 1
LGVE:2022 VI Nr. 2
Gesetzesartikel:Art. 34 Abs. 1 BV, Art. 34 Abs. 2 BV, § 149 Abs. 2 StRG
Leitsatz:Bei einer Abstimmung über ein Projekt von regionaler oder sogar kantonaler Bedeutung besteht ein gesteigertes Informationsbedürfnis sowohl auf Seiten der Öffentlichkeit als auch auf Seiten der Behörde. Bei derartigen Projekten bestehen triftige Gründe, die eine über die Abstimmungsbotschaft hinausgehende Information der Behörden nachvollziehbar und als gerechtfertigt erscheinen lassen. Auch die Gemeinde-Homepage und eine separate Projekt-Homepage der Gemeindebehörde haben den Grundsätzen der Vollständigkeit, der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit zu genügen.

Der Antrag in einer Stimmrechtsbeschwerde auf umgehende Löschung von Veröffentlichungen im Internet kann im vorliegenden Fall als zeitlich dringlich im Sinn von § 149 Abs. 2 StRG angesehen werden, weshalb das JSD für die Anordnung allfälliger Massnahmen in Bezug auf dieses Begehren zuständig ist.

Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Entscheid:In der Gemeinde Z wurde für den Beschluss eines Sonderkredites für ein Neubau-Projekt eine ausserordentliche Gemeindeversammlung angeordnet. Aufgrund der Regelung in der Gemeindeordnung war die Schlussabstimmung über diesen Sonderkredit im Anschluss an die Durchführung der Gemeindeversammlung an der Urne vorgesehen. Vor der Gemeindeversammlung wurde den Stimmberechtigten eine Kurzbotschaft zugestellt. Weiter wurden auf der Homepage der Gemeinde eine detaillierte Botschaft, Projektpläne sowie eine Dokumentation zur Entwicklung des Projekts publiziert. Zudem bestand seit längerem eine separate Webseite zum Projekt. Dagegen reichte der Beschwerdeführer eine Stimmrechtsbeschwerde ein und machte geltend, dass diese Informationen verbotene Behördenpropaganda darstellten und keine Gegner zu Wort kämen. Er beantragte, die Vorinstanz sei umgehend zu verpflichten, die detaillierte Botschaft auf der Gemeinde-Homepage zu entfernen, die zusätzliche Projekt-Webseite vom Netz zu nehmen und allen Stimmberechtigten der Gemeinde eine Berichtigung zukommen zu lassen.

Aus den Erwägungen:

1. Werden bei der Stimmregisterführung, bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen und Abstimmungen oder im Zusammenhang mit Volksbegehren Verfahrensmängel oder andere Unregelmässigkeiten festgestellt, trifft der Regierungsrat von Amtes wegen oder auf Beschwerde hin, soweit möglich, Massnahmen zur Behebung der Mängel. Er kann eine Wahl oder Abstimmung verschieben oder absagen (§ 149 Abs. 1 des Stimmrechtsgesetzes [StRG] vom 25. Oktober 1988 [SRL Nr. 10]). Bei zeitlicher Dringlichkeit oder im Zusammenhang mit der Instruktion einer Stimmrechtsbeschwerde kann das Justiz- und Sicherheitsdepartement im Sinne von Absatz 1 Massnahmen treffen (§ 149 Abs. 2 StRG).

2. Der Beschwerdeführer beantragt, die Vorinstanz sei umgehend zu verpflichten, die detaillierte Botschaft und den Flyer zum Projekt auf der Gemeinde-Homepage zu entfernen, die Projekt-Homepage vom Netz zu nehmen und allen Stimmberechtigten der Gemeinde Z eine Berichtigung zukommen zu lassen.
Da dieser Antrag zeitlich dringlich ist und im Rahmen der Instruktion einer Stimmrechtsbe-schwerde erfolgt, ist das Justiz- und Sicherheitsdepartement für die Prüfung von Massnahmen zuständig.

(…)

5. (…) Bei Sachabstimmungen im eigenen Gemeinwesen kommt den Behörden eine gewisse Beratungsfunktion zu. Diese nehmen sie mit der Redaktion der Abstimmungserläuterungen, aber auch in anderer Form wahr. Zusätzliche behördliche Informationen sind bei triftigen Gründen zulässig. Als triftiger Grund anerkennt das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung die Ungewöhnlichkeit der Vorlage, welche ein gesteigertes Informationsbedürfnis erzeugt, oder die besondere Komplexität des Abstimmungsgegenstandes, wobei es Finanz- und Bauvorhaben häufig als besonders komplex betrachtet. Die neuere bundesgerichtliche Rechtsprechung nimmt aufgrund der Beratungsfunktion, die den Behörden zukommt, an, dass es nicht so sehr um die Frage der Zulässigkeit einer behördlichen Intervention, als vielmehr um deren Art und Wirkung geht. Als Ergänzung zu den Abstimmungserläuterungen können weitere Unterlagen dazu beitragen, die Stimmberechtigten angemessen über Abstimmungsvorlagen zu informieren. Entscheidend ist, dass der Einsatz und die Veröffentlichung solcher zusätzlichen Informationen im konkreten Fall den Grundsätzen der Vollständigkeit, der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit genügen (Urteil des Bundesgerichts 1C_24/2018 vom 12. Februar 2019 E. 6.3).

6. Die Gemeinde hat vor der ausserordentlichen Gemeindeversammlung allen Stimmberechtigten eine Kurzbotschaft zugestellt. Darin hat sie darauf hingewiesen, dass die detaillierte Botschaft auf der Homepage der Gemeinde eingesehen oder bei ihr bezogen werden könne. Ebenso seien weitere Informationen und detaillierte Projektpläne auf der Webseite des Projekts zu finden.

6.1 (…)

6.2 (…) Bei einer Neugestaltung der zentralen öV-Verkehrsdrehscheibe von regionaler oder sogar kantonaler Bedeutung (…) besteht ein gesteigertes Informationsbedürfnis, und zwar sowohl auf Seiten der Öffentlichkeit als auch auf Seiten der Behörden, die Bevölkerung entsprechend ihrem Auftrag zeitgerecht und umfassend zu informieren. Dabei geht es nicht nur darum, Informationen im Hinblick auf die bevorstehende Abstimmung den Stimmberechtigten in der Gemeinde, sondern auch der Bevölkerung in der Region und im Kanton zu vermitteln. (…) Bei dieser Ausgangslage bestehen beim vorliegenden Bauprojekt von regionaler und kantonaler Tragweite im Sinne der Rechtsprechung triftige Gründe, die eine über die Abstimmungsbotschaft hinausgehende Information der Behörden nachvollziehbar und als gerechtfertigt erscheinen lassen. Es steht fest, dass bei komplexeren Bau- oder Finanzprojekten – wie auch im vorliegenden Fall – die Informationspflicht der staatlichen Organe besonders bedeutend ist, weshalb die Vorinstanz in der Wahl der Informationsmittel freier sein muss als bei anderen Sachgeschäften (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_641/2013 vom 24. März 2014, LGVE 2013 IV Nr. 7, im konkreten Fall wurde ein besonderes Interesse an zusätzlichen Informationen bejaht bei geplanten Massnahmen im Bereich des Finanzhaushalts mit Steuererhöhung und Sparpaket).

7. In einem weiteren Schritt ist die inhaltliche Zulässigkeit der detaillierten Abstimmungsbotschaft der Gemeinde-Homepage und der Projekt-Webseite anhand der Art und Wirkung, die sie erzeugen, zu prüfen. Massgebend ist in diesem Zusammenhang, ob sie den Grundsätzen der Vollständigkeit, der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit genügen.

7.1 (…) In den verschiedenen Kapiteln der detaillierten Botschaft wird umfassend über das Projekt informiert. Sie beinhaltet objektive Aussagen zum Projekt und zum Projektbeschrieb, aber auch die zustimmende Haltung des Gemeinderates zum Projekt. Der Gemeinderat darf seine Meinung in den Abstimmungserläuterungen kundtun, solange diese sachlich bleibt. Er darf zum Ausdruck bringen, dass er ein bestimmtes Vorhaben zum Beispiel zur Entwicklung der Gemeinde unterstützt oder im Gegenteil dieses für unzweckmässig oder unnütz hält. Er darf auch auf die Folgen einer Ablehnung des Projekts hinweisen (publiziertes Urteil des Kantonsgerichts 7H 16 288 vom 5. April 2017, E. 7.2; Urteil des Bundesgerichts 1C_641/2013 vom 24. März 2014, E. 6.3.2).

7.2 Das Internet kann dazu dienen, die Transparenz der behördlichen Information vor Abstimmungen zu erhöhen, indem alle speicherbaren behördlichen Informationen leicht zugänglich (und in übersichtlicher Art und Weise) im Internet veröffentlicht werden. Sowohl der Aufbau des behördlichen Internetauftritts insgesamt als auch die einzelnen Internetseiten müssen sachlich und transparent gestaltet werden (Besson, Behördliche Information vor Volksabstimmungen, S. 324 f.). Durch die leichte Zugänglichkeit des Internets können sich die Stimmberechtigten, aber auch andere Personen mit einem Informationsbedürfnis am Projekt, gezielt weitere Informationen für ihre Meinungsbildung beschaffen. Die Projekt-Webseite entspricht dem Content-Management-System (CMS) bereits früher erstellter Webseiten der Gemeinde. Sie musste daher nicht von Grund auf neu erstellt werden. (…) Die Webseite wurde auch nicht explizit für die bevorstehende Gemeindeversammlung erstellt. Weiter entsprach es dem bisherigen Informationsverhalten der Vorinstanz, bei grösseren Projekten jeweils eine eigene Webseite nach der gleichen Vorlage zu erstellen. (…) Insgesamt basiert die Webseite auf bereits bestehenden Projekt- und Planunterlagen. Zudem konnte für den Inhalt der Webseite auf Vorarbeiten von früheren Webseiten zurückgegriffen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die eingesetzten Geldmittel für die Webseite in einem im Vergleich zur Wichtigkeit des Projekts verhältnismässigen finanziellen Rahmen gehalten haben.

8. (…)

8.3 Weiter ist auf den Einwand des Beschwerdeführers einzugehen, in der Botschaft und auf der Projekt-Webseite würden keine Gegner zu Wort kommen. (…)

Vor der Gemeindeversammlung geben vorliegend die Abstimmungserläuterungen und die Gemeinde-Homepage die Haltung des Gemeinderates zum Projekt wieder. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Möglichkeiten einer Darstellung von Gegenpositionen beschränkt oder gar nicht möglich, weil diese häufig noch gar nicht bekannt sind. Aus den im Verfahren aufgelegten Hinweisen der politischen Parteien in der Gemeinde geht zudem hervor, dass dieses Projekt mehrheitlich unterstützt wird. Aus den Medienberichten und den Reaktionen der Parteien ergeben sich zwei Argumente, die Inhalt von politischen Kontroversen sind. Auf diese wurde in der detaillierten Botschaft explizit eingegangen. Auch auf der Gemeinde-Homepage wurden diese Diskussionspunkte thematisiert. Es besteht keine Obliegenheit der Behörde, alle theoretisch möglichen Gegenpositionen darzustellen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_641/2013 vom 24. März 2014, E. 6.2.3). Erfolgen Abstimmungserläuterungen vor einer Gemeindeversammlung, so ist zu beachten, dass die Gemeindeversammlung einen wesentlichen Teil des Meinungsbildungsprozesses darstellt, indem die Gemeindebehörde über die anstehenden Geschäfte informiert, die Stimmberechtigten Fragen stellen können und die Gemeindebehörde im Verlauf der Diskussion auf Verlangen weitere Auskünfte erteilt (LGVE 2004 III Nr. 10). Die Befürworterinnen und Befürworter sowie die Gegnerinnen und Gegner erhalten an der Gemeindeversammlung eine Plattform, ihre Ansichten und Argumente kundzutun. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Gegenpositionen zum Projekt, wenn diese noch konkreter bekannt werden, in den detaillierten Abstimmungserläuterungen für die Urnenabstimmung, auf der Homepage der Gemeinde und auch des Projekts eingegangen wird. (…)

9. (…)

10. Zusammenfassend hat die Gemeinde die Stimmberechtigten im Hinblick auf die bevorstehende Gemeindeversammlung umfassend über das Projekt informiert. Die aufbereiteten Informationen in der detaillierten Abstimmungsbotschaft und auf der Projekt-Webseite erfolgten dabei – auch von ihrer Wirkung her – mit der gebotenen Sachlichkeit und Objektivität im Sinn der genannten Rechtsprechung. Wichtige Elemente der Abstimmungsvorlage wurden in der Botschaft nicht unterdrückt. Somit wurden den Stimmberechtigten auch keine ausschlaggebenden Entscheidungsgrundlagen vorenthalten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die behördlichen Informationen mit der Projekt-Webseite im vorliegenden Fall über die Abstimmungsbotschaft hinausgehen. Angesichts der Wichtigkeit des Projektes über die Gemeindegrenzen hinaus ist die Projekt-Webseite ein verhältnismässiges und geeignetes Informationsmittel. Im vorliegenden Fall genügt sie den Grundsätzen der Vollständigkeit, der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit. Ausserdem kann es den Stimmberechtigten zugetraut werden, dass sie die Abstimmungserläuterungen und die verschiedenen zusätzlichen Informationen kritisch aufnehmen und sich dann zusammen mit den Berichterstattungen in den Medien und den Verlautbarungen der politischen Parteien eine eigene Meinung bilden. Nach der Gemeindeversammlung und vor der Schlussabstimmung an der Urne ist den Behörden Zurückhaltung für weitere Informationen auferlegt, weil die Willensbildung grundsätzlich den gesellschaftlichen und politischen Kräften vorbehalten sein soll.